2024-11-23

Penti I


Über die coole DDR-Taschenhalbformat-Kamera Penti habe ich schon vor fast 3 Jahren hier geschrieben, Damals war es das komplett ausgestattete Modell Penti II mit eingebautem Selen-Belichtungsmesser und Nachführmessung. Es gab aber auch (gebaut von ca. 1961 bis 1966) diese einfachere und ein Drittel günstigere Version Penti I ohne Belichtungsmesser. Da die Gehäuse indentisch sind, kann man beide Versionen leicht verwechseln, es steht aber jeweils "Penti I" oder "Penti II" unterhalb des Objektivs. Interessanterweise kann man auch an der Petnti I die Filmempfindlichkeit einstellen, hier allerdings nur als Merkhilfe.
Dieses Exemplar habe ich neulich auf einem Flohmarkt von der Erstbesitzerin erwerben können. Es hat ein paar Gebrauchsspuren ist aber ansonsten voll funktionsfähig. Die (kunst-)lederne Bereitschaftstasche war auch dabei. Für die ganze Geschichte zur Kamera bitte meinen anderen Beitrag lesen und den Links unten folgen...

Datenblatt kompakte Halbformat-Kamera (18x24mm) für die SL-Kassette
Objektiv Meyer Domiplan 30 mm f/3.5 (Triplet)
Verschluss selbst-spannender Zentralverschluss, B-30-60-125
Belichtungsmessung keine
Fokussierung manuell, keine Scharfstellhilfe, kürzeste Entfernung: 1m
Sucher optischer Durchsichtsucher (hochkant) mit Leuchtrahmen und Parallaxenmarkierung, 
Blitz Anschluss über PC-Buchse an der Kameraoberseite, X-Synchronisation bei allen Zeiten, FP bei 1/30s
Filmtransport mittels Schiebestange (ca. 2.5cm Hub) auf der linken Seite, die beim Auslösen ausfährt und beim Reinschieben den Film von der Filmpatrone in die leere Aufnahmenpatrone schiebt. Keine Rückspulung notwendig. Zählwerk (vorwärts von 1-24), manuelle Rückstellung mit durch Rückwand verborgenem Zahrad.
sonst. Ausstattung Zubehörschuh (kalt), ISO-Drahtauslöser, ¼'' Stativgewinde, M18x0.5 Filtergewinde, Öse für Handschlaufe
Maße, Gewichtca. 109 x 76 x 47 mm, 261g (ohne Film und Leerpatrone)
Batterie keine
Baujahr(e) 1961-1977, ca. 800,000 Exemplare (alle 3 Versionen), davon die meisten von der Penti II. Penti I Produktion wurde angeblich schon 1966 eingestellt, die Kamera war aber noch länger im Verkaufsprogramm. Diese Kamera #429672 von ca. 1966.
Kaufpreis, Wert heute 109 Mark (DDR), plus 16.95 Mark für die Bereitschaftstasche, heute je nach Zustand 5-30 €. Sammler zahlen für die farbigen Varianten auch mehr.
Links Dresdner-Kameras.de, Camera-Wiki, Optiksammlung, Bedienungsanleitung,  Mike Eckman, Zeissikonveb.de, Günter Posch
Bei KniPPsen weiterlesen Penti IIKorelle K, Agfa KaratRapid-Film verwenden, Olympus PEN, Pentacon Electra

2024-11-16

Zeiss Ikon Contessamat SE (10.0654)

