2021-08-16

Die Geschichte des heißen Schuhs

Der erste „hot shoe“, hier an meiner Universal Mercury II 

„Cold Shoe“ an meiner Leica III
Was im englischen kurz „hot shoe“ genannt wird, heißt in der deutschen Langversion „Zubehörschuh mit Mittenkontakt“ (für Blitzsynchronisation). Seine Geschichte beginnt natürlich als einfacher Zubehörschuh, später rückblickend  als „cold-shoe“ bezeichnet, gegen 1913 in der Werkstatt von Oskar Barnack bei Leitz in Wetzlar. In den 1920er und 1930er Jahren fand er schnell Verbreitung und wurde von den meisten Kameraherstellern verwendet. Gedacht war er anfangs nicht für Blitzgeräte, sondern für Aufstecksucher oder -Entfernungsmesser. Später kamen auch noch Belichtungsmesser dazu. 
Blitzbirnen wurden erst 1925 erfunden und es dauerte bis in die Mitte der 1930er, dass sich praktikable und einigermaßen erschwingliche Lösungen (sprich: integrierte Blitzgeräte) durchsetzen. Zunächst wurden ein paar Verrenkungen unternommen, um Blitz und Auslösung zu synchronisieren, meist löste dabei der Blitz die Kamera aus. Da Blitzbirnen elektrisch gezündet werden, lag es nahe, den Schalter dafür in die Kamera (bzw. genauer: in den Verschluss) zu verlegen, und das Blitzgerät wurde per Kabel angeschlossen. Auch dazu gab es verschiedene Stecker, aber recht zügig setzte sich die bis heute übliche 3mm-Buchse, auch PC-socket („Prontor-Compur“ Buchse) dafür durch. Sie wurde mit den entsprechenden „Synchro“-Zentralverschlussvarianten ca.1935 eingeführt.
Auf die Idee ein Aufsteck-Blitzgerät direkt ohne Kabel über einen entsprechend modifizierten Zubehörschuh anzuschließen kam als erste die amerikanische Firma Universal, die 1938 ihre Mercury mit diesem Feature vorstellte. Ein Bild vom gesamten Ensemble mit Blitz gibt es auf der Camera-Wiki Seite. Aber bis auf ihre Nachkriegsschwester Mercury II (1946) und der Argus 21 (1947, und deren Nachfolger C4 und C44) gab es so gut wie keine Nachahmer. Die erste europäische Kamera mit einem hot-shoe war die Bell&Howell Foton (1948). Die gesamte deutsche und damals (trotz verlorenem Krieg) noch führende Kameraindustrie ignorierte das Feature erstmal. Polaroid brachte es 1954 mit ihrer sehr erfolgreichen Highlander, aber erst ab Ende der 1950er Jahre mit dem Aufkommen von Elektrik und Elektronik in den Kameras kam Fahrt in die Sache.
Typischer „Hot Shoe“
(Olympus 35 SP)
Nach meinen Recherchen ging es in Deutschland 1959 mit der Braun Paxette Electromatic los, eine Kamera, die als vollautomatische KB-Kamera beworben wurde und der daher auch der kabellose Blitzanschluss nicht fehlen sollte. Damit war das Marktsegment für dieses „neue“ Feature gesetzt: Hochwertige, mehr oder weniger vollautomatische Kleinbild-Sucherkameras. Zu dem weiteren gehörten: Agfa Optima Ia (1962), Kodak Retinette Ib (Typ 045, 1963), Voigtländer Vitomatic IIb (1964). Dazu gab es einfache Aufsteck-Blitzgeräte wie das Agfa IsI M für Blitzbirnchen. Ab Mitte der 1960er Jahre kamen fast alle neuen Sucherkameras mit Zubehörschuh und Mittenkontakt, auch und gerade die einfachen bzw. auch welche für Rollfilm, Rapid- oder 126er Kassette (z.B. Agfa Isomat Rapid oder Kodak Instamatic 500, beide von 1965).

