2023-03-19

Zeiss Ikon Tenax II (580/27)


Ein ganz besonderes Schmuckstück für meine Sammlung wichtiger Technik-Meilensteine habe ich von meinen Kollegen zum 25. Firmenjubiläum geschenkt bekommen. Nun, sie hatten soviel Geld gesammelt, dass ich davon eine Auktion gewinnen konnte. Hier ist sie: Zeiss Ikon's Tenax, die erste Kamera mit einem Schnellschalthebel. Laut damaliger Werbung erlaubte dieser, die Kamera am Auge zu lassen und gleichzeitig mit dem rechten Zeigefinger auf dem Auslöser und dem rechten Mittelfinger auf dem Spannhebel, pro Sekunde ein Bild zu machen (24x24 mm, bis zu 50 Aufnahmen auf 135er Kleinbildfilm). Die Kamera kam im Frühjahr 1938 auf den Markt, Produktion startete nachweislich schon 1937. 

Hubert Nerwin, Zeiss Ikon's damaliger Chefingenieur, hat mit der Kamera sein Meisterstück abgeliefert. Er war zwar auch an der Contax, Super-Nettel und anderen Kameras beteiligt, aber die Tenax hatte nicht nur den Scbnellschalthebel, sondern einige andere Designfeatures, die in die Zukunft wiesen. Die Idee, einen Compur Rapid Verschluss der Größe 0 (eigentlich für größere Kameras gedacht) hinter dem Objektiv zu platzieren und somit komplett im Kameragehäuse verschwinden zu lassen, war einfach genial. Die Kopplung von Verschlussaufzug und Filmtransport wurde dadurch sehr vereinfacht, dass der Verschluss fest an seiner Position saß und nicht wie sonst üblich mit dem Objektiv zusammen verschoben wurde. Das Objektiv war auswechselbar (wie bei der Contax mit dem Schlitzverschluss), außerdem blieb die Kamera trotzdem sehr kompakt, Balgen oder Auszugtubus war unnötig.

Zeiss Ikon legte 1939 nochmal nach und brachte das deutlich kompaktere Schwestermodell Tenax I (mit kleinerem Compur (kein Rapid!), einfachem Sucher und fest eingebautem Dreilinser-Objektiv (auch vor dem Verschluss!). Auch diese Kamera hatte einen Schnellschalthebel, allerdings jetzt auf der linken Seite und kostete nur ein Drittel der "großen" Tenax, die im Folgenden als "Tenax II" vermarktet wurde, auch wenn sie früher am Markt war. Den Namen Tenax hatte sich Zeiss Ikon von früheren Goerz Platten- und Rollfilmkameras geborgt, die Tenax hier wurde aber im ehemaligen ICA Werk in Dresden gebaut.  


Im Gegensatz zu manch anderer Kamera aus der Ära findet man zur Tenax sehr viel Literatur im Netz, in Zeitschriften und sogar ein komplettes Buch (hier kaufen...). Ich will hier nicht alles wiederholen, siehe die Links in der Tabelle unten. Besonders empfehlen möchte ich die Beiträge von Wes Loder und Yves Strobelt. Meine Kamera stammt laut Seriennummer E.3170 aus der ersten Produktionsserie von 1937. Auch das Sonnar ist von 1937 und das nachweislich am häufigsten an der Kamera montierte Objektiv. Das preiswertere 4cm f/2.8 Tessar wurde (nach Thiele) nur 4000 mal gebaut, im Gegensatz zu 6600 Sonnar 4cm f/2. Die beiden anderen verfügbaren Wechselobjektive Orthometar 2.7cm f/4.5 und Sonnar 7.5cm f/4 sind sehr selten und erzielen vierstellige Sammlerpreise. 
Meine Kamera ist trotz ihrer 85 Jahre top in Schuss, alle Zeiten und auch der Selbstauslöser laufen. Die optischen Elemente sind frei von Pilz und Kratzern, einem Testfilm steht also nichts im Weg. Einen belichteten Agfacolor CN17 (60er Jahre) habe ich in der Kamera vorgefunden, außerdem steht im Inneren der Rückwand mit Bleistift der originale Verkaufspreis von 335 RM, sowie eine ominöse Nummer "7592", vielleicht die Artikelnummer? 

