2025-05-01

McKeown's...

 

...PRICE GUIDE TO ANTIQUE & CLASSIC CAMERAS, 12. Ausgabe von 2004

Ein Muss für jeden ernsthaften Kamerasammler (und -händler) und DAS Standardwerk für die Community, meist wird es kurz McKeown's genannt. Ich habe 2011 die achte Ausgabe von 1992 bei einem Trödler in New Jersey gefunden und damals für ca. 20 US$ gekauft.  Diese hat ca. 500 Seiten und listet ca. 8000 Kameras mit weiteren Informationen und ihrem geschätzten Gebrauchtpreis, ca. 3000 davon mit einer Abbildung. 

Nach langem Zögern habe ich mir nun endlich die 12. (und bisher letzte) Ausgabe gegönnt, die nun über 40,000 Kameras auf 1250 Seiten listet, mehr als 10,000 davon mit Abbildungen oder Fotos. Nicht nur ist sie doppelt so dick und schwer wie meine alte, auch inhaltlich hat sie an Qualität zugelegt.

Meine Tenax II und ihr Eintrag in der 12. Mckeown‘s
Ausgabe als ein Beispiel, wie die meisten Einträge aussehen.
Eigentlich ist es höchst erstaunlich und sehr bewundernswert, was James und seine Frau Joan McKweown nach eigenen Angaben seit dem Jahr 1969 für ein Werk auf die Beine gestellt haben. 1974 erschien die erste Ausgabe mit ca. 1000 Kameras und im 2 bis 3-jährigen Abstand gab es Updates und Erweiterungen. Nicht alles haben sie alleine gemacht, im Vorwort der aktuellen Ausgabe werden ca. 200 Namen von Helfern genannt, die über die Jahre inhaltliche Beiträge geliefert haben. Immer erschienen die Ausgaben im Selbstverlag und auch der Vertrieb erfolgte im Wesentlichen in Eigenregie. So wie ich es verstehe, haben die beiden davon gelebt, sicher bin ich mir aber nicht. 

Nach dem Erscheinen der 12. Ausgabe sollte es eigentlich eine 13. geben, diesmal noch größer und besser. James und Joan ließen sich mehr Zeit als sonst und kündigten 2015 an, dass die neue diesmal 4-bändige Camera-Encyclopädie mit 100,000 Kameras sich ihrer Vollendung nähere. Das digitale Zeitalter war inzwischen da und die McKeowns sich nicht mehr sicher, ob sich noch genügend Käufer für eine teure gedruckte Version finden würden. Daher wurde auch eine Online- bzw. Smartphone-Version erwogen, diese Web-site geschaltet und einfach mal der Markt befragt. Leider ist es dabei bis heute geblieben. Inzwischen sind 10 Jahre nach der Ankündigung vergangen, sogar 20 Jahre nach der letzten Ausgabe hier. James ist vermutlich wirklich 80 Jahre alt, wie diese Website behauptet, und Joan unwesentlich jünger. Ich hoffe, dass es ihnen gesundheitlich noch gut geht und sie genügend Rücklagen für einen unbeschwerten Lebensabend bilden konnten. 

An die 13. Auflage glaube ich nicht mehr wirklich, daher habe ich nun auch endlich bei der 12. Version auf dem Gebrauchtmarkt zugegriffen. Ich hoffe aber, dass irgendwer irgendwann den Nachlass von James und Joan mit den zusätzlichen Infos und Bildern seiner Bestimmung zukommen lässt, in welcher Form auch immer. Mein Vorschlag: Camera-Wiki.org, die freie Online Kamera-Enzyklopädie, von der ich ein großer Fan bin. Ich habe dort auch schon selbst den einen oder anderem Beitrag geleistet. 

Und die Sache mit den Preisen für gebrauchte Kameras ist auch so ein Ding. Als die McKeowns in den 1970ern begonnen haben, ihr Werk zu publizieren, gab es einen echten Bedarf für einen verlässlichen und unabhängigen Preisführer. Verkäufer und besonders die Käufer wollten zumindest grob wissen, ob die gehandelte Kamera ein rares Schätzchen ist oder vielleicht ein Stück, das man auch auf dem nächsten Flohmarkt wieder finden würde. Aber der einzelne Preis - so steht es richtigerweise im Vorwort - hängt einzig und allein von der Laune des Käufers und Verkäufers zum Zeitpunkt der Transaktion ab.

Seit Ende der 1990er und dem Aufkommen von online-Handelsplattformen wie Ebay wurde auch der Kameragebrauchtmarkt transparenter. Jeder kann sich heute selbst ein Bild machen, was Verkäufer für das eine oder andere Modell gerne hätten, bzw. auch was andere Käufer tatsächlich bezahlt haben (was meist weiter auseinander liegt als man denkt!). Wer es gerne bequem hat, kann dazu auch die Website Collectiblend.com konsultieren, die regelmäßig online-Preise sichtet und aufbereitet. Ich glaube aber, dass viele der heutigen Preise von den McKeowns beeinflusst sind, einfach weil sie schwarz auf weiß gedruckt sind und trotz ihres Alters immer noch als Anhaltspunkt dienen. Ich hoffe, James und Joan wissen und schätzen das als ihren Beitrag zur analogen Fotografie.
 

2025-04-20

Compur Seriennummern - Compur serial numbers

 

Dial-set (Rädchen) Compur der Größe 0 an meiner 
Krauss Rollette von ca. 1926. Die Compur Seriennummer 
ist sechsstellig, aber leider nicht mehr lesbar
Vor über 4 Jahren habe ich an dieser Stelle ein modifiziertes Seriennummer-Schema für den Compur-Verschluss vorgeschlagen, dass ich dann vor 2 Jahren noch einmal verfeinert und berichtigt habe.  

Die wesentliche Erkenntnis: Deckel hat beim Compur nicht einfach nur hochgezählt, sondern es gab bewusste Sprünge innerhalb der Nummernsequenz, die bei der Einführung von Neuerungen (RIM-Set, bzw. Rapid) gemacht wurden. Auch hat Deckel Zeiss Ikon andere Nummernbereiche zugeordnet als ihren Konkurrrenten, was in den 1930er Jahren für Verwirrung sorgen sollte. 

In einem weiteren Beitrag zum Thema der vier- und fünfstelligen Nummern habe ich mich dann mit den ersten 20 Jahren der Compur-Produktion beschäftigt. Durch die Hilfe einiger meiner Leser konnte ich auch hier etwas Licht ins Dunkle bringen. Dieser Beitrag heute soll dieses Kapitel abschließen und ich will unten die wesentlichen Fakten zur Compur- (bzw. Compound) Nummernsequenz knapp aber präzise zusammenfassen...

