2020-12-06

Nagel Pupille



Die Königin unter den 3x4 Kameras, so hat sie Volkmar Kleinfeld in seinem Beitrag im PhotoDeal 108 (1/2020) bezeichnet. "Aufwendig und ideenreich konstruiert, präzise gefertigt". Jetzt, wo ich nach längerer Suche selbst eine besitze, kann ich nur zustimmen. Sie ist verglichen mit meinen anderen 3x4 Kameras die kompakteste, aber auch die solideste und diejenige, die sich am wertigsten anfühlt.

Wirklich beeindruckend ist ihre Kompaktheit, sie ist weniger als 10 cm breit und 7 cm hoch. Ich hoffe das kommt auf diesem Bild neben der Retina 1 gut raus. Die Retina ist eine eigentlich schon sehr kompakte Kleinbildkamera für die 135er Kleinbildpatrone, die Pupille aber trotz des größeren Negativformats fast nur halb so groß! Am auffälligsten an ihrer Erscheinung ist der im Vergleich klobige doppelte Schneckengang rund ums Objektiv. Mit dem ersten davon wird Optik und Verschluss ein- oder ausgefahren, der zweite gut sichtbare mit kleinteiliger, aber groß geschriebener Meterskala ist für das Fokussieren da. Die allermeisten Kameras aus der Zeit verwenden Faltbalgen und Spreizenmechanismus, was ihnen eine gewisse Verwundbarkeit verleiht. Nicht so die Pupille, sie mutet eher wie ein unkaputtbarer Taschenrevolver an. 

Über die Geschichte von August Nagel und seines Kamerawerkes in Stuttgart haben ich und z.B. das Foto-Museum Uhingen schon geschrieben. Wenn auch erst 1928 gegründet spielte man gleich in der ersten Liga der Kameraproduzenten mit. Neben der Pupille wurden noch einige andere Rollfilmkameras produziert, interessanterweise mit der Vollenda 48 noch eine 3x4 Halbformatkamera. Diese hatte den klassischen Faltbalgen und kostete nur die Hälfte der Pupille. Außerdem gab es mit der Ranca noch eine Billigversion der Pupille. Auf diese Nagelkameras trifft natürlich meine Analyse über das
Verschwinden der 3x4 Kameras in besonderen Maße zu. In dieser Fabrik sollte ab 1934 die Retina vom Band laufen, die Kamera, die den Todesstoß für 3x4 Kameraklasse bedeutete. Daher bin ich fest davon überzeugt, dass die Pupille nur für eine recht kurze Zeit gebaut wurde und zwar hauptsächlich 1931 bis (längstens) 1933. Die allermeisten davon dürften im Laufe des Jahres 1931 entstanden sein. Ich stütze mich dabei auf Seriennummern der Objektive, die meist gut auf allen Fotos im Netz zu erkennen sind. Alle die ich bisher gesichtet habe, zeigen folgende Zahlen: Schneider-Objektive (Xenar bzw. Xenon) größer als 378xxx, angeblich hatte Schneider im April 1931 die 400xxx erreicht; beim Leitz Elmar waren die Nummern zwischen 101xxx und 110xxx, Leitz hatte erst 1931 begonnen, seine Objektive extra mit Seriennummern auszustatten und dort bei 100xxx gestartet. Die Kameras selbst haben fünfstellige Seriennummern im Inneren, diese sind leider nicht so oft und gut dokumentiert. Gefunden habe ich Nummern zwischen 82135 und 94656, die sie sich aber mit anderen Nagelkameras teilten. Laut Helmut Nagel (in seinem Buch "Zauber der Kamera", dva 1977) wurden ca. 5000 Pupillen gebaut. Etwas seltsam in dem Zusammenhang ist die Sache mit der Seriennummer des Compur-Verschlusses, die auch oft zur Altersbestimmung herangezogen wird. Meine Kamera hat einen Verschluss mit #2302048, und damit von 1933. Allerdings hatte ich genau das schonmal und bei den anderen gesichteten Pupillen ebenfalls, so dass ich inzwischen davon überzeugt bin, dass die bisher verwendete Zuordnungs-Tabelle zumindest für die späten 20er/frühen 30er Jahre falsch ist, dazu demnächst hier mehr.
Meine Kamera kam übrigens in einem ebenfalls sehr gut erhaltenen Lederetui, mit etwas Zubehör, wie auf den Bilder zu erkennen. Auch eine Anleitung war dabei, die ich für den interessierten Leser hier gerne zur Verfügung stelle. Außerdem empfehle ich zur weiteren Primärliteratur-Lektüre die schöne Kodak-Broschüre "Warum Kleinfilm" von 1932 und eine zur Pupille als Spiegelreflexkamera. Viel Spaß damit!

