2021-03-27

Nagel Pupille @work

Schon länger habe ich keinen Filmtest für eine meiner alten Kameras gemacht, bei der Nagel Pupille mit ihrem Leitz Elmar musste es aber mal wieder sein. Schon vor einiger Zeit hatte ich  einen 127er Rollfilm gekauft (RERA Pan 400 aus japanischer Produktion). Entwickelt habe ich selbst und zwar im FX-39 II, 11 min bei 20°C. Die Negative habe ich dann mit meiner Digitalkamera und Makro-Objektiv abfotografiert und digital zum Positiv verwandelt und optimiert. Beim digitalen Workflow habe ich mir nicht die größte Mühe gegeben, hier könnte man wohl noch mehr aus den Negativen rausholen. Trotzdem war ich mit den Resultaten sehr zufrieden und möchte hier exemplarisch 3 Bilder von unserem Hund als Modell posten. 


Das Fotografieren mit dem 90 Jahre alten Schätzchen ging mir eigentlich ganz gut von der Hand. Film Einfädeln ist fummelig bei der Kamera, dafür soll er besonders plan liegen. Die Kamera liegt klein, aber schwer in der Hand, besonders ergonomisch ist fast nichts. Lediglich der große Schneckengang erlaubt sehr präzises Fokussieren, falls man die Entfernung zum Objekt auf den Zentimeter genau geschätzt hat. Filmtransport und Verschlussspannen sind gänzlich entkoppelt und ich bin echt stolz, dass ich weder eine Doppelbelichtung noch eine Leeraufnahme produziert habe. 


Ein Sache hatte ich allerdings nicht richtig durchdacht: Der 400 ASA Film passt nicht zu so einer alten Kamera mit einer kürzesten Verschlusszeit von lediglich 1/300 s und kleinster Blende f/16. Bei vollem Tageslicht ist man selbst im Winter schnell am Rande des Einstellungsbereiches oder darüber hinaus. Daher habe ich die meisten Aufnahmen in der Abenddämmerung oder im Innenraum gemacht, die häufigste Kombination war wohl 1/100 s und f/5.6. 

P.S. Unser Hund Louis hat es schon mehrfach in dieses Blog geschafft. Zum Vergleich hier eine Aufnahme als Welpe.

2021-03-14

Nagel Vollenda 48

Meine 3x4-Kamerasammlung wächst weiter, die Nagel Vollenda 48 ist schon die elfte dieser Halbformatkameras für den 127er Rollfilm, sowie die neunte aus deren kurzer Blütezeit um 1931. Es ist schon die zweite aus dem Dr. August Nagel Kamerawerk in Stuttgart. Die erste war die Pupille, die auch 1931 kurz vor der Vollenda auf den Markt kam. Beide spielen trotz einiger Gemeinsamkeiten in verschiedenen Ligen. Die Pupille ist mit ihrem großen und präzisem Schneckengang, dem hochwertigen Leitz Elmar und dem Compurverschluss ein super-kompaktes Stück Messing für den gehobenen Foto-Amateur. Die direkte Wettbewerberin hieß Leica! Die Vollenda 48 hingegen war (in der hier gezeigten Ausstattung) auch preislich der Einstieg in die Kleinfilm-Klasse. Mit ihrem Aluminiumblech-Gehäuse, dem einfachen Pronto-S Verschluss und dem dreilinsigen Radionar mit Frontlinsenfokussierung kostete sie weniger als ein Drittel der Pupille und sollte die Massen ansprechen, auch als Immerdabei-Zweitkamera wurde sie beworben.
Die beiden ungleichen 3x4 Schwestern aus dem Nagel Kamerawerk. Links die Vollenda 48 konkurrierte in dieser Einfachausführung um den Einstieg in diese Kameraklasse, während die Pupille rechts die Spitzenposition in dieser Kleinfilm-Kameraklasse beansprucht. 
Fairerweise muss man erwähnen, dass es auch von der Vollenda besser ausgestattete Varianten gab. Mit einem Zeiss Tessar oder einem Elmar und Compur-Verschluss kam auch diese Kamera preislich in den Bereich der Pupille (siehe Porst Katalogseite von 1932 unten). Gut fotografieren konnte man (und kann ich immer noch!) mit beiden.

