2023-12-17

Rollfim 117 - Agfa B1

Agfa B1-Spule zusammen mit den anderen Spulen für 61mm breiten Rollfilm 

Ein aufmerksamer Leser und Sammlerkollege hat mich neulich auf einen Fehler aufmerksam gemacht, den ich bei meinem Post zu einer meiner ältesten Kameras gemacht habe. Dort hatte ich behauptet, dass die Icarette 120er-Rollfilm verwendete, was ich inzwischen korrigiert habe. Tatsächlich habe ich da erst realisiert, dass sich in der Kamera eine 117er-Spule, bzw. korrekt sollte ich sagen: eine Agfa B1-Spule befindet. Bei meinem Beitrag zum 620er-Rollfilm habe ich schon die Unterschiede der drei Typen für 61 mm breiten Rollfilm mit Rückseitenpapier genannt:

117: 62.74 mm Breite, 22.2 mm Kragen, 11.9 mm Kern (Kodak 1900 -1949, Agfa ?)
620: 62.69 mm Breite, 23.0 mm Kragen, 7.1 mm Kern (Kodak 1932 - 1995)
120: 62.64 mm Breite, 25.2 mm Kragen, 11.9 mm Kern (Kodak 1901, bis ....? )

Noch mehr Übersicht gib es bei meinem Beitrag über den 129er Rollfilm...

Wegen des dicken Kerns und des schmalen Kragens hatte die B1 Spule wenig Platz für den Film selbst. Agfa bot ihn für 6 Bilder 6x6 an, d.h. der Film auf der Spule war nur knapp 40 cm lang, halb so lang wie der B2 (120er), der für 8 Bilder 6x9 angeboten wurde. 

Seit dem ich meine Spule als 117er identifiziere, versuche ich außer diesen Basisdaten noch ein paar weitere Informationen zusammenzutragen, leider ohne großen Erfolg. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten ihn mehr oder weniger alle Filmhersteller im Programm (jeder mit eigener Bezeichnung). In meinen Phot-Porst-Katalogen von 1932 bis 1938 findet man ihn regelmäßig. Kodak hat ihn angeblich 1949 eingestellt. 
Agfa hatte ihn vermutlich etwas länger noch im Programm: Meine Spule ist jedenfalls von Agfa und aus Plastik. Neben der "Agfa"-Prägung ist auch D.B.P. geprägt, was allgemein als "Deutsches Bundespatent" gelesen wird und auf die 50er Jahre deutet. Auch läßt sich das Plastik schmelzen (Thermoplast), was ich tatsächlich mit der Lötkolbenspitze ausprobiert habe. Auch das deutet auf Nachkrieg hin, Vorkriegs-Bakelit würde nicht schmelzen. In meinem 1956er Porst-Katalog fehlt er dann, leider habe ich keine Dokumente aus den späten 40ern oder frühen 50ern, die auf das Ende des B1 zeigen könnten. Wer hier was beisteuern kann, bitte wie immer e-mail an knippsen (at) icloud (Punkt) com.




 

2023-11-19

Braun Paxette electromatic II

Die Paxette electromatic II war Braun's klammheimliches Eingeständnis an Agfa, dass die Optima mit ihrer Interpretation von Vollautomatik ein Volltreffer war und die eigene erste electromatic am Kundenwunsch vorbei geplant war. Der Rechtsstreit mit Agfa über die Verwendung des Begriffs vollautomatisch war verloren und auch die Kunden hatten trotz des deutlich höheren Preises sich für die teurere, weil bessere Kamera entschieden. 
Erste "wirklich vollautomatische" Kamera (electromatic, links) 
 neben Braun's erster richtiger vollautomatischer Kamera. Die jüngere
rechts ist bei sonst gleichem Gehäuse ein paar Milimeter höher.   
Auch wenn die Zielgruppe der electromatic (I) die fotografischen Laien waren, so ließen sich diese doch nicht für dumm verkaufen. Ein im Zweifel unscharfes Fixfokus-Objektiv sowie Fehlbelichtungen wegen des nur knapp 5 Lichtwertstufen großen Belichtungsspielraums sind halt starke Argumente gegen die erste Version der electromatic
Bei dieser zweiten Version, die dann 1960 endlich in die Läden kam, machten die Braun-Ingenieure dann alles richtig. Es gab ein lichtstärkeres Objektiv (Rodenstock-Ultralit** 2.8/40), das jetzt auch fokussiert werden wollte, wofür neben den üblichen Meter- und Feet-Skalen noch zwei Symbole (Gruppe, Portrait) vorhanden waren, bei denen es sogar einrastete. Die Entfernung zum Objekt musste allerdings geschätzt werden, immerhin gab es um das Objektiv herum eine gut abzulesende Tiefenschärfeskala. Und, Braun setzte nicht mehr auf die eigene (preiswerte) Implementierung der automatischen Blendensteuerung, sondern kaufte Vollautomatik in Form des Prontormat-S-Verschlusses von Gauthier zu. 

Blick durch den Sucher mit Leuchtrahmen und
Parallaxenmarkierung. Ganz oben wird die vom
belichtungsmesser ermittelte Zeit-Blenden-Kombi
eingespiegelt, ändern kann amn daran nichts.
Es handelt sich um einen Lichtwertverschluss, der ein festes Programm von Blenden- und Zeitkombinationen abfährt und mit einem einzigem, dem gemessenen Lichtwert entsprechenden Steuersignal auskommt. Wenn der Verschluss gespannt ist und auf der Wahlstellung "Auto" steht, kann man (mit ein bisschen Augen verrenken) am oberen Rand des sehr großen und hellen Sucherbildes die vom Belichtungsmesser gewählte Zeit-Blendenkombination ablesen. Das Drehspulelement bewegt dazu eine transparente Folie, deren eingeprägte Zahlen entsprechend in den Sucher eingespiegelt werden. 
Die Filmempfindlichkeitseinstellung (10-400 ASA, bzw. 11-27 DIN) gelingt mit einem kleinen Drehrädchen und verstellt das gesamte Drehspulelement, wirklich pfiffig gelöst. Ob jetzt der Verschluss tatsächlich das sinnvoll gestufte Programm dieser festen Zeit-Blenden-Kombinationen benutzt, oder eher der im Diagramm gestrichelten kontinuierlichen Linie folgt, konnte ich an meinem Exemplar nicht zweifellos klären. Ich vermute eher ersteres, da auch beim manuellen Einstellen der Blende  (dazu gleich mehr) diese sich in Stufen verstellt. 