Auswahl meiner Zeiss Ikon Kameras vom Ende der 1930er Jahre. Von links nach rechts: Tenax I (1939), Contax II (1938), Tenax (II, 1937) und Super-Nettel (1936)


Datenblatt Messsucherkamera für 24x24 mm auf 35mm Film. 
Objektiv Carl Zeiss Jena Sonnar 4cm f/2 (6 Linsen in 3 Gruppen), auswechselbar. Außerdem verfügbar: CZJ Tessar 4cm f/2.8, Orthometar 2.7cm f/4.5 und Sonnar 7,5cm f/4.
Verschluss Compur-Rapid Zentralverschluss (Größe 0, 25mm Durchmesser, #4200829) hinter dem Objektiv. B-1-2-5-10-20-50-100-200-400 1/s. T durch Arretieren des Auslösers in B-Stellung realisiert. 
Fokussierung Messsucher mit Drehkeil-Entfernungsmesser, Einstellhebel unterhalb des Objektivs.
Sucher Großer und heller optischer Messsucher.
Filmtransport Erste Kamera mit Schnellschalthebel (gekoppelter Filmvorschub und Verschlussaufzug). Automatisches Bildzählwerk (vorwärts bis 50), Rückspulrad.
sonst. Ausstattung Zubehörschuh, ISO-Drahtauslösergewinde, Stativgewinde 3/8'', Selbstauslöser    
Maße, Gewicht ca. 128 x 78 x 54 mm, 618g
Baujahr(e) 1937-1940, ca. 8.500 bis 10.000 Exemplare, dieses #E.3170 von 1937
Kaufpreis, Wert heute 335 RM (1938 mit Sonnar, 270 RM mit Tessar), ca. 400 €
Links Wikipedia, Camera-Wiki, Wes LoderDRP 666.559, DRP 660.603ZeissIkonVEB, Zeiss Historica, Mike Elek, Mike Eckman, Pacific RimWolfen MuseumLippisches Kameramuseum
Bei KniPPsen weiterlesen Tenax IContax II, Super-NettelHubert NerwinLeica III, Certo DollinaWeltini II
Angeblich steht Hubert Nerwin hier selbst Modell für diese Anzeige.

2023-03-01

Compur Seriennummern - Compur Serial Numbers (2)



Vor etwas über 2 Jahren habe ich an dieser Stelle eine neue Variante der Seriennummersequenz für den Compur-Verschluss vorgeschlagen, für die ich viel Lob aber auch Kritik bekommen habe. Es blieben halt noch ein paar Ungereimtheiten, die auch mich weiter beschäftigt haben. Sehr gefreut habe ich mich über einige kritische Kommentatoren, die viele neue Seriennummern sowohl für den Verschluss als auch die zugehörigen Kameras und Objektive geliefert haben. So ist meine Datenbasis nun über 80 Kamera- und Verschluss-Kombinationen groß und ich bin in der Lage, Fehler zu korrigieren und ein viel genaueres Update hier zu posten:
A little over 2 years ago I suggested a new variant of the serial number sequence for the Compur shutter, for which I received a lot of praise but also some criticism. There were still a few inconsistencies that also kept me busy. I was very happy about some critical commentators who provided many new serial numbers for both the shutter and the associated cameras and lenses. My database contains over 80 camera and shutter combinations now and I am able to correct errors and post a much more accurate update here:
  • Es gab nicht nur eine Seriennummersequenz für den Compur, sondern vier, dargestellt durch die farbigen Linien oben. Zwischen 1934 und 1939 wurden alle vier gleichzeitig benutzt.
  • Bei der Basissequenz, die im Jahr 1912 6-stellig startet (blaue Linie) schließe ich mich wieder mehr der Originalsequenz an. Erst ab dem Jahr 1923 vermute ich eine etwas höhere Produktion, da ich einige Kameras mit 7xx.xxx Nummern dem Jahr 1924 zuverlässig zuordnen kann. Ungefähr im Jahr 1928 wird die Million erreicht. Dann geht es mit dieser Sequenz allerdings nicht steil nach oben, sondern es erfolgt eine Aufspaltung: Der klassische Dial-Set Verschluss behält die 1.xxx.xxx Nummerierung, er wird noch ein paar Jahre in der größeren Version für Plattenkameras gebaut, allerdings in eher geringen Stückzahlen. Die höchste Nummer, die ich gesehen habe, startete mit 1.45x.xxx. Später werden einfache Compurverschlüsse auch intern verbaut (weder RIM- noch Dial-set). Auch diese haben die 1.xxx.xxx Nummer: meine Tenax I von 1938 hat 1.344.446.
  • Ab 1928 brachte Deckel den RIM-Compur und begann mit dessen Nummerierung bei 2.000.000 (rote Linie). Dieser war sehr erfolgreich und wohl schon 1934 wurde die 3-Millionen-Marke überschritten, ca. 1938 auch die 4-Millionen, was zu Nummerierungsproblemen führte (siehe unten).
  • 1934 erschien dann mit dem Compur-Rapid (1/500 s, bzw. 1/400 s für die Größe 0) die nächste Innovation und Deckel entschied sich, hierfür wieder mit der Nummer zu springen. Und zwar auf die 4.xxx.xxx für Zeiss Ikon Kameras (gelbe Linie) und 5.xxx.xxx für alle anderen Fabrikate (grüne Linie). 
  • Nach dem zweiten Weltkrieg wurde nur noch der Rapid produziert (dann auch als Synchro-Variante und man führte konsequenterweise nur noch eine Zählweise fort, beginnend mit der 6-Millionen-Marke, die aber vermutlich schon kurz vor Kriegsbeginn erreicht wurde, auch wenn meine Datenbasis dort relativ dünn ist.
  • Ab ungefähr 1938 kamen sich die Zählungen des normalen Compurs mit denen des Zeiss-Ikon-Rapids in die Quere und der normale Compur bekam statt der 4.xxx.xxx (die ja schon vergeben war) die A.xxx.xxx, was diesen Sonderfall erklärt. Ob für den anderen Sonderfall 00xx.xxx das selbe gilt (immerhin ist meine Jubilette nachweislich auch von 1938) oder die Spekulationen über fremde Lohnfertigung stimmen, muss ich noch weiter eruieren.

