2020-05-29

Durst Automatica

Die Durst Automatica war 1960 die erste Kleinbildkamera mit automatischer Einstellung der Verschlusszeit, im Allgemeinen wird das "Zeitautomatik" genannt. Ich würde das bei der Kamera nur mit Abstrichen gelten lassen, denn die Blende konnte nicht wirklich frei gewählt werden, doch dazu gleich noch mehr. Die allererste Kamera mit einer Zeitautomatik war die 1956 erschienene Agfa Automatic 66 für den 120er Rollfilm. Die Technik zur automatischen Zeitsteuerung - ein Luft-pneumatisches Hemmwerk - war allerdings bei beiden Kameras dieselbe und basierte auf dem schon 1952 eingereichten und 1955 erteilten Patent DE923525 von Julius Durst (1909-1964), einem Südtiroler Erfinder und Fotounternehmer. 

Durst Automatica EW, angeblich 1956 vorgestellt. Man
beachte das Objektiv in Prontor SLK Wechselfassung
Angeblich, so liest man auf der offiziellen Durst Homepage, hatte er die Inspiration dafür von Instrumententeilen eines abgestürzten amerikanischen Bombers 1944 bekommen. Die Firma Durst ist in der Fotoszene hautsächlich für ihre Vergrößerungsgeräte bekannt, produzierte aber zwischen 1938 und 1963 auch 4 verschiedene Kameramodelle, meist einfacher Art. Die Automatica war davon die einzige Kamera für den 135er Kleinbildfilm und ist technisch die anspruchsvollste.

Auf der Seite liest man auch, dass die Kamera 1956 vorgestellt wurde und findet ohne weitere Erläuterungen dazu ein Bild eines vermeintlichen Prototypen, das ein paar sehr interessante Details zeigt, die an der späteren Serienversion (sehr wahrscheinlich erst ab 1960 am Markt) nicht mehr zu finden sind. Da ist zuerst der Name "Automatica EW" und zwar so angeordnet, dass ein Fensterchen frei bleibt, welches auf einen Messsucher hindeutet. Und in der Tat findet man beim Öffnen des Serienmodells dieses Fenster noch, allerdings nun vom Namensschild verdeckt (siehe mein Bild unten). Und dann ist da ja noch das Objektiv: Ein ENNA Photavit-Ennit 2.8/50 in der charakteristischen Prontor SLK-Wechselobjektiv-Fassung. Wäre die Kamera so 1956 oder 1957 auf den Markt gekommen, hätte sie sicher ein bisschen Wirbel gemacht. Interessanterweise liest man sonst überhaupt nichts über diesen Prototypen und die Gründe, warum es nicht zu den Premium-Features kam. Vielleicht wurde man sich mit Prontor über die Lizenz zum Bajonett nicht einig, vielleicht war auch hier die technische Umsetzung mit der Pneumatik gescheitert. Oder das ganze Projekt war für die kleine Firma Durst mit sonst einfachen Kameras eine Nummer zu groß bzw. die Kamera zu teuer in der Produktion. Leider wird ja über Misserfolge nicht so viel geschrieben, wie über Erfolge. Und, um ehrlich zu sein: Vielleicht war auch die "EW" ein von Anfang an geplantes zweites Premiummodell, dass dann nie realisiert wurde.