Im Sucher angezeigtes Programm des Prontormat-S
Lichtwertverschlusses. Mit über 10 Lichtwertstufen 
und den gewählten Stufen ist dieser sehr praxistauglich.
Der Verschluss kennt neben der automatischen Lichtwert-Steuerung (Stellung des Drehrings um das Objektiv mittig auf "Auto") noch zwei manuelle Modi. Dreht man den Ring eine Drittel-Drehung nach rechts gelangt man zu "B", dargestellt durch eine grüne Blendenskala von 2.8-22. Dreht man 120° nach links, kommt eine entsprechende rote Blendenskala zum Vorschein, begleitet durch die Blitz-Verschlusszeit, vermutlich 1/30s. 
Damit wird auch klar, dass es zwei Sätze von jeweils 5-Lamellen gibt, die eigentliche Blende liegt dabei direkt hinter den Verschluss-Lamellen. Das ist nicht selbstverständlich, gibt es doch spätere Automatikverschlüsse, die nur einen Satz Lamellen verwenden und jeweils nur bis zur gewünschten Blende öffnen.   
Interessanterweise gibt es bei der Kamera keinen Mittenkontakt (Hot-Shoe) mehr, sondern eine gewöhnliche Blitzbuchse. Ob auch hier Braun den Kunden so viel Innovation nicht zumuten wollte, oder ob die Verlegung des Kabels in die Deck-Kappe einfach technisch zu komplex war? Vielleicht beides.
Die Paxette electromatic II neben der mehr als ein Jahr früher erschienenen Agfa Optima, deren technische Spezifikation sie im Wesentlichen teilt. Die Braun hat den besseren Sucher, ist deutlich kompakter und läßt sich mit einer Hand bedienen, während die Agfa den linken Zeigefinder für die magische Taste und den rechten zum Auslösen braucht. Die Optima erreichte von 1959 bis 1961 und einem Preis von 238 DM ca. eine halbe Million Kunden, während die electromatic II bei 297 DM wohl nur ca. 10-20 tausendmal gekauft wurde. 

Die "II" ist (außer der Luxusversion der "I" mit Krokodilleder) vermutlich die seltenste der gesamten electromatic-Serie. Neben der II gab es parallel noch die ähnlich gut ausgestattete electromatic III, die mit dem Prontormatic-Verschluss (1/30 bis 1/500 s) ausgestattet war, der volle manuelle Einstellung erlaubte und alternativ die automatische Blendensteuerung nach Zeitvorwahl anbot. Ich stütze meine Vermutung auf der Tatsache, dass man heute mehr IIIer als IIer auf dem Gebrauchtmarkt (ebay) zu sehen bekommt. Es gab übrigens noch eine abgespeckte electromatic IIs genannte Version, die das bekannte Fixfokus 5.6/40 mm Objektiv, aber sonst die gleiche Funktionalität wie die II hatte. Was das sollte, bleibt mir schleierhaft, vielleicht mussten die auf Lager liegenden Fixfokus-Objektive weg...? 


Mit meinem Exemplar habe ich ein echtes Schnäppchen gemacht. Während der Recherche zur electromatic (I) lief sie mir über den Weg, ich habe mal 10 € (inkl. Versand!) geboten und den Zuschlag bekommen. Sie war allerdings als defekt beschrieben, der Verschluss klemmte. Ich habe allerdings keine 10 Minuten gebraucht, um das wieder hinzukriegen. Die beiden Frontglieder vom Objektiv lassen sich recht einfach entfernen, mit einem Wattestäbchen und etwas Waschbenzin löste sich der mit den Jahrzehnten verklebte Verschluss schnell. Zu meiner Freude funktioniert der Selenbelichtungsmesser noch sehr passabel, die angezeigten Lichtwert-Kombinationen stimmen. Allerdings habe ich immer noch Zweifel an der richtigen Blendeneinstellung im Automatik-Modus, mal sehen, ob ich mich hier nochmal dranmache. Ansonsten zeigen die Fotos den Top-Erhaltungszustand. Vermutlich hat sie die letzten 50 Jahre meist im Dunkeln und geschützt in einer Bereitschaftstasche zugebracht.

Datenblatt kompakte Kleinbildkamera mit Belichtungsautomatik 
ObjektivRodenstock-Ultralit** 40 mm f/2.8, vergütetes Triplet (?)
Verschluss Prontromat-S von Gauthier, Lichtwert-Zentralverschluss 1/30 -1/300 s, B, Blitzsynchronzeit 1/30s. 
Belichtungsmessung Bertram Selen Belichtungsmesser, Trap-Needle-Lichtwertautomatik LW 8  bis 17.5, Filmempfindlichkeit 10-400 ASA, bzw. 11-27 DIN.
Fokussierung Frontlinsen-verstellung manuell, minimale Entfernung 1 m. Einrastende mit Symbolen markierte Entfernungen für Gruppe und Portrait.
Sucher Großer optischer Sucher mit Leuchtrahmen. Einspiegelung der Zeit-Blenden-Kombination, roter Balken bei zu wenig Licht.
Blitz PC-Buchse, kein Mittenkontakt im Zuberhörschuh.
Filmtransport Schnellschalthebel (Ein Schwung pro Bild), ähnlicher Hebel auch zum Rückspulen. Bildzählwerk (rückwärts)
sonst. Ausstattung Zubehörschuh, Stativgewinde 1/4‘‘, keine Gurtösen, Drahtauslösergewinde, Tiefenschärfeskala am Objektiv
Maße, Gewicht ca. 111x88x60 mm, 671g
Baujahr(e) 1960-1964 ca. 20,000 Exemplare, s. Text. Diese hier #467645 von 1962
Kaufpreis, Wert heute297 DM, heute je nach Zustand 40-60€.
Links Camera-WikiBraun Kameraliste, Collection appareils
Bei KniPPsen weiterlesen Geschichte der Belichtungsautomatik, Geschichte des heißen Schuhs, Agfa OptimaLichtwertverschluss, Braun Paxette Ib, Braun Paxette Automatic Super III, Braun Colorette Super IIL

**Ultralit scheint eine Marke von Braun selbst zu sein. Es gibt neben diesem von Rodenstock auch von Enna und Staeble hergestllte Braun-Objektive dieses Namens als auch später (Projektions)Objektive ohne Herstellerbezeichnung.

2023-11-12

Braun Paxette electromatic

Im letzten Jahr habe ich hier die Geschichte der Belichtungsautomatik in 16 Beispielen erzählt. Das Jahr 1959 spielt dabei eine zentrale Rolle, in dem mehr oder weniger gleichzeitig einige Kameras mit diesem Feature erscheinen. Insbesondere ist die Agfa Optima zu nennen, die als die erste wirklich erfolgreiche Automatikkamera gelten darf. Ich habe mich also daran gemacht, auch ihre direkten Konkurrentinnen aus dem Jahr mal genauer unter die Lupe zu nehmen. 
Der neben Agfa andere Pionier zum Thema in Deutschland war das Carl Braun Camera-Werk in Nürnberg. Ihre Paxette electromatic genannte Kamera kam wohl etwas später als die Optima auf den Markt und so feuerte Brauns Marketingabteilung aus allen Rohren und bewarb die Neue als Die erste und einzige wirklich vollautomatische Kleinbildkamera der Welt. Brauns Argument: Bei der Optima musste der Fotograf noch die Entfernung (und die Filmempfindlichkeit) einstellen, das entfiel wegen des lichtschwachen Fixfokus-Objektivs (40 mm f/5.6) bei der electromatic. Dass deren Verschluss auch nur eine Verschlusszeit hat (ca. 1/40 s) und nur Filme mit einer Empfindlichkeit (17/18 DIN, 40/50 ASA) verwendet werden konnten, blieb dezent unerwähnt, machte die Kamera aber immerhin deutlich preiswerter als die Optima (168 DM vs. 238 DM).
  
