2021-08-01

Adox Golf 63


Diese Kamera bekam ich aus einer Haushaltsauflösung geschenkt und ich muss zugeben, dass ich sie sonst wohl kaum beachtet hätte. Von der Fotomarke Adox hatte ich schon mal gehört und ich konnte die Kamera auch zeitlich richtig ans Ende der 1950er Jahre einordnen, besitze ich doch mit der Agfa Isolette II eine direkte Konkurrentin. Aber so bin ich gezwungen gewesen, mich mit der Geschichte von Adox und der "Golf" zu beschäftigen. Als Bewohner des Rhein-Main-Gebietes ist es für mich sogar fast Lokalgeschichte, denn diese spielt in Frankfurt und der näheren Umgebung und nicht wie sonst in Dresden, München oder Stuttgart. Ich habe also einiges Interessantes gelernt.


Bei den Recherchen zur Kamera selbst bin ich relativ schnell auf Michael Spenglers exzellente Adox Golf Seite gestoßen. Dem gibt es wohl nichts hinzuzufügen und ich will es hier auch nicht wiederholen. Mein Exemplar ist die späte Basisversion der Golf 63 (Typ 2c), mit der Seriennummer 489619 des Adoxar gehört sie fast ganz ans Ende der Produktion, die wohl 1959 bei knapp über Seriennummer 500000 endete. 

Was Michael Spengler allerdings nicht gemacht hat, ist "die Golf" in den damaligen Marktkontext einzuordnen. Ihre größte Konkurrentin (mit fast identischen Merkmalen und Dimensionen) hieß Agfa Isolette II. Die Isolette hatte diese Kameraklasse der relativ kompakten Faltbalgen-6x6-Rollfilmkameras einst in der Mitte der 1930er Jahre begründet und spätestens nach dem Krieg viele Nachahmer gefunden. So wie die Adox Golf wurden die allermeisten im Jahrzehnt zwischen 1950 und 1959 produziert und verkauft. Hier mal eine schnelle Liste ähnlicher Kameras (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Dacora 120, Balda Baldix, Franka Solida, Zeiss Ikon Nettar II (517/16 bzw. 518/16), Voigtländer Perkeo 6x6.  Sie waren Kameras für's Wirtschaftswunder-Volk, preislich über den einfachen Boxkameras, dafür lieferten sie aber mit den meist dreilinsigen Objektiven und präziseren Zentralverschlüssen deutlich bessere Bildqualität. Im Vergleich zur Kleinbildkamera konnte man sich eine 6x6 cm Kontaktkopie notfalls auch so anschauen, Photo Porst lieferte 1956 sogar 9x9 cm Vergrößerungen zum selben Preis. Und wie bei der Adox Golf gab es stets verschieden lichtstarke Objektive und schnelle Verschlüsse zur Auswahl, Topmodelle hatten eingebaute Entfernungsmesser. Das alles natürlich zum entsprechenden Aufpreis. Adox hat (so wie Agfa auch) Kameras hauptsächlich gebaut, um den eigenen Filmabsatz anzukurbeln, daher wurden eher einfache Kameras gebaut und die Produktion der Kameras auf geringe Kosten getrimmt. 
Die Adox Golf 63 neben ihrer wichtigsten Konkurrentin Agfa Isolette II.
 