Die tatsächliche Automatica war simpler: Es gab nur ein fest eingebautes Objektiv und mit dem Schneider Radionar ein relativ einfaches, aber dennoch ordentliches Triplet. Der Messsucher ist ein einfacher optischen Durchsichtsucher und als Verschluss wählte man den Prontor SVS mit einer 1/300s als kürzeste Zeit. Das größte Manko der Kamera wird erst auf den zweiten Blick klar: Es fehlt die Entkopplung von Blende und eingestellter Filmempfindlichkeit für die Automatik. Beide sind auf einem einzigen Ring einzustellen. Dies bedeutet, dass bei einem damals üblichen 50ASA/18 DIN Film die Blende konstant auf 8 stehen muss. Damit bekommt man bei etwas trüben Licht schnell verwackelte Aufnahmen, obwohl man eigentlich auch eine Blende 2.8 hätte. Damit ist die Kamera eigentlich keine vollwertige Zeitautomatik mehr, da man in vielen Situation wieder auf den manuellen Modus ausweichen muss. Die Agfa Automatic 66 hat diese Entkopplung übrigens schon 1956 durch elektrische Widerstände (Filmempfindlichkeit) und eine extra Blende vor der Selenzelle (Blendeneinstellung) realisiert. Das war Durst vermutlich zu teuer. Positiv anzumerken ist ein sehr solides Metall-Druckguss-Gehäuse, ein sehr ordentliches und höchst modernes Design mit interessanten Elementen wie versenkbarer Schnellschalthebel und Rückspulkurbel. Und natürlich die Automatik, die wie folgt funktioniert:  
Die Automatik (das pneumatische Hemmwerk) verbirgt sich hinter der Selenzelle (A-C) sowie im und unter dem Drehspulinstrument (D, E). Die Spule E bewegt nicht nur den Zeiger, sondern auch ein kleines transparentes Plastikplättchen F, das wiederum den Lufteintrittschlitz G mehr oder weniger abdeckt. Nach Spannen des Verschlusses befindet sich der Kolben H in der oberen Position, gespannt durch die Feder I. Beim Auslösen öffnet sich nicht nur der Verschluss, sondern auch der Kolben saust nach unten und saugt dabei Luft durch G ein. Diese Bewegung geht um so schneller, je größer die Öffnung ist. An deren Ende wird der Verschluss über den Hebel L wieder geschlossen. Im manuellen Modus der Kamera wird L entkoppelt und das traditionelle Räder-Hemmwerk des Prontor SVS tut seinen Dienst.

Natürlich habe ich schon länger nach der Kamera (bzw. der Agfa Automatik 66) Ausschau gehalten und war dann sehr erfreut, dieses Exemplar hier sehr günstig bekommen zu haben. Das liegt wohl hauptsächlich daran, dass die Selenzelle tot ist und damit die Automatik nicht mehr funktioniert. Neugierig wie ich bin, habe ich das Ding aufgeschraubt und zu meinem Erstaunen festgestellt, dass wenn man den Zeiger des Drehspulinstruments manuell bewegt, durchaus das pneumatische Hemmwerk noch genau das macht, was es soll. Erstaunlich robust, diese Technik. Auch sonst funktioniert der manuelle Modus (traditionelles Räderhemmwerk) noch einwandfrei, man könnte mit dem Schätzchen also noch fotografieren und sich am satten, dumpfen "Blupp" der pneumatischen Auslösung freuen. 

Man findet einiges im Netz zu der Kamera (siehe Links unten), die meisten schreiben aber leider ungefiltert voneinander ab und es wird immer wieder behauptet, die Kamera wäre von 1956 bis 1963 gebaut worden. Das ist definitiv falsch, denn die Schneider Objektiv-Seriennummern, die auf fast allen Fotos gut lesbar sind, stammen ausnahmslos (!) von 1960. Aus dem Jahr 1960 findet man Werbung und auch Testberichte zur Kamera und ich denke man kann der Durst Homepage schon glauben, wenn sie schreibt, dass die Kameraproduktion im Jahr 1963 beendet wurde. Mit meiner Methode schätze ich auf Basis von 20 Kameras aus dem Netz die Gesamtzahl auf knapp unter 11,000 Exemplaren. 

Automatikkameras gab es schließlich einige am Markt. Die Agfa Automatik 66 mit der (vermutlich lizensierten) Durst Technik an Bord, verkaufte sich 1956/57 nur schleppend (ca. 5000 Exemplare), und Agfa brachte 1959 mit der Optima die erste sehr erfolgreiche nun vollautomatische Kleinbildkamera. Nun allerdings mit der älteren Nadel-Klemm-Technologie, die Julius Durst in seinem Patent als sehr nachteilig verreißt. Diese setzte sich allerdings in der ersten Hälfte der 1960er Jahre durch und behielt ihre Bedeutung bis echte elektronische Hemmwerke kamen. Dazu mehr in meiner kurzen Geschichte der Belichtungsautomatik. Das pneumatische Hemmwerk sieht man nach 1963 meines Wissens in keiner anderen Kamera mehr. 

