2021-01-17

Pentacon Electra

Eher zufällig bin ich vor zwei Wochen über sie im Netz "gestolpert". Irgendwie konnte ich mich erinnern,  schon mal von ihr gelesen zu haben. Ich habe also nachgeschlagen und war danach noch mehr verwirrt. Es handelt sich um einen frühen Zeitautomaten mit CdS-Zelle, "made in DDR". Und dann stand da auf (fast) allen Seiten, dass sie von 1960 (!) bis ca. 1969 gebaut wurde. 
Blick von hinten ins Innere der Kamera
auf Verschluss und Elektronik
Das ist falsch, da war ich mir sehr sicher, habe aber doch etwas gebraucht, um die Puzzlesteine zum Beweis zusammenzubekommen. Außerdem musste ich mir natürlich eine dieser Pentacon Electras besorgen und habe ein besonders schönes, noch funktionierendes Exemplar im Originalkarton für wenig Geld ergattert. Was will ich mehr. Hier ist also die ganze Geschichte mit Bildern...

Da ist zunächst mal alleine der Name der Kamera. Sie ist ein originales Gewächs des VEB Pentacon und heißt auch so. Pentacon als Firmenname gibt es aber erst seit 1964, davor hieß man 'VEB Kamera und Kinowerke' und Pentacon war lediglich der Name des Contax-SLR Exportmodells. Ähnliches gilt auch für ORWO und die SL-Patrone ('Schnelladekassette'), auch dies wird im Prospekt zur Kamera so erwähnt, aber erst frühestens ab 1964 so vermarktet. 

Aber für mich das Entscheidende ist die Technik: CdS-Fotowiderstände mit entsprechender elektronischer Logik wird für Belichtungsmesser erst ab 1961 in kommerziellen Produkten verwendet. Der erste Belichtungsmesser damit war der berühmte Lunasix von Gossen (1961), 1962 kamen dann schon erste Kameras: Minolta SR-7, Nikon F "Photomic" oder Yashica Lynx-5000, alle noch mit einem externen "Beli-Auge". Während die einen schnell in Richtung TTL dachten (Pentax Spotmatic, Topcon RE Super), war es Yashica, die als erste mit CdS-Zelle und Elektronik einen Verschluss steuern konnten und so die Zeitautomatik auf den Markt brachten. Der Durchbruch dazu kam 1966 in Form der Yashica Electro 35

Mein Exemplar kam im Originalkarton und
mit Rechnung und Anleitung. 
Aber nicht nur in Japan, sondern auch in der alten Kamerametropole Dresden werkelte man Mitte der 1960er an Elektronik. Das zentrale Patent DD44166 wurde schon 1964 angemeldet und ist mir seit meiner Beschäftigung mit der Praktica PL electronic bekannt. Genau, damals hatte ich auch zum ersten Mal  hier über die Pentacon Electra gelesen. Die SLR erhielt "nur" den stufenlosen elektronischen Verschluss, vermutlich weil ein externer CdS-Meter in TTL-Zeiten fast wie ein Rückschritt aussah. Dafür bekam dann die moderne Plastik-Volkskamera Electra die Zeitautomatik spendiert. Die Praktica PL electronic kam 1968 auf den Markt, für die Electra gibt McKweon's in seiner letzten Ausgabe 1967 an. Ich schließe mich hier an. 

Man könnte noch ein paar weitere Argumente für die späten 60er Jahre anführen, z.B. Material und quadratisch-praktisches Design der Plastikkamera. Die dafür notwendige Spritzgusstechnologie hat sich auch erst im Laufe der 1960er Jahre durchgesetzt. Vielleicht wurde die Electra ja auch mit ihrer Vorgängerin Prakti verwechselt, die tatsächlich 1960 vorgestellt wurde, aber noch zeitgemäße Selenzellen-Technologie und ein Metallgehäuse verwendet hat.  

Mein Exemplar ist sehr gut erhalten. Ich habe es natürlich sofort aufgeschraubt, untersucht und gereinigt. Zu meinem Entzücken funktioniert alles (nach Reinigung von etwas eingerosteten elektrischen Kontakten). Mit neuen Batterien (der gewöhnliche AA-Typ!) steuert die Automatik immer noch den Verschluss, und das hinunter bis zu mehreren Sekunden! Leider ist dieser nicht der schnellste, bei 1/125 s ist nach oben hin Schluss. Auch die kleinste Blende ist "nur" 13.5, so dass sich ein maximaler EV von 10 ergibt. Das reicht selbst bei niedrig empfindlichen Filmen nicht mehr für Strand- oder Schneeszenen, die dann vermutlich alle überbelichtet rauskommen. Das ist vielleicht ihre größte Schwäche. Falls doch mal die Batterien ausfallen (oder es gerade im Sozialismus keine zu kaufen gab), löst der Verschluss immerhin mit 1/125 s aus. Das ist mit den vier Blendenstufen für außen noch praktikabel, außerdem kann damit auch geblitzt werden.
Mechanische Blende vor dem CdS-Element

