2023-10-03

Mimosa II

Die Mimosa sticht auch für versierte Sammler aus der Masse der Kleinbildkameras über die Jahrzehnte wegen ihres besonderen quaderförmigen Designs hervor, sie ist darin einzigartig und bleibt in Erinnerung. Wenn man sich dann mit ihr beschäftigt, merkt man, dass sie technisch eigentlich nichts wirklich Besonderes zu bieten hat. Die sie umgebende Geschichte um ihre Entwicklung, Herstellung und Vermarktung macht dies aber locker wieder wett. Es gibt dort ein paar noch nicht 100%ig aufgeklärte Rätsel. Die meiner Meinung nach beste Darstellung der Fakten liefern Yves Strobelt und Marco Kröger. Meine Interpretation und Kurzfassung geht so:

Wir befinden uns in den Jahren 1947 und 1948, also in der schlimmen Zeit nach dem 2. Weltkrieg, die Dresdener Kameraproduktion, vor dem Krieg strahlendes Zentrum dieser Industrie, liegt am Boden. Die politischen Umstände sind alles andere als klar, viele Menschen verlassen die sowjetische Besatzungszone Richtung Westen. Da taucht im Frühjahr 1948 eine völlig neu konstruierte und sehr solide Kleinbildkamera auf. Als offizieller Hersteller der Kamera und Namensgeber (der inoffizielle im Hintergrund kommt gleich...) gilt der seit 1904 in Dresden ansässige Fotopapier- und Film-Hersteller Mimosa AG, ein fotochemischer Betrieb! Von Feinmechanik und Kamerafertigung hatte man keine Ahnung, Maschinen dafür schonmal gar nicht. Mimosa hatte allerdings das große Glück, dass ihre Fabrikgebäude im Gegensatz zum Großteil der übrigen Kamera- und Fotoindustrie in und um Dresden weitgehend unbeschädigt die Zerstörung Dresdens überstanden hatten. Außerdem gab es in und um Dresden jede Menge arbeitslose aber hochqualifizierte Fachkräfte, die wieder Kameras bauen wollten.

1947 dämmerte die deutsche Teilung und mit ihr die Auflösung des damals noch größten deutschen Kamerakonzerns Zeiss Ikon AG in einen westdeutschen Teil mit der neuen Konzernzentrale in Stuttgart und einen ostdeutschen um die alte Zentrale in Dresden. Viele führende Mitarbeiter verließen Dresden in Richtung Stuttgart und man stritt nicht nur um Vermögenswerte und Know-How sondern noch lange um den (Marken-) Namen Zeiss Ikon. In Dresden hatte man diese neue Kamerakonstruktion in der Schublade und wollte wohl vermeiden, dass sie mit in die Streitmasse geriet. Daher wurde der vordergründig unbeteiligten Mimosa AG eine neue Kameraabteilung „angegliedert“ (wie sich Hartmut Thiele in seinem „Wer ist Wer“ ausdrückt). 

Man schlüpfte also nicht nur in Wirklichkeit unter deren Dach, sondern auch rechtlich gehörte die nun Mimosa I genannte Kamera und deren Produktionsmaschinen etc. zur alten Fotochemiefirma. Innerhalb weniger Wochen geschah im Frühjahr 1948 folgendes: Der Aufsichtsrat der Zeiss Ikon AG beschließt die Verlegung des Gesellschaftssitzes nach Stuttgart, woraufhin die sowjetische Besatzungsmacht die Beschlagnahmung der ostdeutschen Vermögenswerte bestätigt, was faktisch die Spaltung zementierte. Mehr oder weniger gleichzeitig präsentiert die Mimosa AG ihre neue Kamera auf der Leipziger Frühjahrsmesse und die Fachwelt wundert sich. Am Ende ihrer Bauzeit 1951 übernimmt der zwischenzeitlich VEB Zeiss Ikon genannte ostdeutsche Teil der Firma offiziell Maschinen und Belegschaft der Mimosa Kameraproduktion und produziert in denselben Räumen ab 1952 die erfolgreichere Taxona (Tenax I Nachfolgerin). 