Über 600 Compur- (und Compound-) Seriennummern, die an "Zeiss Ikon"-Kameras (bis 1926: ICA, Goerz und Contessa-Nettel) gefunden wurden. 
ROT: Compound, Dial-Set Compur: BLAU: ICA und Zeiss-Ikon Kameras, GELB: Goerz, LILA: Contessa Nettel, GRÜN: RIM-Set Compur 
Quelle: Pavel Krumphanzl.  
Doch zunächst löse ich mein Versprechen ein und präsentiere hier diese Grafik als Auswertung der großartigen Nummernliste von Kameras aus dem Zeiss-Ikon-Komplex (ICA, Goerz, Contessa-Nettel und ZI ab 1926), die ich vom Sammlerkollegen Pavel Krumphanzl bekommen habe. Ich habe den Kameras auf Basis ihrer eigenen Gehäusenummer (im Falle von Goerz: Objektivnummer) ein Produktionsdatum zugeordnet und stelle dies der am Verschluss gefundenen Seriennummer gegenüber. Wichtig zu betonen ist es, dass das Datum natürlich nicht das Produktionsdatum des Verschlusses ist. Dieser wurde vermutlich schon früher produziert, ggf. sogar schon Jahre früher. Außerdem hat natürlich auch die Kameradatierung ihre Fehler und bei manchen Kameras könnte auch nachträglich ein alter oder auch ein neuerer Verschluss als Reparatur verbaut worden sein. Daher ist das oben keine schöne Korrelation, sondern eher eine Datenwolke, der man wegen der großen Datenbasis aber durchaus ein paar Erkenntnisse entnehmen kann.

Hier nun aber wie versprochen die Zusammenfassung der "Fakten"...
  • Die frühen Jahre: Deckel begann mit der Compound-Fertigung ca. im Jahr 1905 und zählte von unten hoch. Vierstellige Compound-Nummern sind bekannt. Ab ca. 1912 kommt der Compur hinzu, beide Verschlüsse teilen sich einen Nummernkreis, der Compur startet schon 6-stellig bei ca. 214,xxx. Während des 1. Weltkrieges (ab 1915 bei ca. 340,xxx) werden keine Verschlüsse produziert.
  • 6-stellige Seriennummern (340,xxx bis 9xx,xxx): Während der 1920er Jahre wird die Produktion signifikant ausgebaut und fast nur noch der Compur produziert. Von Anfangs ca. 50-Tausend steigerte man sich auf über 300-Tausend Exemplare pro Jahr am Ende des Jahrzehnts. Die Kamerahersteller wurden wohl blockweise bedient: Man findet z.B. 300,xxx bis 450,xxx Nummern gehäuft bei ICA-Kameras, Contessa-Nettel Kameras haben häufig einen 6xx,xxx-Verschluss, etc. 
  • Niedrige Compur-Nummern (x,xxx bis 280,xxx): Mit dem Erfolg des Compur reicht der 6-stellige Nummerkreis nicht mehr lange, ca. 1926 wird die Millionenmarke erreicht. Vermutlich weil man die Nummern-Gravur-Maschinen nicht so schnell auf 7 Stellen umstellen konnte, erhalten Compur-Verschlüsse wieder 4-, 5- und niedrige 6-stellige Nummern bis ca. 280,xxx. Die meisten der gesichteten Kameras mit solchen Verschlüssen stammen aus dem Jahr 1927. 
  • 1,xxx,xxx: 1928 kommt der RIM-Compur auf den Markt und Deckel versieht alle Verschlüsse dieser Art für Zeiss Ikon und Carl Zeiss Jena mit einer 1,xxx,xxx Nummer während alle anderen Kamera- und Objektivhersteller einen 2,xxx,xxx bekommen. Inzwischen läuft aber auch die Produktion der Dial-Set-Verschlüsse auf längfristig niedrigerem Level weiter. Hier wird einfach weiter hochgezählt und so bekommen auch diese eine 1,xxx,xxx Nummer, diesmal aber für alle Abnehmer. Interessanterweise gibt es im oberen Bereich dieses Nummernkreises eine größere Lücke: Die höchste gesichtete Nummer in diesem Segment ist ca. 1,45x,xxx. 
  • 2,xxx,xxx und (ab ca. 1935) 3,xxx,xxx: Rim-Set Compur Verschlüsse (bis 1/300 s) für den allgemeinen Markt von 1928 bis ca. 1938. (Zeiss Ikon: 1,xxx,xxx)
  • 4,xxx,xxx: Compur Rapid (1/500 s in Größe 00, bzw. 1/400 s) für Zeiss Ikon Kameras (1934 bis ca. 1940)
  • 5,xxx,xxx: Compur Rapid (1/500 s in Größe 00, bzw. 1/400 s) für alle anderen Hersteller.
  • A,xxx,xxx und 0,0xx,xxx: Compur-Verschlüsse (nicht Rapid) ab irgendwann in 1938 als der Nummernkreis 3,xxx,xxx ausgereizt war, die 4,xxx,xxx aber schon an den ZI-Rapid vergeben. Ob beide Versionen parallel (auf verschiedenen Maschinen) oder nacheinander verwendet wurden, ist nicht belegt.
  • 6,xxx,xxx bis 8,6xx,xxx: Compur-Rapid (bis 1951) bzw. Synchro-Compur (1952 - 1954). Ob schon 1939 oder 1940 6,xxx,xxx verwendet wurde oder erst nach dem 2. Weltkrieg ist unsicher. Ab 1954 wird wieder mit neuem Seriennummern-System gezählt, allerdings ist diese Nummer nur noch intern und von außen an den Kameras nicht mehr sichtbar. 
  • 258,646 ist (bis auf eine Ausnahme) keine Seriennummer, auch wenn sie oft unbedarft als solche angegeben wird. Es ist die Nummer des Deutschen Patents zum Compur.
Fazit: Mit der Compur-Seriennummer allein ist prinzipiell keine genaue Altersbestimmung von Kameras oder Objektiven möglich. In Kombination aber mit einer Gehäuse- und im besten Fall auch Objektivnummer können uns diese Zahlen einiges erzählen. Insbesondere bleiben ungewöhnliche Kombinationen spannend. Ich werde der (möglicherweise) blockweisen Abgabe von Verschlüssen an einzelne Hersteller noch weiter nachgehen. 


2025-04-10

Zeiss Ikon Ikonette 35



Die Ikonette 35 (Zeiss Ikon Nr. 500/24, nicht zu verwechseln mit der Ikonette 504/12 von 1928) ist eine ganz besondere Kamera aus Westdeutscher Zeiss Ikon Produktion aus dem Jahr 1958. Besonders war sie nicht wegen der eher bescheidenen technischen Spezifikation um den einfachen PRONTO-Zentralverschluss herum, sondern wegen drei Dingen, die sie von der Masse der damals produzierten Kameras abheben: 

1) Ihr geschwungenes Design, entwickelt vom Hochschulprofessor Heinz Löffelhardt und seinem Schüler Hans Erich Slany. Damit passt sie perfekt in die sogenannte Nierentisch-Periode der 1950er

2) Der "Tempohebel" genannte kombinierte Auslöser und Schnellschalthebel, ein im wahren Wortsinn neben dem Objektiv herausstehendes Merkmal. Die Erfindung (DE 1 043 077 angemeldet am 25.5.1957) ist eine Weiterentwicklung des alten Tenax-Hebels, die von Fritz Krumbein aus Berlin Friedenau (ehemalige Goerz-Werk und zweites BRD-Standbein der neuen Stuttgarter Zeiss Ikon) gemacht wurde. Die Zeichnungen im Patent zeigen noch eine klassische Kameraform und noch nicht die "Niere". 

