2017-11-26

Agfa Karat (6.3 Art Deco)


Diese Kamera ist wirklich in keinem guten Zustand: Das Objektiv scheint blind, der Verschluss geht nicht und der Lack ist an vielen Stellen ab, außerdem fehlen hier oder da Schrauben bzw. sie wurden durch andere ersetzt. Trotzdem habe ich sie für meine Sammlung gekauft, insbesondere weil sie recht preiswert zu haben war und mit einem frühen Karat-Filmschächtelchen und einer Karat-Patrone kam.  Letzteres ist nämlich das eigentliche, was an dieser Kamera interessant ist und sie zum Meilenstein macht. Das Exemplar ist von 1937, aus dem ersten Baujahr.  Agfa stieg damals mit dieser Kamera in das immer populärer werdende Marktsegment "Kleinbild" (35 mm Cine-Film) ein, wohlgemerkt mit einer eigenen "Karat" genannten Patrone. Das war damals nichts ungewöhnliches, die meisten Kameras wie die Leica oder auch eine Contax hatten eigene "Kasseten", die man beim Fotohändler mit Meterware füllen ließ (oder das selbst in der Dunkelkammer erledigte). Agfa's Zielgruppe für die mit 42 Mark sehr preiswerte Kamera waren aber nicht die Amateure und Profis, sondern die breite Masse der Bevölkerung, die ein einfaches System brauchte.  

Agfa Karat 6.3 Art Deco als erste Kamera für Karat-Patronen neben der Kodak Retina, der ersten für die 135er Patrone
Der große Konkurrent Kodak hatte schon 1934 einen Coup gelandet mit ihrer 135er Filmpatrone für den Kleinbildfilm, die er mit der Retina einführte. Diese kostete mit 75 Mark allerdings deutlich mehr als die spätere Agfa Karat. Der 135er Film konnte so vorkonfektioniert in der Patrone gekauft werden, die Patrone passte in alle gängigen Kameras und wurde am Ende nach dem Rückspulen des Films einfach zum Entwicklen gegeben. Agfa wollte es aber noch einfacher und idiotensicherer machen und bediente sich einer Erfindung seiner amerikanischen Tochter Ansco (Memo Patrone), die dann zur Karat-Patrone weiterentwickelt wurde. Die Patrone ist im Gegensatz zur 135er kernlos, man kann (und braucht) nicht zurückspulen, stattdessen befördert der Fotograf den Film sukzessive von einer vollen in eine identische leere Patrone. Diese wird entnommen und zum Entwickeln gegeben, die vorher volle tauscht in der Kamera die Seite und nimmt dann wieder neuen Film auf. 
Die geöffnete Kamera mit einer original Karat Patrone rechts und der jüngeren Rapid-Patrone rechts.
Seite aus dem Photo Porst Katalog von 1938
Das hört sich erstmal sehr gut an, bei näherer Betrachtung erkennt man aber schnell die Schwachstelle des Systems: Durch kernlose Patrone wird der Film nicht aufgewickelt und kann daher auch nicht beim Vorspulen gezogen werden. Stattdessen wird geschoben und hier ist bei ca. 60 cm Film Schluss, danach wird der Widerstand so groß, dass die Perforation ausbricht. 60 cm ergeben ca. 12 Bilder, langfristig nicht genug, um gegen die 135er Patrone zu bestehen. 

Soweit so gut, Agfa baute sein Kameraprogramm rund um die Patrone weiter aus, natürlich gab es auch Modelle mit besseren und lichtstärkeren Objektiven und Verschlüssen, siehe z.B. links im Photo Porst Katalog von 1938 oder hier. Während des Krieges stagnierte auch bei Agfa die Produktion oder wurde zeitweise eingestellt, ab ca. 1946 ging es weiter. Aber schon 1948 wendete sich Agfa von seiner Karat-Patrone ab und verkaufte die Karat 36 genannte Kamera für die 135er Patrone, die ja 36 Bilder konnte. Für die Karat Patrone wurde eine Karat 12 Kamera noch bis ca. 1950 angeboten.
Dann wurde es eine zeitlang sehr still um die Karat Patrone, mir ist nicht bekannt, ob man sie zwischen 1950 und 1965 tatsächlich noch irgendwo kaufen konnte. 1963 allerdings wurde Agfa wieder von einer Kodak Erfindung kalt erwischt, diesmal hieß sie Instamatic oder 126er-Kassette. Agfa brauchte fast zwei Jahre um sich zu sammeln und brachte als Antwort die Karat-Patrone und entsprechende neue Kameras wieder auf den Markt, leicht modifiziert (aber kompatibel!) und mit neuem Namen: RAPID. Oben im Bild ist eine spätere Rapid-Patrone in der alten Karat-Kamera zu sehen.
Agfa gelang es zwar Ende der 60er auch andere Kamerahersteller zu überzeugen, Kameras für die Patrone zu bauen und Agfa selbst verkaufte fast 5 Millionen (Einfach-)Kameras für das System. Aber schon 1972 war wieder Schluss und Kodak hatte (mal wieder) gewonnen. Agfa baute scon ab 1967 selbst Kameras und Filme nach dem Kodak Standard unter Lizenz. Auch meine erste Kamera war eine solche.



