2025-02-16

Agfamatic 300 Sensor

Neulich habe ich an dieser Stelle ihre kleinere Schwester Agfamatic 200 "seziert", eine Einfachkamera mit Fixfokus-Objektiv und sehr begrenzter manueller Belichtungskontrolle. Die gesamte Agfamatic-Serie für den 126er Pak-Film umfasste mit der "50", der "100" noch zwei weitere Einfachstkameras mit noch weniger Einstellmöglichkeit und sogar nur einem einlinsigen Meniskus-Objektiv. Interessanterweise haben die Agfa-Ingenieure und die Designer von Schlagheck & Schultes mit der "300" noch eine fast vollwertige Kamera in das gleiche Plastikgehäuse mit dem schicken Aluminiumrahmen und dem orange-roten Sensor-Auslöser gefummelt. 

Der Sprung von der "200" zur "300" in der technischen Spezifikation ist enorm: Das dreilinsige Objektiv lässt sich fokussieren und die Belichtung wird nicht nur gemessen, sondern steuert automatisch die Verschlusszeit und das über den enormen Zeitenbereich von 30 s bis 1/300 s stufenlos. Angezeigt wird allerdings nirgendwo, welche Verschlusszeit gewählt wurde. Immerhin leuchtet eine kleine LED im Sucher, wenn Verwacklungsgefahr droht (>1/30s). Die beiden CdS-Fotowiderstände sind das auffallendste äußere Merkmal der "300" und gehören zu einer elektronischen Schaltung, die auch 2 Batterie-Knopfzellen benötigt und sich hinter der Frontabdeckung verbirgt.

Ich war natürlich neugierig und habe auch diese Kamera aufgeschraubt. Die verbaute Platine folgt wohl im Wesentlichen der Schaltung, die bei der Yashica Electro 35 erstmals erfolgreich eine Zeitautomatik implementiert hatte. Interessant ist, dass tatsächlich der relativ simple 2-Sektorenverschluss Parator mit wenig mechanischem Zusatzaufwand zum elektronisch gesteuerten Paratronic werden konnte. Auf meinem Bild sieht man deutlich den kleinen Elektromagneten und den grünen Kondensator als die beiden wesentlichen Teile des Hemmwerks.

Was mich allerdings sehr erstaunt hat, weil es sonst nirgendwo erwähnt wird: Eine Blende fehlt bei dieser Kamera, die gesamte Belichtungssteuerung wird alleine von der Zeitautomatik bei voller Blende f/8 übernommen. Damit ist ab ca. LW 14.5 Überbelichtung garantiert. Insbesondere für die Blitzfotografie wird üblicherweise eine Blende vorausgesetzt, was aber streng genommen nur für Elektronenblitze gilt. Bei den langsamer (aber dafür heller) ablaufenden Blitzbirnchen, die auch hier im Magicube verwendet werden, kann man die Belichtung auch per Verschlusszeit steuern. Ungewöhnlich, aber es geht.


Für Langzeitbelichtungen, die ja mit dem Verschluss bis zu 30 s möglich waren, gab es neben dem Stativgewinde (was auch alle anderen Agfamatic's hatten) konsequenterweise auch ein Gewinde für einen Drahtauslöser.  Die Kamera war mit 163 DM (1975) ungefähr 50% teurer als die automatik- und batterie-lose "200", und doppelt so teuer wie eine "100" mit dem Meniskus-Objektiv. Bessere Bilder als diese hat sie vermutlich speziell in besonderen Situationen gemacht. Allerdings bekam man ab ca. 220 DM auch bei Agfa schon echte Kleinbild-Kameras. In den 1970ern drängten die Japaner mit Macht auf den Europäischen Markt, mit günstigen, aber besser ausgestatteten Kameras wie der Konica C35. Dagegen hatte es diese spezielle (und damit relativ teure) Billigknipse besonders schwer, die Verkaufszahlen waren wohl nie besonders hoch.

Die Agfamatic Serie bekam 1978 von Agfa ein Upgrade spendiert, die "50" wurde zur "55C" und noch billiger (kein Aluminiumrahmen mehr), die "100" und "200" wurden zur "108" und "208" und hatten neben einem moderneren Gehäuse jetzt Flipflash statt Magicube. Nur die "300" blieb wie sie war im Programm, vermutlich gab es noch etliche schon produzierte Einheiten auf Lager, die noch abverkauft werden sollten. Die Kamera, die ihr bzgl. Spezifikation am nächsten kam, war übrigens die Pentacon Electra, quasi ihr Pendant auf der anderen Seite des damals die Welt trennenden eisernen Vorhangs. Neben ihr steht meine Agfamatic 300 jetzt im Regal.