Zum 3) ist die hauptsächliche Verwendung von Kunststoff als Gehäusematerial zu nennen. Damit ist jetzt nicht billiges und dünnes Plastik gemeint, wie man es später bei manch anderer Kamera zu sehen und fühlen bekam. Nein, bei der Ikonette wurden sowohl hellgrau (Außenteile) als auch schwarz gefüllte Duroplaste verpresst (Kunststoffdruckguss), die nicht nur widerstandsfähig sind, sondern auch satt und wertig in der Hand liegen. Lediglich die Rückwand ist aus gebogenem Blech, genauso wie die daran befestigte Filmandruckplatte, die übrigens nicht der Kurve folgt, sondern tatsächlich die Planlage des Films gewährleistet. Natürlich ist auch die ganze Mechanik aus Metall und die Linsen aus Glas, aber der Kunststoff macht schon schätzungsweise 2/3 der Kamera aus. 
Das Kameragehäuse besteht hauptsächlich aus schwarz- bzw.
hellgrau gefülltem Duroplast-Kunststoff. Nur die Rückwand
ist aus gebogenem Blech. 

Diese drei Dinge allein könnten sie für heutige Sammler interessant machen. Dazu kommt aber dann noch der eine oder andere Mythos um ihren nur zwei Jahre währenden Marktauftritt und die angebliche Vernichtung von zurückgekauften Kameras durch Zeiss Ikon selbst, was zu ihrer heutigen Seltenheit beigetragen haben soll.  Ich bin ein skeptischer Mensch und glaube solche Dinge erst bei Vorlage von Dokumenten aus erster Quelle. 

Man liest heute verschiedene Versionen: Angeblich war der Hauptgrund des Rückrufes mangelnde Lichtdichtheit, die nicht reparabel war. Es gibt aber einige Berichte von Kamerasammlern im Netz, die alle nicht zu beanstandende Testaufnahmen gemacht haben, von Lichtlecks also keine Spur. Für einen viel wahrscheinlicheren Grund halte ich die Spekulationen über das technisch anfällige Zusammenspiel zwischen Tempohebel und Verschluss, was bei Fehlbedienung zu defekten Verschlüssen geführt habe. Man liest tatsächlich von vielen Kameras mit nicht funktionierenden Verschlüssen, auch mein Exemplar ist ein solches. 
Stilecht kombinierbar
mit dem Ikoblitz

Aber hat Zeiss Ikon wirklich Kameras zurückgekauft und vernichtet? Ich glaube nicht wirklich daran. Ich denke, dass die Ikonette mit der oben genannten Kombination, die sie heute für uns Sammler interessant macht, damals kaum einen Käufer überzeugen konnte. Sie verkaufte sich also schlecht und war vermutlich mit ihren exzentrischen Features nicht so billig zu produzieren, wie man in einer solchen Situation wünschen würde. Sehr wahrscheinlich besaß ZI die Kunststoffpresswerkzeuge nicht selbst, sondern ließ das Gehäuse bei Partnerfirmen im Lohn herstellen. 

Die Westdeutsche Zeiss Ikon befand sich in der zweiten Häfte der 1950er Jahre in einer Umbruch- und Findungsphase. Die endgültige Trennung vom Dresdener Firmenteil manifestierte sich spätestens ab 1954, man hatte trotzdem den Ansproch ein Vollsortimenter zu sein und produzierte Kameras für alle Segmente. Die Zeit der Balgenkameras ging langsam vorüber, bei den Kleinbildkameras liefen die entsprechenden Contina- und Contessa 35-Serien 1953 bzw. 1955 aus, auch um Platz für die Contaflex in der Produktion zu machen. Eine einfache und relativ preiswerte Kleinbildkamera fehlte noch im Programm. 

In diese Lücke stieß man 1958 mit der Ikonette und hat wohl zu viel auf einmal geändert. Der viele Kunststoff, die außergewöhnliche Farbe und die Nierenform haben vermutlich traditionelle Kamerakäufer abgestoßen und davon abgehalten, eine ansonsten doch relativ einfache Kamera zu kaufen. Auch die eigentliche technische Innovation, der kombinierte Auslöser und Schnellschalthebel hat nicht wirklich einen Vorteil gegenüber damals aufkommenden Schnellschalthebeln im Zusammenspiel mit separaten Auslösern. 
Die Ikonette 35 im Vergleich zu wichtigen Ahnen, Wettbewerbern und Nachfolgern: Kochmann Korelle K (1932, erste europäische Kamera mit Kunststoff-Gehäuse); Zeiss Ikon Tenax 1 (1939, erste Kamera mit Schnellschalthebel rund ums Objektiv); Penti (Kategorie Damenkamera); Zeiss Ikon Contessa 35 (so sahen die Sucherkameras von Zeiss Ikon in den 1960ern aus). 

Ich habe also nach Belegen für die Rückkaufthese gesucht und bisher keine gefunden. Stattdessen habe ich mir mal die bekannten Seriennummern angeschaut. Die Basis ist zwar klein, aber ich habe bisher nur Nummern gefunden zwischen S-74xxx und S-96xxx. Das spricht für nur eine oder maximal zwei Produktionskampagnen von insgesamt ca. 20 bis 30-Tausend Exemplaren, vermutlich innerhalb weniger Monate zu erledigen. Die haben dann wohl wie Blei in den Fotoläden gelegen und Zeiss Ikon hat einfach keine weitere Kampagne mehr gemacht. Ab 1960 gab es dann die eher traditionell gestaltete neue Contessa 35 Serien, mit der ZI endlich den Zeitgeist traf und der Konkurrenz etwas entgegensetzen konnte. Die Ikonette wurde klammheimlich aus den Katalogen entfernt und ist deshalb relativ selten, weil sie einfach wenig produziert wurde.
Für mich als Sammler ist sie natürlich ein Glücksfall, weil sie was Besonderes hat. Und dann natürlich die thematische Verwandtschaft zu einigen andern Kameras aus meiner Sammlung (siehe GIF oben).  Leider ist mein Exemplar wie gesagt defekt, der Verschluss hakt. Ich habe ein paar halbherzige und letztlich erfolglose Reparaturbemühungen unternommen, die allerdings meine Neugier bzgl. des Kamerainneren befriedigt haben.  Äußerlich ist sie - wie man an den Fotos sieht - in einem sehr guten Zustand, der Kunststoff kann schon was ab, lediglich das graue Kunstleder auf der blechernen Rückwand ist leicht verschmutzt. Wie immer ist jeder Kommentar zur Kamera willkommen, insbesondere natürlich zu ihrem kurzen Marktauftritt und den oben erwähnten Mythen. Wer eine andere Seriennummer kennt, immer her damit!