Doch nun zur Kamera selbst: In einem frühen Artikel wird ihre "besonders griffige Form" und das Fehlen von "Spreizen und Klappmechanismus" als Vorteile hervorgehoben. Ich muss zugeben: kompakt ist sie, allerdings keinesfalls "griffig". Um sie mit nur einer Hand zu halten, ist sie eigentlich zu schwer (fast 500 g mit Film!) und an den Seiten zu schmal. Beim zwangsläufigen Halten mit beiden Händen kommen diese sich selbst und den Einstellelementen in die Quere. Von Ergonomie also keine Spur. Allerdings ist sie super solide gebaut (Aluminium-Gussgehäuse) und die sehr pfiffig angebrachte und komplett abnehmbare Einheit von Rückwand und Bodenplatte kann die Verwandschaft zur Contax nicht verleugnen. Die beiden verfügbaren Triplet-Objektive mit Frontlinsenfokussierung sowie die angebotenen Verschlüsse sind hingegen nur Mittelmaß und passen nicht so recht zum doch sehr stattlichen Preis von 225 Mark.

Es gab im Prinzip drei Versionen der Mimosa: Die von Anfang an "Mimosa I" genannte Version (1948, bis zu 3000 Exemplare) hatte noch einen angeschraubten Aufklappsucher. Diese "Mimosa II" hier (1949-1951) repräsentiert die Mehrheit (ca. 15000 Exemplare) aller je produzierten Kameras und kann durch den ins Gehäuse integrierten optischen Sucher identifiziert werden. Die dritte Version mit Schneckengang zur Fokussierung mit dem gesamten Objektiv kam im Frühjahr 1951 auf den Markt, wurde aber weiter mit "Mimosa II" beschriftet. Auch hiervon existieren wohl nur bis zu 3000 Exemplare. Von den genannten Versionen existieren darüberhinaus unzählige Varianten: mit und ohne Gurtösen, mit schwarzem oder silbernen Rückwandhebel, verschiedene Verschlüsse und Objektive und entsprechend viele Kombinationen.
 
Vielleicht war der Schneckengang auch nur der erste Schritt hin zur angedachten "Mimosa III", die wohl schon seit Ende 1949 in Planung war und Schnellschalthebel und Entfernungsmesser bieten sollte. Realisiert wurde diese nicht mehr, der Aufwand war wohl zu groß und man musste sich heimlich eingestehen, dass die Mimosa insgesamt ein interessantes Experiment war, es am Markt aber inzwischen bessere und preiswertere Alternativen auch aus eigenem (VEB Zeiss Ikon) Hause gab. Die Mimosa ist aber heute mit nur ca. 21000 Exemplaren, den unzähligen Varianten und der tollen Geschichte dahinter eine exzellente Sammlerkamera, die jetzt auch meine Vitrine ziert.

Datenblatt kompakte Kleinbildkamera - frühe Nachkriegsneukonstruktion mit interessanter Geschichte dahinter
Objektiv Meyer Trioplan 50 mm f/2.9 (Triplet, vergütet). Kamera war auch erhältlich mit Ludwig Meritar (gleiche Spezifikation).
Verschluss Prontor-S (B-1-2-5-10-25-50-100-300), auch erhältlich mit "eigenem" Mimosa Velax (B-10-25-50-100-200) Selbstspannverschluss. Frühe Versionen auch mit Stelo-Verschluss
Fokussierung per Frontlinsenverstellung am Objektiv, minimal ca. 1.30 m. Eine spätere Version der Kamera (siehe Text) hatte einen Schneckengang für Verschiebung des gesamten Objektivs.
Sucher optischer Fernrohrsucher im Kameragehäuse. Die Mimosa I hatte nur einen angeschraubten Aufklappsucher (siehe Text).
Blitz PC-Synchronbuchse am Verschluss, allerdings kein Zubehörschuh.
Filmtransport Mit Drehknopf auf der Kameraoberseite, Doppel- und Leerbelichtungssperre, Bildzählwerk (vorwärts).
sonst. Ausstattung Stativgewinde 3/8'', ISO-Drahtauslösergewinde, Filtergewinde 25 mm
Maße, Gewicht 95x73x72 mm (Gehäusequader ohne Objektiv und Anbauteile: 95x66x49), 453 g
Baujahr(e) 1949-1950 (gesamte Serie 1948-1951), insgesamt ca. 21000 Exemplare, diese #9885 von ca. 1950.
Kaufpreis, Wert heute 225 Mark, ca. 40 - 100 € je nach Version und Ausstattung.
Links Camera-Wiki, ZeissikonVEB, Andere Dresdener Kameras, Mike Eckman
Bei KniPPsen weiterlesen Tenax I, Tenax II, Contax II, andere Post mit Bezug zu Dresden

1 Kommentar:

  1. Der Artikel macht mich neugierig und führt mich in Versuchung, meine eigene Mimosa aus der Vitrine zu holen und auszuprobieren.

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