Blick auf Verschluss und Blenden-
Hebel, der bei Auslösung die
Blende im Objektiv anhand der 
Helligkeit mehr oder weniger schließt
Agfa hat das so nicht auf sich sitzen lassen und einen Rechtsstreit mit Braun begonnen, um zu klären, was als vollautomatisch bezeichnet werden darf. Immerhin kontrollierte die Optima sowohl Verschlusszeit als auch Blende automatisch, ein Modus der später tatsächlich Vollautomatik bzw. Programmautomatik genannt wurde. Laut Walter Zellner in seinem Buch Die Kameraherstellung bei Carl Braun in Nürnberg (2004, Selbstverlag), das ich mir im Rahmen dieser Recherche zugelegt habe, hat Agfa diesen Rechtsstreit gewonnen und Braun sich verpflichtet, den Begriff erste vollautomatische Kamera nicht mehr so in Druckschriften zu verwenden. 

Wegen der festen Verschlusszeit ist die electromatic tatsächlich ein Blendenautomat, natürlich nach der 1959 schon über 20 Jahre alten Kodak'schen Trap-Needle Methode. Das Ganze ist allerdings eine technisch recht elegante, weil kompakte  Eigenentwicklung von Braun. Man verwendete einen Selen-Belichtungsmesser von Bertram (Bewi) und einen Einfachverschluss von Gauthier (Prontor). Erst ab 1960 boten sowohl Gauthier (Prontormat-S) als auch Deckel (Compur) Verschlüsse an, die speziell für entsprechende Belichtungsautomaten vorgesehen waren. 
Zweite Variante mit Rückspulschieber
 und Schraube im ursprünglichen
 Loch des Rückspulknopfes

Dass die Kamera 1959 wohl etwas übereilt und noch nicht komplett fertig entwickelt auf dem Markt erschien, mache ich an der Tatsache fest, dass es insgesamt 3 Varianten gibt, die alle eine eigene Kadlubek-Nr. bekommen haben (BRA1065, BRA 1066, BRA1070), sich aber nur in Kleinigkeiten unterscheiden. Die erste Variante ist oben auf der Anzeige abgebildet und insbesondere an dem Rückspul(entsperr)knopf zu erkennen, der hinter dem Auslöser auf der Gehäuseoberseite sitzt. Vermutlich haben einige Kunden sich beschwert, weil sie versehentlich auf den falschen Knopf gedrückt und den Schnappschuss verpasst haben. 
Braun hat reagiert und für Variante 2 den Rückspulknopf elegant in einen unscheinbaren Rückspulschieber verwandelt, der nur wenige Millimeter von der ursprünglichen Stelle entfernt nun aber auf der Rückseite der Kamera zu finden ist. Außerdem hat diese zweite Variante einen gedruckten Hinweis auf der Filmandruckplatte (siehe Bild unten), dass tatsächlich nur 17 oder 18 DIN-Filme zu verwenden sind. Auch hier dürften sich Kunden wegen Fehlbelichtungen beschwert haben.

Erst die dritte Variante, erschienen im Frühjahr 1960, räumte mit der Einschränkung nur einer Filmempfindlichkeit auf. Rechts unten am Objektiv gab es nun einen kleinen Schieber, beschriftet mit 16-18-21 DIN, bzw. bei der Exportversion 10-32-64 ASA. Das ist interessanterweise technisch nicht das selbe, spiegelt aber wohl die in den entsprechenden Märkten am häufigsten verfügbaren Filmtypen wider. Realisiert wurde das durch einen "verbesserten" Verschluss, der nun drei Zeiten beherrscht (Walter Zellner vermutet 1/40, 1/60 und 1/120 s), die aber sonst nirgends offiziell dokumentiert sind. Diese Variante wird im Laufe des Jahres 1960 in Paxette electromatic I umbenannt, man findet aber auch noch Exemplare bei denen nur electromatic auf der Kappe graviert ist.  

abgeschraubtes Objektiv mit simpler Blendenkupplung, man beachte die schon vorgesehene Lücke für den späteren DIN-Hebel Datumstempel (25.8.59) auf Belichtungsmesser Dieses kompakte Gehäuse und solide Mechanik war die Basis für alle 
electromatic Modelle bis 1964
Die "I" deutet schon das Erscheinen der besseren Modelle "II" (ab 1960) und "III" (ab 1961) an. Die Paxette electromatic II erreicht mit dem Prontormat-S-Verschluss (Lichtwertverschluss, 1/30 - 1/300 s) und einem fokussierbaren Ultralit 40 mm f/2.8 endlich die Spezifikation der Agfa Optima, kostete aber mit 297 DM sogar deutlich mehr als diese. Bei der Paxette electromatic III konnte der Fotograf nun dank des Prontormatic-Verschlusses die Verschlusszeit (bis 1/500 s) sowie die Filmempfindlichkeit unabhängig von einander wählen, die Kamera steuerte dazu die Blende. 

Die "I" wurde ab Anfang 1962 durch die Paxette electromatic Ia ersetzt, die nach wie vor den Dreizeitenverschluss und die automatische Blendensteuerung der "I" hatte. Allerdings war das Objektiv nun ein fokussierbares Rodenstock Trinar L 2.8/40, das sogar über ein spezielles Bajonett durch das optional erhältliche Tele-Rotelar 4.0/75 ausgetauscht werden konnte. Entsprechend gab es zwei Leuchtrahmen im Sucher.

Die electromatic hatte bei ihrem Erscheinen noch ein unscheinbares damals sehr seltenes Feature, den Zubehörschuh mit Blitz-Mittenkontakt, kurz Hot-Shoe genannt. Interessanterweise wird das von Braun kaum marketingtechnisch ausgeschlachtet. Ich habe die Geschichte des heißen Schuhs hier schon erzählt. Die Kamera war nicht die erste damit, markiert für mich aber den Beginn der Verwendung dieses Features bei den main-stream Kleinbildkameras. Es gab von Braun zunächst ein passendes "Spezialblitzgerät" für 18 DM (für Blitzbirnchen), später auch den Paxitron T 50, einen Elektronenblitz mit LZ 36 (138 DM). 

War die Kamera erfolgreich? Walter Zellner spricht von erheblichen Stückzahlen. Leider gibt es keine offizielle Produktionsdokumentation, ich versuche mich aber hier mal auf Basis gesichteter Seriennummern an einer Schätzung: Scheinbar verwenden alle oben genannten electromatic-Versionen (inkl. II und III etc.) das selbe Grundgehäuse und entsprechend den selben Seriennummernkreis. Die niedrigste von mir erspähte Zahl war eine 397xxx (electromatic Variante 1), die höchste eine 516xxx (electromatic II), das macht ca. 120.000 Kameras in den ca. 5 Jahren Bauzeit. Die meisten davon (ca. 60-70 Tausend) dürften auf das einfache Einsteigermodell hier entfallen, das mit seinem attraktiven Preis insbesonders die neue Zielgruppe des fotografischen Laien ansprach. Kunden, die schon etwas mehr von Fotografie verstanden, dürfte das Fixfokusobjektiv und die sonstigen Einschränkungen der Kamera abgeschreckt haben. 

Man muss rückblickend Brauns Strategie als Misserfolg werten: Trotz des deutlichen Preisdifferenz griffen die Kunden lieber zum tatsächlichen Vollautomaten Agfa Optima (500.000 Stück in 2 Jahren). Als Braun dann technisch nachzog (electromatic II), gab es auf dem Markt schon großen Wettbewerb (u.a. Kodak, Voigtländer, etc...) und es wurde noch schwieriger zu bestehen. Hätte man von Anfang an sowas wie die Ia zum attraktiven Preis am Start gehabt, vielleicht wäre die Geschichte anders gelaufen...

Datenblatt kompakte, einfache Kleinbildkamera mit früher Blendenautomatik 
Objektiv ENNA Ennagon 40 mm f/5.6, alternativ auch mit Staeble Katagon (gleiche Daten), vergütetes Triplet.
Verschluss Gauthier, einfacher Zweisegment-Zentralverschluss 1/40 s, ab Variante 3 mit verstellbarer Verschlusszeit (Filmempfindlichkeitshebel), ca. 40-60-120 1/s.
Belichtungsmessung Bertram Selen Belichtungsmesser, Trap-Needle-Blendenautomatik LW 9.5 bis 14.5, grünes Signal im Sucher zur Anzeige korrekter Belichtung.
Fokussierung Fixfokus
Sucher Großer optischer Sucher mit Leuchtrahmen.
Blitz keine Buchse, aber Mittenkontakt im Zuberhörschuh ("Hot-shoe").
Filmtransport Schnellschalthebel (zwei Züge pro Bild), ähnlicher Hebel auch zum Rückspulen. Bildzählwerk (rückwärts)
sonst. Ausstattung Stativgewinde 1/4‘‘, keine Gurtösen, kein Drahtauslösergewinde!
Maße, Gewicht ca. 111x83x60 mm, 576g
Baujahr(e) 1959-1961 in 3 Varianten, zusammen ca. 60,000 Exemplare, s. Text. Diese hier #411485 von Ende 1959.
Kaufpreis, Wert heute 168 DM, heute je nach Zustand 20-40€.
Links Camera-WikiAuto-Exposure Class of 1959, Braun Kameraliste, Instruction book electromatic,  Instruction book electromatic I, Dt. Kameramuseum, Emtus
Bei KniPPsen weiterlesen Paxette electromatic II ,Geschichte der Belichtungsautomatik, Geschichte des heißen Schuhs, Agfa OptimaLichtwertverschluss, Braun Paxette Ib, Braun Paxette Automatic Super III, Braun Colorette Super IIL

2023-10-21

Kodak AG, Stuttgart - Nachkriegs Kameraproduktion

Nachkriegs-Kameraproduktion der Kodak AG in Stuttgart in Modellgruppen.
Es fehlen die einfacheren Instamatic-Kameras von 1963 bis zur Produktionseinstellung 1970.

Das hier ist die Fortsetzung meines Beitrags über die Kodak (Nagelwerk) Vorkriegs-Kameraproduktion. Methode und Quelle sind dieselben, diesmal geht es um die Wirtschaftswunderzeit nach dem 2. Weltkrieg, die in der (west-) deutschen Kameraindustrie insbesondere in den 1950er Jahren durch stetes Wachstum geprägt war. Das hielt bis hinein in die frühen 1960er und dann ging es Kodak wie allen anderen deutschen Mitbewerbern: Es ging wieder bergab, die Japaner kamen mit zum Teil besseren und gleichzeitig preiswerteren Kameras. Die westdeutsche Kameraindustrie rutschte reihenweise in die Pleite, konsolidierte oder schaute sich nach anderen Tätigkeitsfeldern um. Kodak in Stuttgart ging es vergleichsweise noch gut, war man doch Teil des weltweit größten Filmherstellers. In den 1970ern wurden in Stuttgart noch eine ganze Reihe eher einfacher Instamatic-Kameras produziert. Schließlich wurde die Kameraproduktion 1979 endgültig eingestellt. Letztes Modell war die EK8 Instant Camera (einzige Sofortbildkamera aus Stuttgart). Wieviele von diesen ganzen nicht-Retina Kameras produziert wurden konnte ich leider nicht rausbekommen, Helmut Nagel nennt in seinem Buch weder Zahlen noch Preise.
  
Wenn man sich die Grafik oben im Vergleich mit den Vorkriegszahlen anschaut, fallen zwei Dinge auf: Nach dem Krieg werden in Stuttgart nur noch Kleinbildkameras gebaut, keine preiswerten Box- oder Mittelformat-Balgenkameras mehr. Daher wird trotz anfangs steten Wachstums der Jahres-Produktionsrekord von 1936 zumindest zahlenmäßig nicht mehr eingestellt. Bei den Kleinbildkameras sieht es allerdings anders aus: hier werden schon 1948 mehr Retinas gebaut als im bisherigen Rekordjahr 1939.