Schon vor einigen Jahren habe ich hier Zeiss Ikons Contessa (10.0632) vorgestellt. Hier nun ihre etwas jüngere Schwester Contessamat SE, die nur eine von 16 Varianten von Zeiss Ikons Kleinbild-Sucherkameras im selben Gehäuse war. Sie waren alle in den frühen 1960er Jahren auf den Markt, hießen SymbolicaTenax AutomaticContina, Contessa/mat/ic und unterschieden sich relativ geringfügig in ihrer Ausstattung. Alle hatten ein fest eingebautes Objektiv von Carl Zeiss (entweder ein 4-linsiges Tessar 2.8/50 mm, oder ein einfacheres Triplet mit 45 mm Brennweite: Color Pantar oder Lucinar) und alle einen Zentralverschluss von Gautier (Pronto...) mit mehr oder weniger großem Zeitenbereich und Automatisierungsgrad.   
Die erste Kamera in diesem Gehäuse war die Symbolica II (1959), gefolgt von der Tenax Automatic (1960). Zeiss Ikon hat dann ab 1960 ihre Modellpolitik konsolidiert und zunächst in diesem Gehäuse ihre Contessa (35)-Serie fortgesetzt (alle folgenden Contessa(mat/ic)-Modelle hatten einen eingebauten Belichtungsmesser), dann auch die Contina-Serie als einfachere Einstiegsmodelle (Triplet-Objektiv). Die Contessamat-Modelle hatten eine Trap-needle Blendenautomatik, Modelle mit einem E im Suffix einen eingebauten Entfernungsmesser. Alle Modelle hatten eine PC-Blitzbuchse, bei einigen (wie dieser hier)  erweitert mit einer zweiten Steckverbindung auf der Kameraoberseite, die es erlaubte, kabellos den Ikoblitz 5 anzubringen. Erst die späten Modelle der Serie (ab ca. 1965) hatten dann den normalen Mittenkontakt Im Zubehörschuh ("hot-shoe").  

Bei der Modellvielfalt war Zeiss Ikon in den frühen 1960er Jahren nicht allein. Auch die direkten Konkurrenten hatten entsprechend unzählige Modelle auf Markt, siehe z.B. KodakBraun oder Voigtländer. Interessanterweise hatten diese Kleinbildkameras mehr oder weniger alle dieselben Features. Ab ca. 1965 war der Höhepunkt der Kameraproduktion solcher (KB-Sucher-) Kameras in Deutschland erreicht, ab da ging es nur noch bergab. Dies lag nicht an mangelndem Interesse der Kunden, oder an deren mangelnder Kaufkraft. Nein, der Kameramarkt wurde in mehrerer Hinsicht diverser: Auf der einen Seite kamen aus Japan tolle Kameras für kleineres Geld, aber auch automatisierte Spiegelreflexkameras. Neue Technologien, wie die Verwendung von Kunststoff statt Metall oder Elektronik statt Mechanik taten ihr Übriges. Aber der Niedergang der deutschen Kameraindustrie zum Beginn der 1970er Jahre ist vielleicht mal eine andere Geschichte. Zeiss Ikon hat 1971 mit der Contessa S310 einen letzten Versuch gemacht, dieses Marktsegment zu bedienen.

Datenblatt KB-Messsucherkamera mit Blendenautomatik  
Objektiv Color-Pantar 45 mm f/2.8 (Triplet) mit Frontlinsen-Fokussierung
Verschluss Gauthier Prontormatic 500 (B, 30-500 1/s)
Belichtungsmessung mittels Selenzelle, steuert Blende automatisch nach Zeitvorwahl. Blendenwahl wird im Sucher und in einem Fenster auf der Kameraoberseite angezeigt. Filmempfindlichkeit 11-30 DIN (10 - 800 ASA)
Fokussierung Manuell per Frontlinsen-Verstellung
Sucher Messsucher mit Einspiegelung der gewählen Blende, Leuchtrahmen mit Prallaxenmarkierung.
Blitz PC-Blitzbuchse auf der Oberseite hinter Drehschieber. Möglichkeit zum kabellosen Anschluss des Ikoblitz 5 mit speziellem Fuß.
Filmtransport Schnellschalthebel, Rückspulkurbel auf der Kameraunterseite, Bildzählwerk.
sonst. Ausstattung Zubehörschuh („kalt“), ISO-Drahtauslösergewinde, 1/4‘‘ Stativgewinde, Bildlagemarkierung, keine Gurtösen, dafür optionale Bereitschaftstasche.
Maße, Gewicht 117 x 85 x 73 mm, 552 g
Batterie keine
Baujahr(e) 1963-1966, diese #D74363 von ca. 1964
Kaufpreis, Wert heute 298 DM (1965), ca. 20€
Links Camera-Wiki, Manual (English), Anleitung (Französisch)
Bei KniPPsen weiterlesen
Westdeutsche Nachkriegskameraproduktion, Preisbindung, Geschichte der Belichtungsautomatik, andere automatische KB-Kameras