Datenblatt Kompakte Kleinfilmkamera 3x4 (Rollfilm 127)
Objektiv Leitz Elmar 50mm f/3.5 (4 Linsen in 3 Gruppen), auch erhältlich mit Schneider Xenar 50 mm f/3.5 und f/2.9, Schneider Xenon 45 mm f/2, Cooke Anastigmat 2inch f/3.5, Zeiss Tessar f/3.5
Verschluss Fr. Deckel Compur, T-B-1-2-5-10-25-50-100-300, diese #2302048
Belichtungsmessung keine
Fokussierung mit großem Schneckengang, bis 70 cm Naheinstellgrenze, Aufsteck-Entfernungsmesser von Leitz als Zubehör
Sucher Aufklappbarer optischer Durchsichtsucher. Spiegelreflex-Aufstecksucher optional erhältlich. 
Blitz Keine Anschlussmöglichkeit.
Filmtransport per Drehknopf von Rolle zu Rolle, gute Planlage durch spezielle Filmführung, Bildzählung mit doppeltem roten Fester.
sonst. Ausstattung Drahtauslösergewinde, Tiefenschärfe-Drehskala, 3/8‘‘ Stativgewinde, mitgeliefertes Zubehör: Objektivdeckel, Gelbfilter, Standhilfe zum Aufstecken.
Maße, Gewicht ca. 97 x 68 x 49 (60/65) mm (eingef. /unendl./0.7m), 397g
Batterie keine
Baujahr(e) 1931-1933 (ggf. bis 1935), ca. 5.000 Exemplare, diese #90563 von 1931
Kaufpreis, Wert heute ca. 200 RM (1931), 180-400€ je nach Zustand und Objektiv.
Links Camera-Wiki, Classic-Camera-CollectionAnzeigen (engl.), Foto-Museum Uhingen
Bei KniPPsen weiterlesen Das plötzliche Verschwinden der 3x4 KamerasAugust Nagel, Korelle 3x4, Foth Derby, Zeh Goldi, Welta Gucki, Ising Puck, Gevaert 127er Rollfilm, Kodak Rollfilm 127



6 Kommentare:

  1. Hallo! Möchte gerne einen Beitrag zu meiner Pupille bringen.
    Habe eine Nagel Pupille bekommen. Und zwar mit
    Seriennummer 80099,
    Objektiv: Jos.Schneider & Co Kreuznach No.378010 Xenon f:2 F=4,5 cm D.R.P.
    Verschluß: Compur, T-B-1-2-5-10-25-50-100-300, Nr.: 2262789
    Scheint ein besonderes frühes Stück zu sein.
    Lg Franz H.

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  2. Hallo Knippser! Möchte gerne Daten von meiner Pupille bekannt geben. Seriennummer:80099, Fokussierring ist nicht schwarz lackiert. Kamera Boden und der Deckel sind auch nicht lackiert. Aber die könnten auch von der schwarzen Farbe gereinigt worden sein. Wenn ja dann war es eine saubere Arbeit. Verschluss Compur, T-B-1-2-5-10-25-50-100-300,
    Nr:2262789, Objektiv: Jos.Schneider&Co Kreuznach Nr. 378010, Sucher: Aufklappbar aber ohne die kleinen Räder auf der Seite. Kann es sein das es sich hier um ein frühes Stück Kamera handelt?
    Würde mich über deine Einschätzung freuen. LG aus Österreich Franz H.

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  3. Hallo Franz, danke für deinen Kommentar und entschuldige die späte Reaktion. Tolle Kamera hast Du da. Sowohl Compur als auch das Schneider Objektiv sprechen für Ende 1930 bzw. Anfang 1931, auch hast Du die niedrigste von mir gesichtete Seriennummer. Könnte sich tatsächlich um ein frühes Stück handeln. Ob aber die Kamera so teilweise unlackiert in ihrem ursprünglichen Zustand war, würde ich eher bezweifeln, ganz ausschließen kann man es natürlich nicht. Allerdings habe ich aus dieser Zeit und auch bei anderen Nagelkameras sowas bisher nicht gesehen. Und für jemanden, der eine etwas lackmäßig abgemackelte Kamera aufmöbeln will, ist es einfacher, den Lack komplett zu entfernen als auszubessern oder durch modernen Lack in ursprünglicher Qualität zu ersetzen. Das ist nur meine Meinung, ohne das Stück gesehen zu haben. Wenn Du willst, schick mir doch mal ein Foto auf knippsen (at) icloud (punkt) com. Viele Grüße
    Christoph

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  4. Hallo Christoph.
    Fotos schicke ich dir gerne. Bin gespannt was du noch so über meine Kamera weist bzw. herausfindest.
    LG Franz

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  5. Hallo, wie funktioniert die Zählung der Fotos? Linkes Fenster? Rechtes Fenster? Oder beide?

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    1. Hallo, natürlich beide (sonst gäbe es ja nur eins ;-)
      Es ist so: der 127er Film war eigentlich für das Format 4x6.5 cm gedacht, d.h. die Rückseitenpapier-Nummerierung entsprechend aufgedruckt. Sprich: alle 6.5 cm eine neue Nummer. Beim Halbformat muss mann den Film ja nur (etwas mehr) als 3 cm weitertransportieren, daher zwei rote Fensterchen in genau diesem Abstand. Die Zahl erscheint also zunächst im ersten Fensterchen, dann wird das erste "Halbbild" belichtet und dann soweit transportiert, dass die Zahl im zweiten Fenster auftaucht. Das Ganze dann mit der nächsten Zahl genauso...
      Alles klar?
      Viele Grüße
      Christoph

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