KB-Sucherkamera für Agfa Karat Wechselpatronen
Objektiv Agfa Anastigmat Igestar 5 cm f/6.3 (Triplet), spätere Modelle auch mit besseren Objektiven erhältlich.
Verschluss Agfa Automat Zentralverschluss B-25-50-100 (1/s). Spätere Modelle auch mit besseren Verschlüssen erhältlich.
Belichtungsmessung keine
Fokussierung Manuell am Objektiv, kein Entfernungsmesser.
Sucher einfacher, optischer Durchsichtsucher.
Blitz nicht vorgesehen.
Filmtransport Drehknopf, Bildzählwerk (vorwärtszählend).
sonst. Ausstattung Stativgewinde, Trageösen.
Maße, Gewicht ca. 119x69x44 mm, 390 g.
Batterie keine
Baujahr(e) 1937-1938, ca. 40,000 Exemplare, diese #N 7093 ca. 1937
Kaufpreis, Wert heute 42 RM (1938), ca. 50 € (guter Zustand, eigene Schätzung)
Links Karat-Kameras.de, UKCameraCJ's Classic Cameras, Wikipedia, Camera-Wiki, Museum Wolfen, Roland and Caroline.

2017-11-05

VEB Pentacon Pentina


Man sieht es ihr nicht an: Weder, dass sie eine Spiegelreflexkamera ist, noch kann man sie mit ihrem speziellen, fast zeitlosen Design historisch oder geografisch einordnen. Das alleine weckte mein Sammlerinteresse und man kann bei genauem Hinsehen noch weitere faszinierende Entdeckungen machen. Sie kam 1961 in der DDR auf den Markt, hatte als einzige DDR-SLR einen Zentralverschluss, war aber ansonsten von ihrem Feature Set auf der Höhe der Zeit (zumindestens in Europa, in Japan war man schon etwas weiter...). Sie war gleichzeitig für ihre Konstrukteure eine technische Herausforderung, für die Kunden eine außergewöhnliche Erscheinung und für ihren Hersteller letztendlich wegen des notwendigen hohen Preises ein wirtschaftlicher Flop. Wer sich für die ganzen Details interessiert, dem seien folgende zwei Websites empfohlen: Dresdener Kameras, oder der unglaubliche Artikel von Marco Kröger mit viel Hintergrundwissen auf zeissikonveb.de.    
Wie so oft schon, war ich beim Erhalt meines Exemplars erstaunt über den guten Zustand der Kamera. Alles funktionierte, sogar der Selen-Belichtungsmesser zeigt einigermaßen vernünftige Werte an. Lediglich die langen Zeiten hängen ein bisschen, ich habe mir aber noch nicht die Mühe gemacht, diese nachzumessen. In der Hand ist die Kamera ein rechter Klotz, auf Fotos wirkt sie zierlicher als sie wirklich ist. Ungewöhnlich und für mich als Rechtshänder und "Rechtsäuger" wirklich störend ist der Auslöser und Schnellschalthebel auf der linken Seite. Der Film läuft also umgekehrt wie in den meisten anderen SLR's. Andere Dinge sind technisch elegant gelöst, wie z.B. die Nachführmessung und der damit verbundenen "Kombisteller" am Objektiv für Verschlusszeit und Blende. Damals wurde das als "Blendenautomatik" beworben.

Angetreten ist diese High-End DDR-Kamera natürlich auch in West-Deutschland, wo sie in den Fotoläden auf die "hiesigen" Zentralverschluss-SLR traf: Kodak Retina Reflex S (klassisches Design, aber ähnliches Feature Set), Contaflex II (nur Vorsatzobjektive), Voigtländer Bessamatic. Vermutlich haben sich nur Designliebhaber oder wohlhabende Ostalgiker für die teure Pentina entschieden.
An dieser Stelle möchte ich noch auf zwei andere Kameras der 1960er hinweisen, die irgendwie mit der Pentina zu tun haben: Zunächst natürlich die Olympus Pen F, ebenfalls eine SLR, der man es nicht ansieht. Und natürlich Nikon's Nikkorex Auto 35, die vielleicht selbst von der Pentina inspiriert war. Letztere steht noch auf meiner Wunschliste und bekommt sicher den Platz neben der Pentina in der Vitrine...

Datenblatt KB-Spiegelreflexkamera mit Wechselobjektiven
Objektiv Pentina Steckbajonett, vier Wechselobjektive verfügbar:  Carl Zeiss Jena Tessar 1:2,8/50 mm, Meyer Lydith 1:3,5/30 mm,
Carl Zeiss Jena Cardinar 1:2,8/85 mm, Meyer Domigor 1:4/135 mm
Verschluss Prestor-00 (Hinterlinsen)-Zentralverschluss 1 s -1/500 s und B mit Kupplung zum Nachführ-Belichtungsmesssystem.
Belichtungsmessung Selenzelle, Nachführzeiger. ISO 9-1600 (6-33 DIN).
Fokussierung Manuell am Objektiv.
Sucher Spiegelreflex, keine weiteren Anzeigen, kein Rückschwingspiegel.
Blitz Synchronbuchse, Hebel zum Umstellen zwischen X und M.
Filmtransport Schnellspannhebel, Bildzählwerk (vorwärtszählend), Rückspulkurbel.
sonst. Ausstattung Stativgewinde, ISO-Drahtauslöser, Zubehörschuh, Merkscheibe für Filmart, Selbstauslöser, Leitzahlrechner, Bajonett für Okularzubehör, Trageösen.
Maße, Gewicht ca. 131x88x60 (81) mm, 688 (806) g (ohne/mit Objektiv)
Batterie keine
Baujahr(e) 1961-1965, ca. 45,000 Exemplare, diese #25998 ca. 1963
Kaufpreis, Wert heute 790 DM (1961), ca. 50 € (eigene Schätzung)
Links Dresdner Kameras, Wikipedia, Bedienungsanleitung, Blende-und-Zeit-Forum, Zeissikonveb.de, Nikkorex Auto 35, Industrieform-DDR.de, Schnittmodell.