2024-10-27

Agfa Lupex Fotopapier

Diese alte Schachtel bekam ich die Tage von meiner Mutter geschenkt, die sie selbst als kleines Mädchen am Anfang der 1940er Jahre von ihrer Tante geschenkt bekam. Der Inhalt waren (und sind es immer noch!) selbstgemachte Puzzleteile aus Sperrholz, die meine Großtante selbst bemalt und mit der Laubsäge ausgesägt hatte. 

Der ursprüngliche Inhalt der Schachtel war damals schon lange aufgebraucht - vermutlich von meinem Großonkel, einem Chemie-Ingenieur, der selbst bei der I.G. Farben, allerdings nicht bei deren Abteilung III (Agfa) angestellt war. Das LUPEX war ein relativ gering empfindliches Fotopapier, das dadurch eigentlich nur für Kontaktabzüge zu gebrauchen war, man sprach damals von "Kopierpapier" (nicht mit der heutigen Bedeutung zu verwechseln). Die Schachtel enthielt 100 Blatt im Format 14x20 cm auf dünnem Fotokarton. Mit dem entsprechenden Kopierrahmen konnte man mit einem Blatt gleichzeitig 4 Negative im gängigen Format 6x9 kopieren, die dann alle einen dünnen weißen Rand hatten.
  

Hier die Evolution des Agfa-Logos auf den Fotopapierpackungen im Lauf der Jahrzehnte. Ganz links die Vorkriegsvariante (ca. 1927 bis mindestens 1945), zu erkennen an "I.G. Farben, Berlin SO36", in der Mitte die Nachkriegsvariante (ab 1952: Agfa AG, Leverkusen - Bayerwerk). Rechts ab 1964 bis mindestens in die frühen 1980er Jahre als Agfa-Gevaert. Der Produktionsstandort war immer das Werk in Leverkusen. Wer noch andere Varianten kennt, insbesondere die frühe Nachkriegszeit, bitte melden! 

In einem Agfa Gesamtprospekt aus den 1930er Jahren gibt es einen schönen Abschnitt über Lupex Papiere (ab S. 50), auch interessant zu lesen im Vergleich zu den anderen genannten Alternativen. Zur Abrundung unten noch zwei Seiten aus meinem Photo-Porst-Katalog von 1938, mit Infos und Preisen zum Agfa-Lupex und Abbildungen von Kopier-Zubehör für die Dunkelkammer:

2024-10-09

Plattenkameras 6,5 x 9 aus Photo Porst Katalog 1932 und der "Niedergang der Plattenkamera"

Angeregt durch meinen Beitrag über die Kenngott Supra No.2, eine Laufboden-Plattenkamera für das Format 6.5 x 9, möchte ich hier anhand der Beispiele aus meinem Photo-Porst Katalog von 1932 zeigen, welche Auswahl der Fotoamateur damals noch hatte. Einfach auf eins der Bildchen klicken und die entsprechende Katalogseite öffnen. Wer es lieber am Stück liest, kann sich hier das PDF runterladen, das noch einige Extraseiten u.a. zur Wahl der richtigen Kamera enthält. Viel Spaß!

Die 16 Plattenkameras im Format 6.5x9 aus dem Photo Porst Katalog von 1932. Daneben gibt es dort eine sehr ähnliche Auswahl an 9x12-Modellen (insgesamt 20) sowie ein paar Stereo- sowie Spiegelreflex-Kameras (9x12) für Glasplatten oder Filmpacks.

Ein Klick auf die Bilder öffnet die entsprechende Katalogseite.

