Sie war Gegenstand meines allerersten Blog-Posts (am 21.8.2010), eben weil sie auch meine erste Kamera war, die ich als Kind von meinen Eltern geschenkt bekam. Weil ich seit längerem 2 Exemplare besitze, habe ich beschlossen, eines davon zu "opfern", um sie mir von Innen genauer anzuschauen. Außerdem bin ich seit kurzem auch Besitzer einer Agfamatic 300 (dazu bald mehr) und der technische Vergleich der jeweiligen Varianten reizte mich zusätzlich. Bei dem ganzen Prozess ist mir klar geworden, wie genial diese Kameras designed sind, sowohl technisch als auch ästhetisch. Es ist eigentlich eine viel gößere Leistung, so eine Massenkamera zu bauen, die trotz eines niedrigen Preises gute Bilder abliefert, als eine High-End-Kamera mit großem Entwicklungsbudget. Agfa hat ihre Sache sehr ordentlich gemacht, die Kameras waren wohl sehr erfolgreich und ihre Produktionszahl dürfte insgesamt 7-stellig gewesen sein. Leider findet man eher wenig solcher Informationen oder Details über ihre Entwicklungsgeschichte. Daher hier mal der Versuch, zumindest technisch eine genauere Dokumentation ins Netz zu stellen:
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"Parator" Zweisektorenverschluss von vorne (links) in geöffnetem Zustand und von der Rückseite (rechts). Das Hemmwerk ist der kleine weiße Plastikhebel. |
Der Parator genannte Verschluss sitzt hinter dem Objektiv und ist ein sogenannter Zweisektoren-Verschluss, dessen Lamellen beim Verschlussablauf gleichsinnig, aber zeitlich verzögert ablaufen und dabei die zentrale Öffnung kurzzeitig freigeben. Beim Spannvorgang in die Gegenrichtung nimmt die eine Lamelle die andere so mit, dass die Öffnung immer bedeckt ist. Die zweite Lamelle kann beim Verschlussablauf mit einem kleinen Plastikhebel so gebremst (gehemmt) werden, dass sich verschiedene Verschlusszeiten realisieren lassen. Bei der Agfamatic 200 sind das angeblich 1/80 s und 1/40 s (nachgemessen habe ich das nicht). Der Verschluss besteht aus erstaunlich wenigen Einzelteilen und lässt sich auch einfach montieren.
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Rückseitenansicht der Blende |
Zusammen mit dem Verschluss wurden bei der Agfamatic 200 vier Belichtungseinstellungen realisiert, die über die vier Symbole am Objektivring angewählt werden, wobei nur beim Wolkensymbol die 1/40 s gewählt wird. Bei den drei anderen Symbolen wird mit 1/80 s belichtet und entsprechend abgeblendet. Interessanterweise hat die Steuerkurve der Blende ihre größte Öffnung bei Stellung 2 (diesige Sonne), bei Wolke wird etwas abgeblendet, allerdings nicht so stark wie bei den anderen beiden Stufen Sonne und Strand.
Die schwarze Plastikfassung der Blende trägt dann auch das Objektivgewinde (21 mm Durchmesser), wo das Fixfokusobjektiv eingeschraubt ist. Das Objektiv selbst wiegt nur 2.5 g, besteht aus fünf Teilen, von denen drei Plastiklinsen sind, sowie die schwarze Fassung und eine winzige kreisrunde schwarze Blende im Zentrum. Die Konstruktion ist das klassische Cooke-Triplet, angepasst an die optischen Eigenschaften der verwendeten Plastiksorten. Vermutlich bestehen die äußeren Sammellinsen aus Polymethyl-Methacrylat (PMMA, bekannt als Plexiglas), die mittelere Zerstreuungslinse aus Styrol-Acrylnitril-Copolymer (SAN).
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Mein erstes und bisher einziges zersägtes Objektiv. |
Solche Objektive haben für den Zweck völlig ausreichende Abbildungsleistungen, lassen sich aber für Pfennigbeträge in großen Stückzahlen leicht herstellen. An manchen Stellen liest man die Annahmen, dass alle Agfamatic-Kameras einfache Meniskusobjektive verwenden. Das trifft aber nur auf die beiden preiswertesten Agfamatic Modelle 50 und 100 zu ("Colorstar" Meniskus f/11). Plastik-Triplets gibt es im Kamerabau seit Ende der 1950er Jahre, natürlich war Kodak ein Pionier hierbei (z.B. Brownie Starflex).
Der aufwändigste Teil der Kamera ist die ganze Mechanik, die für Filmtransport, Verschluss-Spannen und dem damit verbundenen Drehen des Blitzwürfels im oberen Drittel der Kamera verbaut wurde. Hier findet sich ganz viel Messing und Stahl, der Großteil der Einzelteile und mit 54 g (30%) mehr Gewicht als der im Plastik-Druckguss extrudierte Grundkörper der Kamera (30 g). Auch der schicke Aluminiumrahmen trägt mit 32 g (18%) dazu bei, dass die Agfamatic gut in der Hand liegt und nicht als billige Knipse wahrgenommen wird, die sie eigentlich ist. Der Aluminiumrahmen scheint um die innere Kamera herumgebogen worden sein, bevor schließlich der Schnellschalthebel aufgepresst und die Plastikfront sowie die Rückwand angeschraubt wurden.
Gewichtsverteilung | [g] |
Grundgehäuse, Plastik, inkl. Sucher | 29.75 |
Frontkappe, Plastik | 18.44 |
Rückwand, Plastik | 28.56 |
äußerer Rahmen, Aluminium | 32.00 |
Mechanik, Schnellschalthebel, Schrauben,(Messing, Stahl, Plastik) | 55.90 |
Objektiv, Plastik | 2.50 |
Verschluss, Messing und Plastik | 10.66 |
Blende, Plastik und Stahl | 5.23 |
Total... | 183.4 |
Der Sensor-Auslöser (Patent DE 1 622 174) und das damit verbundene Design-Element mit dem orangen Punkt war für Agfa insgesamt ein Marketing-Geniestreich. Der beworbene technische Vorteil, dass ein Druck mit minimalem Hub auf diesen Auslöser weniger verwackelte Aufnahmen verursacht als ein traditioneller Auslöser, war wohl eher marginal. Neben den beiden mechanischen Varianten, die im Patent gezeigt werden, gibt es noch eine dritte als elektrischen Schalter, die insbesondere für spätere elektronische Kameras wichtig werden sollte.
Es gäbe an dieser Stelle noch mehr zu schreiben, z.B. über den Blitz, die Unterschiede zu den anderen Agfamatic Modellen und einiges mehr. Das hebe ich mir für demnächst auf, wenn ich über die Agfamatic 300 berichten werde...
Datenblatt | Einfache Sucherkamera für Pak-Film (126), 28x28 mm |
Objektiv | Agfa Color-Agnar 44 mm f/8 |
Verschluss | Parator-Zweisektoren Verschluss hinter dem Objektiv, ca. 1/40 s und 1/80 s |
Belichtungsmessung | keine, Einstellung über 4 Belichtungssymbole (Wolke, Tageslicht, Sonne Strand), siehe Text. |
Fokussierung | Fixfokus, 1.20 m bis unendlich. |
Sucher | optischer Newton-Durchsichtsucher, Leuchtrahmen |
Blitz | Anschluss für X-Blitzwürfel (Magicubes), die beim Filmtransport gedreht werden. Entfernungsskala für Blendeneinstellung beim Blitzen unten am Objektiv. |
Filmtransport | Schnellschalthebel, Bildnummer auf Rückseitenpapier durch Fenster in der Rückwand. |
sonst. Ausstattung | Sensor-Auslöser, 1/4'' Stativgewinde, Öse für Handschlaufe |
Maße, Gewicht | ca. 102 x 66 x 55 mm, 183 g |
Batterie | keine |
Baujahr(e) | 1971 - 1977, diese am 9. Juli 1976 (Stempel) |
Kaufpreis, Wert heute | 110 DM (1975, kleine Geschenkpackung, inkl. Film, Handschlaufe und einem Blitzwürfel), große Geschenkpackung 118.50 DM mit zusätzlicher Bereitschaftstasche. Heutiger Wert: ca. 5 €, unbenutzt in Geschenkverpackung: ca. 40€. |
Links | Camera-Wiki, Lippisches Kameramuseum, Optiksammlung, Agfa-Museum Scholz, Industrie-und-Filmmuseum Wolfen, Collection Appareils, |
Bei KniPPsen weiterlesen | Mein erster Blogeintrag, Kodak Instamatic 100, ...104, Instamatic SLR, Agfamatic Pocket 4000, Agfa Isoflash Rapid, 126er Kameras |
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