Noch ein Wort zur Elektronik: Ähnlich wie bei der Yashica Electro 35 wird auch bei der Electra das CdS-Element von einer analogen Blende beschattet, bei der Yashica zur Simulation der Filmempfindlichkeit, bei der Pentacon ist es die eigestellte Blende. Für das jeweils andere werden elektrische Widerstände bemüht, beides elektronisch zu regeln funktionierte damals wohl noch nicht.

Die Electra bekam dann noch etwas Modellpflege. Die "Electra 2" hatte ein kleines "Verwackel"- Warnlämpchen im Sucher, das Verschlusszeiten unter 1/30 s anzeigte, ansonsten ist es aber dieselbe Kamera. Wann genau dieses zusätzliche Feature kam und auch wie lange diese Kameras insgesamt auf dem Markt waren, kann ich nicht sagen. Ich vermute fast bis hinein in die frühen 1980er Jahre, solange noch SL-Kassetten verfügbar waren. Wenn jemand dazu was weiß, bitte melden!

Datenblatt Kleinbildsucherkamera 24x36 mm für SL-Film mit Zeitautomatik
Objektiv Meyer Domiplan 45 mm f/2.8 (3 Linsen, vergütet), fast kreisrunde Blende mit 12 Lamellen, kleinste Blende 13.5
Verschluss elektro-magnetisch gesteuerter "Priomat" Zentralverschluss hinter dem Objektiv, stufenlos und ausschließlich automatisch gesteuerte Zeiten von mehreren Sekunden (getestet, offiziell 1/2 s) bis 1/125s. Ohne Batterie: 1/125s
Belichtungsmessung mit CdS-Photowiderstand über dem Objektiv, Einstellung von Filmempfindlichkeit von 50 oder 100 ASA per Schalter. Belichtungsmesser steuert Verschluss direkt nach Vorwahl der Blende mittels Wettersymbolen.
Fokussierung am Objektiv (1 m bis unendlich), keine Scharfstellhilfe. Symbole für Landschaft, Gruppenaufnahme und Portrait. 
Sucher einfacher optischer Durchsichtsucher.
Blitz Anschluss über Mittenkontakt, Umschalter für Elektronenblitz (1/125s) oder Blitzbirnen (1/30s).
Filmtransport SL-Patrone, einfaches Drehrad für Vorschub, Zählwerk (rückwärts von 12 bis 1)
sonst. Ausstattung Stativgewinde 1/4'', Drahtauslöseranschluss, optionale Bereitschaftstasche aus Kunstleder (14 Mark)
Maße, Gewicht 126 x 77 x 67 mm, 275 g (mit Batterien und Film: 345g)
Batterie 3V, 2x AA (Original DDR: "Heizelemente R6, EAaT")
Baujahr(e) ab 1967 bis ca. 1980 (?)
Kaufpreis, Wert heute 195 Mark (1972, offizielle Preisliste), ca. 10-30 € je nach Zustand.
Links Bedienungsanleitung, Prospekt (1970)IfM-Wolfen, Camera-Wiki, SL-System, Lippisches Kameramuseumfotoapparate-meier.de


2021-01-10

Zeiss Ikon Kolibri (523/18)