Datenblatt Einfache Kleinbild-Sucherkamera aus Kunststoff
Objektiv Novar 45 mm f/3.5 (Triplet)
Verschluss Pronto-Zentralverschluss (B-25-50-100-200). Es sind auch Kameras bekannt mit der modernen Zeitenskala B-30-60-125-250, technisch das Selbe...
Fokussierung Manuell per Frontlinsenverstellung, minimal 0.90 m. Keine Scharfstellhilfe.
Sucher Einfacher optischer Sucher mit roter Fahne, die die Notwendigkeit zum Filmtransport anzeigt.
Blitz Anschluß per Kabel und PC-Buchse.
Filmtransport Mittels "Tempohebel" (gleichzeitig Auslöser), gekoppelt mit Verschlussaufzug, Rückspulrad, Bildzählwerk (vorwärts).
sonst. Ausstattung Haken für Kameragurt. Eingelassener Zubehörschuh, Drahtauslöergewinde, Stativgewinde 1/4'', Selbstauslöser
Maße, Gewicht 130 x 76 x 70 mm, 424 g
Baujahr(e) 1958-1960, vermutlich nur ca. 20,000 bis 30,000 Exemplare, dieses #S-74538 von 1958.
Kaufpreis, Wert heute 89 DM, 29.95 US$ (1959), heute je nach Zustand und Zubehör 50-200 €
Links Camera-Wiki, Pacific Rim Camera, Mike Ekman, Engel-Art, Nocsensei (ital.), Camera Manual (english), Wolfgang Bongardt
Bei KniPPsen weiterlesen Nachkriegskameraproduktion in DeutschlandKorelle KZeiss Ikon Tenax 1Contessa 35ContaflexPenti, Werra

2025-04-01

Lego 31147

Es gibt sie wirklich: die Kategorie Spielzeug-Kameras (engl. Toy Cameras). Meist werden darunter Plastik-Kameras verstanden, mit denen man sogar noch fotografieren kann. Aber auch einfache Attrappen oder andere Alltagsgegenstände in Form einer Kamera fallen darunter. Sogar McKeown's widmet ihnen ein paar Seiten in seinem Sammler-Katalog. Dies hier aber ist etwas Spezielles, eben weil es das berühmte LEGO ist und man aus den 261 Einzelteilen auch andere Dinge bauen kann. 

Sie ist ein Produkt aus dem letzten Jahr und fiel mir erstmalig beim Lego-Weihnachtsgeschenkbummel für die Enkel in die Hände. Für die Enkel haben wir noch was Besseres gefunden, aber meine damals gezeigte Begeisterung hat dazu geführt, dass meine Frau mir das Ding später im Winterurlaub zum eigenen Zeitvertreib geschenkt hat.  
Ich bin tatsächlich begeistert, wie gut die Designer mit den beschränkten Möglichkeiten, die Lego-Steine eben so bieten, den generischen Charakter einer "Retro"-Kamera getroffen haben. Wenn das Ding heute zwischen meinen anderen Schätzen im Regal steht, fällt sie nicht mal besonders auf. Auch die natürlich beschränkte Funktionalität besticht: die beiden mitgelieferten Filme mit vorgefertigten Motiven lassen sich durch Öffnen der Rückwand einlegen. Wirklich gelungen! Ich habe länger mit mir gerungen, ob ich es hier posten soll, aber dann dachte ich: Heute ist ein gutes Datum dafür...

Datenblatt Spielzeugkamera aus 261 Teilen
Objektiv abnehmbar
Verschluss Auslöser beweglich, sonst imaginär.
Belichtungsmessung    unnötig
Fokussierung Objektiv ist drehbar
Sucher Durchsichtsucher über dem Objektiv, auch wenn die Form der Kamera ein SLR-Prisma andeutet.
Blitz Keiner, Zubehörschuh mit Mittennüppel
Film zwei mitgelieferte, einsetzbare Filme mit insgesamt 6 schon fertigen Dia-Motiven.
sonst. Ausstattung Handschlaufe, Rückspulkurbel, Rückwand zum Öffnen
Maße, Gewicht 125x72x83 mm, 161g (Film: 10.5g)
Baujahr(e) 2024
Kaufpreis, Wert heute 180 DKK, 20€
Links Lego-Website

2025-03-22

Zeiss Ikon Nettar IIC (517/2)

Ebenfalls in meinem Geschenkbeutel (Kamera #5) war diese Zeiss Ikon Nettar IIC, eine sehr solide aber dennoch einfache Faltbalgenkamera vom Anfang der 1950er Jahre. Sie gehört mit zu den letzten Vertretern ihrer Art. Ihr klassisches Bauprinzip geht zurück auf die ersten faltbaren Rollfilmkameras (ca. 1890), die sich den Laufboden wiederum von den Plattenkameras abgeschaut hatten. Als die Rollfilmkameras in den 1920er und 1930er Jahren die Marktführerschaft übernahmen, gab es von nahezu jedem Kamerahersteller eine oder mehrere Modelle in unterschiedlichen (Rollfilm-) Größen. Ab Mitte der 1930er setzte sich der Rollfilm 120 und 6x9 cm als Standard endgültig durch, zumindest im breiteren Massenmarkt, wo immer noch Kontaktkopien die Regel waren (siehe zum Beispiel meine Vollenda 620).    
In den 1930ern kamen bekanntermaßen auch die Kleinbildkameras auf, die dann endgültig die Marktführerschaft in den 1950ern übernehmen sollten. Nach der kriegsbedingten Pause fuhren die Kamerahersteller Ende der 1940er aber erstmal die Produktion der erfolgreichen Vorkriegsmodelle wieder hoch. Zeiss Ikon tat das auch für ihre bekannten Kameraserien Ikonta und Nettar, die schon immer im alten Contessa-Werk in Stuttgart produziert wurden. Die Nachkriegsvarianten bekamen ein wenig Facelift, indem der Aufklappsucher durch einen in der neuen Gehäusekappe integrierten optischen Fernrohrsucher ersetzt wurde. Im Falle der Nettar war die hier gezeigte geschwungene Gehäusekappe eine erste Version, spätere Kameras wie auch die Ikonta (532/2) hatten eine eckigere Form.
Durch Objektiv und Verschluss
unterschieden sich die Varianten

Ikonta und Nettar sind eigentlich nur Ausstattungsvarianten im selben Kameragehäuse, wobei die Nettar-Varianten die Billigversionen sind. Für die Nachkriegsvarianten von 1951 gab es folgende Auswahl (Preise aus Photo Porst-Katalog) : 

NETTAR...
Novar f/6.3 Vario 59,- DM
Novar f/4.5 Pronto 80,- DM
Novar f/4.5 Prontor-S 98,-DM
IKONTA...
Novar f/4.5 Prontor-SV 112,- DM
Novar f/3.5 Prontor-SV 150,- DM
Tessar f/3.5 Synchro-Compur 235,- DM

Die ursprünglichen Versionen in den 1930ern hatten sogar eine noch größere Differenzierung, siehe dieser Prospekt von 1938. Nicht unerwähnt werden sollte hier, dass es unter den Namen Nettar und Ikonta Kameras für verschiede Bildformate gab, die man durchaus als eigenständige Modelle sehen muss ( "A": 4.5x6, "B": 6x6 und "C": 6x9). Seltsam, aber so war das damals.... 