Produktionszahlen der klassischen Modelle
(auf Basis der Vorkriegs-Designs)
Retina 010
Retina I (010)
Das Nagelwerk in Stuttgart-Wangen hat als einer der ersten Kamerahersteller nach dem Krieg wieder die Produktion aufnehmen können. Hilfreich war sicher, dass man als amerikanischer Konzern in der amerikanischen Besatzungszone wohl einige Hilfe bekam oder zumindest bevorzugt behandelt wurde. Schon Ende 1945 waren die gröbsten Schäden beseitigt und es ging da weiter, wo man 1941 aufgehört hatte: Mit der Retina-I natürlich, die unter der Typennummer 010 1946 wieder auf den Markt kam. Bis 1954 wurden davon nochmal genau so viele Kameras gebaut wie vor dem Krieg! Auch die Retina II (mit Entfernungsmesser) wurde in modifizierter Form wieder ins Programm genommen. Ab 1949 gab es dann zur Abrundung des Portfolios nach unten auch wieder eine Retinette, produziert auf demselben Chassis mit den selben Werkzeugen.  Ich habe alle diese Kameras daher hier als "Klassische Modelle" zusammengefasst. Neu-Entwicklungen brauchen seine Zeit und die brach bei Kodak 1954 an, als die gesamte Produktion auf moderner wirkende Gehäuse mit runderen Formen und Chrom-glänzenden Gehäusekappen umgestellt wurde:

Unterseite aller Retina und Retinette Kameras
ab 1954. Abgerundete Form und Schnellschalt-
Hebel an einer seltsamen Stelle. 
Die Retina Serie wurde entsprechend mit dem modernen Modell Ib fortgesetzt. Natürlich gab es auch das Modell II mit Entfernungsmesser, das interessanterweise nicht die Modellnummer IIb sondern IIc verpasst bekam. Die Palette wurde durch eine neue Variante mit eingebautem Belichtungsmesser (Selen) erweitert, die entsprechend IIIc genannt wurde. Die Kleinschreibung der Buchstaben ist in diesem Zusammenhang wichtig, da es 1957 für alle Varianten eine Modellpflege gab, die Updates bekamen schlicht den entsprechenden Großbuchstaben verpasst. Bis auf einen vergrößerten und technisch verbesserten Sucher und kleineren Designanpassungen blieben die sonstigen Kamerafeatures dieselben.

Modernere Sucher- und Messsucher-
Retinas, ab 1958 auch welche ohne
den klassischen Balgen.
Was alle diese Kameras noch mit ihrer „Großmutter“ Retina-I von 1934 verband war der Balgen und das damit versenkbare Objektiv. Kodak bediente damit eine gewisse Tradition und seine Fans, merkte aber natürlich, dass dieses Feature immer mehr aus der Mode kam und die Wettbewerber es so gut wie gar nicht mehr anboten. Und so gab es ab 1958 bzw. 1959 jeweils die Versionen IIS und IIIS mit fest angebautem (Wechsel-) Objektiv, dazu unten bei den Retina-Spiegelreflexkameras mehr. 
Retinette IA (044)

Mit der neuen runderen Gehäuseform gab es schon ab 1954 eine neue Retinette-Generation (Nagel-Nr. 022), die konsequent auf low-budget getrimmt war. Der komplizierte Balgen und Spreizenmechanismus fiel weg, alle Retinetten hatten von da an ein starr angebautes drei-linsiges Objektiv mit Frontlinsenfokussierung. In den meisten Fällen war dies das angeblich nur für die Retinette neu gerechnete und vergütete Schneider-Kreuznach Reomar 45 mm f/3.5. Die Retinetten für den französischen Markt bekamen ein entsprechendes Objektiv von Angenieux. Hatten frühere Retinetten noch einfachere Verschlüsse, so besaßen alle Modelle für den deutschen Markt zumindest einen Compur-Rapid (bis 1/500 s). Damit kostete die Retinette 118 DM, immerhin 80 DM (oder 40%) weniger als eine nur unwesentlich besser ausgestattete Retina Ib (198 DM) aus demselben Jahr. 


Die Low-budget Kameras hießen Retinette
Ab 1958 wurde das Design-Update auch den Retinetten zuteil und man führte eine Modell-Differenzierung a la Retina ein. Es gab folglich eine Retinette II mit einem 2.8 Reomar (immer noch 3 Linsen!) und eine IIB mit eingebautem ungekuppelten Belichtungsmesser. Das zahlenmäßig erfolgreichste Modell blieb mit 781.000 Stück in 8 Jahren die Retinette IA, zu 98 DM (1959), 118 DM (1960), bzw. 128 DM ( ab 1963). Diese hatte auch keinen Compur-Rapid, sondern "nur" noch Pronto(r) Verschlüsse. 

Insgesamt scheinen die Grenzen zwischen Retina und Retinette mit der Zeit immer weiter zu verschwimmen, teilen sich doch alle Kameras seit 1954 das selbe Grundgehäuse mit dem seltsamen Schnellschalthebel auf der Unterseite. Immerhin hatte man damit einige Freiheitsgrade auf der Kameraoberseite, um Belichtungs- oder Entfernungsmesser unterzubringen, und das in fast allen Preisklassen. 
Retina's mit Belichtungsautomatik
bzw. Nachführmessung
Ab 1960 wird die Modellvielfalt fast unübersichtlich, denn auch Kodak musste auf den Optima-Schock reagieren und brachte gleich drei im Feature-Set abgestimmte "Retina automatic" (I bis III). Diese Trap-needle Kameras waren aber vergleichsweise wenig erfolgreich, die Kunden kauften wohl lieber das um 100 DM preiswertere Original von Agfa. Daher war schon nach knapp 3 Jahren wieder Schluss mit diesem Belichtungsautomatik-Ausflug. Kodak brachte im Design der automatic-Kameras noch drei letzte Retinas mit Nachführmessung, zwei davon mit eingebautem Blitzbirnchen-Halter, alle wenig erfolgreich. 

Mehr erfolgreich war allerdings die Retina Reflex Serie, mit der Kodak ab 1956 auf den Spiegelreflex-Zug aufsprang. Ich kenne keinen anderen Hersteller, der so konsequent Spiegelreflex in ein bestehendes Kamera-System integriert hat. Die erste Retina-Reflex basierte auf der Retina IIIc, verwendete also viele gleiche Bauteile und auch das selbe Zubehör, sprich die Satz-Objektive (Weitwinkel/ bzw. Tele-Vorsätze). 
Retina Reflex S

Ab 1959 kam dann auch konsequent parallel zur Retina IIIS die Retina Reflex S mit echten Wechselobjektiven (DKL). Die folgenden Updates Retina Reflex III und IV boten hingegen nur noch wenige neue Features, waren aber ab 1960 Kodaks alleinige Speerspitze im High-End Bereich, die Wechselobjektiv-Messsucherkameras IIS und IIIS wurden eingestellt. Ich wäre beinahe einem Druckfehler in Helmut Nagels Buch aufgesessen. Er nennt für die Retina Reflex IV 524,000 Exemplare, was für diese sehr teure Kamera ein enormer Erfolg gewesen wäre. Ich hatte ja schon vor ein paar Jahren die deutsche SLR-Produktion analysiert und dort andere (bessere) Quellen verwendet. Um es kurz zu machen, es ist einfach eine Null zu viel, es waren nur 52,400 Einheiten, was die anderen Quellen bestätigen.  