So langsam wird es eine kleine Sammlung innerhalb der Sammlung: Das ist schon die achte 3x4-Kamera, die ich hier vorstelle. Die (oder besser Der?) Kolibri aus dem Hause Zeiss Ikon (interne Katalog Nummer 523/18) ist eine sehr eigenwillig aber durchaus elegant und relativ praktisch gestaltete Handtaschenkamera. Gebaut wurde sie aus Blech, das ringsum mit elegantem Leder bezogen war, ihre abgeschrägten Flächen lassen sie schmaler erscheinen als sie wirklich war. Haupt- und Alleinstellungsmerkmal in ihrer sonst von Faltbalgen-Spreizenkameras dominierten Kameraklasse ist der versenkbare und blank verchromte Springtubus für das Objektiv. Mit jeweils einem kleinen Dreh und Federkraft ist es schnell aus- aber auch wieder eingefahren.  
Das Objektiv stammt natürlich aus dem Hause Zeiss und sitzt im damals üblichen Compur 300 Verschluss, es gab eine Einstiegsversion mit einem Novar f/4.5 im Telma-Verschluss. Die meisten Käufer werden wohl aber diese mittlere Ausstattung mit dem Tessar f/3.5 gewählt haben. Die high-end Variante mit dem Biotar f/2, der sogenannte Nacht-Kolibri wurde wohl sehr selten gekauft, und erzielt heute Sammlerpreise weit jenseits der 1000€-Marke.
Die Kamera war wohl relativ erfolgreich, hob sie sich doch erfreulich von den vielen ähnlich ausgestatteten Kameras zumindest vom Design her ab. Interessanterweise hat keiner der Konkurrenten versucht, das Konzept zu kopieren. Aber vielleicht war dazu ja die ganze Kameraklasse viel zu kurz am Markt, wie ich hier schon ausgeführt habe. Sie ist neben der Nagel Pupille die vermutlich am meisten gesuchte und gesammelte 3x4 Kamera und erzielt auch heute noch ganz ordentliche Preise. Sie ist verglichen mit der Pupille gar nicht so selten, eine vertrauenswürdige Quelle hat ca. 250 Seriennummern ausgewertet und kommt auf eine Produktion von ca. 17.000 Stück. Was ich allerdings wette (und die genannte Quelle gibt mir dazu Recht!) ist, dass der Produktionszeitraum nur von 1930-1932 dauerte. Die meisten anderen Quellen sprechen von einem Zeitraum bis 1935. Ich glaube solange wurden ggf. noch Restbestände in aller Welt verkauft. Die Seriennummern sprechen aber eine recht deutliche Sprache: Bisher wurden nur R, S und T Nummern gesichtet, und diese sind eindeutig auf 1932 begrenzt.  

Datenblatt Kleinfilmkamera für 3x4 auf Rollfilm 127, mit versenkbarem Springtubus.
Objektiv Carl Zeiss Tessar 5 cm f/3.5. (# 1165599). Die Kamera war auch mit einigen anderen Zeiss Objektiven erhältlich, siehe Porst Anzeige unten.
Verschluss Compur Zentralverschluss, T-B-1-2-5-10-25-50-100-300, #1072786. Die Billigversion der Kamera war auch mit einem Zeiss Telma Verschluss erhältlich.
Fokussierung durch Schneckengang mit Hebel (ganzes Objektiv) und Schärfentiefeanzeige.
Sucher einfacher Newton-Sucher, einklappbar 
Blitz kein Anschluss möglich
Filmtransport mit Drehrad, wie für die Klasse üblich zwei rote Bildnummer Fenster auf der Rückseite
sonst. Ausstattung Drahtauslösergewinde, Stativgewinde 3/8 Zoll, einschraubbarer Standfuß (fehlt bei meiner)
Maße, Gewicht ca. 120 x 70 x 35 mm, 480g
Baujahr(e) 1930-1932, diese #R73372 von 1930, ca. 17.000 Exemplare
Kaufpreis, Wert heute in dieser Ausführung 121,50 RM (1932), heute je nach Zustand und Zubehör ca. 100-200€
Links Bedienungsanleitung (english), EarlyPhotography, Sammlung  Kurt Tauber, Camera-Wiki, Pacific Rim Camera, Collectiblend, Zeiss Ikon Cameras (American brochure from 1931), Zeiss Historica (S. 20ff, Zeiss Ikon Produktion, Kolibri Abschätzung)
Bei KniPPsen weiterlesen Das Verschwinden der 3x4 Kameras, Nagel Pupille, Kochmann Korelle 3x4, Welta Gucki 3x4, Zeh Goldi, Foth Derby

Kolibri im Photo Porst Katalog 1932Amerikanische Anzeige 1931

2021-01-01

Vest Pocket Kodak Autographic Special



1901 Brownie No.2, Rollfilm 120
1912 Vest Pocket Kodak, Rollfilm 127
1934 Retina, 135er Patrone
1964 Instamatic 100, 126 Kassette
1972 Pocket Instamatic, 110 Kassette
1982 Kodak Disc 4000, Disc Film
Kodak Meilensteine bei der Einführung neuer Filmtypen
George Eastman hatte seiner Firma Eastman Kodak den griffigen Slogan "You press the button - We do the rest!" verpasst und sich ganz klar auf die fotografischen Laien als Zielgruppe konzentriert. Dabei hat er immer wieder erfolgreich neue (Massen-) Märkte erschlossen und nicht ganz uneigennützig gleichzeitig ein neues Filmformat eingeführt. Denn die von Kodak selbst produzierten, meist einfachen Kameras waren nur Mittel zum Zweck, und das hieß Filme verkaufen und damit den Gewinn machen. Die meisten anderen Meilensteine dieser Art habe ich hier schon vorgestellt, siehe die Liste links. Diesmal geht es also um den Rollfilm 127 und der wurde mit dieser Kamera 1912 eingeführt. 
Erstmalig gab es eine Kamera, die nicht nur einfach zu bedienen war, sondern die man immer dabei haben konnte, weil sie in die Westentasche passte. Und daher bedurfte es keines Kunstnamens, sondern sie hieß einfach Vest Pocket Kodak, der zugehörige nur 46 mm breite Rollfilm für 8 Aufnahmen a 4 x 6.5 cm, wurde entsprechend Vest Pocket Film ("VP") genannt. 
 