Datenblatt Erste KB-Kamera mit Zeitautomatik
Objektiv Schneider-Kreuznach Radionar 45 mm f/2.8 (Triplet)
Verschluss Prontor SVS-Zentralverschluss B-1-2-4-8-15-30-60-125-300 mit zusätzlich optionalem pneumatischem Hemmwerk für die automatische stufenlose Steuerung der Verschlusszeit
Belichtungsmessung Mit Selenzelle zur automatischen Einstellung der Verschlusszeit. Filmempfindlichkeit 6-400 ASA direkt mit Blendeneinstellung gekoppelt (s. Text).
Fokussierung Manuell, ca. 0.8 m bis unendlich. Keine Fokussierhilfe, Fokusring rastet bei 1 m (Schnappschuss) ein. 
Sucher Einfacher optischer Sucher mit Leutrahmen, kein Parallaxenausgleich.
Blitz Per PC-Buchse, umschaltbar X, M
Filmtransport Schnellspannhebel, Rückspulkurbel, Bildzählwerk (vorwärts)
sonst. Ausstattung Zubehörschuh, Stativgewinde ¼'', Drahtauslösergewinde, Selbstauslöser
Maße, Gewicht 142x80x65 mm, 672 g
Batterie keine
Baujahr(e) 1960-1963, ca. 11,000 Exemplare, diese #69440 von 1960
Kaufpreis, Wert heute ???, heute je nach Zustand (Selenzelle) ca. 80 bis 200 €
Links Camera-WikiAgfa Automatic 66 Gebrauchsanleitung mit guter Beschreibung des Atomatik-Prinzips, Italienische Web-Archiv Seite, Italienischer Artikel (Notariziaro Erca 12_1960), Harisson Photographic, Rangefinderforum
Bei KniPPsen weiterlesen Geschichte der Belichtungsautomatik, frühe Zeitautomaten mit Elektronik:  Pentacon Electra, Yashica Electro 35

2020-05-15

Fujica Rapid S2 (Teil 4: @Work, die Fotos)

Wie ich im ersten Teil dieser kleinen Serie schon geschrieben habe, bestand meine Hauptmotivation, die schicke Fujica Rapid S2 überhaupt zu kaufen, darin, den Rapid-Film mal selbst auszuprobieren. Mir war natürlich klar, dass man Rapid-Film heute nicht mehr kaufen kann und auch, dass ich meinen unbenutzten und historischen dafür nicht verschwenden will. Aber, man kann ja normalen Kleinbildfilm in 60 cm lange Streifen schneiden und einfach in die Patrone schieben (natürlich im Dunkeln!). Als es dann zur Tat ging, dämmerte mir, dass weitere Konsequenzen damit verbunden sind. Denn kaum ein Labor ist heute mehr daran gewöhnt bzw. überhaupt darauf eingerichtet sowas zu entwickeln. Außerdem wollte ich meine kostbaren Rapid Patronen natürlich nicht irgendeinem unbekannten Labor opfern. Daher ist hier Eigeninitiative gefragt, sprich: selbst Entwickeln! 
Ich habe zu Schüler- und Studentenzeiten 100te Schwarzweiß-Filme selbst entwickelt, allerdings vor meinem letzten Umzug mich vom gesamten Dunkelkammerequipment getrennt (sprich: weggeworfen!), darunter auch diese Entwicklungsdose, eine Trockenpressedieser Vergrößerer und manches mehr. Tja, dumm gelaufen. Jetzt hieß es also neu (bzw. gebraucht) kaufen. Bei e-bay habe ich eine Jobo-1000 Dose für nur 9€ ergattert, die nötigen Chemikalien und S/W-Filme habe ich frisch bei Fotoimpex bestellt. Auf das analoge Abziehen von Papierbildern habe ich allerdings verzichtet, die Negative wurden hiermit eingescannt und digital weiterverarbeitet. Alles in allem ein doch umfangreicheres Experiment als ich zunächst gedacht habe, hat aber Spaß gemacht. 
Das Fotografieren mit der Fujica geht sehr leicht von der Hand. Filmeinlegen hatte ich ja schon in Teil 2 gezeigt, die Belichtungsautomatik tut, was sie tun muss (Teil 3). Nach diesem Film und meiner gründlichen Untersuchung habe ich auch Vertrauen in ihre Funktion. Beim Druck auf den Auslöser sollte man langsam drücken, es muss ja noch einiges passieren dabei. Erst wenn der Auslöser ganz unten ist, macht es leise klick und das Foto ist im Kasten. Für's Scharfstellen muss man die Entfernung schätzen, die Zonenfokus-Symbole helfen einem dabei und wirklich unscharf war keines meiner Bilder. Geärgert habe ich mich eigentlich nur über eine Sache: das Fehlen von Ösen für einen Kameragurt. Die Kamera wiegt mit fast 500g ganz ordentlich und eine Bereitschaftstasche hatte ich nicht, habe mich dann aber mit einer kleineren Gürteltasche beholfen. 
Quadratische Fotos (hier 24x24 mm Negativ) haben einen eigenen Charme, trotzdem merke ich beim Fotografieren, dass man doch arg vom Rechteck geprägt ist.  Auch in Schwarz/Weiß musste ich mich wieder reindenken. Die Entwicklung selbst ging (fast) problemlos, ein paar Bilder sind mir misslungen, weil die Negative in der Entwicklungsdose aneinander gelegen waren. Ansonsten bin ich mit meinem ersten Versuch nach fast 20 Jahren sehr zufrieden und werde mich (weil ich noch Chemie übrig habe) demnächst noch an weiteren Filmen versuchen.
Eine Sache ist mir allerdings aufgefallen: Die Negative haben einen Steg von ca. 4 mm zwischen jeder Aufnahme. Zusammen mit dem ebenfalls großzügig ungenutzten An- und Abspann, hätte man bei etwas besserer Konstruktion durchaus auch 2 Bilder mehr (also 18) auf den 60 cm Filmstreifen bekommen können. Keine Ahnung, ob das für alle Rapid-Kameras ähnlich war. Immerhin war Fuji ja Filmhersteller und hat bei zusätzlichen Bildern pro Film eher einen Nachteil. 
Hier nochmal die Links zu den anderen Teilen dieser Miniserie:

3) Belichtungsautomatik, Lichtwertverschluss


Und für alle, die an Details interessiert sind: Der Film war ein AgfaPhoto APX 100, gekauft bei DM. Entwickelt wurde in Adox F-39 II Feinkorn-Ausgleichsentwickler 1+9, 8 min bei 21°C, Kippen nach Adox-Datenblatt Empfehlung. 

2020-05-10

Fujica Rapid S2 (Teil 3: Der automatische Lichtwertverschluss)


Für diesen Teil 3 der kleinen Serie über die Fujica Rapid S2 habe ich die obere Gehäusekappe abgenommen, um mal einen Blick auf die Belichtungsautomatik zu werfen. Dazu werden einfach zwei Schräubchen links und rechts sowie der Schnellschalthebel abgeschraubt. Der Fotograf muss normalerweise dem A außen auf dem Blendenring blind vertrauen. Es gibt keinerlei Hinweis, ob und wie der Belichtungsmesser wirklich arbeitet und was eingestellt wird. Halt! Doch, es gibt ein kleines rotes Fähnchen im Sucher, wenn Unter- oder Überbelichtung drohen (Auslösen kann man in diesen Fällen trotzdem!). 

Nach Öffnen der Kamera kommt ein Drehspulinstrument zum Vorschein, das auf den Strom reagiert, den die Selenzelle rund um das Objektiv liefert. Beim Runterdrücken des Auslösers drückt der Fotograf gleichzeitig zwei Messingplättchen runter, die wiederum die Messnadel in ihrer jeweiligen Stellung einklemmen. Auf dem Bild rechts habe ich sie mal orange und blau hervorgehoben. Das verdeckte orange ist die sogenannte Steuerkurve für Verschluss und Blende, je heller es ist, desto weiter nach rechts schlägt die Nadel aus und desto tiefer läßt sich die orange Platte runterdrücken. Damit wird direkt der darunter liegende Seikosha-L Lichtwertverschluss gesteuert und ist der eigentliche Kern und erste Teil der Belichtungsautomatik. Das blaue markierte Plättchen davor ist nur für das Warnfähnchen da. Es ist im mittleren Bereich unten gerade. Wenn die Nadel dort ist, passiert sonst weiter nichts. Ist es aber zu dunkel (Nadel ganz links) oder zu hell (Nadel ganz rechts), läßt sich das Plättchen ca. 2 mm weiter runterdrücken und schwenkt dabei das rote Fähnchen in den Sucher (im Bild links unten zu erahnen).

