2024-10-27

Agfa Lupex Fotopapier

Diese alte Schachtel bekam ich die Tage von meiner Mutter geschenkt, die sie selbst als kleines Mädchen am Anfang der 1940er Jahre von ihrer Tante geschenkt bekam. Der Inhalt waren (und sind es immer noch!) selbstgemachte Puzzleteile aus Sperrholz, die meine Großtante selbst bemalt und mit der Laubsäge ausgesägt hatte. 

Der ursprüngliche Inhalt der Schachtel war damals schon lange aufgebraucht - vermutlich von meinem Großonkel, einem Chemie-Ingenieur, der selbst bei der I.G. Farben, allerdings nicht bei deren Abteilung III (Agfa) angestellt war. Das LUPEX war ein relativ gering empfindliches Fotopapier, das dadurch eigentlich nur für Kontaktabzüge zu gebrauchen war, man sprach damals von "Kopierpapier" (nicht mit der heutigen Bedeutung zu verwechseln). Die Schachtel enthielt 100 Blatt im Format 14x20 cm auf dünnem Fotokarton. Mit dem entsprechenden Kopierrahmen konnte man mit einem Blatt gleichzeitig 4 Negative im gängigen Format 6x9 kopieren, die dann alle einen dünnen weißen Rand hatten.
  

Hier die Evolution des Agfa-Logos auf den Fotopapierpackungen im Lauf der Jahrzehnte. Ganz links die Vorkriegsvariante (ca. 1927 bis mindestens 1945), zu erkennen an "I.G. Farben, Berlin SO36", in der Mitte die Nachkriegsvariante (ab 1952: Agfa AG, Leverkusen - Bayerwerk). Rechts ab 1964 bis mindestens in die frühen 1980er Jahre als Agfa-Gevaert. Der Produktionsstandort war immer das Werk in Leverkusen. Wer noch andere Varianten kennt, insbesondere die frühe Nachkriegszeit, bitte melden! 

In einem Agfa Gesamtprospekt aus den 1930er Jahren gibt es einen schönen Abschnitt über Lupex Papiere (ab S. 50), auch interessant zu lesen im Vergleich zu den anderen genannten Alternativen. Zur Abrundung unten noch zwei Seiten aus meinem Photo-Porst-Katalog von 1938, mit Infos und Preisen zum Agfa-Lupex und Abbildungen von Kopier-Zubehör für die Dunkelkammer:

2024-10-09

Plattenkameras 6,5 x 9 aus Photo Porst Katalog 1932 und der "Niedergang der Plattenkamera"

Angeregt durch meinen Beitrag über die Kenngott Supra No.2, eine Laufboden-Plattenkamera für das Format 6.5 x 9, möchte ich hier anhand der Beispiele aus meinem Photo-Porst Katalog von 1932 zeigen, welche Auswahl der Fotoamateur damals noch hatte. Einfach auf eins der Bildchen klicken und die entsprechende Katalogseite öffnen. Wer es lieber am Stück liest, kann sich hier das PDF runterladen, das noch einige Extraseiten u.a. zur Wahl der richtigen Kamera enthält. Viel Spaß!

Die 16 Plattenkameras im Format 6.5x9 aus dem Photo Porst Katalog von 1932. Daneben gibt es dort eine sehr ähnliche Auswahl an 9x12-Modellen (insgesamt 20) sowie ein paar Stereo- sowie Spiegelreflex-Kameras (9x12) für Glasplatten oder Filmpacks.

Ein Klick auf die Bilder öffnet die entsprechende Katalogseite.

Photo Porst Kameraverkäufe 1931
Porst hat im Jahr 1931 31-Tausend Kameras verkauft (und damit 3.45 mio Reichsmark Umsatz gemacht), „nur“ 6500 davon (21%) waren 6.5x9 Modelle. Die allermeisten (44%) waren noch (!) die großen (9x12) Laufboden-Plattenkameras, wie man an der Grafik rechts ablesen kann. Im 1932er Katalog spielten sogenannte Kleinfilm-Kameras (3x4 und 35 mm) schon eine gewisse Rolle (hatte ich schon von berichtet), und rückblickend wissen wir, welche Revolution am Kameramarkt zugange war: Plattenkameras wollten die Kunden ab ca. 1932 nicht mehr kaufen. Der 1935er Porst Katalog, den ich ebenfalls besitze, spricht eine eindeutige Sprache. Leider fehlt darin die entsprechende Statistik, aber 9x12-Kameras werden überhaupt nicht mehr angeboten, nur ein paar Modelle der 6.5 x 9 Klasse halten der alten Fotoplatte noch die Stange. Die Kunden kauften Kleinbild- und Rollfilmkameras, die Filme waren inzwischen so gut und lichtempfindlich geworden, dass es nicht nur billiger und praktischer war, sondern auch qualitativ ebenbürtig zur Plattenkamera wurde. Plattenkameras wurden regelrecht zu Ladenhütern, alleine Agfa hatte 1932 plötzlich 70.000 Plattenkameras auf Lager, die sich nur langsam über die nächsten Jahre verkaufen ließen. Dies betraf die gesamte Branche, diejenigen Hersteller, die nichts anderes anbieten konnten als Platte (sowie Kenngott) gingen pleite. Der Ausverkauf der auf Lager liegenden Plattenkameras dauerte fast 10 Jahre, wie die Seite aus dem Porst-Katalog von 1938 beweist (mehr oder weniger alles zum halben Preis oder weniger im Vergleich zu 1932!):



2024-09-25

Compur Verschluss mit fünfstelliger Seriennummer - Compur shutter with 5 digit serial number

Über den Compur-Verschluss selbst und die zugehörige Seriennummer-Sequenz habe ich ja schon mehrfach geschrieben (hier und zuletzt hier). Mein Sammlerkollege Attila hat mir gestern morgen dort einen Kommentar hinterlassen und über seinen Compur mit der fünfstelligen Seriennummer #70009 berichtet. Ich war natürlich gleich hellwach, steht doch bisher in allen Internet-Quellen, dass die Compur Zählung bei ca. 214.000 und im Jahre 1912 anfängt.  Ich habe ihn gebeten, mir (und damit der Sammel-Community) die entsprechenden Bilder dazu zur Verfügung zu stellen, hier sind sie. 