Die japanischen Kamerahersteller versuchten es zunächst mit proprietären hot-shoes, los ging es schon 1951 mit der Nikon S (auch alle späteren Nikon RF hatten diesen Schuh mit zwei länglichen Kontakten). Der Schuh der Konica IIIm von1959 sah schon eher wie der Standard-Schuh aus, war aber ebenfalls nicht kompatibel mit den meisten Blitzgeräten. Den heute gebräuchlichen hot-shoe spendierten die japanischen Produzenten erst ab 1965 nach und nach ihren Kameras. Minolta startete 1965 mit der Electro Shot, Olympus stellte seine PEN-Serie sukzessive ab 1967 um, Canonet‘s gab es ab 1969 mit Mittenkontakt. Seltsamerweise war der Elektronik-Pionier Yashica bei den letzten, hier gab es einen Mittenkontakt erst ab 1973 für die erfolgreiche Electro 35 Serie.

Praktica LLC (1969)
Auch das Spiegelreflexkamera-Segment, sonst oft Vorreiter technischer Innovationen, ließ sich bis auf eine Ausnahme Zeit. Diese heißt Nikon F und hatte schon 1959 einen speziellen Zubehörschuh mit Blitzkontakt, allerdings wegen der Wechselsucher um die Rückspulkurbel herum und komplett inkompatibel mit Nikon-fremden Zubehör. Die erste SLR, die ich mit dem standard hot-shoe finden konnte, ist die Kodak Retina Reflex IV von 1964, Nummer zwei die Rollei SL26 (1968), beide aus deutscher Produktion und beide kein typischer Vertreter der Mainstream SLR. Die kamen erst ab Ende 1968, die erste war der Elektronik-Pionier Yashica TL Electro-X, danach habe ich die Praktica LLC (1969). Dann folgten ab ca. 1971 die neuen Kameras mit elektronischem Verschluss  (Pentax ES, Nikkormat EL, etc.). Ab spätestens 1973 findet man den hot shoe an fast jeder SLR, seien es neue Modelle oder Neuauflagen alter Bestseller wie z.B. Nikkormat FT2 (eine FT-N mit hot shoe) bzw. Minolta SR-T 303

Canon AE-1 (1976)
Ab Mitte der 1970er Jahre, getriggert durch die nun preiswert verfügbaren Elektronenblitzgeräte, kommt nach fast 40 Jahren neue Innovation in den hot shoe (er wird quasi noch heißer…). Mit der ersten Massen-SLR AE-1 führt Canon 1976 zwei zusätzliche proprietäre Kontakte neben dem genormten Mittenkontakt ein, die eine Blitzbereitschaftsanzeige im Sucher und die automatische Umschaltung auf die Blitzsynchronzeit erlauben. Fast alle anderen SLR-Hersteller machen das nach, natürlich nicht kompatibel zu einander. Der kleinste gemeinsame Nenner bleibt nur der dicke Kontakt in der Mitte. Zusätzliche Kontakte erlauben dann auch die TTL-Blitzsteuerung (erstmalig mit der Olympus OM-2, 1978). 

Moderne DSLR Kameras haben bis zu fünf zusätzliche Kontakte, Minolta führte 1988 sogar einen gänzlich neuen Hot-shoe ein, der überhaupt nicht mehr kompatibel war. Natürlich gab und gibt es Adapter, insbesondere ist der SCA („System Camera Adapter“) von Metz und 6 anderen Europäischen Blitzhersteller zu nennen. 

Damit ist meine kurze Geschichte des „heißen Schuhs“ erst mal zu Ende. Ich habe schon länger vergeblich nach etwas entsprechendem im Netz gesucht, musste es daher selbst machen. Alles ist natürlich sorgfältig recherchiert, Gewähr möchte ich für die Infos dennoch nicht übernehmen. Daher die Bitte: Wem hier ein Fehler auffällt, bzw. etwas zu ergänzen hat, bitte hier unter per Kommentar melden oder mir eine email schreiben (Knippsen (at) iCloud (dot) com).


