Meine
Tochter überraschte mich neulich mit einem Anruf von einem Flohmarkt, wo sie
diese Kamera für mich entdeckt hatte. Sie wollte natürlich wissen, ob ich
interessiert wäre und 30€ bereit sei zu zahlen. Nach kurzer Recherche rief ich
sie zurück und riet ihr maximal 20€ zu bieten, ich hatte ja das Teil ja
nicht gesehen und getestet. Dass es mit dieser Strategie geklappt hat, sieht
man an diesem Post. Allerdings war ich
wirklich beglückt, am Abend das gute Stück in dieser exzellenten
Verfassung in Händen zu haben. Lediglich wenige Gebrauchspuren deuten an, dass
diese Faltbalgenkamera überhaupt mal benutzt wurde. Alles funktioniert wie es
soll, sogar die zugehörige Ledertasche hatte eine sehr gepflegte Patina. Über
die Seriennummer des Compur-Verschlusses gelingt die Altersbestimmung (anhand dieser Liste). Das gute Stück stammt also tatsächlich von 1934 und damit aus
dem ersten Produktionsjahr dieses Modells.
Solche
Faltbalgenkameras für Rollfilm waren in den 30er Jahren des letzten
Jahrhunderts nichts Besonderes. Es gab sie
mit fast identischer Spezifikation von vielen Kameraherstellern (z.B.
Agfa Billy, Voigtländer Bessa, …). Das zentrale Bauelement ist der
Zentralverschluss, der in diesem Fall (Compur) von Marktführer Deckel stammt
und jeweils mit einem entsprechenden Objektiv kombiniert wird. Oft konnten die
Kunden die jeweilige Kamera frei konfigurieren, d.h. Verschluss und Objektivwählen, zum entsprechenden Preis natürlich. Der Rest der Kamera war dann
relativ generisch, Faltbalgen und Gehäuse, inklusive Filmführung und Klapp-
bzw. Diamantsucher.
Diese hier stammt aus dem Kamerawerk Dr. August Nagel in Stuttgart, das allerdings damals schon zu Kodak gehörte. Der Name Vollenda stammt noch aus vor-Kodak-Zeiten, die "620" bezieht sich natürlich auf Kodaks "neuen" Rollfilm, die meisten Wettbewerber damals verwendeten den 120-Film. Da es 620er Film heute nicht mehr zu kaufen gibt, ich aber einige Spulen davon besitze, habe ich einen 120er umgespult und mit der Kamera verschossen. Der Film ist gerade beim Entwickeln, Ergebnisse demnächst hier...
Von der Kamera gibt es zwei Varianten (Typ 107 und 110), die sich in kleineren Details unterscheiden. Die wohl frühere Variante 107, zu der diese Kamera gehört, hat einen zierlicheren Klappmechanismus für den Balgen sowie den ganz oben gezeigten geradlinigen Vollenda-Schriftzug auf der Rückseite. Typ 110 hat einen wuchtigeren Klappmechanismus, Vollenda wird geschwungen geprägt und auf der Vorderseite prangt eine zusätzliche "Kodak"-Prägung. Außerdem ist der Ausklapp-Rahmensucher bei manchen Kameras auf der anderen Seite des Gehäuses und das rote Filmfenster hat einen Schiebeverschluss. Laut Collectiblend ist Typ 107 der seltenere und wertvollere (hier Typ 110). Viel mehr Infos zu beiden Typen konnte ich allerdings nicht finden. Zu allem Überfluss gibt es auch noch andere Vollenda-620 Typen (109, 128, 153, 567 bis 570). Bei diesen handelt es sich aber um horizontale Faltbalgenkameras für das Format 6x6.
Datenblatt | Faltbalgenkamera 6x9 für Rollfilm 620 |
Objektiv | Kodak Anastigmat 10.5 cm f/4.5 (vermutlich 4-Element Tessar Typ, nur Frontelemente werden zur Schärfeeinstellung verwendet). Die Kamera war auch mit anderen Objektiven erhältlich. |
Verschluss | Compur Zentralverschluss im Objektiv, 1-2-5-10-25-50-100-250, sowie T und B. |
Belichtungsmessung | keine |
Fokussierung | Manuell am Objektiv (nur Frontelemente) |
Sucher | Schwenkbarer Brilliantsucher sowie ausklappbarer Rahmensucher |
Blitz | kein Anschluss. |
Filmtransport | mittels Drehknopf und rotem Filmfenster auf Kamerarückwand. |
sonst. Ausstattung | Selbstauslöser, Stativgewinde (2x 3/8"), ISO-Gewinde für Drahtauslöser, ausklappbarer Standfuß |
Maße, Gewicht | ca. 38x85x138 mm (zusammengeklappt), 608 g |
Batterie | keine |
Baujahr(e) | 1934-1939, 100,890 Exemplare, diese #317328, Verschluss #2722446 vermutlich 1934. |
Kaufpreis, Wert heute | 55 RM (1934), ca. 30-50 € je nach Zustand und Typ. |
Links | Sammlung Tauber, Mischa Koning, Emtus, Bedienungsanleitung (engl.), Camera-wiki, |