Über mein Exemplar, was ich günstig erwerben konnte, bin ich sehr glücklich. Es ist für seine 90 Jahre extrem gut in Schuss und gehört nach meiner Analyse zu den ersten Kameras des Modells. Neben den Seriennummern von Objektiv und (ggf.) Compur-Verschluss tragen die Nagel-Kameras im Inneren eine eigene Gehäuse-Seriennummer (118442 in meinem Fall, meine Pupille hat die 90563). Leider habe ich im Internet zur entsprechenden zeitlichen Einordnung nichts richtiges gefunden, daher habe ich mich selbst an die Arbeit gemacht. 
1928 < 3000
1929 3,000 - 20,000
1930  20,000 - 80,000
1931  80,000 - 148,000
1932  148,000 - 168,000
1933  168,000 - 380,000
1934  380,000 - 650,000
1935 ff  > 650,000
vorgeschlagene Seriennummern-Sequenz für Nagel und (ab Mitte 1932) Kodak/Nagel-Kameras
Ich habe also im Netz Fotos und Informationen zu Nagel -Kameras und insbesondere zur Vollenda 48 gesucht und insgesamt zu 33 Vollenda 48 Gehäuseseriennummern plus weitere Nummern vom Compur-Verschluss und/oder dem Objektiv gefunden. Damit gelingt die zeitliche Einordnug ganz gut. Daher möchte ich hier eine (vorläufige) Seriennummernsequenz (siehe Tabelle links) vorschlagen. Die Daten von vor 1931 stammen von anderen Nagel Rollfilm und Plattenkameras; hier bin ich allerdings noch dran, die Datenbasis zu vergrößern. 
Die älteste Vollenda 48, die ich gefunden habe, trägt die 115369 (Compur #2400080), ausgestattet mit einem Schneider Radionar f/3.5, das leider seine Seriennummer am Hinterlinsenglied hat. Meine war also die zweit-älteste! 
Interessanterweise stammen 20 von den 33 gesichteten Exemplaren von 1931, was tatsächlich die Hauptproduktionszeit der Kamera gewesen sein muss. Dies deckt sich recht gut mit meinen anderen Beobachtungen und Schlussfolgerungen über die gesamte 3x4-Kameraklasse. Aus dem Wirtschaftskrisenjahr 1932 stammten nur 3 Kameras, darunter mit der Nummer 154767 die erste, die ein Kodak- statt des Nagel-Schildchen über dem Objektiv ziert. August Nagel hatte bekanntermaßen seine Firma 1932 an Kodak verkauft, blieb aber danach weiterhin Geschäftsführer der deutschen Produktion und war auch an der weiteren Entwicklung maßgeblich beteiligt. Dem Jahr 1933 konnte ich 4 Vollenda 48 Kameras zuordnen (Seriennummern um 170,000). Die Jahre 1934 und 1935 standen wohl ganz im Zeichen der neuen Retina, deren Seriennummern woanders ganz gut dokumentiert sind, hier aber ins Schema passen. Schließlich gab es wohl eine letzte Vollenda 48 Serie im Jahre 1936, alle davon mit Compur Rapid Verschluss und dem Schneider Radionar f/3.5. Deren Seriennummern beginnen mit 956xxx und wurden alle in den USA gesichtet (z.B. diese hier von Mike Eckman).
Es gibt übrigens zwei Varianten der Kamera, über deren Unterschiede ich hier schreibe. Frühe Kameras (bis ca. Seriennummer 126xxx) haben denselben Knopf wie die Pupille (siehe Fotos), alle späteren Vollendas haben einen "Schlüssel", wie auch die anderen Vollenda Kameras für größere Bildformate. 

Interessant ist auch die Verteilung der Objektive unter den gesichteten Kameras: Über die Hälfte hatte ein Schneider Radionar (meist f/3.5), nur eine einzige ein Xenar. Zeiss Tessare habe ich 4 mal gesichtet, davon nur eines mit f/2.8 (die anderen f/3.5). Sehr häufig zu finden (36%) war allerdings das Leitz Elmar f/3.5. Hier vermute ich aber, dass diese Kameras von der Leitz/Leica Fan- und Sammlergemeinde bevorzugt dokumentiert und gehandelt werden und daher in meiner Stichprobe überproportional auftauchen.
Auf eine Besonderheit meines Exemplares bin ich noch gestoßen, man kann dies auf den Fotos erkennen. Auf das Hinterlinsenglied im Inneren der Kamera ist eine leicht rötliche plane Glasscheibe mit drei Tropfen Kleber geklebt. Wohl eine nachträgliche Modifizierung, ein UV-Filter? Ich würde mich sehr über Kommentare (s. unten) oder auch e-mails (knippsen (at) icloud.com) zum Thema freuen. Insbesondere sammele ich natürlich weiterhin Seriennummern von Nagel Kameras, um meine Zuordnung weiter zu verfeinern. Immer her damit!