Photo Porst Kameraverkäufe 1931
Porst hat im Jahr 1931 31-Tausend Kameras verkauft (und damit 3.45 mio Reichsmark Umsatz gemacht), „nur“ 6500 davon (21%) waren 6.5x9 Modelle. Die allermeisten (44%) waren noch (!) die großen (9x12) Laufboden-Plattenkameras, wie man an der Grafik rechts ablesen kann. Im 1932er Katalog spielten sogenannte Kleinfilm-Kameras (3x4 und 35 mm) schon eine gewisse Rolle (hatte ich schon von berichtet), und rückblickend wissen wir, welche Revolution am Kameramarkt zugange war: Plattenkameras wollten die Kunden ab ca. 1932 nicht mehr kaufen. Der 1935er Porst Katalog, den ich ebenfalls besitze, spricht eine eindeutige Sprache. Leider fehlt darin die entsprechende Statistik, aber 9x12-Kameras werden überhaupt nicht mehr angeboten, nur ein paar Modelle der 6.5 x 9 Klasse halten der alten Fotoplatte noch die Stange. Die Kunden kauften Kleinbild- und Rollfilmkameras, die Filme waren inzwischen so gut und lichtempfindlich geworden, dass es nicht nur billiger und praktischer war, sondern auch qualitativ ebenbürtig zur Plattenkamera wurde. Plattenkameras wurden regelrecht zu Ladenhütern, alleine Agfa hatte 1932 plötzlich 70.000 Plattenkameras auf Lager, die sich nur langsam über die nächsten Jahre verkaufen ließen. Dies betraf die gesamte Branche, diejenigen Hersteller, die nichts anderes anbieten konnten als Platte (sowie Kenngott) gingen pleite. Der Ausverkauf der auf Lager liegenden Plattenkameras dauerte fast 10 Jahre, wie die Seite aus dem Porst-Katalog von 1938 beweist (mehr oder weniger alles zum halben Preis oder weniger im Vergleich zu 1932!):



2024-09-25

Compur Verschluss mit fünfstelliger Seriennummer - Compur shutter with 5 digit serial number

Über den Compur-Verschluss selbst und die zugehörige Seriennummer-Sequenz habe ich ja schon mehrfach geschrieben (hier und zuletzt hier). Mein Sammlerkollege Attila hat mir gestern morgen dort einen Kommentar hinterlassen und über seinen Compur mit der fünfstelligen Seriennummer #70009 berichtet. Ich war natürlich gleich hellwach, steht doch bisher in allen Internet-Quellen, dass die Compur Zählung bei ca. 214.000 und im Jahre 1912 anfängt.  Ich habe ihn gebeten, mir (und damit der Sammel-Community) die entsprechenden Bilder dazu zur Verfügung zu stellen, hier sind sie. 

Bevor ich mich an Erklärungsversuche mache, zunächst die anderen Fakten und noch ein bisschen mehr Hintergrund-Recherche. Es handelt sich um einen Rädchen-Compur ("Dial-set") der Größe #0 mit der minimalen Verschlusszeit von 1/200 s. Darin gefasst ist ein Meyer-Görlitz Doppel-Anastigmat Helioplan 13.5 cm f/4.5 mit der Seriennummer #404208, die auf ca. 1930, evtl. etwas davor zeigt. Eine Kamera ist zu der Kombination nicht mehr vorhanden, vermutlich handelte es sich um eine Laufbodenkamera für das Format 9x12, wie z.B. meine Agfa Isolar. Das äußere Erscheinungsbild des Verschlusses gleicht bezüglich Lackierung, Material und Beschriftung anderen Compur-Verschlüssen  aus den späten 20er und frühen 30er Jahren. Aus dieser Zeit sind die allermeisten dieser Verschlüsse bekannt, und sie haben (fast) alle hohe 6-stellige Seriennummern. Bei einer kurzen dezidierten Suche nach fünstelligen Compur-Nummern ist mir noch ein anderer über den Weg gelaufen, auch mit Foto, diesmal ist es die #11443 auch an einer Kamera vom Ende der 1920er Jahre. 


Jetzt könnte man natürlich das Naheliegende annehmen: Warum sollte es eigentlich keine frühen fünfstelligen Seriennummern geben, also ca. für die Jahre 1910 oder 1911? Das Patent (mit der unter dem Objektiv angegebenen Nummer 258646) stammt aus dem Juni 1910, das wäre der Startpunkt. Ich finde, die Indizien sprechen dagegen:
  • Wenn es so wäre, müßten eigentlich noch Kombinationen solcher Verschlüsse existieren mit Kameras und oder Objektiven, die nachweislich den frühen Vorkriegsjahren 1910-1914 zugeordnet werden können.
  • Der technische Fortschritt oder schlicht Geschmacksfragen sollten sich in kleinen Detailunterschieden zwischen den frühen Verschlüssen und den nachweislich am Ende der 20er Jahre produzierten zeigen. 
Daher postuliere ich mal folgendes: 
  • Die Verschlüsse mit den fünfstelligen Seriennummern stammen vom Ende der 1920er Jahre. Ich gehe weiterhin davon aus, dass die ersten Compurverschlüsse mit der Seriennummer 214xxx starten und Deckel damit einfach seine schon bei Compound und Co. eingeführte Zählung fortsetzt.
  • Eine für mich sehr plausible Erklärung für die fünfstelligen Nummern könnte sein, dass die Werkzeugmaschine(n), die die Seriennummer gestanzt haben, nur auf sechs Stellen ausgelegt waren und erst einmal aufgerüstet werden mussten. Sprich: die 70009 ist eigentlich als 1070009 zu lesen. Deckel konnte mit dieser Übergangslösung leben, da ein möglicher anderer Verschluss mit der selben Seriennummer definitiv kein Compur war.
Es kann natürlich noch andere Erklärungen geben. Wer eine andere Idee hat, bitte unten kommentieren. Außerdem wäre es toll, wenn wir gemeinsam noch weitere Belege sammeln könnten: Wer einen Compur mit fünf- oder niedriger sechsstelliger Seriennummer (< 214.000) hat, bitte auch mit Angaben zu Kamera und/oder Objektiv entweder hier kommentieren oder mir eine e-mail (knippsen (at) icloud.com) schicken. Danke nochmal an Attila für dieses wertvolle Geschichts-Puzzlestück und natürlich die Fotos hier.

Nachtrag am 3. Oktober 2024

4-stelliger Compur (Größe1), gefunden an 
einer Voigtländer Bergheil 9x12, mit einem
Heliar 13,5 f/4,5 (beides 1927)
Rad-Compur (Größe 2), an einer
Voigtländer Bergheil 10x15, mit 
einem Skopar 16,5 f/4.5 (1927)
Eure Rückmeldungen waren diesmal sehr schnell und ich bin sehr erfreut hier noch weitere sehr niedrige Seriennummern zeigen zu dürfen. Der Sammler-Kollege Jan Seifert hat sogar vier Kameras in seiner Sammlung, die Nummern unterhalb der 214.000 haben. Darunter sogar eine nur vierstellige Nummer. Neben den beiden hier per Foto gezeigten gibt es noch die #101689 (Größe 00, Zeiss Ikon Cocarette 207U mit Tessar 9cm f/4.5, von 1927) und die #145582 (Größe 2, Zeiss Ikon (ehem. Ernemann) Heag IX 13x18, Tessar 18 cm f/4.5, 1927). Na, fällt was auf? Alle Kameras sind anhand anderer Merkmale eindeutig dem Jahr 1927 zuzuordnen. Damit bekommt meine These von oben gehörige Unterstützung.

Ja, und dann erhielt ich noch eine fast unglaubliche Liste vom Kollegen Pavel Krumphanzl aus Prag. Sie enthielt 891 frühe Kameras mit Compound und Compur-Verschlüssen. Alle davon sind aus dem Zeiss Ikon "Verbund" (sprich ICA, Contessa-Nettel, Ernemann, Goerz und ab 1926 "ZI"), 650 davon haben eine Seriennummer nach dem ICA/ZI-Schema, die mir eine grobe Zuordnung der Kameras zum Herstelljahr erlaubten. Auch Objektiv-Seriennummern waren da, die habe ich aber für meine Schnellanalyse außen vor gelassen. Hier die Grafik dazu:

Und man sieht es ganz deutlich: Compur-Verschlüsse mit Seriennummern unter 250,000 wurden in den späten 1920er Jahren verbaut. In Pavels Liste sind 150 davon, auch ein paar mit fünfstelliger Nummer. Bei Gelegenheit werde ich noch weiter in die Liste eintauchen und meine Analyse(n) verfeinern. Pavel hat mich auf seine Beobachtungen hingewiesen, dass in den 1920er Jahren bestimmte Nummernblöcke gehäuft bei bestimmten Produzenten auftauchen (z.B. ICA hat oft 300xxx-450xxx, Goerz und Contessa Nummern über 500-Tausend). Und natürlich die Sache, dass Zeiss Ikon Kameras den RIM-Compur ab 1928 mit den Nummern 1.xxx.xxx bekamen, alle anderen Hersteller mit 2.xxx.xxx. Genauso hat es Deckel mit dem Compur Rapid ab 1934 gemacht (ZI: 4.xxx.xxx, andere: 5.xxx.xxx). Aber mehr dazu ein anderes mal... Ganz großen Dank an Pavel und Jan, und an alle anderen, die hier unten ggf. noch kommentieren und eigene Erkenntnisse beitragen.

2024-09-15

Kenngott Supra No. 2 (6.5 x 9 cm)

Wie ich schon bei meinem Beitrag zur Agfa Isolar 408 (eine 9x12 Kamera) geschrieben habe, gehören Platten- bzw. Laufbodenkameras eigentlich nicht in mein Sammler-Beuteschema. Auf einem Flohmarkt am letzten Wochenende lief mir allerdings diese Kenngott Supra No.2 über den Weg und ich habe spontan zugeschlagen. Sie ist für das kleinere Plattenformat 6.5 x 9 cm gebaut (es gab auch eine entsprechend große 9x12 Variante als Supra No.4) und außerdem war mir Kenngott in anderen Zusammenhängen schonmal untergekommen, und deren Kameras sind einigermaßen selten. Das versprach einiges an Spaß bei der Hintergrundrecherche. 

Und tatsächlich: Die Informationslage zur Firma Kenngott in Stuttgart ist sehr lückenhaft und verschiedene Quellen widersprechen sich zum Teil. Hier ist mein Destillat, ohne Gewähr: Die Firma geht zurück auf (Georg) Wilhelm Kenngott (*30.9.1864 in Reutlingen), der um die Jahrhundertwende als wohl erfolgreicher Fotounternehmer seine Firma/Firmen aufbaut. Als Startpunkte werden die Jahre 1894 bis 1901 genannt, die Orte Reutlingen, Stuttgart und Paris tauchen auf, es wird mit Fotobedarf mal nur gehandelt und dann auch produziert. Es geht um Objektive, Kameras, Stative und einen Verschluss. Belegt ist nämlich, dass Wilhelm Kenngott als alleiniger Erfinder eines Zentralverschlusses auf dem französischen Patent 350870 vom 19.2.1906 genannt ist. Dieser Verschluss wird als "Koilos" ab 1904 bei Alfred Gauthier in Calmbach gebaut und ist der Vorläufer des Ibso(r), der an dieser Kamera hier zu finden ist. Angeblich war Kenngott Teilhaber von Gauthier und (laut Harmut Thiele) auch von Fr. Deckel in München. Vielleicht war seine Verschluss-Erfindung so gelungen, dass beide Firmen Lizenzen davon gegen Teilhaberschaften erwarben (reine Spekulation).  Ab wann und wo es mit der eigenen Kameraproduktion wirklich losging, bleibt im Unklaren. Eine Quelle spricht von 1905, andere melden Kenngott-Kameras erst aus den 1920ern. Da war Wilhelm Kenngott schon tot, er starb am 25.7.1919. Seine Söhne Karl und Willi erbten die Firma und spätestens ab dann wird nur noch Stuttgart genannt. 1932, im Jahr der größten Wirtschaftskrise in Deutschland muss Konkurs angemeldet werden. Qualifizierte Arbeiter und Angestellte hatten wohl kein Problem wieder Anstellung bei den anderen Stuttgarter Kameraproduzenten (Kodak/Nagel, Zeiss Ikon, Ebner, Krauss) zu finden. 

Die Kamera selbst ist gehobener Standard. Genau solche Laufbodenkameras gab es Ende der 1920er Jahre von nahezu jedem Kamerahersteller. Es ist eine erstaunlich homogene Kameraklasse, die Unterschiede zwischen den Herstellern beschränken sich auf ein paar rein gestalterische Kleinigkeiten, technisch ist fast alles identisch und sogar die Bedienung ist gleich. Als Käufer konnte man zwischen Ausstattungsvarianten bzgl. Objektiv und Verschluss wählen, diese Unterschiede (auch im Preis) waren innerhalb eines Modells größer als zwischen Modellen verschiedener Hersteller. 
Am Ende der 1920er Jahre waren Laufbodenkameras wie diese immer noch erste Wahl für jeden der ambitioniert fotografieren wollte. Die kleinere 6.5x9-Klasse war populär, weil man sie gut mitnehmen konnte. Allerdings war das Resultat auch nur ein ebenso großes Foto, denn Vergrößerungen waren eine sehr seltene Ausnahme. Mit den enormen Fortschritten, die der fotografische Film damals machte, kamen Rollfilmkameras immer mehr in Mode, auch Kenngott hatte mindestens ein Modell im Programm. 
Doch auf den gewaltigen Umbruch, der zwischen 1930 und 1933 am Kameramarkt passierte, waren nicht alle Hersteller gut vorbereitet. Zusätzlich zur allgemeinen Wirtschaftskreise wollten die Kunden plötzlich die altbackenen Laufboden-Plattenkameras nicht mehr kaufen und fast von heute auf morgen war das Zeitalter der Rollfilm und Kleinbildkameras angebrochen. Laufboden/Platten-kameras wurden zu Ladenhütern, blieben bei einigen Herstellern aber noch bis 1939 im Verkaufsprogramm. Ich bin davon überzeugt, dass diese dann schon ein paar Jahre auf Lager lagen und die eigentliche Produktion Anfang der 1930er aufgegeben wurde. Entweder um Rollfilm- und Kleinbildkameras Platz zu machen, oder wie im Falle Kenngott durch Konkurs. 

Datenblatt Laufbodenkamera für Platten oder Planfilm 6.5 x 9 cm 
Objektiv Meyer Helioplan 10.5 cm f/4.5 (Doppel-Anastigmat, 4 Linsen), Kamera war auch mit Schneider Radionar f/6.3, Radionar f/4.5 oder Xenar f/4.5 erhältlich.
Verschluss Ibsor Selbstspann-Zentralverschluss, T-B-125-50-25-10-5-2-1 1/s, Blende stufenlos, Blendenskala 4.5-6.3-9-12.5-18-25. Kamera war auch mit Vario oder Compur-Verschluss erhältlich (s. Anzeige unten)
Fokussierung Manuell mit Schneckentrieb, Skala bis 1m, doppelter Auszug (20cm)
Sucher schwenkbarer Brilliantsucher für Hoch- und Querformat, ausklappbarer Rahmensucher, alternativ Motivwahl und Fokussierung über Mattscheibe anstelle der Filmplatte.
sonst. Ausstattung Wasserwaage für horizontale Ausrichtung, Drahtauslösergewinde, 2 x Stativgewinde 3/8'', horizontale und vertikale Verschiebung des Objektivträgers mit Drehschrauben möglich
Maße, Gewicht 115 x 83 x 38 mm (geschlossen), 607 g
Baujahr(e) 1929 bis vermutlich 1932, diese Kamera (ohne Seriennummer) laut Objektiv-Seriennummer von 1930 oder 1931.
Kaufpreis, Wert heute 94 RM (in dieser Ausführung, siehe unten), ca. 50 €
Links engel-art.ch, Collection Appareils, Collectiblend, Gauthier Heimatgeschichte, Camera-Wiki
Bei KniPPsen weiterlesen Kleinfilmkameras Anfang der 1930er, Agfa Isolar, August Nagel, Krauss Rollette