Bevor ich mich an Erklärungsversuche mache, zunächst die anderen Fakten und noch ein bisschen mehr Hintergrund-Recherche. Es handelt sich um einen Rädchen-Compur ("Dial-set") der Größe #0 mit der minimalen Verschlusszeit von 1/200 s. Darin gefasst ist ein Meyer-Görlitz Doppel-Anastigmat Helioplan 13.5 cm f/4.5 mit der Seriennummer #404208, die auf ca. 1930, evtl. etwas davor zeigt. Eine Kamera ist zu der Kombination nicht mehr vorhanden, vermutlich handelte es sich um eine Laufbodenkamera für das Format 9x12, wie z.B. meine Agfa Isolar. Das äußere Erscheinungsbild des Verschlusses gleicht bezüglich Lackierung, Material und Beschriftung anderen Compur-Verschlüssen  aus den späten 20er und frühen 30er Jahren. Aus dieser Zeit sind die allermeisten dieser Verschlüsse bekannt, und sie haben (fast) alle hohe 6-stellige Seriennummern. Bei einer kurzen dezidierten Suche nach fünstelligen Compur-Nummern ist mir noch ein anderer über den Weg gelaufen, auch mit Foto, diesmal ist es die #11443 auch an einer Kamera vom Ende der 1920er Jahre. 


Jetzt könnte man natürlich das Naheliegende annehmen: Warum sollte es eigentlich keine frühen fünfstelligen Seriennummern geben, also ca. für die Jahre 1910 oder 1911? Das Patent (mit der unter dem Objektiv angegebenen Nummer 258646) stammt aus dem Juni 1910, das wäre der Startpunkt. Ich finde, die Indizien sprechen dagegen:
  • Wenn es so wäre, müßten eigentlich noch Kombinationen solcher Verschlüsse existieren mit Kameras und oder Objektiven, die nachweislich den frühen Vorkriegsjahren 1910-1914 zugeordnet werden können.
  • Der technische Fortschritt oder schlicht Geschmacksfragen sollten sich in kleinen Detailunterschieden zwischen den frühen Verschlüssen und den nachweislich am Ende der 20er Jahre produzierten zeigen. 
Daher postuliere ich mal folgendes: 
  • Die Verschlüsse mit den fünfstelligen Seriennummern stammen vom Ende der 1920er Jahre. Ich gehe weiterhin davon aus, dass die ersten Compurverschlüsse mit der Seriennummer 214xxx starten und Deckel damit einfach seine schon bei Compound und Co. eingeführte Zählung fortsetzt.
  • Eine für mich sehr plausible Erklärung für die fünfstelligen Nummern könnte sein, dass die Werkzeugmaschine(n), die die Seriennummer gestanzt haben, nur auf sechs Stellen ausgelegt waren und erst einmal aufgerüstet werden mussten. Sprich: die 70009 ist eigentlich als 1070009 zu lesen. Deckel konnte mit dieser Übergangslösung leben, da ein möglicher anderer Verschluss mit der selben Seriennummer definitiv kein Compur war.
Es kann natürlich noch andere Erklärungen geben. Wer eine andere Idee hat, bitte unten kommentieren. Außerdem wäre es toll, wenn wir gemeinsam noch weitere Belege sammeln könnten: Wer einen Compur mit fünf- oder niedriger sechsstelliger Seriennummer (< 214.000) hat, bitte auch mit Angaben zu Kamera und/oder Objektiv entweder hier kommentieren oder mir eine e-mail (knippsen (at) icloud.com) schicken. Danke nochmal an Attila für dieses wertvolle Geschichts-Puzzlestück und natürlich die Fotos hier.

Nachtrag am 3. Oktober 2024

4-stelliger Compur (Größe1), gefunden an 
einer Voigtländer Bergheil 9x12, mit einem
Heliar 13,5 f/4,5 (beides 1927)
Rad-Compur (Größe 2), an einer
Voigtländer Bergheil 10x15, mit 
einem Skopar 16,5 f/4.5 (1927)
Eure Rückmeldungen waren diesmal sehr schnell und ich bin sehr erfreut hier noch weitere sehr niedrige Seriennummern zeigen zu dürfen. Der Sammler-Kollege Jan Seifert hat sogar vier Kameras in seiner Sammlung, die Nummern unterhalb der 214.000 haben. Darunter sogar eine nur vierstellige Nummer. Neben den beiden hier per Foto gezeigten gibt es noch die #101689 (Größe 00, Zeiss Ikon Cocarette 207U mit Tessar 9cm f/4.5, von 1927) und die #145582 (Größe 2, Zeiss Ikon (ehem. Ernemann) Heag IX 13x18, Tessar 18 cm f/4.5, 1927). Na, fällt was auf? Alle Kameras sind anhand anderer Merkmale eindeutig dem Jahr 1927 zuzuordnen. Damit bekommt meine These von oben gehörige Unterstützung.

Ja, und dann erhielt ich noch eine fast unglaubliche Liste vom Kollegen Pavel Krumphanzl aus Prag. Sie enthielt 891 frühe Kameras mit Compound und Compur-Verschlüssen. Alle davon sind aus dem Zeiss Ikon "Verbund" (sprich ICA, Contessa-Nettel, Ernemann, Goerz und ab 1926 "ZI"), 650 davon haben eine Seriennummer nach dem ICA/ZI-Schema, die mir eine grobe Zuordnung der Kameras zum Herstelljahr erlaubten. Auch Objektiv-Seriennummern waren da, die habe ich aber für meine Schnellanalyse außen vor gelassen. Hier die Grafik dazu:

Und man sieht es ganz deutlich: Compur-Verschlüsse mit Seriennummern unter 250,000 wurden in den späten 1920er Jahren verbaut. In Pavels Liste sind 150 davon, auch ein paar mit fünfstelliger Nummer. Bei Gelegenheit werde ich noch weiter in die Liste eintauchen und meine Analyse(n) verfeinern. Pavel hat mich auf seine Beobachtungen hingewiesen, dass in den 1920er Jahren bestimmte Nummernblöcke gehäuft bei bestimmten Produzenten auftauchen (z.B. ICA hat oft 300xxx-450xxx, Goerz und Contessa Nummern über 500-Tausend). Und natürlich die Sache, dass Zeiss Ikon Kameras den RIM-Compur ab 1928 mit den Nummern 1.xxx.xxx bekamen, alle anderen Hersteller mit 2.xxx.xxx. Genauso hat es Deckel mit dem Compur Rapid ab 1934 gemacht (ZI: 4.xxx.xxx, andere: 5.xxx.xxx). Aber mehr dazu ein anderes mal... Ganz großen Dank an Pavel und Jan, und an alle anderen, die hier unten ggf. noch kommentieren und eigene Erkenntnisse beitragen.

2024-09-15

Kenngott Supra No. 2 (6.5 x 9 cm)

Wie ich schon bei meinem Beitrag zur Agfa Isolar 408 (eine 9x12 Kamera) geschrieben habe, gehören Platten- bzw. Laufbodenkameras eigentlich nicht in mein Sammler-Beuteschema. Auf einem Flohmarkt am letzten Wochenende lief mir allerdings diese Kenngott Supra No.2 über den Weg und ich habe spontan zugeschlagen. Sie ist für das kleinere Plattenformat 6.5 x 9 cm gebaut (es gab auch eine entsprechend große 9x12 Variante als Supra No.4) und außerdem war mir Kenngott in anderen Zusammenhängen schonmal untergekommen, und deren Kameras sind einigermaßen selten. Das versprach einiges an Spaß bei der Hintergrundrecherche. 

Und tatsächlich: Die Informationslage zur Firma Kenngott in Stuttgart ist sehr lückenhaft und verschiedene Quellen widersprechen sich zum Teil. Hier ist mein Destillat, ohne Gewähr: Die Firma geht zurück auf (Georg) Wilhelm Kenngott (*30.9.1864 in Reutlingen), der um die Jahrhundertwende als wohl erfolgreicher Fotounternehmer seine Firma/Firmen aufbaut. Als Startpunkte werden die Jahre 1894 bis 1901 genannt, die Orte Reutlingen, Stuttgart und Paris tauchen auf, es wird mit Fotobedarf mal nur gehandelt und dann auch produziert. Es geht um Objektive, Kameras, Stative und einen Verschluss. Belegt ist nämlich, dass Wilhelm Kenngott als alleiniger Erfinder eines Zentralverschlusses auf dem französischen Patent 350870 vom 19.2.1906 genannt ist. Dieser Verschluss wird als "Koilos" ab 1904 bei Alfred Gauthier in Calmbach gebaut und ist der Vorläufer des Ibso(r), der an dieser Kamera hier zu finden ist. Angeblich war Kenngott Teilhaber von Gauthier und (laut Harmut Thiele) auch von Fr. Deckel in München. Vielleicht war seine Verschluss-Erfindung so gelungen, dass beide Firmen Lizenzen davon gegen Teilhaberschaften erwarben (reine Spekulation).  Ab wann und wo es mit der eigenen Kameraproduktion wirklich losging, bleibt im Unklaren. Eine Quelle spricht von 1905, andere melden Kenngott-Kameras erst aus den 1920ern. Da war Wilhelm Kenngott schon tot, er starb am 25.7.1919. Seine Söhne Karl und Willi erbten die Firma und spätestens ab dann wird nur noch Stuttgart genannt. 1932, im Jahr der größten Wirtschaftskrise in Deutschland muss Konkurs angemeldet werden. Qualifizierte Arbeiter und Angestellte hatten wohl kein Problem wieder Anstellung bei den anderen Stuttgarter Kameraproduzenten (Kodak/Nagel, Zeiss Ikon, Ebner, Krauss) zu finden. 

Die Kamera selbst ist gehobener Standard. Genau solche Laufbodenkameras gab es Ende der 1920er Jahre von nahezu jedem Kamerahersteller. Es ist eine erstaunlich homogene Kameraklasse, die Unterschiede zwischen den Herstellern beschränken sich auf ein paar rein gestalterische Kleinigkeiten, technisch ist fast alles identisch und sogar die Bedienung ist gleich. Als Käufer konnte man zwischen Ausstattungsvarianten bzgl. Objektiv und Verschluss wählen, diese Unterschiede (auch im Preis) waren innerhalb eines Modells größer als zwischen Modellen verschiedener Hersteller. 
Am Ende der 1920er Jahre waren Laufbodenkameras wie diese immer noch erste Wahl für jeden der ambitioniert fotografieren wollte. Die kleinere 6.5x9-Klasse war populär, weil man sie gut mitnehmen konnte. Allerdings war das Resultat auch nur ein ebenso großes Foto, denn Vergrößerungen waren eine sehr seltene Ausnahme. Mit den enormen Fortschritten, die der fotografische Film damals machte, kamen Rollfilmkameras immer mehr in Mode, auch Kenngott hatte mindestens ein Modell im Programm. 
Doch auf den gewaltigen Umbruch, der zwischen 1930 und 1933 am Kameramarkt passierte, waren nicht alle Hersteller gut vorbereitet. Zusätzlich zur allgemeinen Wirtschaftskreise wollten die Kunden plötzlich die altbackenen Laufboden-Plattenkameras nicht mehr kaufen und fast von heute auf morgen war das Zeitalter der Rollfilm und Kleinbildkameras angebrochen. Laufboden/Platten-kameras wurden zu Ladenhütern, blieben bei einigen Herstellern aber noch bis 1939 im Verkaufsprogramm. Ich bin davon überzeugt, dass diese dann schon ein paar Jahre auf Lager lagen und die eigentliche Produktion Anfang der 1930er aufgegeben wurde. Entweder um Rollfilm- und Kleinbildkameras Platz zu machen, oder wie im Falle Kenngott durch Konkurs. 

Datenblatt Laufbodenkamera für Platten oder Planfilm 6.5 x 9 cm 
Objektiv Meyer Helioplan 10.5 cm f/4.5 (Doppel-Anastigmat, 4 Linsen), Kamera war auch mit Schneider Radionar f/6.3, Radionar f/4.5 oder Xenar f/4.5 erhältlich.
Verschluss Ibsor Selbstspann-Zentralverschluss, T-B-125-50-25-10-5-2-1 1/s, Blende stufenlos, Blendenskala 4.5-6.3-9-12.5-18-25. Kamera war auch mit Vario oder Compur-Verschluss erhältlich (s. Anzeige unten)
Fokussierung Manuell mit Schneckentrieb, Skala bis 1m, doppelter Auszug (20cm)
Sucher schwenkbarer Brilliantsucher für Hoch- und Querformat, ausklappbarer Rahmensucher, alternativ Motivwahl und Fokussierung über Mattscheibe anstelle der Filmplatte.
sonst. Ausstattung Wasserwaage für horizontale Ausrichtung, Drahtauslösergewinde, 2 x Stativgewinde 3/8'', horizontale und vertikale Verschiebung des Objektivträgers mit Drehschrauben möglich
Maße, Gewicht 115 x 83 x 38 mm (geschlossen), 607 g
Baujahr(e) 1929 bis vermutlich 1932, diese Kamera (ohne Seriennummer) laut Objektiv-Seriennummer von 1930 oder 1931.
Kaufpreis, Wert heute 94 RM (in dieser Ausführung, siehe unten), ca. 50 €
Links engel-art.ch, Collection Appareils, Collectiblend, Gauthier Heimatgeschichte, Camera-Wiki
Bei KniPPsen weiterlesen Kleinfilmkameras Anfang der 1930er, Agfa Isolar, August Nagel, Krauss Rollette





2024-08-24

Westdeutsche Nachkriegs-Kameraproduktion

Deutschland war schon vor dem 2. Weltkrieg Kameraland Nummer 1 und der bedeutendste Kameraexporteur. Bekanntermaßen kam die Kameraproduktion während des Krieges zum erliegen, erholte sich aber ab 1947 und speziell nach der Währungsreform 1948 recht zügig. In Westdeutschland wurde die Kameraindustrie eine - wenn auch kleine - Säule des Wirtschaftswunders der 1950er und 1960er Jahre. Neben alt-eingesessenen Firmen, die ihre Vorkriegsproduktion wieder aufnahmen, kamen eine ganze Reihe Neugründungen dazu. Insgesamt zähle ich Anfang der 1950er Jahre mehr als zwei Dutzend unabhängige Kamerabauer in Westdeutschland (siehe unten), die zusammen 3,3 Millionen Kameras (1956) produzierten. Davon wurden ca. 62% (2 Millionen) in alle Welt exportiert, 35.8% wiederum davon in die anderen Europäischen Staaten und 27.3% nach Nordamerika. Die Exportquote stieg bis 1960 sogar noch auf über 70%, wobei die Gesamtproduktion in der zweiten Hälfte der 50er eher stagnierte und erst 1961 wieder durchstartete (mit Automatikkameras wie der Optima!). 
Stolze ganzseitige Anzeige von Agfa
über die Produktionsmenge ihres neuen
Superstars am Kamerahimmel.
Diese Zahlen und auch die obige Grafik habe ich aus einem kurzen Artikel der Oktober 1961-Ausgabe von Photo-Technik und -Wirtschaft, dem offiziellen Organ des Verbandes der Deutschen Photographischen Industrie e.V.. Einen Scan davon verlinke ich hier gerne. In der selben Ausgabe findet sich auch die links abgebildete Anzeige von Agfa. 
Eigentlich hatte ich vor, diese Zahlen weiter aufzudröseln und auf die einzelnen Hersteller so gut wie es geht zu verteilen. Ich musste bei ersten Recherchen dazu aber feststellen, dass mir dazu schlicht im Moment die Zeit fehlt. Es ist halt ein Puzzle mit sehr vielen Teilen. Ich plane, hier in Zukunft im Stil meines Beitrags zu Kodak‘s Nachkriegsproduktion dies auch für die anderen Hersteller sukzessive aufzubereiten, kann aber dauern…
Fürs erste möchte ich hier lediglich einen Überblick über die westdeutschen Kameraproduzenten machen und die Akteure kurz vorstellen sowie (da wo es geht) eine grobe Schätzung ihres Anteils an der Produktionsmenge vornehmen. Während dieser Zusammenstellung habe ich bemerkt, dass man die Hersteller grob in vier Gruppen einteilen kann, die sich in ihrem Geschäftsmodell und ihrem entsprechenden Markterfolg unterscheiden:

1) Die Massenkamera-Hersteller

Diese Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass der Umsatz vornehmlich mit preiswerten aber in großer Zahl hergestellten Kameras gemacht wird. Mit Adox und Agfa sind auch zwei Filmhersteller darunter, die Kameras natürlich als Mittel zum Zweck begreifen und bei den Kameras mit geringeren Margen kalkulieren, die kommen ja dann bei den Filmen wieder rein. Ansonsten finden sich hier einige unbekannte Namen, einfach weil diese Hersteller ihre Kameras im Lohn für andere gebaut und unter verschiedensten Namen vertrieben haben:
Standorte der westdeutschen Kamera-
Produktion in den 1950ern.

Adox, Wiesbaden-Biebrich: Eigentlich ein Filmhersteller, der sich mit dem Kauf von Wirgin (Zwangsverkauf 1938) eine eigene Kameraproduktion zulegte. Die Firma wird nach Kriegsende an die jüdischen Eigentümer zurückgegeben, die eigene Kameraproduktion aber in eigene Räumen verlagert und fortgeführt. Dort wird mit fast 400,000 Exemplaren in den 50ern hauptsächlich die günstige Golf Serie (6x6) produziert, ein Isolette Klon. Bei Wirgin lässt man die Polo Serie in Lohn produzieren (low budget 35 mm), wagt sich aber auch 1956 mit der Adox 300 recht erfolglos ins hochpreisige Segment. Die passt halt nicht ins Massensegment...

Agfa, München: Hervorgegangen aus dem kleinen Plattenkamera-Hersteller Rietzschel, der 1926 im Zuge der IG-Farben Gründung zum Agfa Kamerawerk und im Laufe der 30er Jahre zum größten Kameraproduzenten Europas wurde. Mit mehr als 3300 Mitarbeitern (1956) wurden hauptsächlich preiswerte Box- (Click und Clack) aber auch Mittelklassekameras (Isolette, Silette etc.) produziert. Die Tageskameraproduktion soll in Spitzenzeiten bei 2400 gelegen haben, das wären fast 700.000 im Jahr, bzw. 25% der deutschen Produktion. Ab Mitte der 1950er klarer Fokus auf Innovation (Belichtungsautomatik) und mit der Optima-Kameraserie ab 1959 super erfolgreich. Agfa hatte durchaus Ambitionen im gehobenen Segment (z.B. Ambiflex), war dort aber wegen des Massenhersteller-Images weniger erfolgreich. Ohne es heute mit Zahlen belegen zu können, vermutlich mit mindestens >10% Umsatz-Anteil der Marktführer der gesamten Liste.

Balda, Bünde: Einer der alten Herren der deutschen Kameraindustrie - Max Baldeweg - gründet 1948 im Alter von 71 Jahren in Bünde/Westfalen das Balda-Kamerawerk wieder neu, nachdem sein bisheriges Lebenswerk in Dresden zwangsverstaatlicht wurde. Bald in Dresden wird 1951 nach einem Markenrechtstreit mit der westdeutschen Neugründung schließlich in Belca-Werk umgenannt. Man startet auch in Bünde mit den Vorkriegsmodellen, schafft es aber mit der Industrie Schritt zu halten und wird so zu einem ernst zu nehmenden Wettbewerber zu Kodak, Agfa und Co. Neben der eigenen Marke produziert man dieselben Kameras auch im Lohn für andere wie z.B. Photo Porst. Mitte 1955 stirbt Max Baldeweg, gerade als sein neues Unternehmen durchstartet. Ich denke, Balda gehört definitiv zum oberen Drittel der Liste, wenn nicht sogar in die Top-5.

Bilora, Radevormwald: Eigentlich: Kürbi & Niggeloh, ein Fotozubehör-Hersteller, produziert ab 1935 auch Box-Kameras und das sehr erfolgreich. Ab 1948 ist man wieder im Geschäft und produziert die bekannte Bakelit-Box Boy und andere Boxen in größeren Mengen, auch für andere im Lohn.

Dacora, Reutlingen: Eigentlich Dangelmayer & Co., ein weniger bekannter aber dennoch wichtiger Hersteller preiswerter Massenkameras. Diese wurden vor allem im Lohn für ausländische Filmhersteller wie Ilford, Lumiere oder Ferrania, aber auch für Photo Porst und andere gefertigt. In den 1950er Jahren sollen so 2 Millionen Kameras zusammen gekommen sein.

Franka, Bayreuth: Franka war schon lange ein Produzent von Massenkameras und setzte diese Tradition auch nach dem Krieg fort. Wieviele Kameras produziert worden, ist schwer zu fassen, produzierte man auch viele Hausmarken für Porst, Quelle und andere. 1957 wagte man sich erfolglos an die Oberklasse- Kleinbildkamera Solida 35, aus dieser Klemme kam man wohl nur durch den Verkauf an den Konkurrenten Wirgin, der Ende 1961 erfolgte.

King & Bauser (Regula), Bad Liebenzell: Die Firma wird zwar schon in den 1930er Jahren in Pforzheim gegründet, mit dem Kamerabau beginnt man allerdings erst nach dem Krieg in Bad Liebenzell, und das relativ erfolgreich. Neben eigenen Mittelklassemodellen wird auch für andere im Lohn produziert. 

Montanus, Solingen: Ähnlich wie King ein eher unbekannter Hersteller, der nicht Ende der 1950er wieder untergeht, sonder sich durch geschickte Modellpolitik am unteren Rand des Marktes bis in die 1970er hält.

Vredeborch, Nordenham: Ein ansonsten recht unbekannter Hersteller von Box- und anderen Einfachkameras. Der Vertrieb erfolgte oft unter dem Namen von Distributoren bzw. Anderen Kameraherstellern, die ihr Portfolio damit nach unten abrundeten. 

Hermann Wolf, Wuppertal: In den 1950er Jahren hauptsächlich Lohnproduzent einfacher Box-Kameras aus Bakelit oder Metall, wie z.B. die Gevabox. Abnehmer waren Firmen wie Gevaert, Adox und Braun.

2) Die Vollsortimenter

Wie der Name dieser Gruppe schon verrät, versuchten diese Hersteller ein möglichst breites Portfolio an Kameras anzubieten, von einfachen Einstiegsmodellen bis zum komplexen Kamerasystem mit Wechselobjektiven oder gar Spiegelreflexkameras. Der größte Umsatz und Gewinn wurde mit Mittelklasse-Kameras gemacht, die immer noch in relativ großer Auflage erschienen. Markenname, Image und Qualität waren diesen Herstellern sehr wichtig, um sich von dem ein oder anderen ambitionierten Modell der Massenhersteller zu differenzieren und trotz gleicher Spezifikation einen höheren Preis zu erzielen. 

Braun, Nürnberg: Obwohl es die Karl Braun KG in Nürnberg schon seit 1915 als feinmechanischen und optischen Betrieb gab, starte man mit dem Kamerabau erst 1948 nach der Umbenennung in Carl Braun Camerawerk. Man schließt sehr schnell technologisch zur Spitze der Industrie auf, hat neben einfachen Boxkameras und Balgenkameras für den Rollfilm, Kleinbildsucherkameras (Paxette), Messsucherkamers (Super Colorette), Belichtungsautomatik (Electromatic) bis zur Spiegelreflex alles im Programm. Schon 1956 soll die millionste Kamera ausgeliefert worden sein!

Kodak (Nagel-Werke), Stuttgart: Natürlich gehört Kodak als größter Filmhersteller global gesehen zu den Massenkamera-Produzenten, ihr deutsches Werk war aber ihr technisches Vorzeige-Unternehmen und produzierte ein Portfolie ähnlich dem von Voigtländer oder Braun. Einziger Hersteller dieser Liste, dessen Produktionszahlen ich schon aufbereitet habe

Voigtländer, Braunschweig: Als ältester Kamerahersteller der Welt knüpfte man nach dem Krieg da an, wo man vorher aufgehört hatte: mit einem etwas modernisierten aber breiten Portfolio an Mittel- bis Oberklassekameras. Man profitiert definitiv vom großen Namen. Das zeigt sich auch daran, dass nachdem ihr Eigentümer Schering Voigtländer an Zeiss 1956 verkauft hatte, erst einmal sich wenig am Programm änderte und Zeiss Ikon Kameras weiterhin als Konkurrenten am Markt wahrgenommen wurden. 

Wirgin Edixa, Wiesbaden: Henry Wirgin knüpfte nach seiner Rückkehr aus der US-Emigration dort an, wo er aufgehört hatte, als Hersteller innovativer Kameras. Wirgin war 1954 der erste Westdeutsche Hersteller, der eine SLR mit Wechselobjektiven anbot, seine Edixa-SLR-Reihe war mit ihrem Schlitzverschluss preiswerter als die sonstige westdeutsche Konkurrenz mit dem Compur Zentralverschluss. Aber Wirgin hatte auch einfachere Kameras im Programm, produzierte für Adox im Lohn, und ließ selbst andere Wirgin Kameras im Lohn herstellen. 1962 kaufte man das Franka Werk in Bayreuth, um eine breitere Basis zu haben. 

Zeiss Ikon, Stuttgart: Neben der Carl Zeiss Stiftung als Eigentümer wird auch die Kamerasparte Zeiss Ikon durch den Krieg geteilt und im Westen erstaunlich erfolgreich neu gegründet. Die vorherige Zentrale in Dresden wird nach Stuttgart verlagert, wo eine ehemalige Wurzel, das Contessa Kamerawerk beheimatet war. So heißen dann auch wieder eine Reihe von Mittelklasse-Kameras. Als einziger Vollsortimenter ist man mit der Neuauflage der Contax Messsucherkameras in der Lage, mit Leica technologisch und preislich mitzuhalten. Der Zeiss Konzern spielt auch im Hintergrund eine wichtige Rolle, nicht immer eine rühmliche. Man kontrolliert die beiden wichtigen Verschlusshersteller Deckel und Gauthier und zieht auch sonst seine Strippen bei den Zeiss Objektiven, 1956 stößt auch noch Voigtländer zum Konzern. Kleinere Hersteller leiden darunter hauptsächlich am Ende der 1950er Jahre. Ich denke, Zeiss Ikon war bezüglich Umsatz an der Spitze der Herstellerliste, was die Anzahl der Kameras angeht sicher nicht, hier fehlten einfache Massenkameras im Portfolio.

3) Die Spezialisten

Die folgenden vier Hersteller hatten in den 50er Jahren jeweils eine spezielle Nische des Kameramarktes für sich besetzt und konnten dort mit hoher Qualität und sonst kleinen Stückzahlen durch hohe Preise profitabel produzieren (und weltweit exportieren). Natürlich gab es die eine oder andere Konkurrenzkamera von den Vollsortimentern, aber bis auf Berning waren in den 1960er und 1970er Jahren diese Firmen in der Lage ihr Portfolio um weitere High-Tech Spezialitäten zu erweitern. 

Franke & Heidecke (Rollei), BraunschweigRollei produzierte nach dem Krieg einfach ihre erfolgreichen Rolleiflex- und Rolleicord-Reihen weiter, die ganz gut dokumentiert sind. Mitte der 1950er waren es ca. 80,000 bis 90,000 Kameras pro Jahr, damit sind sie zahlenmäßig Mittelfeld. Erst ab 1963 wird das Angebot verbreitert und man produziert auch die bekannten Kleinbildkameras etc.

Leitz, Wetzlar: Ernst Leitz blieb auch nach dem Krieg Technologieführer in Sachen Kleinbild-Messsucherkameras und produzierte in den 50er Jahren noch einmal ca. 300,000 Schraubleicas, also im Schnitt nur 30,000 pro Jahr. Ab 1954 kam dann die M3 und sukzessive ihre Ableger und Nachfolger (bis zu 50,000 Kameras pro Jahr), die die Schraubleicas dann ersetzten und verdrängten. Alles ist sehr gut dokumentiert (Quelle für die Grafik hier rechts: Pacificrimcamera.com). Bei den Produktionszahlen ist man eher hinten dabei, was die Umsätze und den Exportanteil in alle Welt betrifft, sicher mit vorne in der Gesamtliste.

Minox, Wetzlar: Der Kamerakonstrukteur Walter Zapp gründete 1945 die Minox GmbH neu in Westdeutschland (Vorkriegsproduktion war in Riga) und produzierte erfolgreich seine Kleinstbildkamera Minox über Jahrzehnte hinweg. Ab den 1970ern wird die bekannte Minox 35 Serie zu einem zweiten Standbein der Firma.

Berning Robot, Schwelm/Düsseldorf: Die Firma Otto Berning aus Schwelm fertigte ab Mitte der 1930er die Robot, eine spezielle Federmotor Kleinbildkamera konstruiert von Heinz Kilfit. Dies blieb ihr Spezialgebiet, auch als die Kameraproduktion nach dem Krieg 1951 in Düsseldorf wieder aufgenommen wird. Die Firma war nie besonders groß, man besetzte aber eine wohl profitable Hochpreisnische, die der Firma als Überwachungs- und Verkehrskamera- Spezialist auch beim Zusammenbruch der westdeutschen Kameraindustrie in den 1970ern das Überleben sicherte. Ich tippe mal auf ca. 5000 bis 10000 Kameras im Jahr und damit einen Platz relativ hinten in der Liste, auch wenn sich vermutlich die Umsätze sehen lassen konnten.
Verteilung der westdeutschen Kameraproduktion des Jahres 1960 nach Anzahl (links) und Umsatz (rechts). Boxkameras u. ähnliche Einfachstkameras bis 30 DM, einfache Kameras bis 150 DM, Mittelklasse-Kameras zwischen 150 und 300 DM, Oberklasse >300 DM.


4) Die 50er Jahre-Start-ups 

Die folgenden acht Hersteller teilen fast alle dieselbe Geschichte. Entweder sind es Nachkriegs-Neugründungen oder frühere optische bzw. mechanische Fabriken, die erst Ende der 1940er mit dem Kamerabau begannen. Anfang der 1950er in der Wirtschaftswunderzeit wuchsen alle relativ rasant und versuchten zu den Spezialisten oder zumindest Vollsortimentern aufzuschließen. Auf den zunächst hungrigen Nachkriegsmarkt folgte Mitte der 1950er eine gewisse Sättigung und damit wuchs der Konkurrenzdruck. Die kleinen Spieler hatten inzwischen ein (zu) komplexes Portfolio und gegenüber den großen Vollsortimentern einen zu kleinen Umsatz, um sich die Entwicklung neuer Modelle leisten zu können. Ab 1957 gingen diese Firmen reihenweise pleite oder wurden geschluckt. Sowohl bei der Anzahl der Kameras als auch beim Umsatz spielten diese Hersteller nur Statisten.

AKA, Friedrichshafen: Eine kleinere Nachkriegs-Neugründung mit großen Ambitionen. Mitte der 50er werden aber maximal 20,000 Kameras pro Jahr produziert, am Ende reicht dieses Level nicht um profitabel zu sein. 1960 ist die Firma nach internem Streit insolvent.

Finetta, Goslar: Nachkriegs-Neugründung vom Holländer Piet Sarabèr, der ehemalige Konstrukteure der Dresdener Vorkriegszeit anheuert und in Goslar anspruchsvolle Kleinbildkameras entwickelt und baut. Es fehlt vermutlich eine preiswerte Massenkamera und so wird bei der ersten kleineren Nachkriegsdelle 1957 der Weg in die Insolvenz angetreten.