  
Nach dem 2. Weltkrieg lief die Produktion im Stuttgarter "Contessa-Werk" von Zeiss Ikon relativ zügig wieder an, weil es weder im Krieg zerstört noch von den Siegermächten (hier: die Amerikaner) demontiert wurde, im Gegensatz zu den Dresdener Betrieben, die unter beidem arg zu leiden hatten. 1948 fand dann die erste Hauptversammlung der neuen westdeutschen Aktiengesellschaft in Stuttgart statt. Zunächst wurden die Vorkriegsmodelle wieder aufgenommen, diese Version von 1951 ist das erste Nachkriegs-Update mit der zunächst geschwungenen Gehäusekappe. Weil man in Stuttgart Platz brauchte um auch höherwertige Kleinbildkameras wie die Contax IIa und die Contaflex fertigen zu können, zog man die Produktion von Nettar und Ikonta 1953 ins ehemalige Goerz-Werk nach Berlin-Friedenau um, wo bisher schon die Ikoflex und die Box Tengor gebaut wurden. 

Auf der anderen Seite des immer undurchlässiger werdenden eisernen Vorhangs, beim VEB Zeiss Ikon in Dresden, erkannte man schnell, dass es nach wie vor diese Nachfrage nach 6x9 Faltbalgenkameras gab, deren Produktionsstätten aber im Westen lagen. Daher wurde relativ schnell die zur Nettar/Ikonta fast baugleiche Ercona "entwickelt" und die Fertigung bei den ehemaligen Kamerawerkstätten ("KW") aufgenommen. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch noch ein anderer Ikonta/Nettar-Klon: Die Moskva, die angeblich (insgesamt für alle Varianten) fast eine halbe Million mal gebaut worden sein soll.

Die 6x9 Nettar (als Modell 518/2) wurde noch bis 1958 gebaut, spätestens dann war die Zeit dieser Kameras vorbei. Ihre 6x6 Schwestern hielten sich noch ein paar Jahre länger, dann übernahmen Kleinbildkameras die Rolle der Einsteigerkamera endgültig.  

Datenblatt Klassische Faltbalgenkamera für 6x9 cm auf Rollfilm 120
Objektiv Novar-Anasitigmat 105 mm f/4.5 (Triplet, vergütet). Eine billigere Version war auch erhältlich mit f/6.3 in Vario.
Verschluss Gauthier Pronto Zentralverschluss, B-25-50-100-200 1/s. Teurere Version auch erältlich mit Prontor SV (B-1-2-5-10-25-50-100-250), Gehäuseauslöser, Verschluss musste unabhängig vom Filmtransport gespannt werden. Keine Doppelbelichtungssperre.
Fokussierung Manuell per Fontlinsenverstellung, minimale Entfernung 1,50 m. Keine Scharfstellhilfe.
Sucher Einfacher, relativ kleiner optischer Durchsichtsucher.
Blitz Anschluss über PC-Buchse.
Filmtransport Mittels Drehrad, Kontrolle über rotem Fenster (verschließbar) und Rückseitenpapier. Keine Verriegelung gegen Leerbelichtungen.
sonst. Ausstattung Zubehörschuh, Trageschlaufe aus Leder, 2 x Stativgewinde 1/4'', ausklappbarer Standfuß, Drahtauslösergewinde
Maße, Gewicht ca. 165 x 100 x 45 mm (zusammengeklappt), 764 g
Baujahr(e) 1951-1953 in zwei Versionen, diese #T63281 von 1951
Kaufpreis, Wert heute 85 DM (1953 mit Vario), heute ca. 30 €
Links Camera-Wiki, Zeiss Ikon Prospekt (1953), Bruno Croci, Kurt Tauber



2025-03-09

Zeiss Ikon Colora F

Kamera Nr. 4 aus dem geschenkten Beutel voller einfacher Kameras ist diese Zeiss Ikon Colora F. Man würde sie auch ohne genauere Kenntnisse richtigerweise in die Mitte der 1960er Jahre verorten. Solche Kleinbild-Sucherkameras mit fest eingebautem Normalobjektiv und Zentralverschluss gab es damals von nahezu jedem Hersteller in verschiedenen Ausstattungsvarianten. Neben Kodak und Agfa hat sich insbesondere hier auch Zeiss Ikon hervorgetan, ein paar ihrer 1960er Kameras habe ich schon vorgestellt: Contessa, Cotessamat SE. Neben der Differenzierung mit hochwertigen Ausstattungsdetails wie Belichtungs- und/oder Entfernungsmessung, die die Kameras teurer machten, kamen damals immer billigere Modellreihen dazu. Bei Zeiss Ikon war das zunächst die Continette, dann die noch einfachere Colora. Man sparte am Objektiv (einfache Triplets mit Frontlinsenfokus) und am Verschluss (z.B. Prontor 125).   

Das Blitzgerät für AG-1 Blitzbirnen unter dem
hochgeklappten Zubehörschuh. Daneben auf der 
Rückspulkurbel der zughörige Blendenrechner.
Nachdem die Zeiss Stiftung im Jahr 1956 Zeiss Ikon's Konkurrenten Voigtländer von Schering übernommen hatte, und bevor man 1966 für beide Marken eine gemeinsame Vertriebsgesellschaft gründete, suchten die Verantwortlichen Anfang der 1960er Jahre nach Synergien. So teilte sich die zweite Generation der Colora ab 1963 das nun rundliche Gehäuse mit der Voigtländer Vitoret. Neben der Form ist der Voigtländer-typische Auslöseschieber auf der rechten Kameravorderseite charakteristisch für die neuen markenübergreifenden Kamerazwillinge. Die beiden Kameras sind zu 98% identisch und unterscheiden sich neben Beschriftung und wenigen ästhetischen Designelementen nur in einem kleinen technischen Detail (siehe unten). Ich gehe daher davon aus, dass auch die Colora mit den selben Maschinen wie die Vitoret vermutlich in Braunschweig gebaut wurde. Alles andere macht wirtschaftlich keinen Sinn.
 
Von beiden Modellen gibt es eine F (für "flash") Variante, die unter jeweils etwas höheren Gehäusekappen einen AG-1-Blitzbirnchenhalter und die entsprechende 15V-Batterie unterbrachte. Der Blitzreflektor klappte unter dem Zubehörschuh auf Knopfdruck elegant auf. Interessanterweise besitzen sowohl die Colora (ohne F) als auch die Vitoret eine PC-Buchse am Verschluss für den Anschluss von Blitzgeräten per Kabel, die Colora F (im Gegensatz zur Vitoret F !) diesen aber nicht mehr. Das heißt, man kann zwar ein externes Blitzgerät in den Zubehörschuh stecken, dies aber nirgends anschließen.

