2024-05-20

Preisbindung im Fotohandel

Photo-Technik und -Wirtschaft war das Organ
des Verbandes der Deutschen Photographischen
Industrie. Ich habe einige Hefte von 1960 und
1961, die sich vehement gegen die Aufhebung
der vertikalen Preisbindung wenden (Klick auf's
Coverfoto öffnet einen Beispielartikel)

Ich bin Jahrgang 1966, selbst in der Wirtschaft tätig und kenne natürlich die (verpflichtende) Buchpreisbindung in Deutschland (und ein paar anderen Ländern) sowie das heute geltende Kartellrecht, was Preisabsprachen oder Preisdiktat über Handelsketten ansonsten strengstens verbietet. Was ich allerdings bis vor ca. einem Jahr nicht wusste, ist die Tatsache, dass es eine Preisbindung für viele Markenartikel bis in die 1960er Jahre hinein gab und die Fotoindustrie davon mehrheitlich gebraucht machte. Ich wollte es also genauer wissen und habe ein bisschen recherchiert, was ich gerne hier teilen möchte.

Der Historiker Uwe Spiekermann hat die vertikale Preisbindung als die historisch häufigste Form eines Wirtschaftskartells sehr schön in einem Vortrag bzw. Internetaufsatz beschrieben. Kurz gesagt geht es darum, dass die Hersteller von Markenartikeln (z.B. Kameras), den Endverkaufspreis für die Verbraucher festlegen, und darüber mit den zwischengeschalteten Groß- und Einzelhändlern Verträge abschließen. Diese bekommen natürlich eine Handelsmarge zugedacht, müssen untereinander aber mit anderen Dingen um die Gunst der Käufer (und die der Hersteller!) buhlen, denn der Preis der Kamera ist beim kleinen Händler um die Ecke der selbe wie im Kaufhaus oder beim Versandhändler. 

In Deutschland ist das Konzept der vertikalen Preisbindung fast genauso alt wie die Fotoindustrie selbst, wurde in der Weimarer Republik in erste gesetzliche Regeln gegossen und von den Nazis 1940 gesetzlich gebündelt und für die straffe Wirtschaftsordnung genutzt. Nach dem 2. Weltkrieg wollten die alliierten Besatzungsmächte Deutschland dekartellisieren und verboten die Preisbindung entsprechend. Als die Wirtschaft Anfang der 1950er Jahre wieder zu brummen begann, verzichtete man ab 1952 allerdings darauf, Preisbindung zu verfolgen und die junge Bundesrepublik beschloss am 3. Juli 1957 ihr neues Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das vertikale Preisbindung für Markenartikel wieder explizit erlaubte, allerdings auch unter Missbrauchsvorbehalt stellte.

Das Ganze funktionierte so, dass die Hersteller die Preisbindung (Endverbraucherpreis) für den Handel beim Bundeskartellamt anmelden mussten, was in den ersten Jahren von ca. 1000 Unternehmen für ca. 200.000 Artikel pro Jahr gemacht wurde. Davon waren mehr als die Hälfte KFZ-Ersatzteile, die anderen Branchen teilten sich die andere Hälfte. Die Photo- und Optikbranche hatte im Jahr 1961 7583 Artikel in der Preisbindung, die einen überwiegenden Teil des Umsatzes ausmachten. Der offiziellen Statistik dazu kann man auch entnehmen, dass die zugestandene Handelsspanne zwischen 34% und 43.3% lag und im Schnitt ca. 39% betrug. Sprich: Eine Paxette Electromatic (168 DM) wurde also für 102.50 DM vom Hersteller Braun an den Großhandel abgegeben. 

Für die beteiligten Parteien entlang der Wertschöpfungskette gibt es jeweils Vor- und Nachteile der Preisbindung, die alle  aufzuzählen und zu erörtern den Rahmen hier sprengen würde. Wen es im Detail interessiert, dem sei der Bericht der Bundesregierung aus dem Sommer 1962 dazu empfohlen (Seiten 24ff). Die meisten Vorteile hatten definitiv die Hersteller, die wenigsten der Endverbraucher, sieht man aber mal von der Tatsache ab, dass er sich keine Gedanken darüber machen musste, wo er die gesuchte Kamera wohl am billigsten bekommen würde. Ob er für die hohe Handelsmarge eine entsprechende Gegenleistung in Form von Beratung und Service bekommen würde, war allerdings Glücksache. 

Schon ab ca. 1960 gibt es erkennbaren politischen Gegenwind und Verbraucherverbände überzeugen Vertreter aller politischer Parteien, dass das Gesetz einer Revision bedarf und die Preisbindung eigentlich abgeschafft gehört. Es dauerte allerdings bis 1974, bis dies endlich passierte und das GWB entsprechend geändert wurde. In der Zwischenzeit allerdings bröckelte das System gewaltig von Innen und war bei der Abschaffung eigentlich schon längst von selbst außer Kraft gesetzt. Insbesondere die Händler beschwerten sich, dass die Hersteller die Preisbindung nicht lückenlos durchsetzten. Sprich: Es gab einen grauen Markt von Händlern, die sich nicht dran hielten und die Vertragshändler wollten sich dann auch nicht mehr an die Spieregeln halten. Am Ende gewann dann der Verbraucher, der ab Ende der 1960er Jahre sowieso sich in japanische Importkameras verguckte, die mehr für's Geld boten und meist ohne Preisbindung verkauft wurden. Ich würde nicht soweit gehen zu behaupten, dass die Preisbindung Schuld hatte am Niedergang der früher so glorreichen deutschen Kameraindustrie. Sie führte aber sicherlich zu einer Erstarrung des Preis- und Marktgefüges in Deutschland Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre, so dass die Hersteller auf den japanischen Kamera-Tsunami Anfang der 1970er nicht wirklich vorbereitet waren, der sie fast alle in die Tiefe riss.

Die Preisbindung wurde übrigens offiziell in eine unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers abgemildert. Viele Foto-Einzelhändler haben sich zunächst mehr oder weniger an die empfohlenen Preise gehalten. Als ich 1982 meine erste SLR gekauft habe, kostete diese bei allen Händlern in Wuppertal "offiziell" 388 DM. Mein Händler war aber beim Verkauf mit fast 10% Rabatt recht großzügig und hat damit gezeigt, wo die eigentlichen Wettbewerbsinstrumente sind. Solche Rabatte innerhalb der Handelskette waren in den 1960ern Symptome (die "Lücken") und letztendlich der Sargnagel des nicht funktionierenden Systems der vertikalen Preisbindung. 

 

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