Datenblatt Faltbalgenkamera für 3x4 cm Negative auf Rollfilm 127.
Nagel Vollenda 48, Version 1. 
Objektiv Schneider Radionar 5 cm f/4.5, auch mit Radionar f/3.5 oder Xenar f/3.5, Leitz Elmar f/3.5 oder Carl Zeiss Tessar f/3.5 oder f/2.8 erhältlich.
Verschluss Pronto -S (T-B-100-50-25), selbstspannend mit Selbstauslöser. Die meisten Kameras wurden mit dem Compur 300 verkauft, späte Versionen auch mit dem Compur-Rapid.
Fokussierung Mit dem Radionar f/4.5 durch Verstellung der Frontlinse. Alle anderen Objektive über Schneckengang und Verschieben des gesamten Objektivs.
Sucher in dieser Version einfacher Aufklappsucher. Höherwertige Versionen haben einen optischen Aufklappsucher.
Filmtransport Mittels Drehknopf (früher Version) oder Drehschlüssel (ab ca. Ende 1931), doppeltes rotes Bildnummern-Fenster für Halbformat
sonst. Ausstattung Stativgewinde 3/8'', Anschlussgewinde für Drahtauslöser
Maße, Gewicht ca. 33x76x110 mm (zusammengeklappt),  302 g
Baujahr(e) 1931-1933 und 1936,  ab 1932 als Kodak Vollenda 48. Insgesamt ca. 43,000 Exemplare, davon ca. 30,000 im Jahr 1931.
Kaufpreis, Wert heute in dieser Version 42.50 RM, mit Tessar f/2.8 bis zu 129 RM. Wert heute je nach Zustand und Ausstattung 50-150 €
Links Camera-WikiUKCamera (Archiv), Living Image, Blende und Zeit Forum 
Bei KniPPsen weiterlesen Version 2 und UnterschiedeAugust Nagel, Nagel/Kodak Vorkriegsproduktion in ZahlenKodak Vollenda 620, 3x4-Kameras von 1931, Nagel Pupille, Compur Seriennummern, 127 Film

Die Nagel Vollenda 48 im Photo Porst Katalog von 1932
Kodak Vollenda Anzeige (1933) für den amerikanischen Markt

2021-03-08

Dr. Paul Rudolph


Heute vor 86 Jahren, am 8. März 1935 starb Paul Rudolph in Nürnberg im Alter von 76 Jahren (geb. am 14.11.1858 in Kahla). Paul Rudolph war der wichtigste Angestellte der Firma Carl Zeiss in Jena und man kann ihn in aller Bescheidenheit den Vater des modernen fotografischen Objektivs nennen. Er schuf die wichtigsten Objektivkonstruktionen, die wir z.T. auch heute noch verwenden. Natürlich hat er nicht alles alleine erfunden und auch bei der Konkurrenz von Zeiss gab es einige gute Köpfe, die andere wichtige Designs erdacht haben. Aber die Lebensleistung dieses Menschen ist im Rückblick sehr beachtlich, der Lebensweg höchst interessant. 
Der begann in relativ bescheidenden Verhältnissen und führte über den zweiten Bildungsweg. Nach mittlerer Reife und einjährigem Militärdienst machte er als Externer das Abitur am Gymnasium in Altenburg (mit Auszeichnung) und studierte dann Physik und Mathematik an den Universitäten von München, Leipzig und Jena. Dort wurde er Assistent seines Professors Ernst Abbe. Nach der Promotion zum Dr. phil. 1884 holte ihn Abbe 1886 als Objektivrechner zu Carl Zeiss, wo er sich zunächst mit Konstruktionen von Mikroskop-Objektiven und Feldstechern beschäftigte.  
Rudolphs erste erfolgreiche Konstruktion war
der Anastigmat, später von Zeiss als PROTAR 
vermarktet. Front- und Rückgruppe konnten
auch als einzelne Objektive verwendet werden. 

Ab 1888 standen fotografische Objektive im Zentrum seines Schaffens und schon am 2. April 1890 wurde seine größte Erfindung zum Patent DRP 56109 angemeldet. Es handelte sich um den ersten Anastigmaten, also ein Objektiv, bei dem dem der berüchtigte Abbildungsfehler Astigmatismus weitgehend korrigiert ist. Er kombinierte dabei geschickt Zerstreuungs- sowie Sammellinsen aus verschiedenen Glassorten, so dass sich deren einzelne Abbildungsfehler gegenseitig aufheben. Erst 1893 brachte der englische Konkurrent Cooke sein berühmtes Triplet auf den Markt, das ebenso gute Abbildungsleistungen zeigte, allerdings mit seinen drei Einzellinsen viel einfacher und günstiger zu bauen war. 
Planar (1896)