Mit viel Interesse habe ich mich auch in die Geschichte der Firma und Marke ADOX vertieft. Hier die Kurzform, meine Quellen habe ich unten in der Tabelle verlinkt. Alles beginnt mit dem Chemiker Carl Schleussner (1830-1899), der nach Promotion und Heirat die Siegellackfabrik seines Schwiegervaters im Frankfurter Bahnhofsviertel übernimmt und dort sich ab 1860 auf Fotochemie spezialisiert. Angeblich die erste fotochemische Fabrik der Welt. Als eines der ersten Unternehmen wurden ab 1881 Trockenplatten angeboten. Ab 1892 übernahmen seine Söhne, insbesondere der ebenfalls zum Chemiker ausgebildete und promovierte Carl Moritz (1868-1943) kooperierte mit Wilhelm Röntgen und produzierte als einer der ersten ab 1896 Röntgenfilme. Die Firma expandierte und wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, von der die Kurzform ADOX (Aktiengesellschaft DOktor C. Schleussner) abegeleitet wurde. Ab 1920 übernahm die dritte Generation. Carl Adolf Schleussner (1895-1959) verlegte die Produktionsstätten aus Frankfurt ins neu errichtete Werk in Neu-Isenburg und etabliert eine Celluloidfilm-Produktion in Wiesbaden-Biebrich. Ab 1938 übernimmt ADOX die Kameraproduktion von Wirgin in Wiesbaden, deren jüdische Eigentümer vor den Nazis nach USA fliehen mussten. Nach dem Krieg wird der Kauf rück-abgewickelt, Adox verlegt die eigene Kameraproduktion ins Werk in Biebrich, wo dann die Golf produziert wird. Wirgin produziert im Lohn für Adox die Polo KB-Kameraserie. Nach dem Unfalltod von Carl Adolf 1959 zieht sich die Familie Schleussner aus dem Fotogeschäft zurück und verkauft 1962 das Werk in Neu-Isenburg und das daran hängende Geschäft an den Chemiegiganten Dupont. Der behält mittelfristig nur das Medizinproduktegeschäft und verkauft Röntgenfilme unter der Marke ADOX. Die übrigen Fotofilm-Maschinen werden 1973 an Fotokemia im damaligen Jugoslawien verkauft, der die alten ADOX-Rezepturen als Efke-Film auf den Markt bringt und bis in die 1990er Jahre verkauft. Dupont veräußert sein Röntgengeschäft 1999 mit der Marke ADOX an seinen Konkurrenten Agfa-Gevaert in Belgien, der die Marke allerdings nicht weiterverwendet und 2003 fallen lässt (DuPont selbst verwendet die Marke immer noch für die Chemikalie Natriumchlorit). Das Berliner Analog-Foto-Start-up Fotoimpex sichert sich die Markenrechte für Fotoprodukte in 2003 und baut seitdem das Portfolio an ADOX Filmen und Fotochemikalien immer weiter aus. Basis sind alte Adox und Agfa Rezepturen. Tolle Geschichte mit Happy End.


Datenblatt Einfache 6x6 cm Faltbalgenkamera für 120er Rollfilm
Objektiv Adoxar 75mm f/6.3 (Dreilinser, Hersteller: Will, Wetzlar). Am Ende der Baureihe auch mit Adoxar f/4.5 erhältlich. Die frühen Golfmodelle I, II und IV, sowie die entsprechenden Mess-Golf hatten ein Steinheil Cassar f/4.5 oder f/3.5 (Vierlinser, Tessar-Typ)
Verschluss Gauthier Vario (B-25-50-200), separat vom Filmvorschub zu spannen. Auch erhältlich mit dem Pronto (B-25-50-100-200) oder Prontor-S (B-1-2-5-10-25-50-100-300, mit Selbstauslöser)
Fokussierung manuell per Frontlinsenverstellung, kürzeste Entfernung: 1 m
Sucher einfacher optischer Newton-Sucher
Blitz per Synchronbuchse am Verschluss
Filmtransport per Drehknopf und rotem Filmfenster in der Rückwand, Doppelbelichtungssperre am Gehäuseauslöser
sonst. Ausstattung Zubehörschuh für Blitz oder Entfernungsmesser, ISO-Gewinde für Drahtauslöser, Stativgewinde ¼''. Modelle mit Prontor-S: Selbstauslöser. Mess-Golf: eingebauter, ungekoppelter Entfernungsmesser
Maße, Gewicht ca. 138 x 92 x 40 mm, 474 g 
Baujahr(e) Modelle I, II, IV: 1952-1954, ca. 50.000 Exemplare, davon ca. 20.000 "Mess-Golf"
Modelle 63, 63S und 45S: 1954-1959, ca. 362.000 Exemplare. Dieses #489619 zum Ende der Bauzeit.
Kaufpreis, Wert heute Modell 63 (1954): 49,75 DM, Spitzenmodell Mess-Golf IV: 169,-- DM
Wert heute je nach Zustand und Modell: 5-30 €
Links Die Adox Golf (M. Spengler)Bleckedermoor.de, Bedienungsanleitung, Adox Geschichte, Schleussner Biographie, Sabine Hock's biografischer ArtikelWikipedia (engl.), Camera-wiki (Golf), Camera-Wiki (Adox)

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