Datenblatt Kompakte Sucherkamera für 126er Pak-Film mit Zeitautomatik
Objektiv Agfa Color-Agnar 44 mm f/8 (Cooke-Triplet, Plastik)
Verschluss Paratronic-Zweisektoren Verschluss hinter dem Objektiv, stufenlos elektronisch gesteuert von 30s bis 1/300 s. Kamera hat weder eine Einstellung für Filmempfindlichkeit noch eine Blende. 
Belichtungsmessung mit 2 CdS-Fotowiderständen.
Fokussierung Zonenfokus, drei Rastpunkte Unendlich, Gruppe, Portrait (1.20m).
Sucher optischer Newton-Durchsichtsucher, Leuchtrahmen. Verwacklungswarnung per roter LED.
Blitz Anschluss für X-Blitzwürfel (Magicubes), die beim Filmtransport gedreht werden. Entfernungsskala für Blitzfotografie unten am Objektiv.
Filmtransport Schnellschalthebel, Bildnummer auf Rückseitenpapier durch Fenster in der Rückwand.
sonst. Ausstattung Sensor-Auslöser, 1/4'' Stativgewinde, Gewinde für Drahtauslöser, Öse für Handschlaufe. 
Maße, Gewicht ca. 102 x 66 x 55 mm, 189 g
Batterie2 x PX625
Baujahr(e) 1971 - 1977, im Verkaufsprogramm von Agfa bis ca. 1982.
Kaufpreis, Wert heute 163 DM (1975, kleine Geschenkpackung, inkl. Film, Handschlaufe und einem Blitzwürfel). Heutiger Wert: ca. 20 €, unbenutzt in Geschenkverpackung: ca. 50€. 
Links Camera-Wiki, Museum Digital, Agfa-Museum ScholzCollection Appareils
Bei KniPPsen weiterlesen Geschichte der BelichtungsautomatikYashica Electro 35, Pentacon Electra, Agfamatic 200 auseinandergenommenKodak Instamatic 100, ...104, Instamatic SLR, Agfamatic Pocket 4000, Agfa Isoflash Rapid, 126er Kameras 

2025-02-08

Agfamatic 200 Sensor - auseinandergenommen


Sie war Gegenstand meines allerersten Blog-Posts (am 21.8.2010), eben weil sie auch meine erste Kamera war, die ich als Kind von meinen Eltern geschenkt bekam. Weil ich seit längerem 2 Exemplare besitze, habe ich beschlossen, eines davon zu "opfern", um sie mir von Innen genauer anzuschauen. Außerdem bin ich seit kurzem auch Besitzer einer Agfamatic 300 (dazu bald mehr) und der technische Vergleich der jeweiligen Varianten reizte mich zusätzlich. Bei dem ganzen Prozess ist mir klar geworden, wie genial diese Kameras designed sind, sowohl technisch als auch ästhetisch. Es ist eigentlich eine viel gößere Leistung, so eine Massenkamera zu bauen, die trotz eines niedrigen Preises gute Bilder abliefert, als eine High-End-Kamera mit großem Entwicklungsbudget. Agfa hat ihre Sache sehr ordentlich gemacht, die Kameras waren wohl sehr erfolgreich und ihre Produktionszahl dürfte insgesamt 7-stellig gewesen sein. Leider findet man eher wenig solcher Informationen oder Details über ihre Entwicklungsgeschichte. Daher hier mal der Versuch, zumindest technisch eine genauere Dokumentation ins Netz zu stellen:
   
"Parator" Zweisektorenverschluss von vorne (links) in geöffnetem
Zustand und von der Rückseite (rechts). Das Hemmwerk ist der 
kleine weiße Plastikhebel.
Der Parator genannte Verschluss sitzt hinter dem Objektiv und ist ein sogenannter Zweisektoren-Verschluss, dessen Lamellen beim Verschlussablauf gleichsinnig, aber zeitlich verzögert ablaufen und dabei die zentrale Öffnung kurzzeitig freigeben. Beim Spannvorgang in die Gegenrichtung nimmt die eine Lamelle die andere so mit, dass die Öffnung immer bedeckt ist. Die zweite Lamelle kann beim Verschlussablauf mit einem kleinen Plastikhebel so gebremst (gehemmt) werden, dass sich verschiedene Verschlusszeiten realisieren lassen. Bei der Agfamatic 200 sind das angeblich 1/80 s und 1/40 s (nachgemessen habe ich das nicht). Der Verschluss besteht aus erstaunlich wenigen Einzelteilen und lässt sich auch einfach montieren.

Rückseitenansicht der Blende
Zwischen Verschluss und Objektiv sitzt die Blende, die aus zwei rechteckigen Schiebern gebildet wird, die je nach Stellung ein mehr oder weniger großes Quadrat freigeben. Ein rundes Messingblech fungiert als Steuereinheit mit entsprechend ausgesparten Steuerkurven. 

Zusammen mit dem Verschluss wurden bei der Agfamatic 200 vier Belichtungseinstellungen realisiert, die über die vier Symbole am Objektivring angewählt werden, wobei nur beim Wolkensymbol die 1/40 s gewählt wird. Bei den drei anderen Symbolen wird mit 1/80 s belichtet und entsprechend abgeblendet. Interessanterweise hat die Steuerkurve der Blende ihre größte Öffnung bei Stellung 2 (diesige Sonne), bei Wolke wird etwas abgeblendet, allerdings nicht so stark wie bei den anderen beiden Stufen Sonne und Strand. 

Die schwarze Plastikfassung der Blende trägt dann auch das Objektivgewinde (21 mm Durchmesser), wo das Fixfokusobjektiv eingeschraubt ist. Das Objektiv selbst wiegt nur 2.5 g, besteht aus fünf Teilen, von denen drei Plastiklinsen sind, sowie die schwarze Fassung und eine winzige kreisrunde schwarze Blende im Zentrum. Die Konstruktion ist das klassische Cooke-Tripletangepasst an die optischen Eigenschaften der verwendeten Plastiksorten. Vermutlich bestehen die äußeren Sammellinsen aus Polymethyl-Methacrylat (PMMA, bekannt als Plexiglas), die mittelere Zerstreuungslinse aus Styrol-Acrylnitril-Copolymer (SAN).

Mein erstes und bisher einziges zersägtes Objektiv.
Solche Objektive haben für den Zweck völlig ausreichende Abbildungsleistungen, lassen sich aber für Pfennigbeträge in großen Stückzahlen leicht herstellen. An manchen Stellen liest man die Annahmen, dass alle Agfamatic-Kameras einfache Meniskusobjektive verwenden. Das trifft aber nur auf die beiden preiswertesten Agfamatic Modelle 50 und 100 zu ("Colorstar" Meniskus f/11). Plastik-Triplets gibt es im Kamerabau seit Ende der 1950er Jahre, natürlich war Kodak ein Pionier hierbei (z.B. Brownie Starflex).

Der aufwändigste Teil der Kamera ist die ganze Mechanik, die für Filmtransport, Verschluss-Spannen und dem damit verbundenen Drehen des Blitzwürfels im oberen Drittel der Kamera verbaut wurde. Hier findet sich ganz viel Messing und Stahl, der Großteil der Einzelteile und mit 54 g (30%) mehr Gewicht als der im Plastik-Druckguss extrudierte Grundkörper der Kamera (30 g). Auch der schicke Aluminiumrahmen trägt mit 32 g (18%) dazu bei, dass die Agfamatic gut in der Hand liegt und nicht als billige Knipse wahrgenommen wird, die sie eigentlich ist. Der Aluminiumrahmen scheint um die innere Kamera herumgebogen worden sein, bevor schließlich der Schnellschalthebel aufgepresst und die Plastikfront sowie die Rückwand angeschraubt wurden.




Gewichtsverteilung     [g]
Grundgehäuse, Plastik, inkl. Sucher 29.75  
Frontkappe, Plastik 18.44 
Rückwand, Plastik 28.56
äußerer Rahmen, Aluminium 32.00
Mechanik, Schnellschalthebel, Schrauben,(Messing, Stahl, Plastik) 55.90    
Objektiv, Plastik  2.50
Verschluss, Messing und Plastik 10.66
Blende, Plastik und Stahl  5.23
Total... 183.4

Der Sensor-Auslöser (Patent DE 1 622 174) und das damit verbundene Design-Element mit dem orangen Punkt war für Agfa insgesamt ein Marketing-Geniestreich. Der beworbene technische Vorteil, dass ein Druck mit minimalem Hub auf diesen Auslöser weniger verwackelte Aufnahmen verursacht als ein traditioneller Auslöser, war wohl eher marginal. Neben den beiden mechanischen Varianten, die im Patent gezeigt werden, gibt es noch eine dritte als elektrischen Schalter, die insbesondere für spätere elektronische Kameras wichtig werden sollte. 

Es gäbe an dieser Stelle noch mehr zu schreiben, z.B. über den Blitz, die Unterschiede zu den anderen Agfamatic Modellen und einiges mehr. Das hebe ich mir für demnächst auf, wenn ich über die Agfamatic 300 berichten werde...

Datenblatt Einfache Sucherkamera für Pak-Film (126), 28x28 mm
Objektiv Agfa Color-Agnar 44 mm f/8
Verschluss Parator-Zweisektoren Verschluss hinter dem Objektiv, ca. 1/40 s und 1/80 s
Belichtungsmessung keine, Einstellung über 4 Belichtungssymbole (Wolke, Tageslicht, Sonne Strand), siehe Text.
Fokussierung Fixfokus, 1.20 m bis unendlich.
Sucher optischer Newton-Durchsichtsucher, Leuchtrahmen
Blitz Anschluss für X-Blitzwürfel (Magicubes), die beim Filmtransport gedreht werden. Entfernungsskala für Blendeneinstellung beim Blitzen unten am Objektiv.
Filmtransport Schnellschalthebel, Bildnummer auf Rückseitenpapier durch Fenster in der Rückwand.
sonst. Ausstattung Sensor-Auslöser, 1/4'' Stativgewinde, Öse für Handschlaufe
Maße, Gewicht ca. 102 x 66 x 55 mm, 183 g
Batterie keine
Baujahr(e) 1971 - 1977, diese am 9. Juli 1976 (Stempel)
Kaufpreis, Wert heute 110 DM (1975, kleine Geschenkpackung, inkl. Film, Handschlaufe und einem Blitzwürfel), große Geschenkpackung 118.50 DM mit zusätzlicher Bereitschaftstasche. Heutiger Wert: ca. 5 €, unbenutzt in Geschenkverpackung: ca. 40€. 
Links Camera-Wiki, Lippisches Kameramuseum, Optiksammlung, Agfa-Museum Scholz, Industrie-und-Filmmuseum Wolfen, Collection Appareils
Bei KniPPsen weiterlesen Mein erster Blogeintrag, Kodak Instamatic 100, ...104, Instamatic SLR, Agfamatic Pocket 4000, Agfa Isoflash Rapid, 126er Kameras 




2025-02-02

Baldessa I

Ich bekam neulich einen ganzen Einkaufsbeutel voll mit alten Kameras geschenkt, die meisten davon einfache Massenware, nichts wirklich aufregendes für einen Kamerasammler. Ich habe mich trotzdem entschlossen, die Dinger hier vorzustellen und entsprechend zu würdigen. Anfangen möchte ich mit dieser Baldessa I vom Balda Kamerawerk in Bünde. Sie ist zwar defekt (der eigentlich charakteristische Filmtransportschlüssel auf der Kameraunterseite fehlt), sieht aber trotzdem schick aus, mit ihren abgeschrägten Ecken und der kompakten Form. Irgendwo habe ich gelesen, sie sähe aus wie ein angelutschtes Bonbon.

Diese Baldessa 1 war 1957 die erste Kamera der erfolgreichen Baldessa-Serie, die bis Mitte der 1960er Jahre gebaut und wohl in großer Zahl verkauft wurden. Schon 1958 gibt es ein erstes Update mit einem Sucherfenster zur Einspiegelung eine Leuchtrahmens, spätere Modelle dann auch Messsucher und einen eigebauten Belichtungsmesser. Das eingebaute Objektiv war immer ein 45 mm f/2.8 (Baldanar, Color-Isconar oder ISCO-Westanar). 

Interessanterweise hat mein 1957er Exemplar hier das Color-Isconar (sonst eher bei späteren Modellen anzutreffen) in Kombination mit der high-end Version des Prontor-SVS (bis 1/500 s) inkl. Lichtwertskala, siehe Tabelle unten. Sonst wird die Kamera eher mit einfachen 3-Zeiten Vario, Pronto, Prontor 125-Verschlüssen beschrieben, manchmal allerdings auch mit einem Prontor-SVS (bis 1/300s). Mhmm, hier werde ich wohl nochmal tiefer reinschauen müssen. Kommentare wie immer willkommen...

Datenblatt Kleinbildsucherkamera
Objektiv ISCO Color-Isconar 45 mm f/2.8 (Triplet)
Verschluss Prontor-SVS Zentralverschluss, B-1-2-4-8-15-30-60-125-250-500
Belichtungsmessung keine (spätere Baldessa-Modelle mit Selenzelle)
Fokussierung manuell per Frontlinsenverstellung, minimale Entfernung 1 m
Sucher einfacher optischer Sucher, keine eingeblendeten Bildrahmen oder Parallaxenmarkierungen.
Blitz PC-Buchse, umschaltbar M und X, alle Zeiten.
Filmtransport mit Filmtransportschlüssel auf der Kameraunterseite (fehlt hier), Bildzählwerk, ausklappbare Rückspulkurbel.
sonst. Ausstattung Lichwertskala und damit verbundene gekoppelte Zeit- und Blendeneinstellung. Stativgewinde 1/4'', Filmmerkrädchen, ISO-Drahtauslösegewinde, Zubehörschuh, Gurtösen
Maße, Gewicht 120 x 80 x 64 mm, 450g
Batterie keine
Baujahr(e) 1957
Kaufpreis, Wert heute ca. 100 DM (1957 ?), ca. 10-20 €
Links Camera-WikiShutterbug Review, Lippisches Kameramuseum
Bei KniPPsen weiterlesen Westdeutsche Nachkriegs-Kameraproduktion, Baldina (1936), Baldina (50er), Belca, Retinete