Vielleicht ist die fehlende Blitzbuchse für Zeiss Ikon auch das Argument, die Colora F mit 94 DM leicht unterhalb der 99 DM für die Voigtländer Vitoret F (Preisbindung!) zu positionieren. Von der Vitoret F wurden laut Claus Prochnow's Voigtländer Report 63500 Stück gebaut und verkauft, leider konnte ich zur Colora F keine Zahlen finden. Mich würde es allerdings nicht wundern, wenn die Zahl trotz des günstigeren Preises darunter liegen würde. 

Trotz des relativ günstigen Preises für diese Kameras war Blitzfotografie damit kein billiges Vergnügen. Ein Blitzbirnchen kostete ca. 40 bis 60 Pfennig, damit kostete ein Blitzfoto inklusive Film und Abzug mehr als doppelt so viel wie eines bei Tageslicht. Ich habe dazu leider nur Preislisten von 1956 und 1975 einsehen können, deren Preise allerdings ungefähr gleich auf lagen. Ich gehe mal davon aus, dass das auch für die 1960er Jahre galt. Kein Wunder, dass die am Ende der 1960er Jahre aufkommenden Elektronenblitze sich schnell durchsetzten, hier kostete ein Blitz außer den Anschaffungskosten fast nichts mehr. Eine mit der Vitoret/Colora F verwandte (Meilenstein-) Kamera zum Thema Elektronenblitz habe ich auch schon in meiner Sammlung...  


Datenblatt Kleinbild-Sucherkamera (24x36) mit eingebauten Blitzgerät für AG-1 Blitzbirnen
Objektiv Zeiss Ikon Novicar 50 mm f/2.8 (Triplet)
Verschluss Gauthier Prontor 125, B-30-60-125
Belichtungsmessung keine
Fokussierung manuell per Frontlinsenverstellung, keine Scharfstellhilfe
Sucher großer optischer Sucher mit Leuchtrahmen
Blitz eingebautes Blitzgerät für AG-1 Blitzbirnen, keine (!) alternative Anschlussmöglichkeit per Kabel.
Filmtransport mit Schnellschalthebel, Bildzählwerk (rückwärts)
sonst. Ausstattung Drahtauslösergewinde, Stativgewinde 1/4'', Zubehörschuh
Maße, Gewicht ca. 128 x 90 x 68 mm, 
Batterie 15 V Batterie für Blitzgerät, z.B. Daimon Nr. 324 oder Varta Pertrix Nr. 74
Baujahr(e) 1964-1965, Z.I.-Katalog-Nr. 10.0641. Vermutlich produziert auf der Vitoret-F Produktionslinie bei Voigtländer
Kaufpreis, Wert heute94 DM (1965), 5 €
Links Camera-WikiCamera manual (english), Photobutmore-Blitzseite, Vitoret F
Bei KniPPsen weiterlesen Vitrona, Die Geschichte des heißen Schuhs, Blitzbirnchen, Flash Bulbs

2025-03-01

Altissa Box

Dies ist nach der Baldessa 1 und der Agfamatic 300 Sensor Kamera Nummer 3 aus dem Einkaufsbeutel voller einfacher Kameras, den ich neulich geschenkt bekam. Es handelt sich um einen fast klassischen Vertreter einer Box-Kamera, einfachst konstruiert (billig zu bauen) und mit minimalen Einstell-Möglichkeiten für den Fotografen. Diese Altissa Box aus DDR-Produktion von 1954 bis ca. 1957 ist eine Neuauflage und Fortsetzung einer Vorkriegskonstruktion von 1937. 
Berthold Altmann hatte im Oktober 1934 die bis dahin von Emil Hofert geführte EHO-Kamerafabrik GmbH übernommen und ab ca. 1937 begonnen, seine Altissa-Boxen u.a. im kompakten 6x6-Format zu bauen, das durch die Rolleiflex populär wurde. Ab 1941 hieß die Firma schließlich Altissa-Camerawerk Berthold Altmann und begann nach der erzwungenen Kriegspause 1946 langsam wieder mit der Produktion der Vorkriegsmodelle. 1952 wurde Altmann enteignet und floh nach Westdeutschland. Das Altissa-Werk wurde als volkseigener Betrieb (VEB) weitergeführt, 1959 in die VEB Kamera und Kinowerke Dresden eingegliedert und die ehemaligen Produktionsräume 1961 aufgegeben. In diese Zeit fällt die Neuauflage der wohl anfangs recht erfolgreichen Altissa "Blechbüchse". Weitere Details kann man bei den unten aufgeführten Links finden.

Datenblatt Boxkamera aus Blech für 6x6-Aufnahmen auf Rollfilm 120
Objektiv Altissar Periskop f/8 (2 Linsen), Brennweite ca. 62 mm (selbst nachgemessen)
Verschluss Selbstspannender Einfachverschluss, B und 1/25s. Abblendbar durch Lochblende auf f/16
Fokussierung Fixfokus
Sucher großer optischer Fernrohrsucher
Blitz frühe Versionen der Kamera hatten eine PC-Buchse, dieses Modell vermutlich aus Kostengründen nicht mehr.
Filmtransport mittels Drehschraube an der rechten Kameraseite, rotes Rückseitenfenster, mit Schieber verschließbar.
sonst. Ausstattung Drahtauslösergewinde, Stativgewinde 3/8'', Ösen für Kameragurt.
Maße, Gewicht ca. 78 x 80 x 122 mm, 297 g (ohne Film, mit einer Spule)
Baujahr(e) 1954-1957, 
Kaufpreis, Wert heute 25.50 Mark (DDR, 1955), 5€
Links Camera-Wiki, VEBZeissIkon, Fotoapparate Meier, Lippisches Kameramuseum, Collection Appareils, Blende-Zeit-Forum

2025-02-16

Agfamatic 300 Sensor

Neulich habe ich an dieser Stelle ihre kleinere Schwester Agfamatic 200 "seziert", eine Einfachkamera mit Fixfokus-Objektiv und sehr begrenzter manueller Belichtungskontrolle. Die gesamte Agfamatic-Serie für den 126er Pak-Film umfasste mit der "50", der "100" noch zwei weitere Einfachstkameras mit noch weniger Einstellmöglichkeit und sogar nur einem einlinsigen Meniskus-Objektiv. Interessanterweise haben die Agfa-Ingenieure und die Designer von Schlagheck & Schultes mit der "300" noch eine fast vollwertige Kamera in das gleiche Plastikgehäuse mit dem schicken Aluminiumrahmen und dem orange-roten Sensor-Auslöser gefummelt. 

Der Sprung von der "200" zur "300" in der technischen Spezifikation ist enorm: Das dreilinsige Objektiv lässt sich fokussieren und die Belichtung wird nicht nur gemessen, sondern steuert automatisch die Verschlusszeit und das über den enormen Zeitenbereich von 30 s bis 1/300 s stufenlos. Angezeigt wird allerdings nirgendwo, welche Verschlusszeit gewählt wurde. Immerhin leuchtet eine kleine LED im Sucher, wenn Verwacklungsgefahr droht (>1/30s). Die beiden CdS-Fotowiderstände sind das auffallendste äußere Merkmal der "300" und gehören zu einer elektronischen Schaltung, die auch 2 Batterie-Knopfzellen benötigt und sich hinter der Frontabdeckung verbirgt.