Aber da war Rudolph mit seinem Team in Jena schon weiter und berechnete immer neue Kombinationen von Glaslinsen aus neuartigen optischen Gläsern, die vom Jenaer Glaswerk Schott & Genossen, an dem auch  Abbe und Zeiss beteiligt waren, zur Verfügung gestellt wurden. 1896 wurde das berühmte Planar patentiert (DRP 92313), ein sechslinsiger "Doppel-Gauß" mit relativ großer Öffnung und besonders geringer Bildfeldwölbung, ein anderer wichtiger Abbildungsfehler. Das Planar bildet die Basis für die meisten hochwertigen Standard-Objektive bis in die heutige Zeit, trat seinen Siegeszug aber erst nach der Erfindung der Linsen-Vergütung (und damit auch Rudolphs Tod 1935) an.
Tessar f/6.3 (1902)
Paul Rudolph konzentrierte seine Arbeit nach dem guten, aber komplizierten Planar auf einfachere und damit billiger zu realisierende Systeme. 1899 entwickelte er zunächst das vierlinsige UNAR (DRP 134408), das aber nur ein Zwischenschritt darstellte zu seinem berühmtesten Objektiv, dem ebenfalls vierlinsigem TESSAR (DRP 142294), das 1902 rauskam. Zunächst in der damals beachtlichen Lichtstärke f/6.3 gerechnet, wurde es im Laufe der nächsten Jahrzehnte immer weiter durch Verwendung neuer Glassorten auf f/3.5 oder gar f/2.8 verbessert. Mit seinen 4 Linsen in drei Gruppen war es ähnlich simpel zu bauen wie das Cook'sche Triplet, hatte aber deutlich bessere Abbildungsleistungen. Nicht von ungefähr erhielt es seinen Spitznamen "Adlerauge" und wurde für mehr als 70 Jahre DAS Standardobjektiv vieler Kameras. Darin eingeschlossen sind natürlich seine vielfältigen Klone, die schon vor Ablauf der Patentzeit unter Lizenz gebaut wurden, aber natürlich besonders danach. Bekannte Namen sind das Leitz ELMAR, Voigtländer SKOPAR, Schneider XENAR und viele mehr. 

Ab ca. der Jahrhundertwende war das Verhältnis von Rudolph zu seinem Arbeitgeber Carl Zeiss von immer mehr Spannungen geprägt. Es ging wohl auch um Lizenzzahlungen für die vielfältigen und wertvollen Patente, aber auch um Aktivitäten außerhalb seiner eigentlichen Aufgaben als Objektivrechner und Konstrukteur. So war Paul Rudolph auch am Palmos Camerwerk in Jena beteiligt, das 1902 schon nach nur zwei Jahren Betrieb in wirtschaftliche Schieflage geriet und verlustreich von Carl Zeiss gerettet bzw. geschluckt wurde. Der Streit zog sich über ein paar Jahre und wurde schließlich 1910 mit einem Vergleich beendet. Rudolph schied aus dem Angestelltenverhältnis aus, erhielt weiterhin großzügige Lizenzeinnahmen aus seinen Patenten, die ihm ein sorgenfreies Leben als Privatier ermöglichten, durfte aber im Gegenzug nicht bei der Konkurrenz Voigtländer in Braunschweig anheuern. 

Makro Plasmat f/2.7
Von seinem Gut im Vogtland kehrte er 1918 während des ersten Weltkriegs zu einem sog. Zivildiensteinsatz zu Zeiss in Jena zurück und entwickelte in dieser Zeit das Plasmat Objektiv (f/4.5), welches danach in kleiner Stückzahl von Hugo Meyer in Görlitz gebaut wurde. Bei dieser Firma heuerte er im Anschluss mit über 62 Jahren wieder an, weil seine Lizenzeinnahmen in den Zeiten der Inflation wertlos wurden und er davon nicht mehr leben konnte. Für Meyer entwickelte und verfeinerte er die Plasmat Konstruktion immer weiter. Es entstanden die super lichtstarken Kino-Plasmate f/2 und f/1.5 (für Filmkameras) sowie das Macro-Plasmat f/2.7 (DRP 456912) für Kleinbildkameras. Von Meyer-Optik Görlitz wurde es in einer Broschüre als "absolut frei von Verzeichnung und anderen optischen Defekten" beschrieben, war aber zu seiner Zeit auch eines der teuersten Objektive am Markt. Auch heute noch zehrt es von seinem Ruf und Sammler zahlen Unsummen dafür, wie ich neulich feststellen konnte.

Wie es danach mit Paul Rudolph weiterging ist nicht im Detail bekannt, 1928 mit immerhin 70 Jahren muss er wohl noch gearbeitet haben, damals ist das Portrait oben entstanden. Was er in seinem Leben geleistet hat, ist beachtlich. Man kann sich heute kaum noch vorstellen, solche komplexen mathematischen Optimierungsaufgaben mit Papier, Stift und Rechenschieber zu erledigen. Er starb schließlich 1935 in dem Jahr, in dem seine Nachfolger bei Zeiss in Jena die optische Vergütung von Linsen im Markt eingeführt haben. Ob er das und die damit verbundenen Möglichkeiten für zukünftige Konstruktionen noch realisiert hat, ist leider nicht bekannt.