Der zweite Teil der Belichtungsautomatik ist natürlich der sogenannte Lichtwertverschluss Seikosha-L. Eigentlich ist es ein relativ einfacher Zentralverschluss (1/30s bis 1/250s) mit direkt dahinter liegenden Blendenlamellen (2.8 bis 22). Beides ist aber so miteinander (mechanisch) verschaltet, dass man mit einem einzigen Steuerhebel auskommt. Dieser stellt den entsprechenden Lichtwert ein, und zwar analog des rechts abgebildeten linearen Zusammenhangs. Bei LW=8 (z.B. Innenräume) ist das 1/30s und f/2.8, das andere extrem ist LW=17 (am sonnigen Strand) und bedeutet 1/250 bei f/22 (Werte jeweils für 100 ASA Film). Dazwischen werden linear alle möglichen Zwischenwerte verwendet, LW 12 (wolkiger Himmel draußen) ist z.B. 1/80s bei Blende 7.1. Der eben erwähnte Steuerhebel ist für den Fotografen nicht direkt zugänglich, das erledigt die Belichtungsautomatik mit der oben von mir orange markierten Steuerkurve. Man kann allerdings für die Blitzfotografie zumindest die Blenden manuell anwählen. Ob dann der Verschluss immer mit 1/30s läuft, oder auch entsprechend der oben gezeigten Automatiklinie, konnte ich nicht herausbekommen. Ich vermute letzteres, da einfacher zu realisieren. Außerdem ist bei einem Zentralverschluss die Verschlusszeit beim Blitzen (fast) irrelevant.

Sucher mit Beli-Infos aus der
Fujica Half.
Diese Art von Belichtungs-Vollautomatik war bei einigen besseren Sucherkameras in den 60ern und insbesondere in den 70ern sehr populär. Die erste Kamera mit einer solchen war die Agfa Optima von 1959. Die meisten dieser Point-And-Shoot Kameras kamen wohl aus Japan und hatten oft genau diesen Seikosha-L Verschluss an Bord. Neben den Fujica Kameras sind insbesondere die Canon Demi (Halbformat) oder Canonet Serien zu nennen. Olympus verbaute etwas ähnliches in seine populäre PEN-Serie und die millionenfach verkaufte Olympus Trip 35.
Meine Kenntnisse zum Lichtwertverschluss Seikosha-L habe ich mir aus mehreren Anleitungen zu diesen Kameras zusammengesucht. Die Abbildung rechts stammt aus derjenigen der Fujica Half, einer Halbformatkamera für den 135-er Kleinbildfilm mit exakt derselben Objektiv/Verschluss-Kombination. Eine entsprechende Anleitung zu meiner Rapid S2 konnte ich bisher im Netz nicht finden. Die Anleitung zur Konica L enthält im Prinzip obiges Lichtwertdiagramm.

Drehspulinstrument und einklemmende Steuerkurve
für den Copal B mat Verschluss der Konica C35 Serie.
Das Prinzip des Lichtwertverschlusses wurde auch von anderen (meist) für automatische Zentralverschlüsse übernommen und verbaut. Auch als die Selenzelle vom CdS-Fotowiderstand plus Batterie abgelöst wurde, lebte das Prinzip weiter. Ich habe mal meine Konica C35V (1971-1976) aufgeschraubt, und siehe da: auch hier intern ein Drehspulinstrument und der Abgriff des Lichtwertes per Steuerkurve beim Runterdrücken des Auslösers. Ich muss hier wirklich meinen früheren Beitrag korrigieren, es ist mitnichten ein elektronischer Verschluss, dieser "Copal B mat" (diesmal 1/30s f/2.8 bis 1/650 s f/14), der auch in sehr vielen anderen automatischen Sucherkameras der Zeit seinen Dienst tat (s.u.). Ich habe mal einen Fotokatalog von 1975 durchgesehen und von fast jedem mehr oder weniger renommierten Hersteller findet sich eine solche Vollautomatik-Kamera. Und ich würde mich nicht wundern, dieses Prinzip bis in die 80er Jahre hinein in einfacheren Automatik-Knippsen zu finden. Erst ab Mitte der 80er werden die allermeisten Kameras wirklich elektronisch.
Aber nicht nur in Japan gab es solche Lichtwertverschlüsse. In Deutschland kamen Anfang der 1960er (nach dem großen Erfolg der Optima) auch viele andere vollautomatische Kameras auf den Markt. Viele davon hatten einen Prontormator oder Prontormat-S Verschluss von Gauthier mit fast derselben Spezifikation wie mein Seikosha-L hier.  Hier nun, ohne Anspruch auf Vollständigkeit eine kleine Liste vollautomatischer Kameras der 60er und 70er Jahre mit den entsprechenden Lichtwertverschlüssen:

Verschluss Liste der vollautomatischen Kameras mit Lichtwertverschluss
(ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
Prontormator,
Prontormat-S, u.ä.
(Gauthier)
Agfa Optima II (1960) und spätere Nachfolger,  Kodak Retina automatic I , Voigtländer Dynamatic, Rollei Magic (TLR), Braun Paxette Electromatic III, Zeiss Ikon Tenax Automatic, Adox Polomatic III, Rollei A26 (Instamatic, 1972), Rollei A110 (1975)
Seikosha-L Konica L, Canonet Junior, Fujica Half 2.8, Fujica Rapid S2 und D1, Canon Demi
Olympus Eigenentwicklung Olympus Trip 35, Olympus PEN EE Serie (Halbformat), 
Copal B mat Canon Canonet 28, Konica C35 (1968) und ihre Klone und Nachfolger: Cosina compact 35eYashica 35-MFVoigtländer VF 135Porst 135 SEdixa compact 35ERevue 700 SELBeroflex quick spot 135EERollei XF 35Revue electronic CVivitar 35EEChinon 35 EEGAF Memo 35 ETMinolta Hi-Matic G
Citizen UNI-E Minolta Hi-Matic, Ansco Autoset,
unbekannt Canon A35F (1978), Minolta AF-C (1983)

Hier die Links zu den anderen Teilen dieser Miniserie:

2020-05-05

Fujica Rapid S2 (Teil 2: Rapid-Film)

Hier also Teil 2 meiner kleinen Serie zur Fujica Rapid S2, Thema heute ist der Rapid Film selbst und natürlich seine Patrone. Aber als erstes möchte ich einmal kurz zeigen, wie Rapid-Film eingelegt wird, dazu links dies kurze Video. Es ist tatsächlich so einfach: Man legt links eine leere Patrone (übrig geblieben vom letzten Film) und ins rechte Fach diejenige mit frischen Film. Die herausschauende Filmlasche liegt irgendwie automatisch auf dem Transportzahnrad auf. Nun die Rückwand schließen und drei mal Spannen. Dabei schiebt das Transportzahnrad den Filmstreifen in die leere Patrone. Fertig! Beim anschließenden Fotografieren schiebt man einfach weiter Foto für Foto von rechts nach links. 16 Fotos später ist der gesamte Filmstreifen in der linken Patrone. Rückwand auf, volle Patrone raus und ab zum Entwicklen. Die rechte ist leer und kann später links wiederverwendet werden. Kein lästiges Einfädeln und kein Rückspulen! Wenn irgendwann mal aus Versehen die Rückwand geöffnet wird, ist nur der freiliegende Teil des Films ruiniert!

Der rote Pfeil weist auf die Abtastvorrichtung,
die in den besseren Rapid-Kameras die Empfindlichkeit
des Films automatisch berücksichtigt

Soviel zu den Vorteilen gegenüber der allseits bekannten Kleinbildpatrone 135, die im Übrigen exakt den selben beidseitig perforierten Normalfilm verwendet. Warum hat sich das Ding dann nicht schon in den 1930er Jahren (als Karat-Patrone) durchgesetzt? Der einzige große, aber entscheidende Nachteil ist die Kapazität der Patrone, die dadurch beschränkt ist, dass geschoben und nicht gezogen und stramm gewickelt wird wie bei der 135er. Während ein normaler Kleinbildfilm dadurch bis zu 1,70 m (bei 36 Aufnahmen 24x36 mm) lang ist, funktioniert die Rapid-Technik maximal mit ca. 60 cm langen Filmstreifen. Darüber hinaus würde irgendwann der Kraftaufwand zu groß, den Film in die aufnehmende Patrone zu schieben, die Perforation reißen, usw. Bei der Fujica mit ihrem quadratischen 24x24 Negativen entsprechen 60 cm Film (inkl. ca. 18 cm Vor-und Nachspann) 16 Aufnahmen, andere Kameras machen bis zu 24 Halbformat- (18x24) oder eben nur 12 normale 24x36 mm Bilder. 