Kodak's Spiegelreflex-Kameras

1966 ist mit dem bisher so erfolgreichen Einheits-Retina-Gehäuse Schluss, die Verkaufzahlen gehen zurück. Kodak reagiert mit einem neuen Plastikgehäuse für die neue Retina S1/ S2 Serie, die aber auch nur mäßig verkauft werden und 1970 wieder in der Versenkung verschwinden. Daneben werden in Stuttgart nun eine Vielzahl von Instamatic Kamers gebaut, deren Produktionszahlen allerdings unbekannt sind. Immerhin zeigt Helmut Nagel in seinem Buch 36 verschiedene Modelle für beide Instamatic-Kassetten 126 und 110 aus deutscher Produktion.  
Instamatic Reflex

Ein Modell sticht allerdings heraus: Es ist die Instamatic Reflex, die Synthese aus Retina-Reflex und Instamatic. Sie konnte auf die ganze DKL-Objektivpalette zurückgreifen und war mit ca. 78,000 Exemplaren tatsächlich die erfolgreichste der nur insgesamt 5 Spiegelreflexkameras für die 126er-Kassette. Auch wenn auch sie schon einiges an Plastik verbaut hatte, ist sie quasi die letzte Qualitätskamera aus Stuttgart-Wangen, die noch in der alten Nagel-Tradition steht, die mit Kameras wie der Pupille und natürlich der Retina begründet wurde.

So wie Kodak in Stuttgart ging es in den 1970ern einigen anderen westdeutschen Kameraherstellern, aber eben nicht allen. Im Vergleich zu Kodak schlug sich DER europäische Erzkonkurrent AGFA damals noch wacker und konnte sich mit relativ modernen Kameras in den 1970ern zumindest in Europa noch gut gegen die immer stärker werdende japanische Konkurrenz behaupten. Aber auch bei Agfa war 1982 dann Schluss im Kamerawerk in München. Das wird hier vielleicht mal eine andere Geschichte.

2023-10-03

Mimosa II

Die Mimosa sticht auch für versierte Sammler aus der Masse der Kleinbildkameras über die Jahrzehnte wegen ihres besonderen quaderförmigen Designs hervor, sie ist darin einzigartig und bleibt in Erinnerung. Wenn man sich dann mit ihr beschäftigt, merkt man, dass sie technisch eigentlich nichts wirklich Besonderes zu bieten hat. Die sie umgebende Geschichte um ihre Entwicklung, Herstellung und Vermarktung macht dies aber locker wieder wett. Es gibt dort ein paar noch nicht 100%ig aufgeklärte Rätsel. Die meiner Meinung nach beste Darstellung der Fakten liefern Yves Strobelt und Marco Kröger. Meine Interpretation und Kurzfassung geht so:

Wir befinden uns in den Jahren 1947 und 1948, also in der schlimmen Zeit nach dem 2. Weltkrieg, die Dresdener Kameraproduktion, vor dem Krieg strahlendes Zentrum dieser Industrie, liegt am Boden. Die politischen Umstände sind alles andere als klar, viele Menschen verlassen die sowjetische Besatzungszone Richtung Westen. Da taucht im Frühjahr 1948 eine völlig neu konstruierte und sehr solide Kleinbildkamera auf. Als offizieller Hersteller der Kamera und Namensgeber (der inoffizielle im Hintergrund kommt gleich...) gilt der seit 1904 in Dresden ansässige Fotopapier- und Film-Hersteller Mimosa AG, ein fotochemischer Betrieb! Von Feinmechanik und Kamerafertigung hatte man keine Ahnung, Maschinen dafür schonmal gar nicht. Mimosa hatte allerdings das große Glück, dass ihre Fabrikgebäude im Gegensatz zum Großteil der übrigen Kamera- und Fotoindustrie in und um Dresden weitgehend unbeschädigt die Zerstörung Dresdens überstanden hatten. Außerdem gab es in und um Dresden jede Menge arbeitslose aber hochqualifizierte Fachkräfte, die wieder Kameras bauen wollten.

1947 dämmerte die deutsche Teilung und mit ihr die Auflösung des damals noch größten deutschen Kamerakonzerns Zeiss Ikon AG in einen westdeutschen Teil mit der neuen Konzernzentrale in Stuttgart und einen ostdeutschen um die alte Zentrale in Dresden. Viele führende Mitarbeiter verließen Dresden in Richtung Stuttgart und man stritt nicht nur um Vermögenswerte und Know-How sondern noch lange um den (Marken-) Namen Zeiss Ikon. In Dresden hatte man diese neue Kamerakonstruktion in der Schublade und wollte wohl vermeiden, dass sie mit in die Streitmasse geriet. Daher wurde der vordergründig unbeteiligten Mimosa AG eine neue Kameraabteilung „angegliedert“ (wie sich Hartmut Thiele in seinem „Wer ist Wer“ ausdrückt). 

Man schlüpfte also nicht nur in Wirklichkeit unter deren Dach, sondern auch rechtlich gehörte die nun Mimosa I genannte Kamera und deren Produktionsmaschinen etc. zur alten Fotochemiefirma. Innerhalb weniger Wochen geschah im Frühjahr 1948 folgendes: Der Aufsichtsrat der Zeiss Ikon AG beschließt die Verlegung des Gesellschaftssitzes nach Stuttgart, woraufhin die sowjetische Besatzungsmacht die Beschlagnahmung der ostdeutschen Vermögenswerte bestätigt, was faktisch die Spaltung zementierte. Mehr oder weniger gleichzeitig präsentiert die Mimosa AG ihre neue Kamera auf der Leipziger Frühjahrsmesse und die Fachwelt wundert sich. Am Ende ihrer Bauzeit 1951 übernimmt der zwischenzeitlich VEB Zeiss Ikon genannte ostdeutsche Teil der Firma offiziell Maschinen und Belegschaft der Mimosa Kameraproduktion und produziert in denselben Räumen ab 1952 die erfolgreichere Taxona (Tenax I Nachfolgerin). 

Doch nun zur Kamera selbst: In einem frühen Artikel wird ihre "besonders griffige Form" und das Fehlen von "Spreizen und Klappmechanismus" als Vorteile hervorgehoben. Ich muss zugeben: kompakt ist sie, allerdings keinesfalls "griffig". Um sie mit nur einer Hand zu halten, ist sie eigentlich zu schwer (fast 500 g mit Film!) und an den Seiten zu schmal. Beim zwangsläufigen Halten mit beiden Händen kommen diese sich selbst und den Einstellelementen in die Quere. Von Ergonomie also keine Spur. Allerdings ist sie super solide gebaut (Aluminium-Gussgehäuse) und die sehr pfiffig angebrachte und komplett abnehmbare Einheit von Rückwand und Bodenplatte kann die Verwandschaft zur Contax nicht verleugnen. Die beiden verfügbaren Triplet-Objektive mit Frontlinsenfokussierung sowie die angebotenen Verschlüsse sind hingegen nur Mittelmaß und passen nicht so recht zum doch sehr stattlichen Preis von 225 Mark.