2021-08-01

Adox Golf 63


Diese Kamera bekam ich aus einer Haushaltsauflösung geschenkt und ich muss zugeben, dass ich sie sonst wohl kaum beachtet hätte. Von der Fotomarke Adox hatte ich schon mal gehört und ich konnte die Kamera auch zeitlich richtig ans Ende der 1950er Jahre einordnen, besitze ich doch mit der Agfa Isolette II eine direkte Konkurrentin. Aber so bin ich gezwungen gewesen, mich mit der Geschichte von Adox und der "Golf" zu beschäftigen. Als Bewohner des Rhein-Main-Gebietes ist es für mich sogar fast Lokalgeschichte, denn diese spielt in Frankfurt und der näheren Umgebung und nicht wie sonst in Dresden, München oder Stuttgart. Ich habe also einiges Interessantes gelernt.


Bei den Recherchen zur Kamera selbst bin ich relativ schnell auf Michael Spenglers exzellente Adox Golf Seite gestoßen. Dem gibt es wohl nichts hinzuzufügen und ich will es hier auch nicht wiederholen. Mein Exemplar ist die späte Basisversion der Golf 63 (Typ 2c), mit der Seriennummer 489619 des Adoxar gehört sie fast ganz ans Ende der Produktion, die wohl 1959 bei knapp über Seriennummer 500000 endete. 

Was Michael Spengler allerdings nicht gemacht hat, ist "die Golf" in den damaligen Marktkontext einzuordnen. Ihre größte Konkurrentin (mit fast identischen Merkmalen und Dimensionen) hieß Agfa Isolette II. Die Isolette hatte diese Kameraklasse der relativ kompakten Faltbalgen-6x6-Rollfilmkameras einst in der Mitte der 1930er Jahre begründet und spätestens nach dem Krieg viele Nachahmer gefunden. So wie die Adox Golf wurden die allermeisten im Jahrzehnt zwischen 1950 und 1959 produziert und verkauft. Hier mal eine schnelle Liste ähnlicher Kameras (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Dacora 120, Balda Baldix, Franka Solida, Zeiss Ikon Nettar II (517/16 bzw. 518/16), Voigtländer Perkeo 6x6.  Sie waren Kameras für's Wirtschaftswunder-Volk, preislich über den einfachen Boxkameras, dafür lieferten sie aber mit den meist dreilinsigen Objektiven und präziseren Zentralverschlüssen deutlich bessere Bildqualität. Im Vergleich zur Kleinbildkamera konnte man sich eine 6x6 cm Kontaktkopie notfalls auch so anschauen, Photo Porst lieferte 1956 sogar 9x9 cm Vergrößerungen zum selben Preis. Und wie bei der Adox Golf gab es stets verschieden lichtstarke Objektive und schnelle Verschlüsse zur Auswahl, Topmodelle hatten eingebaute Entfernungsmesser. Das alles natürlich zum entsprechenden Aufpreis. Adox hat (so wie Agfa auch) Kameras hauptsächlich gebaut, um den eigenen Filmabsatz anzukurbeln, daher wurden eher einfache Kameras gebaut und die Produktion der Kameras auf geringe Kosten getrimmt. 
Die Adox Golf 63 neben ihrer wichtigsten Konkurrentin Agfa Isolette II.
 