Drei Rapid-Patronen für die Filmempfindlichkeiten
C = 17 DIN, E =18 DIN (50ASA), und G = 21 DIN
(100 ASA).  Es gab noch B = 15 DIN (25 ASA)
Als Agfa die alte Karat-Patrone 1964 wieder aus der Schublade holte, haben die Ingenieure ihr ein neues Feature spendiert und natürlich patentiert. Es handelt sich um eine automatische Filmempfindlichkeitserkennung, realisiert durch T-förmige sogenannte Nocken an der Patrone, deren Mittelsteg eine je nach Filmempfindlichkeit unterschiedlichen Länge hat und von einer entsprechenden Abtastvorrichtung in der Kamera gelesen wird (siehe Fotos). Das ist ein Feature, das bei der Kleinbildpatrone erst 1983 mit der DX-Codierung (wieder) eingeführt wurde. Auf dem Mittelsteg sind kleine Buchstaben aufgeprägt, die neben der Steglänge die Empfindlichkeit des Films kodieren. Leider konnte ich nur Bruchstücke einer Dokumentation dazu finden. Ich vermute, dass die Buchstaben bei A (15 DIN, 25 ASA) beginnen über das wohl gebräuchlichste G (21 DIN, 100 ASA) gehen und bis M (27 DIN, 400 ASA) reichen, allerdings gibt es hier durchaus widersprüchliche bzw. fehlerhafte Informationen zu finden. Wer mehr dazu weiß bitte unten kommentieren, ich werde das dann hier ergänzen. Ich bin in der glücklichen Position selbst drei verschiedene leere Patronen zu besitzen, siehe Bild. Außerdem habe ich seit meinem Antiquitätenshop Fund in Oregon einen unbenutzten Film:


Man sollte hier erwähnen, dass es noch eine dritte Variante dieser Patrone gibt, und zwar natürlich auch sie in der Agfa Karat Tradition (und vollständig dazu kompatibel). Natürlich handelt es sich um die ostdeutsche Variante des ehemaligen Agfa Stammwerks in Wolfen, 1964 in ORWO umbenannt. Sie kam sogar schon 1958 mit der Welta Penti (wieder) auf den Markt, allerdings wurde sie auch in der DDR erst nach dem Instamatic Schock 1964 verstärkt "vermarktet" und SL-Patrone genannt. Im Gegensatz zur Rapid- und Karat-Patrone (Blech) war sie aus Kunststoff und hatte keine Nocken zur Filmempfindlichkeitsabtastung.  Man kann aber durchaus diese Patronen zumindest als aufnehmende Patrone in jeder Rapid- oder Karat-Kamera verwenden.

Gestern habe ich einen normalen Kleinbildfilm im Dunkeln in 60 cm lange Streifen geschnitten und damit zwei Rapid-Kassetten befüllt, um mit der Fujica zu fotografieren. Die Ergebnisse werde ich ich hier natürlich im 4. Teil meiner kleinen Serie zeigen.

Hier die Links zu den anderen Teilen dieser Miniserie:

1) Fujica S2, die Kamera
3) Belichtungsautomatik, Lichtwertverschluss
4) @work, die Fotos

2020-05-01

Fujica Rapid S2 (Teil 1: die Kamera)

Über Agfa's Antwort auf die Kodak Instamatic Kassette 126 habe ich schon vor längerer Zeit berichtet. Auch über das alte Karat-Konzept, auf dem die Rapid-Patrone basiert. Die Instamatic Kassette hatte ja dieses Rennen gewonnen, auch wegen der Tatsache, dass es Kameras von vielen anderen Herstellern gab (am Ende sogar von Agfa). Selbst 5 verschiedene Spiegelreflexkameras gab es! Aber auch Agfa konnte andere Kamerahersteller überzeugen,  auf die Rapid-Patrone zu setzen. Hier gab es ein paar schicke Kameras, insbesondere von japanischen Herstellern (wenn auch keine SLR!), und eine der hübschesten ist diese Fujica Rapid S2. 
Besonders bemerkenswert ist, dass Fujiphoto ja selbst Filmhersteller war und auch eigene Filme in der Patrone angeboten hat, ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das auch für Europa zutrifft. Jedenfalls war und ist mein Plan, mit einer Rapidkamera zu fotografieren, und das will ich nicht mit einer Einfachstkamera a la Isoflash tun. Daher habe ich mich schon länger umgeschaut und bin immer wieder an dieser schicken Fujica S2 hängengeblieben. Außerdem hat sie eine frühe Belichtungsvollautomatik nach Agfa Optima Vorbild an Bord. Dies und den dazugehörigen Lichtwertverschluss Seikosha-L will ich mir genauer anschauen. Es wird also vermutlich neben diesem Teil 1 (über die Kamera selbst), einen Teil 2 (Rapid-Film und Handling), einen Teil 3 (Verschluss und Belichtungsautomatik), sowie als Abschluss: Teil 4 (Fotos von und mit der Kamera) geben.