Die Kamera besteht im Wesentlichen aus gepresstem und schwarz lackiertem Aluminium-Blech, das eine nur 1 Zoll (2,54 cm) dicke "Dose" formt. Das zunächst sehr einfache Meniskus-Objektiv und der Verschluss sitzen im Zentrum der Frontplatte, die mittels eines Spreizenmechanismus in die Fotografierposition herausgezogen werden kann, dazwischen ein lichtdichter Lederbalgen. Der Filmtransport passiert super simpel mit einer Flügelschraube, kontrolliert durch ein rotes Fensterchen auf der Rückseite, durch das man die Zahlen auf dem Papierträger des Films lesen kann. Garniert wird das Ganze noch durch einen Brilliantsucher und einen Ausklappständer.  Dieses sogenannte "Standardmodell" kommt 1912 für nur US$ 6 auf den Markt und wird sofort ein Erfolg


Aber so wie heute bei den Smartphones kommen schnell Updates, das erste davon war das Autographic feature, etwas was nur Kodak (wg. Patentschutz) bieten konnte und wieder etwas für die Kundenbindung. Ab 1915 kamen dann auch besser ausgestattete Modelle der Kamera. Das hier abgebildete "Special" stammt von ca. 1918 und hat einen schicken (nach 102 Jahren recht abgegriffenen) Lederüberzug und ein deutlich besseres (anastigmatisches) Objektiv. Ein fast genau solches Modell hat auch Ansel Adams als 15-jähriger bei seinem zweiten Besuch im Yosemite National Park benutzt. Es gehört heute dem George Eastman House in Rochester, NY. 

Mit über 1.8 Millionen Exemplaren war die Kamera ein früher Megaseller und passt auch als solcher gut in meine Sammlung (siehe auch die anderen hier und hier). Für alles weitere möchte ich auf die guten Links im Internet unten verweisen. 

Datenblatt erste "Westentaschen"-Kamera für den 127er Rollfilm,
diese hier die "Autographic Special" Version, mit Lederbezug und Autographic Feature
Objektiv Kodak Anastigmat F/7.7 (ca. 87 mm Brennweite, vermutlich Dreilinser von Typ Cooke Triplet), andere Objektive waren auch erhältlich. 
Verschluss "Kodak Ball Bearing Shutter", selbstspannender Einfachverschluss, T-B-25-50 1/s. Dies war  die häufigste Ausführung, andere Verschlüsse wurden auch verbaut.
Filmtyp, Bildgröße 127er Rollfilm (mit oder ohne Autographic), 1 5/8'' x 2 1/2 '' (4x6 cm)
Fokussierung   Fixfokus in dieser Version. Andere Objektive waren auch in Grenzen fokussierbar.
Sucher schwenkbarer Brilliantsucher für Hoch- und Querformataufnahmen 
Filmtransport mit einfacher Flügelschraube, Bildzähler auf Filmträgerrückseite, Ansicht durch rotes Fenster.
sonst. Ausstattung einklappbarer Standfuß (auf der Rückseite ist die Kamera-Seriennummer 128420), Gewinde für Selbstauslöser, Autographic-Klappe und Stylus für Notizen auf dem Negativsteg zwischen den Bildern.
Maße, Gewicht 1'' x 2 3/8'' x 4 3/4'', 9 ounces (laut Prospekt), ca. 26 x 63 x 123 mm, 312 g 
Batterie keine
Baujahr(e) 1912-1915 ursprüngliche Standardversion,
1915-1926 Autographic Version,
1915-1926 Autographic Special mit Belederung und besseren Objektiven. Insgesamt mehr als 1,8 Millionen Kameras, diese hier von ca. 1918.
Kaufpreis, Wert heute diese Version 1918: US$ 13.50, Standardversion ab US$ 7.50.  Heutiger Wert je nach Version und Zustand ca. 30-100€. 
Links The Vest Pocket Kodak, Camera-Wiki, Mischa Koning's Kodak SiteCamera Manual
Auf KniPPsen weiterlesen George Eastman, Rollfilm 127, Gevaert G27, Instamatic 100, Kodak Disc 4000, Autographic Film 116, Kodak Junior 1A