Mit viel Interesse habe ich mich auch in die Geschichte der Firma und Marke ADOX vertieft. Hier die Kurzform, meine Quellen habe ich unten in der Tabelle verlinkt. Alles beginnt mit dem Chemiker Carl Schleussner (1830-1899), der nach Promotion und Heirat die Siegellackfabrik seines Schwiegervaters im Frankfurter Bahnhofsviertel übernimmt und dort sich ab 1860 auf Fotochemie spezialisiert. Angeblich die erste fotochemische Fabrik der Welt. Als eines der ersten Unternehmen wurden ab 1881 Trockenplatten angeboten. Ab 1892 übernahmen seine Söhne, insbesondere der ebenfalls zum Chemiker ausgebildete und promovierte Carl Moritz (1868-1943) kooperierte mit Wilhelm Röntgen und produzierte als einer der ersten ab 1896 Röntgenfilme. Die Firma expandierte und wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, von der die Kurzform ADOX (Aktiengesellschaft DOktor C. Schleussner) abegeleitet wurde. Ab 1920 übernahm die dritte Generation. Carl Adolf Schleussner (1895-1959) verlegte die Produktionsstätten aus Frankfurt ins neu errichtete Werk in Neu-Isenburg und etabliert eine Celluloidfilm-Produktion in Wiesbaden-Biebrich. Ab 1938 übernimmt ADOX die Kameraproduktion von Wirgin in Wiesbaden, deren jüdische Eigentümer vor den Nazis nach USA fliehen mussten. Nach dem Krieg wird der Kauf rück-abgewickelt, Adox verlegt die eigene Kameraproduktion ins Werk in Biebrich, wo dann die Golf produziert wird. Wirgin produziert im Lohn für Adox die Polo KB-Kameraserie. Nach dem Unfalltod von Carl Adolf 1959 zieht sich die Familie Schleussner aus dem Fotogeschäft zurück und verkauft 1962 das Werk in Neu-Isenburg und das daran hängende Geschäft an den Chemiegiganten Dupont. Der behält mittelfristig nur das Medizinproduktegeschäft und verkauft Röntgenfilme unter der Marke ADOX. Die übrigen Fotofilm-Maschinen werden 1973 an Fotokemia im damaligen Jugoslawien verkauft, der die alten ADOX-Rezepturen als Efke-Film auf den Markt bringt und bis in die 1990er Jahre verkauft. Dupont veräußert sein Röntgengeschäft 1999 mit der Marke ADOX an seinen Konkurrenten Agfa-Gevaert in Belgien, der die Marke allerdings nicht weiterverwendet und 2003 fallen lässt (DuPont selbst verwendet die Marke immer noch für die Chemikalie Natriumchlorit). Das Berliner Analog-Foto-Start-up Fotoimpex sichert sich die Markenrechte für Fotoprodukte in 2003 und baut seitdem das Portfolio an ADOX Filmen und Fotochemikalien immer weiter aus. Basis sind alte Adox und Agfa Rezepturen. Tolle Geschichte mit Happy End.


Datenblatt Einfache 6x6 cm Faltbalgenkamera für 120er Rollfilm
Objektiv Adoxar 75mm f/6.3 (Dreilinser, Hersteller: Will, Wetzlar). Am Ende der Baureihe auch mit Adoxar f/4.5 erhältlich. Die frühen Golfmodelle I, II und IV, sowie die entsprechenden Mess-Golf hatten ein Steinheil Cassar f/4.5 oder f/3.5 (Vierlinser, Tessar-Typ)
Verschluss Gauthier Vario (B-25-50-200), separat vom Filmvorschub zu spannen. Auch erhältlich mit dem Pronto (B-25-50-100-200) oder Prontor-S (B-1-2-5-10-25-50-100-300, mit Selbstauslöser)
Fokussierung manuell per Frontlinsenverstellung, kürzeste Entfernung: 1 m
Sucher einfacher optischer Newton-Sucher
Blitz per Synchronbuchse am Verschluss
Filmtransport per Drehknopf und rotem Filmfenster in der Rückwand, Doppelbelichtungssperre am Gehäuseauslöser
sonst. Ausstattung Zubehörschuh für Blitz oder Entfernungsmesser, ISO-Gewinde für Drahtauslöser, Stativgewinde ¼''. Modelle mit Prontor-S: Selbstauslöser. Mess-Golf: eingebauter, ungekoppelter Entfernungsmesser
Maße, Gewicht ca. 138 x 92 x 40 mm, 474 g 
Baujahr(e) Modelle I, II, IV: 1952-1954, ca. 50.000 Exemplare, davon ca. 20.000 "Mess-Golf"
Modelle 63, 63S und 45S: 1954-1959, ca. 362.000 Exemplare. Dieses #489619 zum Ende der Bauzeit.
Kaufpreis, Wert heute Modell 63 (1954): 49,75 DM, Spitzenmodell Mess-Golf IV: 169,-- DM
Wert heute je nach Zustand und Modell: 5-30 €
Links Die Adox Golf (M. Spengler)Bleckedermoor.de, Bedienungsanleitung, Adox Geschichte, Schleussner Biographie, Sabine Hock's biografischer ArtikelWikipedia (engl.), Camera-wiki (Golf), Camera-Wiki (Adox)