Es gab im Prinzip drei Versionen der Mimosa: Die von Anfang an "Mimosa I" genannte Version (1948, bis zu 3000 Exemplare) hatte noch einen angeschraubten Aufklappsucher. Diese "Mimosa II" hier (1949-1951) repräsentiert die Mehrheit (ca. 15000 Exemplare) aller je produzierten Kameras und kann durch den ins Gehäuse integrierten optischen Sucher identifiziert werden. Die dritte Version mit Schneckengang zur Fokussierung mit dem gesamten Objektiv kam im Frühjahr 1951 auf den Markt, wurde aber weiter mit "Mimosa II" beschriftet. Auch hiervon existieren wohl nur bis zu 3000 Exemplare. Von den genannten Versionen existieren darüberhinaus unzählige Varianten: mit und ohne Gurtösen, mit schwarzem oder silbernen Rückwandhebel, verschiedene Verschlüsse und Objektive und entsprechend viele Kombinationen.
 
Vielleicht war der Schneckengang auch nur der erste Schritt hin zur angedachten "Mimosa III", die wohl schon seit Ende 1949 in Planung war und Schnellschalthebel und Entfernungsmesser bieten sollte. Realisiert wurde diese nicht mehr, der Aufwand war wohl zu groß und man musste sich heimlich eingestehen, dass die Mimosa insgesamt ein interessantes Experiment war, es am Markt aber inzwischen bessere und preiswertere Alternativen auch aus eigenem (VEB Zeiss Ikon) Hause gab. Die Mimosa ist aber heute mit nur ca. 21000 Exemplaren, den unzähligen Varianten und der tollen Geschichte dahinter eine exzellente Sammlerkamera, die jetzt auch meine Vitrine ziert.

Datenblatt kompakte Kleinbildkamera - frühe Nachkriegsneukonstruktion mit interessanter Geschichte dahinter
Objektiv Meyer Trioplan 50 mm f/2.9 (Triplet, vergütet). Kamera war auch erhältlich mit Ludwig Meritar (gleiche Spezifikation).
Verschluss Prontor-S (B-1-2-5-10-25-50-100-300), auch erhältlich mit "eigenem" Mimosa Velax (B-10-25-50-100-200) Selbstspannverschluss. Frühe Versionen auch mit Stelo-Verschluss
Fokussierung per Frontlinsenverstellung am Objektiv, minimal ca. 1.30 m. Eine spätere Version der Kamera (siehe Text) hatte einen Schneckengang für Verschiebung des gesamten Objektivs.
Sucher optischer Fernrohrsucher im Kameragehäuse. Die Mimosa I hatte nur einen angeschraubten Aufklappsucher (siehe Text).
Blitz PC-Synchronbuchse am Verschluss, allerdings kein Zubehörschuh.
Filmtransport Mit Drehknopf auf der Kameraoberseite, Doppel- und Leerbelichtungssperre, Bildzählwerk (vorwärts).
sonst. Ausstattung Stativgewinde 3/8'', ISO-Drahtauslösergewinde, Filtergewinde 25 mm
Maße, Gewicht 95x73x72 mm (Gehäusequader ohne Objektiv und Anbauteile: 95x66x49), 453 g
Baujahr(e) 1949-1950 (gesamte Serie 1948-1951), insgesamt ca. 21000 Exemplare, diese #9885 von ca. 1950.
Kaufpreis, Wert heute 225 Mark, ca. 40 - 100 € je nach Version und Ausstattung.
Links Camera-Wiki, ZeissikonVEB, Andere Dresdener Kameras, Mike Eckman
Bei KniPPsen weiterlesen Tenax I, Tenax II, Contax II, andere Post mit Bezug zu Dresden

2023-09-16

Adox 300

Die Wirtschaftswunder-50er Jahre in Westdeutschland brachten auch im Kamerabau einige seltene Blüten hervor, und diese Adox 300 ist eine davon. Alles technisch denk- und machbare wurde auch realisiert und kam auf den Markt, unabhängig davon, ob ein technisches Feature (hier: das Wechselmagazin) auch wirklich gebraucht wurde. Andere Beispiele aus meiner Sammlung in dieser Kategorie sind die Durst Automatica (unvollständig implementierte Zeitautomatik), die Witt Iloca Electric (eingebauter elektrischer Motor) oder die Wirgin Edixa electronica (elektromotorische Vollautomatik). Der Adox 300 und den anderen genannten Kameras ist gemein, dass sie seltene Blüten blieben, d.h. es verkauften sich nur ein paar Tausend Exemplare und keine davon dürfte die Entwicklungskosten des speziellen Features wieder eingespielt haben. Im Gegenteil: Der finanzielle Schaden war zum Teil so groß, dass keiner der genannten Kamerahersteller danach noch länger als solcher existiert hat.  

Aber der Reihe nach und zu dieser schicken Kleinbildkamera der Dr. C. Schleussner Fotowerke GmbH, besser unter ihrem (Film-) Markennamen ADOX bekannt. Zur Geschichte dieser Firma hatte ich bei der Adox Golf schon was geschrieben. Die Adox 300 ist eine sehr solide gebaute, aber ansonsten eher einfach gehaltene Sucherkamera mit fest eingebautem Objektiv. Der Compur-Synchro-Zentralverschluss und der eingebaute aber ungekuppelte Selenbelichtungsmesser sind gehobener Standard, sowas gab in den späten 50ern von fast jedem renomierten Kamerahersteller (z.B. Voigtländer Vito BL, Zeiss Ikon Contessa, Kodak Retinette IIB, Braun Super Colorette IB). Das besondere an der Adox 300 ist das 1956 im Kleinbildbereich einmalige Wechselmagazin für den Film, was es dem Fotografen erlaubt (weitere optional erhältliche extra Magazine für je 56 DM vorausgesetzt) mitten im Film, ggf. mehrfach hin und her, verlustfrei von Schwarz-Weiss zu Farbe oder von Dia- auf Negativ-Film zu wechseln.
Das Magazin ist quasi die halbe Kamera, enthält es doch die gesamte Filmführung inklusive Aufwickelspule, Bildzählwerk und Rückspulkurbel. Zusätzlich bedarf es natürlich eines metallenen, flexiblen Schiebers, der das Filmfenster lichtdicht verschließbar macht und Kupplungen zum Rest der Kamera für Filmtransport und um eben diesen Schieber zu bedienen. Außerdem gibt es zwei Merkscheiben für Filmmaterialart und -Empfindlichkeit, die (wie das Bildzählwerk auch) durch Fenster in der äußeren Kamera sichtbar sind.

