2023-04-01

C.P. Goerz Roll-Tenax (4 x 6.5)

Die Firma C.P. Goerz aus Berlin gehörte einmal zu den ganz großen der Fotobranche. Gegründet 1886 von Carl Paul Goerz wuchs die Firma kontinuierlich bis zum Ende des 1. Weltkriegs. Man produzierte fast alles was dazu gehörte: Kameras, Objektive, Filme, Entfernungsmesser, Verschlüsse, und dazu noch die nötigen Maschinen. Fernrohre, Schließzylinder und vieles mehr gehörten dann zu den Dingen, die Goerz im 1.Weltkrieg zum führenden Militär-Equipment Hersteller werden ließen. Der Krieg ging verloren und Goerz geriet durch das Verbot des Versailler Vertrages, weiter Kriegsgerät zu produzieren, in eine gehörige wirtschaftliche Schieflage. Die Zwangsfusion zur Zeiss Ikon (mit ICA, Contessa Nettel, Ernemann und anderen), betrieben durch den eigentlichen Konkurrenten Carl Zeiss rettete 1926 die Fabriken und Arbeitsplätze, der Name Goerz wurde fallengelassen. 
Genau aus der schwierigen Zeit nach dem Weltkrieg und vor der Zeiss Ikon Fusion stammt diese kleine Kamera. Es handelt sich um eine Roll-(Pocket) Tenax für das Format 4 x 6.5 auf 127er Film, angeblich seit 1914 auf dem Markt. Goerz produzierte (wie viele andere Kamerahersteller auch) die Roll-Tenax auch in anderen Größen, sprich für andere Rollfilme. Dies ist die kleinste Variante, die auf dem Markt der Westentaschenkameras mitmischte. Die genaue Datierung meiner Kamera ist kaum möglich, ich tippe anhand der Seriennummern von Objektiv und Verschluss mal auf 1919 oder 1920, weil  es ca. ab 1920 ein etwas verbessertes Design mit großem ledergeprägtem GOERZ-Schriftzug und anderen Laufbodenstreben gab, dieses hier aber noch das alte Design ist. Meine Kamera hat außerdem noch den heute selten anzutreffenden Compound-Verschluss, was auf eher frühe Produktion hindeutet.
Die Laufboden Roll-Tenax eingerahmt von ihren Spreizen-Schwestern Vest Pocket Kodak und Piccolette.

Ansonsten ist an der Kamera nichts außergewöhnliches, sie repräsentiert einen Standard, den man Anfang der 1920er Jahre in Deutschland von einigen Kamera-Manufakturen für die jeweils gängigen Rollfilme kaufen konnte. Die meisten von denen verwendeten Objektive von Carl Zeiss, gerne das vierlinsige Tessar oder ein einfacheres Triplet (nach Cooke), das oft ebenfalls von Zulieferern aus dem Zeiss-Konzern (z.B. die Optische Anstalt Saalfeld) stammte. Goerz gehörte zu den ernstzunehmenden Konkurrenten von Zeiss, was hochwertige Objektive anging. Das Dogmar war 1916 ihre letzte eigenständige Objektivkonstruktion (patentiert 1912, DRP258.495), die wegen ihrer Abbildungsleistung und großen Öffnung von f/4.5 gelobt wurde. Es ähnelt beim Linsenschnitt dem Tessar, wobei hier die beiden rückseitigen Linsen getrennt und nicht verkittet sind. Dogmare für Großformat-Kameras konnten auseinandergenommen werden (sog. Doppelobjektiv), um Front- und Hinterglied als einzelne Objektive (stark abgeblendet!) zu verwenden. Dabei hatte das Frontelement die 1.92-fache und das Rückelement die 1.52-fache Brennweite des kombinierten Objektivs. Goerz musste (so wie Ernemann) die Objektiv-Fertigung nach der Zeiss Ikon Fusion einstellen. 

Meine Kamera ist recht passabel in Schuss, der Verschluss funktioniert, auch wenn ich auf die Zeiten nicht mehr wetten würde. Alles ist etwas schwergängig und ich habe ein paar Tage gebraucht bis ich verstanden habe, wie man die Rückwand öffnet. Dies ist recht eigenwillig gelöst: Das Scharnier (zu sehen auf dem kleinen Bild oben ganz links) ist federgespannt verschiebbar, war aber festkorrodiert. Außerdem ist der Ausklappständer abgebrochen, ich habe ihn für die Bilder durch ein kleines Stückchen schwarzen Plastiks ersetzt.

Datenblatt Laufboden-Rollfilmkamera für Rollfilm 127 (4 x 6.5 cm)
Objektiv Dogmar 7.5 cm f/4.5 (4 einzelne Linsen), #400214
Verschluss F.Deckel Compound Zentralverschluss, T ("Z")-B-1-2-5-10-25-50-100-300, #342938 
Fokussierung keine Scharfstellhilfe, Verschieben von Objektiv und Verschluss auf dem Laufboden, kürzeste Entfernung ca. 80 cm.
Sucher kleiner Brilliantsucher, drehbar für für Hoch- oder Querformat.
Filmtransport mittels kleiner Schlüsselschraube. Rotes Filmfenster in Rückwand
sonst. Ausstattung Stativgewinde 1/4'', Drahtauslösergewinde.
Maße, Gewicht ca. 64 x 122 x 25 mm (geschlossen), 340 g
Baujahr(e) 1914-1926 (ab 1920 in etwas modifizierter Ausführung), diese #9248 ca. 1919.
Kaufpreis, Wert heute ??, ca. 40 €
Links Wikipedia, Camera-Wiki (Goerz), Camera-Wiki, Goerz LensesJahrbuch Artikel Dogmar 1914.
bei KniPPsen weiterlesen Rollfilm 127, Piccolette, Vest Pocket Kodak, Rollette, Icarette

2023-03-19

Zeiss Ikon Tenax II (580/27)


Ein ganz besonderes Schmuckstück für meine Sammlung wichtiger Technik-Meilensteine habe ich von meinen Kollegen zum 25. Firmenjubiläum geschenkt bekommen. Nun, sie hatten soviel Geld gesammelt, dass ich davon eine Auktion gewinnen konnte. Hier ist sie: Zeiss Ikon's Tenax, die erste Kamera mit einem Schnellschalthebel. Laut damaliger Werbung erlaubte dieser, die Kamera am Auge zu lassen und gleichzeitig mit dem rechten Zeigefinger auf dem Auslöser und dem rechten Mittelfinger auf dem Spannhebel, pro Sekunde ein Bild zu machen (24x24 mm, bis zu 50 Aufnahmen auf 135er Kleinbildfilm). Die Kamera kam im Frühjahr 1938 auf den Markt, Produktion startete nachweislich schon 1937. 

Hubert Nerwin, Zeiss Ikon's damaliger Chefingenieur, hat mit der Kamera sein Meisterstück abgeliefert. Er war zwar auch an der Contax, Super-Nettel und anderen Kameras beteiligt, aber die Tenax hatte nicht nur den Scbnellschalthebel, sondern einige andere Designfeatures, die in die Zukunft wiesen. Die Idee, einen Compur Rapid Verschluss der Größe 0 (eigentlich für größere Kameras gedacht) hinter dem Objektiv zu platzieren und somit komplett im Kameragehäuse verschwinden zu lassen, war einfach genial. Die Kopplung von Verschlussaufzug und Filmtransport wurde dadurch sehr vereinfacht, dass der Verschluss fest an seiner Position saß und nicht wie sonst üblich mit dem Objektiv zusammen verschoben wurde. Das Objektiv war auswechselbar (wie bei der Contax mit dem Schlitzverschluss), außerdem blieb die Kamera trotzdem sehr kompakt, Balgen oder Auszugtubus war unnötig.

Zeiss Ikon legte 1939 nochmal nach und brachte das deutlich kompaktere Schwestermodell Tenax I (mit kleinerem Compur (kein Rapid!), einfachem Sucher und fest eingebautem Dreilinser-Objektiv (auch vor dem Verschluss!). Auch diese Kamera hatte einen Schnellschalthebel, allerdings jetzt auf der linken Seite und kostete nur ein Drittel der "großen" Tenax, die im Folgenden als "Tenax II" vermarktet wurde, auch wenn sie früher am Markt war. Den Namen Tenax hatte sich Zeiss Ikon von früheren Goerz Platten- und Rollfilmkameras geborgt, die Tenax hier wurde aber im ehemaligen ICA Werk in Dresden gebaut.  


Im Gegensatz zu manch anderer Kamera aus der Ära findet man zur Tenax sehr viel Literatur im Netz, in Zeitschriften und sogar ein komplettes Buch (hier kaufen...). Ich will hier nicht alles wiederholen, siehe die Links in der Tabelle unten. Besonders empfehlen möchte ich die Beiträge von Wes Loder und Yves Strobelt. Meine Kamera stammt laut Seriennummer E.3170 aus der ersten Produktionsserie von 1937. Auch das Sonnar ist von 1937 und das nachweislich am häufigsten an der Kamera montierte Objektiv. Das preiswertere 4cm f/2.8 Tessar wurde (nach Thiele) nur 4000 mal gebaut, im Gegensatz zu 6600 Sonnar 4cm f/2. Die beiden anderen verfügbaren Wechselobjektive Orthometar 2.7cm f/4.5 und Sonnar 7.5cm f/4 sind sehr selten und erzielen vierstellige Sammlerpreise. 
Meine Kamera ist trotz ihrer 85 Jahre top in Schuss, alle Zeiten und auch der Selbstauslöser laufen. Die optischen Elemente sind frei von Pilz und Kratzern, einem Testfilm steht also nichts im Weg. Einen belichteten Agfacolor CN17 (60er Jahre) habe ich in der Kamera vorgefunden, außerdem steht im Inneren der Rückwand mit Bleistift der originale Verkaufspreis von 335 RM, sowie eine ominöse Nummer "7592", vielleicht die Artikelnummer? 

Auswahl meiner Zeiss Ikon Kameras vom Ende der 1930er Jahre. Von links nach rechts: Tenax I (1939), Contax II (1938), Tenax (II, 1937) und Super-Nettel (1936)


Datenblatt Messsucherkamera für 24x24 mm auf 35mm Film. 
Objektiv Carl Zeiss Jena Sonnar 4cm f/2 (6 Linsen in 3 Gruppen), auswechselbar. Außerdem verfügbar: CZJ Tessar 4cm f/2.8, Orthometar 2.7cm f/4.5 und Sonnar 7,5cm f/4.
Verschluss Compur-Rapid Zentralverschluss (Größe 0, 25mm Durchmesser, #4200829) hinter dem Objektiv. B-1-2-5-10-20-50-100-200-400 1/s. T durch Arretieren des Auslösers in B-Stellung realisiert. 
Fokussierung Messsucher mit Drehkeil-Entfernungsmesser, Einstellhebel unterhalb des Objektivs.
Sucher Großer und heller optischer Messsucher.
Filmtransport Erste Kamera mit Schnellschalthebel (gekoppelter Filmvorschub und Verschlussaufzug). Automatisches Bildzählwerk (vorwärts bis 50), Rückspulrad.
sonst. Ausstattung Zubehörschuh, ISO-Drahtauslösergewinde, Stativgewinde 3/8'', Selbstauslöser    
Maße, Gewicht ca. 128 x 78 x 54 mm, 618g
Baujahr(e) 1937-1940, ca. 8.500 bis 10.000 Exemplare, dieses #E.3170 von 1937
Kaufpreis, Wert heute 335 RM (1938 mit Sonnar, 270 RM mit Tessar), ca. 400 €
Links Wikipedia, Camera-Wiki, Wes LoderDRP 666.559, DRP 660.603ZeissIkonVEB, Zeiss Historica, Mike Elek, Mike Eckman, Pacific RimWolfen MuseumLippisches Kameramuseum
Bei KniPPsen weiterlesen Tenax IContax II, Super-NettelHubert NerwinLeica III, Certo DollinaWeltini II
Angeblich steht Hubert Nerwin hier selbst Modell für diese Anzeige.

2023-03-01

Compur Seriennummern - Compur Serial Numbers (2)



Vor etwas über 2 Jahren habe ich an dieser Stelle eine neue Variante der Seriennummersequenz für den Compur-Verschluss vorgeschlagen, für die ich viel Lob aber auch Kritik bekommen habe. Es blieben halt noch ein paar Ungereimtheiten, die auch mich weiter beschäftigt haben. Sehr gefreut habe ich mich über einige kritische Kommentatoren, die viele neue Seriennummern sowohl für den Verschluss als auch die zugehörigen Kameras und Objektive geliefert haben. So ist meine Datenbasis nun über 80 Kamera- und Verschluss-Kombinationen groß und ich bin in der Lage, Fehler zu korrigieren und ein viel genaueres Update hier zu posten:
A little over 2 years ago I suggested a new variant of the serial number sequence for the Compur shutter, for which I received a lot of praise but also some criticism. There were still a few inconsistencies that also kept me busy. I was very happy about some critical commentators who provided many new serial numbers for both the shutter and the associated cameras and lenses. My database contains over 80 camera and shutter combinations now and I am able to correct errors and post a much more accurate update here:
  • Es gab nicht nur eine Seriennummersequenz für den Compur, sondern vier, dargestellt durch die farbigen Linien oben. Zwischen 1934 und 1939 wurden alle vier gleichzeitig benutzt.
  • Bei der Basissequenz, die im Jahr 1912 6-stellig startet (blaue Linie) schließe ich mich wieder mehr der Originalsequenz an. Erst ab dem Jahr 1923 vermute ich eine etwas höhere Produktion, da ich einige Kameras mit 7xx.xxx Nummern dem Jahr 1924 zuverlässig zuordnen kann. Ungefähr im Jahr 1928 wird die Million erreicht. Dann geht es mit dieser Sequenz allerdings nicht steil nach oben, sondern es erfolgt eine Aufspaltung: Der klassische Dial-Set Verschluss behält die 1.xxx.xxx Nummerierung, er wird noch ein paar Jahre in der größeren Version für Plattenkameras gebaut, allerdings in eher geringen Stückzahlen. Die höchste Nummer, die ich gesehen habe, startete mit 1.45x.xxx. Später werden einfache Compurverschlüsse auch intern verbaut (weder RIM- noch Dial-set). Auch diese haben die 1.xxx.xxx Nummer: meine Tenax I von 1938 hat 1.344.446.
  • Ab 1928 brachte Deckel den RIM-Compur und begann mit dessen Nummerierung bei 2.000.000 (rote Linie). Dieser war sehr erfolgreich und wohl schon 1934 wurde die 3-Millionen-Marke überschritten, ca. 1938 auch die 4-Millionen, was zu Nummerierungsproblemen führte (siehe unten).
  • 1934 erschien dann mit dem Compur-Rapid (1/500 s, bzw. 1/400 s für die Größe 0) die nächste Innovation und Deckel entschied sich, hierfür wieder mit der Nummer zu springen. Und zwar auf die 4.xxx.xxx für Zeiss Ikon Kameras (gelbe Linie) und 5.xxx.xxx für alle anderen Fabrikate (grüne Linie). 
  • Nach dem zweiten Weltkrieg wurde nur noch der Rapid produziert (dann auch als Synchro-Variante und man führte konsequenterweise nur noch eine Zählweise fort, beginnend mit der 6-Millionen-Marke, die aber vermutlich schon kurz vor Kriegsbeginn erreicht wurde, auch wenn meine Datenbasis dort relativ dünn ist.
  • Ab ungefähr 1938 kamen sich die Zählungen des normalen Compurs mit denen des Zeiss-Ikon-Rapids in die Quere und der normale Compur bekam statt der 4.xxx.xxx (die ja schon vergeben war) die A.xxx.xxx, was diesen Sonderfall erklärt. Ob für den anderen Sonderfall 00xx.xxx das selbe gilt (immerhin ist meine Jubilette nachweislich auch von 1938) oder die Spekulationen über fremde Lohnfertigung stimmen, muss ich noch weiter eruieren.

Auch hier unten wieder die neuen Sequenzen in Tabellenform und die Bitte an alle Leser ausgiebig zu kommentieren und mir weitere Nummern zu schicken (Compur plus zugehörige Kamera/Objektiv zur Einordnung).
  • There wasn't just one serial number sequence for the Compur, there were four, represented by the colored lines in the graph above. Between 1934 and 1939 all four were used simultaneously.
  • In the basic sequence, which started in 1912 with 6 digits (blue line), I am more in line now with the original suggested assignement. Only from the year 1923 on I suspect a slightly higher production rate, since I can reliably assign some cameras with 7xx.xxx numbers to the year 1924. Around the year 1928 the million is reached. But then this sequence does not rise sharply, but there is a split: the classic Dial-Set shutter retains the 1.xxx.xxx numbering, it will be built for a few more years in the wider version for plate cameras, albeit in rather small quantities. The highest number I saw started with 1.45x.xxx.
  • In 1928, Deckel launched the RIM-Compur and started numbering it at 2,000,000 (red line). This was very successful and the 3 million mark was probably exceeded as early as 1934, and around 1938 also the 4 million mark, which led to numbering problems (see below). 
  • In 1934 the next innovation appeared with the Compur-Rapid (1/500 s, or 1/400 s for size 0) and Deckel decided to jump again with the number.  Zeiss Ikon cameras (yellow line) got the 4.xxx.xxx  and all other brands received shutters with a 5.xxx.xxx (green line). 
  • After the Second World War, only the Rapid was produced (then also as a synchro variant and consequently only one counting method was continued, starting with the 6 million mark, which was probably reached shortly before the start of the war, even if my database there is relatively thin.
  • From around 1938 the counts of the normal Compur got in the way of those of the Zeiss-Ikon-Rapid and the normal Compur got the A.xxx.xxx instead of the 4.xxx.xxx (which was already assigned), which was this special case explained. I still have to find out whether the same applies to the other special case 00xx.xxx (after all, my jubilee is demonstrably from 1938) or whether the speculation about third-party contract manufacturing is correct. 
Please see below again the new sequences in table form. May I request everybody to comment extensively and to send me more serial numbers (Compur plus associated camera/lens numbers for correct assignement).

 Year old assignment new assignment


    Dial-Set         RIM-Set         Rapid ZI         Rapid    
1912 214.000 214.000


1914 250.000 250.000


1920 450.000 500.000


1922 500.000 600.000


1925 600.000 850.000


1926 750.000 920.000


1927 850.000 950.000


1928 950.000 1.020.000 2.000.000

1929 1.000.000 1.100.000 2.050.000

1930 1.150.000 1.180.000 2.150.000

1931 1.500.000 1.190.000 2.350.000

1932 1.800.000 1.200.000 2.500.000

1933 2.250.000 1.210.000 2.700.000

1934 2.700.000 1.230.000 2.900.000 4.000.000 5.000.000
1935 3.200.000 1.250.000 3.250.000 4.050.000 5.050.000
1936 3.750.000 1.290.000 3.600.000 4.100.000 5.150.000
1937 4.250.000 1.330.000 3.950.000 4.200.000 5.300.000
1938 4.850.000 1.370.000 A.250.000 4.350.000 5.500.000
1939 5.400.000 1.450.000 A.450.000 4.450.000 6.000.000
1947 6.000.000


6.100.000
1948 6.200.000


6.150.000
1949 6.500.000


6.500.000
1950 7.000.000


7.000.000
1951 7.700.000


7.700.000
1952 8.500.000


8.500.000

2023-02-23

Rollfilm 129

Der Rollfilm 129 (Kodak Bezeichnung) wurde 1912 für die britische Ensignette No.2 eingeführt und ist der einzige Rollfilm für den Kodak selbst keine Kamera gebaut hat. Es ist ein Zwischenformat zwischen den beiden einzigen heute noch existierenden Rollfilmformaten 120 und 127 (auch wenn letzterer arg vom Aussterben bedroht ist…). Auch wenn seine Wurzeln in England liegen hatte er gerade unter deutschen Kameraherstellern in den 1920er und frühen 1930er Jahren seine beste Zeit, stand aber auch damals im Schatten der beiden anderen Rollfilmformate. Die erste (1923) und wohl erfolgreichste deutsche Kamera war die Krauss Rollette

Die Spule war wie die seines kleinen Bruders 127 ganz aus Metall. Der Kern ragte auf beiden Seiten etwas über den Kragen hinaus, war aber im Gegensatz zum 127 nur auf einer Seite eingekerbt, damit dort der Transportschlüssel der Kamera greifen konnte. Den 129er gab es nur in einer Länge mit lediglich 6 Aufnahmen pro Film, was sicherlich ein Grund für das kurze Leben auf dem Fotomarkt war. Hier mal meine Rollfilmspulensammlung im Vergleich mit ein paar technischen Daten in der Tabelle inklusive Links zu wichtigen Rollfilmkameras.
Rollfilm... 116 120 620 129 127
Bildformat (Anzahl Bilder) 6.5x11 (8) 6x9 (8)
6x6 (12)
6x4.5 (16)
6x9 (8)
6x6 (12)
6x4.5 (16)
5x8 (6)3x4 (16)
4x4 (12)
4x6.5 (8)
Filmbreite 70 mm61 mm61 mm52 mm46 mm
nutzbare Bildbreite 64 mm56 mm56 mm48 mm41 mm
Kernlänge 73 mm65 mm64 mm57.5 mm54.5 mm
Kerndurchmesser 12 mm11.9 mm7.1 mm6.2 mm4.6 mm
Kragendurchmesser 32 mm25.2 mm23 mm19.5 mm18.8 mm
Agfa Bezeichnung D-6B2-8PB20N-6A-8
auf dem Markt (von-bis) 1899-19841901-…1932-19951912-19511912-…

Ich bin stolzer Besitzer von Photo-Porst Katalogen aus den Jahren 1932, 1935 und 1938. Was dort über die verfügbaren Rollfilme und ihre Preise steht, ist sehr interessant, siehe die drei Scans unten. Es scheint Hersteller übergreifende Einheitspreise gegeben zu haben, wobei der 129er Rollfilm (5x8) ca. 15-20% teurer war, als die jeweils nächst kleinere (127) oder größere Variante (120). Auch war ab 1935 die Auswahl für den 129er sehr beschränkt. Natürlich ist das nur das Angebot des größten Fotoversandhändlers, und es kann durchaus sein, dass es bei anderen Händlern etwas anders aussah.
   
1932 1935 1938

2023-02-14

G.A. Krauss Rollette (2)

Mein letzter Artikel über die Rollette ist schon sehr umfangreich, hier kommt aber noch mehr. Während meiner online-Recherchen zur Kamera habe ich einige ebay Auktionen als Quelle verwendet. Wie es so kommt, konnte ich bei einem Angebot nicht widerstehen und habe es gekauft. Grund war natürlich, dass es diese (von mir) Typ 5 genannte Variante ist, die sich in allen wesentlichen Details von Typ 2 der anderen Kamera unterscheidet. Außerdem war eine originale Gebrauchsanweisung dabei, die ich hier gerne teile. Auf der Titelseite unten links steht ein "D.VI.28", was ich mal als von 1928 interpretiere. Auch der Aufkleber auf der Titelseite weist wie das metallene Schildchen auf der Rückseite der Kamera auf das Fotogeschäft "Chr.Fr. Winter Sohn" in Leipzig hin. Auch das deute ich in dem Sinne, dass diese Anleitung tatsächlich zu meiner Kamera hier (Seriennummer 25366) gehört und zusammen mit ihr erworben wurde. 
Typ 2 (ca. 1925) und Typ 5 (1928) im Vergleich. Man erkennt fast alle Unterschiede: Ständer, Laufbodenstreben, Krauss-Symbol, Krauss Prägung, Gehäuseriegel, Feinfokussierung. Nicht zu sehen sind das zusätzliche Stativgewinde (Typ 5) bzw. die Rollette-Prägung (Typ 2) auf der Rückseite des Laufbodens.
Die Unterschiede dieser beiden Rollette Haupttypen 2 und 5 zeigt das Bild oben, alles andere kann man auf den restlichen Bildern dieser Seite betrachten. Ich hatte noch vermutet, dass mit den geänderten Streben auch ein federgespanntes Öffnen des Laufbodens verbunden war, dem ist leider nicht so. Der Fotograf muss selbst Hand anlegen und den Laufboden herunterklappen, einrasten lassen und dann mit Zeigefinger und Daumen der rechten Hand Objektiv mit Balgen herausziehen. Noch detaillierter als hier wird das in der Gebrauchsanleitung beschrieben. Dort steht auch auf Seite 9 unten, dass es parallel zum Typ 5 eine einfache Version gegeben hat. Mein Typ 4 hieß also offiziell "Rollette Nr. 216".

Inzwischen habe ich auch noch weiter zur Konkurrenz der Rollette recherchiert, die tatsächlich die erste 5x8 Rollfilm-Laufbodenkamera war und diese 129er Film-Kameraklasse begründet und wohl auch verkaufszahlenmäßig dominiert hat. Folgende Kameras habe ich bisher ausgegraben: 1) Contessa Nettel Cocarette Mod. 207 (ab 1926), später als Zeiss Ikon Cocarette 519/14 weitergeführt. 2) Voigtländer "Rollfilm 5x8" (1927-1931). 3) Emil Busch Klappkamera 5x8 (?). 4) Nagel Vollenda 60 (1930-1931). 5) Zeiss Ikon Ikonta 520/14 (1930-1931). 6) Orionwerk Rio 82B (1927 ?). 7) Welta Perle (ab 1930, ein etwas moderneres Design als alle vorherigen). 8) Bing FITA (1931). 9) Kern Simplo (nach den Bildern auf ebay baugleich mit der Rollette und vermutlich auch von Krauss für Kern gebaut). Der Rollette nachgebaut ist die japanische Nifcarette (ab 1929), diese allerdings für 127er Rollfilm.

Mit dem "Zwischenformat" 5x8 ging es im Krisenjahr 1932 spätestens zu Ende, danach gab es keine neuen Kameras mehr für den 129er Film (Agfa N6, etc.). Es war sowieso die Zeit der großen Umbrüche in der Fotolandschaft. Die Plattenkameras wurden zu Ladenhütern, alle Welt kaufte stattdessen Kleinbildkameras und die Branche selbst sortierte sich neu. Der 129er Film selbst hatte es vermutlich auch nicht leicht. Mit nur 6 Bildern pro Film war er gegenüber dem 127er oder dem 120er (jeweils 8, bzw. 12 bei 4x4 und 6x6 oder gar 16 bei 3x4 und 4.5x6) eher unattraktiv und als Nischenprodukt wohl auch nicht überall zu bekommen. 

2023-02-06

G.A. Krauss Rollette

Kompakte Rollfilmkameras aus den 1920ern, gerne auch als Westentaschenkameras bezeichnet, werden langsam zu einem neuen Sammelschwerpunkt von mir (hier ihre Übersicht). Diese Rollette ist aus heutiger Sicht besonders, verwendete sie doch als erste deutsche Kamera den Rollfilm (Kodak) 129 (Agfa N6). Dieser ist eine Zwischengröße zwischen dem 120er und dem 127er und die Rollette ist tatsächlich fast genauso groß wie die Vest Pocket Kodak, bietet aber 40% mehr Bildfläche. Der Filmstreifen ist 52 mm breit, das Bildformat ist 5x7.5 cm (2''x3'') und wird gerne auch mal auf 5x8 aufgerundet. Das exakte Bildmaß bei der Rollette ist 48x74 mm. Die Bilddiagonale und damit die Brennweite für ein Normalobjektiv ergibt sich somit zu 9 cm.

Viele Rollfilmkameras ihrer Zeit wurden für unterschiedliche Rollfilme (127, 129, 120, 116) und damit in unterschiedlichen Größen angeboten, zum Beispiel die ebenfalls in Stuttgart gebauten Nagel Vollendas. Für die Rollette trifft das allerdings nicht zu, sie gab es in nur einer Gehäusegröße für den Rollfilm 129 und das Format 5x7.5. Im Netz und auch sogar bei Camera-Wiki wird behauptet, es hätte sie auch für den Rollfilm 127 (4x6.5) gegeben. Das ist irreführend, aber nicht komplett falsch. Ich habe mir große Mühe gemacht, ein Bild oder Prospekt einer solchen entsprechend kleineren 127er Variante im Netz aufzuspüren: Fehlanzeige! Allerdings habe ich zwei Kameras aufgestöbert, die den 127 Film in der 129er Kamera nutzten. Dazu unten mehr.

Bei meiner Recherche bin ich allerdings verschiedenen Varianten bzw. Bauformen über den Weg gelaufen, die ich im Folgenden kurz dokumentieren möchte. Ich meine damit nicht verschiedenen Objektive oder Verschlüsse, die gab es auch (siehe z.B.  Rollette Prospekt). Nein, ich meine, die folgenden Veränderungen der Bauform erfolgten nacheinander im Laufe der Zeit:
    Typ 3 (1927)
Typ 1: Rollette mit Spreizenmechanismus, den sie wohl mit der Krauss Plattenkamera Knirps/Nanos gemeinsam hatte. Die verlinkte Kamera hat als Seriennummer die 2342 und keine Belederung. Es ist die einzige dieser Art, die ich finden konnte und vermutlich nicht oft gebaut worden.

Typ 2: Rollette mit Laufboden, so wie meine hier dokumentierte Kamera. Charakteristisch ist der rechteckige Aufklappständer und die einteiligen Streben, die den Laufboden stabilisieren und beim Einklappen in Richtung Kamerarand einschwenken. Die zugeklappte Kamera ziert der gezeigte "Rollette" Schriftzug, entweder in Leder geprägt oder (bei frühen unbelederten Kameras) weiß graviert im schwarzen Hammerschlaglack. Der geöffnete Laufboden zeigt das kreisrunde "GKAS"-Symbol (für G.A. Krauss, Stuttgart). Meine Kamera hat die Seriennummer 5141, eine andere unbelederte habe ich mit 4302 gefunden. Ich ordne den Typ 2 mal den Baujahren 1924-1926 zu.

Typ 3: Rollette mit Laufboden, wie im Prospekt von 1927 gbgebildet. Die Streben sind nun zweigeteilt mit Scharnier und schwenken beim Einklappen Richtung Kameramitte. Ob mit dieser Änderung auch ein federgespanntes Selbst-Aufrichten des Laufbodens auf Knopfdruck einherging, konnte ich in Ermangelung eines solchen Exemplars nicht ergründen, scheint aber sinnvoll. Dieser Typ und alle vorherigen haben ein ca. 10-cent-Stück großes Drehrad mit den Buchstaben Z und A als Verriegelung der Gehäusehülle. Dieser Typ ist relativ selten zu finden, weil wohl nur im Jahr 1927 produziert. Ich habe ein Exemplar mit der Seriennummer 17489 gesehen.

Typ 5, von einer Gebrauchs-
Anweisung von 1928
Typ 4: Ab Variante 4 gibt es einen "Elefantenfuß"-Ständer mit eingraviertem Rollette Schriftzug darauf und ein in Leder geprägtes "Krauss" oberhalb des Objektivs. Die Verriegelung ist nun mit einem kleineren Schieber realisiert. Das runde GKAS-Symbol wurde durch einen einfachen "Krauss - Stuttgart" Schriftzug ersetzt. Alle Kameras mit RIM-Compur gehören zu dieser oder (meist) zur nächsten Variante. Dieser kam ja erst 1928 auf den Markt, was als Anhaltspunkt für die zeitliche Einordnung dienen kann. Variante 4 gab es wohl einige Zeit parallel zu 5 als einfache Version: Pronto Verschluss, einfaches f/6.3 Rollar, kein Rahmensucher. Seriennummern dazu, z. B. 30962, 38792.

Typ 5: Wie Variante 4 und parallel zu dieser, aber mit zusätzlicher Feinfokussierung per extra Hebelchen auf der rechten Seite. Bei früheren Versionen rastete der Laufboden in Unendlich Stellung ein und musste zum Fokussieren per Finger entriegelt und das ganze Objektiv auf dem Laufboden händisch verschoben werden. Dafür gab es auf der linken Seite eine kleine Skala (siehe Foto unten). Mit der Feinfokussierung gab es auch noch ein zweites Stativgewinde im Laufboden selbst. Diese Variante ist heute auf dem Sammlermarkt am häufigsten zu finden, Seriennummern reichen von ca. 20000 (z.B. eine Luxus mit einem Tessar von 1928: 22381) bis rauf zur 44448 und können den Jahren 1928-1931 zugeordnet werden.
Typ 6

Typen 3-5 Luxus: Von den Bauvarianten 3-5 und wohl am häufigsten von der Variante 5 gab es sogenannte Luxus-Versionen mit gelbem oder hellbraunem Leder und glänzend polierten Kanten. Solche Kameras wurden häufig dann auch mit Carl Zeiss Tessar 9cm/4.9, 8cm/4.5 oder gar 7.5cm/4.5 gekauft. 

Typ 6: Neben Typ 1 existiert wohl noch eine exotische, diesmal späte Variante, die ich auf Grund des verwendeten RIM-Compur und der Tessar Seriennummer in das Jahr 1931 stecke. Mir ist sie nur einmal untergekommen. Sie hat einen komplexen Spreizenmechanismus (siehe Bild), der eine Fokussierung per Drehknopf am Gehäuse realisiert. Außerdem wurde der bisherige Rahmensucher durch einen Aufklapp-Durchsichtsucher ersetzt. Ich schätze, es hat nicht viele davon gegeben und G.A. Krauss hat sich ab 1932 dann auf die Peggy konzentriert.  

Varianten für den 127er Film: Bleibt die Frage nach der Verwendung von 127er Film. Hier habe ich zwei Varianten entdeckt, beide vom Typ 5, und ich weiß nicht, ob die Firma Krauss selbst daran beteiligt war. Für mich ist jedenfalls klar, dass es keine prinzipiell kleinere Rollette-Variante für den 127er Film gegeben hat.
129er Rollette mit 127er-Adapter Modifizierte Rollette für 127er Film
mit 6.5x4 cm Maske
Ansonsten ist die Firma G. A. Krauss in Stuttgart ein interessanter Kamerahersteller. Einfach aus dem Grund, dass sie zwischen 1920 und 1936 lediglich vier Kamerakonstruktionen (in mehreren Varianten) gebaut haben, die letzte davon war die Peggy, eine der wenigen Leica Konkurrentinnen der frühen Kleinbild-Jahre. Aber das wird vielleicht mal eine andere Geschichte. Laut Hartmut Thiele's "Wer war Wer - Die Deutsche Photoindustrie" wurde das Fotohandelsgeschäft 1895 von Gustav Adolf Krauss in Stuttgart gegründet und erst 1920 durch eine eigene Kameraproduktion erweitert. Das erste Produkt war die Stereoplast, gefolgt von der kompakten Spreizenkamera Nanos/Knirps für 4,5x6 cm Platten. Im Netz gibt es widersprüchliche Angaben, welcher der beiden Namen für diese Kamera zuerst verwendet wurde. Wie dem auch sei, angeblich wurde die Rollette 1923 vorgestellt und bis zum Start der Peggy 1931/1932 gebaut, siehe oben. Die Kameraproduktion wurde 1936 verkauft (an wen?). Das Fotogeschäft in Stuttgart gab es noch bis 1991 bis es an Photo Porst verkauft wurde.

 
Ich denke, die Rollette war Krauss' erfolgreichste Kamera, ansonsten hätte es nicht so viele Verbesserungen über die Jahre gegeben. Mit weniger als 50-Tausend Kameras in 12 Jahren, davon die Hälfte in den letzten ca. 3 Jahren 1928-1930, gehörte Krauss am Ende nicht zu den großen Kameraherstellern, aber Mitte der 1920er sicherlich zu den Pionieren der Rollfilm-Ära. Als am Ende des Jahrzehnts sich Zeiss Ikon formierte, Agfa mit dem Kamerawerk in München durchstartete, Voigtländer den Rollfilm für sich entdeckte und August Nagel das spätere Kodak-Nagelwerk etablierte, da konnte Krauss nicht mehr mithalten und fokussierte sich ein paar Jahre lang noch auf den neuen Kleinbildfilm. Aber auch das blieb eine Episode. 

Datenblatt Kompakte Laufboden-Rollfilmkamera, 5x8 auf Rollfilm 129
Objektiv Rollar-Anastigmat 9cm f/6.3 (Triplet), andere Lichtstärken bis f/4.5 sowie Zeiss Tessar f/6.3, f/4.9 oder f/4.5 optional erhältlich.
Verschluss Compur Zentralverschluss, B-1-2-5-10-25-50-100-300, oder Pronto B-25-50-100 1/s. Ab 1928 auch mit RIM-Compur.
Fokussierung durch verschieben des Objektivs auf dem Laufboden, Einrasten bei Unendlich, kleine Skala. Typ 5 ab 1928 mit Feinfokussierungshebel. Keine Scharstellhilfe.
Sucher drehbarer Brilliant- und aufklappbarer Draht-Rahmensucher.
Filmtransport Drehrad, rotes Fenster für Rückseitenpapierkontrolle.
sonst. Ausstattung Stativgewinde 3/8‘‘, Drahtauslösergewinde, ausklappbarer Standfuß.
Maße, Gewicht ca. 128x65x25 mm, 290 g
Baujahr(e) 1923/24 bis 1931, ca. 40000 Exemplare, dieses #5141 ca.1926.
Kaufpreis, Wert heute 117 sFr (diese Ausführung, 1927), ca. 40 €
Links Rollette Prospekt, Engel-ArtCamera-Wiki, Earlyphotography, BlendeundZeit, Collection Appareils, List of photgraphic films

2023-01-07

Voigtländer Bessamatic Deluxe

Diese schicke Kamera habe ich inklusive der beiden abgebildeten Objektive und einer originalen Bereitschaftstasche aus den 1960ern vor ein paar Monaten einfach so geschenkt bekommen. Sie passt eigentlich ganz gut in meine DKL-Sammlung. Weil sie aber nur ein Upgrade der ursprünglichen Bessamatik ist, werde ich sie hier nur kurz dokumentieren und vermutlich bald verkaufen. Heute würde man „Mark II“ dazu sagen, damals wurde elegant „Deluxe“ hinzugefügt. 
 

Wesentlicher und markanter Unterschied zur ersten Bessamatik ist die Nase auf dem Pentaprisma, oberhalb der Selenzelle. Diese dient zur Einspiegelung von eingestellter Blende und Verschlusszeit in den Sucher. Außerdem gibt es jetzt einen extra Knopf zum Zurücksetzen des Bildzählwerks. Bei der ersten Bessamatik-Variante musste der Fotograf dies noch durch Drehen der Filmspule vor dem Einlegen des Films erledigen. Auch gab es während der Produktionszeit der Deluxe weitere kleinere Änderungen, vermutlich um Kosten zu senken (der Wettbewerbsdruck der japanischen SLRs war wohl schon deutlich spürbar…). So fällt ab Seriennummer 250.000 die M-Blitzsynchronisation weg, inoffiziell werden diese Kameras auch mit „Deluxe 2“ bezeichnet. Weitere Details und alles was man zur Bessamatik wissen muss siehe hier und weitere Links unten.

Mein Exemplar hier ist sehr gut erhalten (siehe Fotos, lediglich etwas fehlendes Chrom auf dem Schnellschalthebel) und voll funktionsfähig. Noch ist sie in meinen Händen, aber zu verkaufen. Wer Interesse hat, bitte per e-Mail an knipsen (at) iCloud.com melden.

Datenblatt KB-Spiegelreflexkamera mit Zentralverschluss
Objektiv Wechselobjektive mit (modifiziertem) DKL Bajonett (Deckel Compur Wechselfassung), Auflagemaß 44.7mm, hier mit Color-Skopar 50 mm f/2.8 (4 Linsen in 3 Gruppen, Tessar-Typ) und Skoparex 35mm f/3.4 (6 Linsen in 5 Gruppen, Retrofokus).
Verschluss Synchro-Compur Zentralverschluss (hinter dem Objektiv) mit 1s - 1/500 s und B.
Belichtungsmessung gekoppelter Selenbelichtungsmesser, Nachführmessung (10-3200 ASA)
Fokussierung Manuell am Objektiv, mechanischer Tiefenschärfeanzeiger. Einstellscheibe mit mit Schnittbildindikator.
Sucher Fest eingebauter Pentaprismensucher mit Nadelanzeige für Belichtungsmessung, eingespiegelte Blende und Verschlusszeit.
Blitz X-Buchse für Blitzanschluss an der Kameravorderseite.
Filmtransport Schnellschalthebel, Rückspulknopf.
sonst. Ausstattung Bildzählwerk (rückwärts), Selbstauslöser (10s), Aufsteck-Zubehörschuh, ISO-Gewinde für Drahtauslöser, Filmartindikator, Stativgewinde, Standfüßchen
Maße, Gewicht ca. 140/105/83 mm, 801 g (960g mit Objektiv)
Batterie keine.
Baujahr(e) 1962-1966 (75.500 Exemplare), dieses #272187 von 1965 (Variante 2).
Kaufpreis, Wert heute 515 DM (1965, nur Gehäuse), ca. 30€ (nur Gehäuse, Set mit beiden Obj. ca. 100 €)
Links Wikipedia, Camera-WikiKlinterklater, Ernst Giger.
Bei KniPPsen weiterlesen Bessamatik, Zoomar, DKL Kameras und Objektive, Deutsche SLR-Statistik, Kodak Retina Reflex S, Zentralverschluss SLR, Friedrich Voigtländer.

2022-12-30

Contessa Nettel Seriennummern

Bei meinem Versuch, über die Seriennummern der Piccolette ihre Produktionsmenge abzuschätzen bin auch ich gescheitert. Nach der Sichtung von -zig Quellen und Bildern war ich kurz davor ca. 700-Tausend Stück auszuloben (inkl. der Zeiss-Ikon Produktion von 1927-1930). Ich hatte allerdings einen entscheidenden Fehler gemacht, der meine ganze Abschätzung über den Haufen wirft. Die Contessa-Nettel Leute haben die Seriennummern für alle ihrer Modelle hochgezählt und nicht separat für jedes einzelne Modell. Die folgenden Überlegungen und Erkenntnisse sind es trotzdem wert festgehalten zu werden, erlauben sie doch wenigstens grob eine zeitliche Einordnung der Contessa Nettel Kameras in den Jahren 1919-1926.

Basis meiner Recherchen waren Piccolette Seriennummern, die hauptsächlich von Dirk Spennemann auf Camera-Wiki zusammengetragen wurden. Diese habe ich durch eigenes Suchen erweitert und dabei auch andere Contessa Nettel Kameras, insbesondere die Cocarette hinzugezogen. Insgesamt sind bisher 24 Seriennummern zum Teil mit weiteren Information (zuhörige Objektiv- oder Verschluss-Nummern) zusammengekommen.
  • Leider habe ich bisher nur eine einzige fünfstellige Nummer (26571, eine "Tropical Sonnet") gefunden, die 1919 zugeordnet wurde. Man kann annehmen, dass sowohl die Vorgängerfirmen Contessa und Nettel eigene Zählungen hatten, die man irgendwie weitergeführt hat.
  • Das Ende der Zählung im Jahr 1926 ist etwas klarer.  Ein Schlüssel für mich ist die 661720, die schon das Zeiss Ikon Logo trägt und damit frühestens ab Oktober 1926 hergestellt wurde. Das nächste Puzzlestück ist die M34300, die nun der ZI-Seriennummerlogik mit dem führenden Buchstaben folgt und somit von 1927 ist. Ich habe noch zwei andere Kameras mit 6xxxxx-Nummern, die eindeutig 1926 zugeordnet werden können.
  • Jetzt liegt es nahe, die erste Ziffer der Seriennummer als Produktionsjahr zu interpretieren (6 für 1926, 5 für 1925, etc.). Ich glaube, das taugt tatsächlich als grober Anhaltspunkt zumindest für die Jahre 1923-1926, was den Großteil der Produktion ausmachen dürfte.
  • Aber war Contessa Nettel überhaupt in der Lage ca. 100.000 Kameras pro Jahr zu produzieren? Ich kann mir das nach Sachlage höchstens für das letzte Jahr 1926 vorstellen. Laut Hartmut Thiele ("Die Deutsche Photoindustrie") hatte das Werk in Stuttgart zu diesem Zeitpunkt 480 Mitarbeiter und 600 Werkzeugmaschinen. Das ist interessanterweise nur etwas mehr als die 450 Mitarbeiter des Agfa-Kamerawerkes in München (ehemals Rietzschel) in diesem Jahr. Die hatten ein ähnliches Portfolio und schafften in diesem Jahr 45.000 Kameras. Die Jahre davor waren von starkem Wachstum und auch Rationalisierung geprägt, insgesamt haben die Münchner von 1921-1926 aber nur 93.250 Kameras gebaut (Günther Kadlubek, "AGFA - Geschichte eines deutschen Weltunternehmens von 1867 bis 1997"). Bei den Stuttgartern von Contessa Nettel wird es ähnlich gewesen sein. Selbst mit großzügigem Aufschlag werden es nicht viel mehr als 150.000 Kameras insgesamt (nicht pro Jahr!) gewesen sein.
  • Die Jahre von 1919 bis 1923 waren ja geprägt von Hyperinflation und werden nicht sonderlich produktiv gewesen sein. Kapital für Investitionen in Maschinen war knapp, Arbeitskräfte hingegen relativ preiswert. Die meisten Deutschen konnten sich in dieser Zeit keine Kameras leisten. Auf der anderen Seite ist solch eine Situation auch gut für den Export, die Mehrzahl der Kameras dürften so ihren Weg in die USA oder andere Länder mit stabilerer Währung gefunden haben. Die entsprechenden Devisen waren bei Contessa Nettel vermutlich sehr willkommen.
  • Ab 1923 und der Währungsreform ging es auch für Deutschland in die Golden Twenties und daher vermute ich den Großteil und Höhepunkt der Contessa Nettel Produktion im Zeitraum 1923-1926. Man merkt den Aufschwung auch an den gesichteten Kameras. Während die einfachen Piccoletten eher 2xxxxx und 3xxxxx Nummern haben, beginnen die hochwertigen Kameras meist mit 4 oder 5.  
Am Ende ist es also ein unvollständiges Puzzle. Wie gehen ca. 600.000 mögliche Seriennummern mit ca. 150.000 Kameras zusammen? Falls jemand auf die Idee kommen sollte, dass die Seriennummern irgendeiner anderen Logik oder Muster folgen: Ich habe es geprüft: Bis auf die führende Ziffer (wo ja 0, 7, 8 und 9 fehlen) sind alle Zahlen relativ gleich verteilt, wie es sich für eine aufsteigende lückenlose Zählung gehört. 
Wie immer bin ich für weitere Ideen, Anregungen und Kritik dankbar (knippsen (at) icloud.com oder hier unten im Kommentar. Welcher Stuttgarter Heimatforscher weiß noch mehr über Contessa Nettel in den Jahren 1919-1926?