Auch hier unten wieder die neuen Sequenzen in Tabellenform und die Bitte an alle Leser ausgiebig zu kommentieren und mir weitere Nummern zu schicken (Compur plus zugehörige Kamera/Objektiv zur Einordnung).
  • There wasn't just one serial number sequence for the Compur, there were four, represented by the colored lines in the graph above. Between 1934 and 1939 all four were used simultaneously.
  • In the basic sequence, which started in 1912 with 6 digits (blue line), I am more in line now with the original suggested assignement. Only from the year 1923 on I suspect a slightly higher production rate, since I can reliably assign some cameras with 7xx.xxx numbers to the year 1924. Around the year 1928 the million is reached. But then this sequence does not rise sharply, but there is a split: the classic Dial-Set shutter retains the 1.xxx.xxx numbering, it will be built for a few more years in the wider version for plate cameras, albeit in rather small quantities. The highest number I saw started with 1.45x.xxx.
  • In 1928, Deckel launched the RIM-Compur and started numbering it at 2,000,000 (red line). This was very successful and the 3 million mark was probably exceeded as early as 1934, and around 1938 also the 4 million mark, which led to numbering problems (see below). 
  • In 1934 the next innovation appeared with the Compur-Rapid (1/500 s, or 1/400 s for size 0) and Deckel decided to jump again with the number.  Zeiss Ikon cameras (yellow line) got the 4.xxx.xxx  and all other brands received shutters with a 5.xxx.xxx (green line). 
  • After the Second World War, only the Rapid was produced (then also as a synchro variant and consequently only one counting method was continued, starting with the 6 million mark, which was probably reached shortly before the start of the war, even if my database there is relatively thin.
  • From around 1938 the counts of the normal Compur got in the way of those of the Zeiss-Ikon-Rapid and the normal Compur got the A.xxx.xxx instead of the 4.xxx.xxx (which was already assigned), which was this special case explained. I still have to find out whether the same applies to the other special case 00xx.xxx (after all, my jubilee is demonstrably from 1938) or whether the speculation about third-party contract manufacturing is correct. 
Please see below again the new sequences in table form. May I request everybody to comment extensively and to send me more serial numbers (Compur plus associated camera/lens numbers for correct assignement).

 Year old assignment new assignment


    Dial-Set         RIM-Set         Rapid ZI         Rapid    
1912 214.000 214.000


1914 250.000 250.000


1920 450.000 500.000


1922 500.000 600.000


1925 600.000 850.000


1926 750.000 920.000


1927 850.000 950.000


1928 950.000 1.020.000 2.000.000

1929 1.000.000 1.100.000 2.050.000

1930 1.150.000 1.180.000 2.150.000

1931 1.500.000 1.190.000 2.350.000

1932 1.800.000 1.200.000 2.500.000

1933 2.250.000 1.210.000 2.700.000

1934 2.700.000 1.230.000 2.900.000 4.000.000 5.000.000
1935 3.200.000 1.250.000 3.250.000 4.050.000 5.050.000
1936 3.750.000 1.290.000 3.600.000 4.100.000 5.150.000
1937 4.250.000 1.330.000 3.950.000 4.200.000 5.300.000
1938 4.850.000 1.370.000 A.250.000 4.350.000 5.500.000
1939 5.400.000 1.450.000 A.450.000 4.450.000 6.000.000
1947 6.000.000


6.100.000
1948 6.200.000


6.150.000
1949 6.500.000


6.500.000
1950 7.000.000


7.000.000
1951 7.700.000


7.700.000
1952 8.500.000


8.500.000