Meine Kamera hier ist für ihre 55 Jahre extrem gut erhalten und (vermutlich) voll funktionsfähig. Viel scheint auch nicht kaputtgehen zu können. Fast alles ist aus Metall und super solide gebaut. Sogar der Selen-Belichtungsmesser funktioniert noch. Wie genau er allerdings misst, werde ich beim Teil 4 (meine Fotos) feststellen. Dies und der ansonsten recht tadellose äußere Zustand sind allerdings auch ein Zeichen dafür, dass sie die meiste Zeit ihres Kameralebens im Dunkeln verbracht hat.  

Fuji hat diese Kamera zusammen mit ihrer viel einfacher gehaltenen kleinen Schwester Rapid S wohl nur 1965 gebaut, beide wurden schon 1966 von der Rapid D1 und der Rapid SF abgelöst. Die S und die S2 waren Fuji's einzige Kameras für das quadratische 24x24 Format, ihre Nachfolger für die Rapid-Patrone knipsten dann (schon wieder) im zumindest in Japan recht populären Halbformat 18x24 mm. Es war ein insgesamt kurzer Rapid-Ausflug von Fuji, davor und danach gibt es einige zum Teil sehr ähnliche einfache oder auch automatische Kameras für den normalen Kleinbildfilm. Fuji hat aber im Gegensatz zu Agfa und vielen anderen nie Kameras für die 126er Instamatic Kassette gebaut (wohl aber Film dafür produziert).
Viel mehr gibt es über die Kamera selbst nicht zu sagen. Neben ihrem recht schicken Design ist sie erstaunlich unspektakulär und arm an Schnickschnack, wenn man das so sagen kann. Es gibt sehr wenige Einstellmöglichkeiten, die Belichtungsautomatik und der Zonenfokus sollen wohl das meiste regeln. Für das relative kleine Negativformat von 24x24 mm ist sie allerdings recht groß (insbesondere breit) geraten und mit fast 500 g auch recht schwer. Ich habe bereits angefangen damit zu fotografieren und Ösen für einen Kameragurt vermisst. Vermutlich gab es statt dessen eine Bereitschaftstasche, allerdings hab ich diese nicht.

Datenblatt Solide automatische Sucherkamera für den Rapid-Film (24x24)
Objektiv Fujinar-K 2.8 cm f/2.8 (Triplet, vergütet), entspricht vom Bildwinkel ca. 35 mm bei 24x36. Manuelle Blende 2.8 - 22 nur für Blitzfotografie bei ca. 1/30s.
Verschluss Seikosha-L Zentralverschluss, automatisch gesteuert ("Electric Eye") per Lichtwert (8-17), entspricht 1/30s f/2.8 - 1/250 s f/22, sowie kontinuierlich die Werte dazwischen.  
Belichtungsmessung Selenzelle rund um's Objektiv, steuert Verschluss automatisch. Rote Fahne im Sucher, wenn Beleuchtung nicht ausreichend.
Fokussierung Manuell am Objektiv, 0.8 m bis unendlich, Symbole für Zonenfokus, bei den Symbolen einrastend.
Sucher Durchsichtsucher mit Leuchtrahmen, keine Parallaxenkorrektur
Blitz über Buchse, Zubehörschuh ohne Mittenkontakt.
Filmtransport Schnellschalthebel, direkt von rechter in linke Rapid-Patrone, Bildzählwerk (rückwärts 16-0), nach Filmeinlegen drei Leerschwünge zum Filmeinfädeln.
sonst. Ausstattung Stativgewinde ¼'', Drahtauslöser-Gewinde.
Maße, Gewichtca. 61x130x57 mm, 480g
Batterie keine
Baujahr(e) 1965, ca. 36,000 Exemplare (eigene Schätzung)
Kaufpreis, Wert heute ?, heute je nach Zustand 30-50 €
Links Fotomuseum Tauber, Camera-Wiki, Kanskamera,

Hier die Links zu den anderen Teilen dieser Miniserie: