Ein ganz besonderes Schmuckstück für meine Sammlung wichtiger Technik-Meilensteine habe ich von meinen Kollegen zum 25. Firmenjubiläum geschenkt bekommen. Nun, sie hatten soviel Geld gesammelt, dass ich davon eine Auktion gewinnen konnte. Hier ist sie: Zeiss Ikon's Tenax, die erste Kamera mit einem Schnellschalthebel. Laut damaliger Werbung erlaubte dieser, die Kamera am Auge zu lassen und gleichzeitig mit dem rechten Zeigefinger auf dem Auslöser und dem rechten Mittelfinger auf dem Spannhebel, pro Sekunde ein Bild zu machen (24x24 mm, bis zu 50 Aufnahmen auf 135er Kleinbildfilm). Die Kamera kam im Frühjahr 1938 auf den Markt, Produktion startete nachweislich schon 1937.
Hubert Nerwin, Zeiss Ikon's damaliger Chefingenieur, hat mit der Kamera sein Meisterstück abgeliefert. Er war zwar auch an der Contax, Super-Nettel und anderen Kameras beteiligt, aber die Tenax hatte nicht nur den Scbnellschalthebel, sondern einige andere Designfeatures, die in die Zukunft wiesen. Die Idee, einen Compur Rapid Verschluss der Größe 0 (eigentlich für größere Kameras gedacht) hinter dem Objektiv zu platzieren und somit komplett im Kameragehäuse verschwinden zu lassen, war einfach genial. Die Kopplung von Verschlussaufzug und Filmtransport wurde dadurch sehr vereinfacht, dass der Verschluss fest an seiner Position saß und nicht wie sonst üblich mit dem Objektiv zusammen verschoben wurde. Das Objektiv war auswechselbar (wie bei der Contax mit dem Schlitzverschluss), außerdem blieb die Kamera trotzdem sehr kompakt, Balgen oder Auszugtubus war unnötig.
Zeiss Ikon legte 1939 nochmal nach und brachte das deutlich kompaktere Schwestermodell Tenax I (mit kleinerem Compur (kein Rapid!), einfachem Sucher und fest eingebautem Dreilinser-Objektiv (auch vor dem Verschluss!). Auch diese Kamera hatte einen Schnellschalthebel, allerdings jetzt auf der linken Seite und kostete nur ein Drittel der "großen" Tenax, die im Folgenden als "Tenax II" vermarktet wurde, auch wenn sie früher am Markt war. Den Namen Tenax hatte sich Zeiss Ikon von früheren Goerz Platten- und Rollfilmkameras geborgt, die Tenax hier wurde aber im ehemaligen ICA Werk in Dresden gebaut.
Im Gegensatz zu manch anderer Kamera aus der Ära findet man zur Tenax sehr viel Literatur im Netz, in Zeitschriften und sogar ein komplettes Buch (hier kaufen...). Ich will hier nicht alles wiederholen, siehe die Links in der Tabelle unten. Besonders empfehlen möchte ich die Beiträge von Wes Loder und Yves Strobelt. Meine Kamera stammt laut Seriennummer E.3170 aus der ersten Produktionsserie von 1937. Auch das Sonnar ist von 1937 und das nachweislich am häufigsten an der Kamera montierte Objektiv. Das preiswertere 4cm f/2.8 Tessar wurde (nach Thiele) nur 4000 mal gebaut, im Gegensatz zu 6600 Sonnar 4cm f/2. Die beiden anderen verfügbaren Wechselobjektive Orthometar 2.7cm f/4.5 und Sonnar 7.5cm f/4 sind sehr selten und erzielen vierstellige Sammlerpreise.
Meine Kamera ist trotz ihrer 85 Jahre top in Schuss, alle Zeiten und auch der Selbstauslöser laufen. Die optischen Elemente sind frei von Pilz und Kratzern, einem Testfilm steht also nichts im Weg. Einen belichteten Agfacolor CN17 (60er Jahre) habe ich in der Kamera vorgefunden, außerdem steht im Inneren der Rückwand mit Bleistift der originale Verkaufspreis von 335 RM, sowie eine ominöse Nummer "7592", vielleicht die Artikelnummer?
Auswahl meiner Zeiss Ikon Kameras vom Ende der 1930er Jahre. Von links nach rechts: Tenax I (1939), Contax II (1938), Tenax (II, 1937) und Super-Nettel (1936) |
Datenblatt | Messsucherkamera für 24x24 mm auf 35mm Film. |
Objektiv | Carl Zeiss Jena Sonnar 4cm f/2 (6 Linsen in 3 Gruppen), auswechselbar. Außerdem verfügbar: CZJ Tessar 4cm f/2.8, Orthometar 2.7cm f/4.5 und Sonnar 7,5cm f/4. |
Verschluss | Compur-Rapid Zentralverschluss (Größe 0, 25mm Durchmesser, #4200829) hinter dem Objektiv. B-1-2-5-10-20-50-100-200-400 1/s. T durch Arretieren des Auslösers in B-Stellung realisiert. |
Fokussierung | Messsucher mit Drehkeil-Entfernungsmesser, Einstellhebel unterhalb des Objektivs. |
Sucher | Großer und heller optischer Messsucher. |
Filmtransport | Erste Kamera mit Schnellschalthebel (gekoppelter Filmvorschub und Verschlussaufzug). Automatisches Bildzählwerk (vorwärts bis 50), Rückspulrad. |
sonst. Ausstattung | Zubehörschuh, ISO-Drahtauslösergewinde, Stativgewinde 3/8'', Selbstauslöser |
Maße, Gewicht | ca. 128 x 78 x 54 mm, 618g |
Baujahr(e) | 1937-1940, ca. 8.500 bis 10.000 Exemplare, dieses #E.3170 von 1937 |
Kaufpreis, Wert heute | 335 RM (1938 mit Sonnar, 270 RM mit Tessar), ca. 400 € |
Links | Wikipedia, Camera-Wiki, Wes Loder, DRP 666.559, DRP 660.603, ZeissIkonVEB, Zeiss Historica, Mike Elek, Mike Eckman, Pacific Rim, Wolfen Museum, Lippisches Kameramuseum |
Bei KniPPsen weiterlesen | Tenax I, Contax II, Super-Nettel, Hubert Nerwin, Leica III, Certo Dollina, Weltini II |
Angeblich steht Hubert Nerwin hier selbst Modell für diese Anzeige. |