Ich war natürlich neugierig und habe auch diese Kamera aufgeschraubt. Die verbaute Platine folgt wohl im Wesentlichen der Schaltung, die bei der Yashica Electro 35 erstmals erfolgreich eine Zeitautomatik implementiert hatte. Interessant ist, dass tatsächlich der relativ simple 2-Sektorenverschluss Parator mit wenig mechanischem Zusatzaufwand zum elektronisch gesteuerten Paratronic werden konnte. Auf meinem Bild sieht man deutlich den kleinen Elektromagneten und den grünen Kondensator als die beiden wesentlichen Teile des Hemmwerks.

Was mich allerdings sehr erstaunt hat, weil es sonst nirgendwo erwähnt wird: Eine Blende fehlt bei dieser Kamera, die gesamte Belichtungssteuerung wird alleine von der Zeitautomatik bei voller Blende f/8 übernommen. Damit ist ab ca. LW 14.5 Überbelichtung garantiert. Insbesondere für die Blitzfotografie wird üblicherweise eine Blende vorausgesetzt, was aber streng genommen nur für Elektronenblitze gilt. Bei den langsamer (aber dafür heller) ablaufenden Blitzbirnchen, die auch hier im Magicube verwendet werden, kann man die Belichtung auch per Verschlusszeit steuern. Ungewöhnlich, aber es geht.


Für Langzeitbelichtungen, die ja mit dem Verschluss bis zu 30 s möglich waren, gab es neben dem Stativgewinde (was auch alle anderen Agfamatic's hatten) konsequenterweise auch ein Gewinde für einen Drahtauslöser.  Die Kamera war mit 163 DM (1975) ungefähr 50% teurer als die automatik- und batterie-lose "200", und doppelt so teuer wie eine "100" mit dem Meniskus-Objektiv. Bessere Bilder als diese hat sie vermutlich speziell in besonderen Situationen gemacht. Allerdings bekam man ab ca. 220 DM auch bei Agfa schon echte Kleinbild-Kameras. In den 1970ern drängten die Japaner mit Macht auf den Europäischen Markt, mit günstigen, aber besser ausgestatteten Kameras wie der Konica C35. Dagegen hatte es diese spezielle (und damit relativ teure) Billigknipse besonders schwer, die Verkaufszahlen waren wohl nie besonders hoch.

Die Agfamatic Serie bekam 1978 von Agfa ein Upgrade spendiert, die "50" wurde zur "55C" und noch billiger (kein Aluminiumrahmen mehr), die "100" und "200" wurden zur "108" und "208" und hatten neben einem moderneren Gehäuse jetzt Flipflash statt Magicube. Nur die "300" blieb wie sie war im Programm, vermutlich gab es noch etliche schon produzierte Einheiten auf Lager, die noch abverkauft werden sollten. Die Kamera, die ihr bzgl. Spezifikation am nächsten kam, war übrigens die Pentacon Electra, quasi ihr Pendant auf der anderen Seite des damals die Welt trennenden eisernen Vorhangs. Neben ihr steht meine Agfamatic 300 jetzt im Regal.

Datenblatt Kompakte Sucherkamera für 126er Pak-Film mit Zeitautomatik
Objektiv Agfa Color-Agnar 44 mm f/8 (Cooke-Triplet, Plastik)
Verschluss Paratronic-Zweisektoren Verschluss hinter dem Objektiv, stufenlos elektronisch gesteuert von 30s bis 1/300 s. Kamera hat weder eine Einstellung für Filmempfindlichkeit noch eine Blende. 
Belichtungsmessung mit 2 CdS-Fotowiderständen.
Fokussierung Zonenfokus, drei Rastpunkte Unendlich, Gruppe, Portrait (1.20m).
Sucher optischer Newton-Durchsichtsucher, Leuchtrahmen. Verwacklungswarnung per roter LED.
Blitz Anschluss für X-Blitzwürfel (Magicubes), die beim Filmtransport gedreht werden. Entfernungsskala für Blitzfotografie unten am Objektiv.
Filmtransport Schnellschalthebel, Bildnummer auf Rückseitenpapier durch Fenster in der Rückwand.
sonst. Ausstattung Sensor-Auslöser, 1/4'' Stativgewinde, Gewinde für Drahtauslöser, Öse für Handschlaufe. 
Maße, Gewicht ca. 102 x 66 x 55 mm, 189 g
Batterie2 x PX625
Baujahr(e) 1971 - 1977, im Verkaufsprogramm von Agfa bis ca. 1982.
Kaufpreis, Wert heute 163 DM (1975, kleine Geschenkpackung, inkl. Film, Handschlaufe und einem Blitzwürfel). Heutiger Wert: ca. 20 €, unbenutzt in Geschenkverpackung: ca. 50€. 
Links Camera-Wiki, Museum Digital, Agfa-Museum ScholzCollection Appareils
Bei KniPPsen weiterlesen Geschichte der BelichtungsautomatikYashica Electro 35, Pentacon Electra, Agfamatic 200 auseinandergenommenKodak Instamatic 100, ...104, Instamatic SLR, Agfamatic Pocket 4000, Agfa Isoflash Rapid, 126er Kameras 

2025-02-08

Agfamatic 200 Sensor - auseinandergenommen


Sie war Gegenstand meines allerersten Blog-Posts (am 21.8.2010), eben weil sie auch meine erste Kamera war, die ich als Kind von meinen Eltern geschenkt bekam. Weil ich seit längerem 2 Exemplare besitze, habe ich beschlossen, eines davon zu "opfern", um sie mir von Innen genauer anzuschauen. Außerdem bin ich seit kurzem auch Besitzer einer Agfamatic 300 (dazu bald mehr) und der technische Vergleich der jeweiligen Varianten reizte mich zusätzlich. Bei dem ganzen Prozess ist mir klar geworden, wie genial diese Kameras designed sind, sowohl technisch als auch ästhetisch. Es ist eigentlich eine viel gößere Leistung, so eine Massenkamera zu bauen, die trotz eines niedrigen Preises gute Bilder abliefert, als eine High-End-Kamera mit großem Entwicklungsbudget. Agfa hat ihre Sache sehr ordentlich gemacht, die Kameras waren wohl sehr erfolgreich und ihre Produktionszahl dürfte insgesamt 7-stellig gewesen sein. Leider findet man eher wenig solcher Informationen oder Details über ihre Entwicklungsgeschichte. Daher hier mal der Versuch, zumindest technisch eine genauere Dokumentation ins Netz zu stellen:
   
"Parator" Zweisektorenverschluss von vorne (links) in geöffnetem
Zustand und von der Rückseite (rechts). Das Hemmwerk ist der 
kleine weiße Plastikhebel.
Der Parator genannte Verschluss sitzt hinter dem Objektiv und ist ein sogenannter Zweisektoren-Verschluss, dessen Lamellen beim Verschlussablauf gleichsinnig, aber zeitlich verzögert ablaufen und dabei die zentrale Öffnung kurzzeitig freigeben. Beim Spannvorgang in die Gegenrichtung nimmt die eine Lamelle die andere so mit, dass die Öffnung immer bedeckt ist. Die zweite Lamelle kann beim Verschlussablauf mit einem kleinen Plastikhebel so gebremst (gehemmt) werden, dass sich verschiedene Verschlusszeiten realisieren lassen. Bei der Agfamatic 200 sind das angeblich 1/80 s und 1/40 s (nachgemessen habe ich das nicht). Der Verschluss besteht aus erstaunlich wenigen Einzelteilen und lässt sich auch einfach montieren.