Das Magazin verschwindet also komplett in der Kamera, dahinter geht eine fast normale Rückwand zu. Ohne Magazin funktioniert die Kamera natürlich nicht, darin unterscheidet sich die Adox 300 von Zeiss Ikon‘s späteren SLR Modellen Contarex und Contaflex, bei denen eine normale Rückwand durch ein optionales Magazin ersetzt werden konnte (aber nicht musste). Wo wir gerade dabei sind: Es gab noch wenige andere Kleinbildkameras mit Filmwechselmagazinen: Die beiden Rolleiflex SL2000F und SL3003, sowie die Mamiya Magazine 35, die 1957 auf den Markt kam und bezüglich Markterfolg das Schicksal mit der Adox teilte. Die allererste Kleinbildkamera mit diesem Feature war allerdings die Kodak Ektra von 1941 und daneben noch viele weitere Schmankerl wie Wechselobjektive und Messsucher bot. 
Aber nochmal zurück zum Magazin, der eigentlichen Erfindung hinter der Kamera: Das Deutschen Patent 1 044 601 wurde am 20.4.1956 angemeldet und am 20.11.1958 den Adox Fotowerken erteilt. Erfinder waren die Adox-Ingenieure Hermann Ploss und Hans Hell. Die beiden hatten an alles gedacht, damit der Magazinwechsel wirklich auch beim dümmsten anzunehmenden Nutzer ohne Bildverlust und Fehlbedienung vonstatten geht. Dazu mussten sie einige mechanische Sperren vorsehen, die ich versucht habe im Schaubild links zu skizzieren. Um es kurz zu machen: Das Magazin kann nur gewechselt werden nachdem ein Bild gemacht wurde, aber bevor der Verschluss wieder gespannt und der Film transportiert wurde. Nur dann läßt sich der Magazinschlüssel drehen, wobei das Magazin mit einem metallischen Schieber lichtdicht verschlossen wird, danach poppt die Rückwand auf. 
Leider gibt es einen eher zufällig auftretenden Zustand, bei dem in dieses sonst so geniale Sperren-Räderweg eingegriffen werden muss: Wenn nach dem letzten Bild der Film zu kurz ist, um einen ganzen Spannvorgang zu machen, dann verbleibt das System in einem komplett gesperrten Zustand und nichts geht mehr, sogar die Rückwand bleibt zu. Nur dafür gibt es dann ein kleines Hebelchen neben dem Sucherokular. Wenn man dies gedrückt hält, kann man den Verschluss zu Ende spannen, ohne den Film zu transportieren. Danach muss man noch einmal den Auslöser drücken (mit aufgesetzter Objektivkappe), dann kann man den Magazinschlüssel wieder drehen.

Wer aber brauchte ein Wechselmagazin wirklich, bzw. war bereit dafür extra zu bezahlen? Nicht so viele, wie sich herausstellen sollte. Laut Seriennummern wurden nur knapp 9000 Exemplare der Kamera und ungefähr doppelt so viele Magazine verkauft. Mit 298 DM plus 56 DM für ein zweites Magazin kostete die Kamera 57% mehr als eine Braun Super Colorette IB (225 DM), die ansonsten fast identisch ausgestattet war und sogar noch einen gekuppelten Entfernungsmesser besaß. Für 352 DM bekam man 1956 auch die Einstiegs-Leica (1f mit 50 mm f/3.5 Elmar, Quelle: Photo Porst Katalog). Profis und betuchte Amateure, die wirklich parallel mit zwei Filmen operieren wollten, hatte entsprechend zwei Kameras. Laut McKeown gab es Pläne für eine Adox 500, die die für eine halbprofessionelle Kamera fehlenden Ausstattungsmerkmale (gekuppelter) Entfernungsmesser und (DKL?) Wechselobjektive gebracht hätte. Natürlich hätte das die Attraktivität der Kamera erhöht, mit Wechselmagazin wäre sie aber wieder teurer als ihre direkten Konkurrenten ohne solches gewesen.

Ich denke Adox fehlte auch das Geld dafür. Immerhin bewiesen sie ein paar Jahre lang Geduld und versuchten die 300 unters Volk zu bringen. 1962 wurde die Firma ja an DuPont verkauft. Ob nur der Tod von Carl Adolf Schleussner die treibende Kraft hinter dem Verkauf war, oder gar eine finanzielle Schieflage verursacht von der defizitären Kamerasparte, kann ich von heute aus nicht mehr beurteilen. 

Zumindest das Magazin hat die Kamera überlebt: Adox verkaufte die Rechte an dem Patent und auch wohl die Werkzeuge zur Herstellung an die Firma Leitz, die es noch lange für ihre Mikroskopkamera Orthomat im Programm hatte. So findet man heute auch Magazine mit Leitz Logo, sogar in unterschiedlichen Farben. Alle Leitz-Magazine passen in die Adox 300. Auch wenn Leitz (im Gegensatz zu Adox) die Patentnummer 1,044,601 auf die Magazine druckt, handelt es sich noch lange nicht um ein Leitz-Patent, wie eine unten zitierte Quelle schreibt. Dies wurde definitiv den Adox Fotowerken erteilt.


Datenblatt Kleinbildsucherkamera mit Wechselmagazin
Objektiv Steinheil Cassar 45mm f/2.8 (Triplet), Kamera war auch mit dem hochwertigeren Schneider Xenar 45 f/2.8 (Tessar Typ) erhältlich.
Verschluss
Synchro-Compur Zentralverschlass, B-1-2-4-8-15-30-60-125-250-500 (1/s). Einige Kameras auch mit Compur-Rapid bei ansonsten gleicher Spezifikation und Ausstattung.
Belichtungsmessung Eingebauter, ungekuppelter Selenbelichtungsmesser (Bewi Automat) mit Lichtwertanzeige. Aktivierung per Knopfdruck.
Fokussierung Manuell per Frontlinseneinstellung, kürzeste Entfernung 0,9 m.
Sucher einfacher, optischer Sucher.
Blitz Anschluss per PC-Buchse, umschaltbar M und X.
Filmtransport Schnellspannhebel auf der Kameravorderseite, links neben dem Objektiv. Bildzählwerk (rückwärts, Teil jedes Film-Magazins)
sonst. Ausstattung Wechselmagazin für beliebigen verlustfreien Filmwechsel mitten in der Rolle, ein zweites optionales Magazin vorausgesetzt. Selbstauslöser, Filtergewinde 32mm, Zubehörschuh, Iso-Drahtauslösergewinde, Stativgewinde 1/4'', Merkscheiben für Filmart und -empfindlichkeit an jedem Magazin. Trageösen sowie optionale Bereitschaftstasche aus Leder.
Maße, Gewicht ca. 143 x 90 x 67 mm, 834 g (592 g + 242 g Magazin, ohne Film)
Baujahr(e) 1956-1962, diese #003323 ca. 1957, Magazin #007732, insgesamt weniger als 9000 Kameras.
Kaufpreis, Wert heute 298 DM (1957), heute ca. 200 €
Links Camera-Wiki, Photobutmore, Harrisson, DBP1044601, USP 2,980,000, Classic Camera Collection
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Adox GolfWitt Iloca ElectricDurst AutomaticaWirgin Edixa electronica, DKL, Braun Colorette, Zeiss Ikon Tenax II, Mittelformat mit Wechselmagazin