Rückseitenansicht der Blende
Zwischen Verschluss und Objektiv sitzt die Blende, die aus zwei rechteckigen Schiebern gebildet wird, die je nach Stellung ein mehr oder weniger großes Quadrat freigeben. Ein rundes Messingblech fungiert als Steuereinheit mit entsprechend ausgesparten Steuerkurven. 

Zusammen mit dem Verschluss wurden bei der Agfamatic 200 vier Belichtungseinstellungen realisiert, die über die vier Symbole am Objektivring angewählt werden, wobei nur beim Wolkensymbol die 1/40 s gewählt wird. Bei den drei anderen Symbolen wird mit 1/80 s belichtet und entsprechend abgeblendet. Interessanterweise hat die Steuerkurve der Blende ihre größte Öffnung bei Stellung 2 (diesige Sonne), bei Wolke wird etwas abgeblendet, allerdings nicht so stark wie bei den anderen beiden Stufen Sonne und Strand. 

Die schwarze Plastikfassung der Blende trägt dann auch das Objektivgewinde (21 mm Durchmesser), wo das Fixfokusobjektiv eingeschraubt ist. Das Objektiv selbst wiegt nur 2.5 g, besteht aus fünf Teilen, von denen drei Plastiklinsen sind, sowie die schwarze Fassung und eine winzige kreisrunde schwarze Blende im Zentrum. Die Konstruktion ist das klassische Cooke-Tripletangepasst an die optischen Eigenschaften der verwendeten Plastiksorten. Vermutlich bestehen die äußeren Sammellinsen aus Polymethyl-Methacrylat (PMMA, bekannt als Plexiglas), die mittelere Zerstreuungslinse aus Styrol-Acrylnitril-Copolymer (SAN).

Mein erstes und bisher einziges zersägtes Objektiv.
Solche Objektive haben für den Zweck völlig ausreichende Abbildungsleistungen, lassen sich aber für Pfennigbeträge in großen Stückzahlen leicht herstellen. An manchen Stellen liest man die Annahmen, dass alle Agfamatic-Kameras einfache Meniskusobjektive verwenden. Das trifft aber nur auf die beiden preiswertesten Agfamatic Modelle 50 und 100 zu ("Colorstar" Meniskus f/11). Plastik-Triplets gibt es im Kamerabau seit Ende der 1950er Jahre, natürlich war Kodak ein Pionier hierbei (z.B. Brownie Starflex).

Der aufwändigste Teil der Kamera ist die ganze Mechanik, die für Filmtransport, Verschluss-Spannen und dem damit verbundenen Drehen des Blitzwürfels im oberen Drittel der Kamera verbaut wurde. Hier findet sich ganz viel Messing und Stahl, der Großteil der Einzelteile und mit 54 g (30%) mehr Gewicht als der im Plastik-Druckguss extrudierte Grundkörper der Kamera (30 g). Auch der schicke Aluminiumrahmen trägt mit 32 g (18%) dazu bei, dass die Agfamatic gut in der Hand liegt und nicht als billige Knipse wahrgenommen wird, die sie eigentlich ist. Der Aluminiumrahmen scheint um die innere Kamera herumgebogen worden sein, bevor schließlich der Schnellschalthebel aufgepresst und die Plastikfront sowie die Rückwand angeschraubt wurden.




Gewichtsverteilung     [g]
Grundgehäuse, Plastik, inkl. Sucher 29.75  
Frontkappe, Plastik 18.44 
Rückwand, Plastik 28.56
äußerer Rahmen, Aluminium 32.00
Mechanik, Schnellschalthebel, Schrauben,(Messing, Stahl, Plastik) 55.90    
Objektiv, Plastik  2.50
Verschluss, Messing und Plastik 10.66
Blende, Plastik und Stahl  5.23
Total... 183.4

Der Sensor-Auslöser (Patent DE 1 622 174) und das damit verbundene Design-Element mit dem orangen Punkt war für Agfa insgesamt ein Marketing-Geniestreich. Der beworbene technische Vorteil, dass ein Druck mit minimalem Hub auf diesen Auslöser weniger verwackelte Aufnahmen verursacht als ein traditioneller Auslöser, war wohl eher marginal. Neben den beiden mechanischen Varianten, die im Patent gezeigt werden, gibt es noch eine dritte als elektrischen Schalter, die insbesondere für spätere elektronische Kameras wichtig werden sollte. 

Es gäbe an dieser Stelle noch mehr zu schreiben, z.B. über den Blitz, die Unterschiede zu den anderen Agfamatic Modellen und einiges mehr. Das hebe ich mir für demnächst auf, wenn ich über die Agfamatic 300 berichten werde...

Datenblatt Einfache Sucherkamera für Pak-Film (126), 28x28 mm
Objektiv Agfa Color-Agnar 44 mm f/8
Verschluss Parator-Zweisektoren Verschluss hinter dem Objektiv, ca. 1/40 s und 1/80 s
Belichtungsmessung keine, Einstellung über 4 Belichtungssymbole (Wolke, Tageslicht, Sonne Strand), siehe Text.
Fokussierung Fixfokus, 1.20 m bis unendlich.
Sucher optischer Newton-Durchsichtsucher, Leuchtrahmen
Blitz Anschluss für X-Blitzwürfel (Magicubes), die beim Filmtransport gedreht werden. Entfernungsskala für Blendeneinstellung beim Blitzen unten am Objektiv.
Filmtransport Schnellschalthebel, Bildnummer auf Rückseitenpapier durch Fenster in der Rückwand.
sonst. Ausstattung Sensor-Auslöser, 1/4'' Stativgewinde, Öse für Handschlaufe
Maße, Gewicht ca. 102 x 66 x 55 mm, 183 g
Batterie keine
Baujahr(e) 1971 - 1977, diese am 9. Juli 1976 (Stempel)
Kaufpreis, Wert heute 110 DM (1975, kleine Geschenkpackung, inkl. Film, Handschlaufe und einem Blitzwürfel), große Geschenkpackung 118.50 DM mit zusätzlicher Bereitschaftstasche. Heutiger Wert: ca. 5 €, unbenutzt in Geschenkverpackung: ca. 40€. 
Links Camera-Wiki, Lippisches Kameramuseum, Optiksammlung, Agfa-Museum Scholz, Industrie-und-Filmmuseum Wolfen, Collection Appareils
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