Futura, Freiburg: Die Optische Anstalt Firtz Kuhnert war schon vor dem Krieg ein Hersteller feinmechanisch-optischer Präzissionserzeugnisse und begann nach dem Wiederaufbau mit dem Bau von Kleinbildkameras. Das ambitionierte Modell Futura wurde als Leica Konkurrent positioniert und 1951 auf der Photokina vorgestellt. Nach einer ersten Pleite 1951 stiegen die Hamburger Kaufleute Komrowski ein und benannten die Firma nach der Kamera die sie produzieren sollte. Nach vermutlich 20-30 Tausend schicken Futura Kameras wurde die Produktion 1957 eingestellt und die Maschinen etc. an die Konkurrenz verkauft.

Foitzik, Lübeck/Trier: Karl Foitzik gründete 1945 in Lübeck seine Feinmechanische Werkstätte, die mit der Foica eine Leica-Kopie herstellten. Nach Intervention von Leitz (Patentverletzungsklage etc.) war damit 1948 Schluss. Foitzik zog mit seiner Firma daraufhin nach Trier um, weil er dort Landes-Subventionen bekommen konnte. Dort wurden ab 1950 eher Mittelklassekameras gebaut, das durchaus erfolgreich und in der Spitze mit 150 Mitarbeitern. Karl Foitzik kam im Juni 1955 bei einem Autounfall um, von dem sich die Firma nicht erholen sollte und 1958 aufgelöst wurde. 

Leidolf, Wetzlar: Der 1921 gegründete Mikroskoplinsen-Hersteller Leidolf beginnt 1949 Kleinbildkameras zu produzieren und ist damit in den 1950er Jahren sogar relativ erfolgreich. Man produziert gehobene Mittel- bis Oberklasse, reicht aber nicht an den lokalen Konkurrenten Leitz heran. 1962 wird die Firma von Wild übernommen, die die Kameraproduktion in Wetzlar aufgeben und andere Dinge dort produzieren lassen. Interessanterweise fusioniert Wild 1987 mit Leitz. Von allen 8 Herstellern in dieser Kategorie vermutlich der erfolgreichste.

Diax, Ulm: Eigentlich Walter Voss GmbH, und eine ähnliche Geschichte wie Aka. Insgesamt ca. 50,000 Diax Kameras wurden in den 10 Jahren des Firmenbestehens zwischen 1947 und 1957 gebaut. Am Schluss der Geschichte müssen sich knapp 60 Mitarbeiter einen neuen Job suchen.

Bolta Photavit, Nürnberg: Diese Firma passt nicht ganz in diese Kategorie, weil man Kameras schon ab 1935 produzierte. Der Eigentümer John Bolten kehrt nach dem Krieg als US-Bürger nach Nürnberg zurück, baut die Firma wieder auf und produziert die Vorkriegsserie an Kleinbildkameras weiter, die allerdings mit dem deutlich sichtbaren Zentralverschluss nicht mehr zeitgemäß waren. Auch ich habe eine davon. Ab 1956 wagt man sich mit der Photavit 36 an eine moderne obere Mittelklasse-Kamera (im Prinzip ähnlich der Braun Super Paxette III). Ich schätze damit hatte man sich übernommen, die Kameraproduktion wird 1958 komplett aufgegeben. 

Witt Iloca, Hamburg: Die Geschichte des Iloca Kamerawerkes habe ich in meinem Beitrag zur Iloca Electric schon beschrieben. Man war in den 1950ern vergleichsweise erfolgreich, scheitert dann aber 1959/1960 an dem zu riskanten Schritt alles auf eine High-End Kamera zu setzen. Nach dem Konkurs werden Maschinen, die fertige Konstruktion und auch Mitarbeiter von Agfa übernommen.

2024-05-20

Preisbindung im Fotohandel

Photo-Technik und -Wirtschaft war das Organ
des Verbandes der Deutschen Photographischen
Industrie. Ich habe einige Hefte von 1960 und
1961, die sich vehement gegen die Aufhebung
der vertikalen Preisbindung wenden (Klick auf's
Coverfoto öffnet einen Beispielartikel)

Ich bin Jahrgang 1966, selbst in der Wirtschaft tätig und kenne natürlich die (verpflichtende) Buchpreisbindung in Deutschland (und ein paar anderen Ländern) sowie das heute geltende Kartellrecht, was Preisabsprachen oder Preisdiktat über Handelsketten ansonsten strengstens verbietet. Was ich allerdings bis vor ca. einem Jahr nicht wusste, ist die Tatsache, dass es eine Preisbindung für viele Markenartikel bis in die 1960er Jahre hinein gab und die Fotoindustrie davon mehrheitlich gebraucht machte. Ich wollte es also genauer wissen und habe ein bisschen recherchiert, was ich gerne hier teilen möchte.

Der Historiker Uwe Spiekermann hat die vertikale Preisbindung als die historisch häufigste Form eines Wirtschaftskartells sehr schön in einem Vortrag bzw. Internetaufsatz beschrieben. Kurz gesagt geht es darum, dass die Hersteller von Markenartikeln (z.B. Kameras), den Endverkaufspreis für die Verbraucher festlegen, und darüber mit den zwischengeschalteten Groß- und Einzelhändlern Verträge abschließen. Diese bekommen natürlich eine Handelsmarge zugedacht, müssen untereinander aber mit anderen Dingen um die Gunst der Käufer (und die der Hersteller!) buhlen, denn der Preis der Kamera ist beim kleinen Händler um die Ecke der selbe wie im Kaufhaus oder beim Versandhändler. 

In Deutschland ist das Konzept der vertikalen Preisbindung fast genauso alt wie die Fotoindustrie selbst, wurde in der Weimarer Republik in erste gesetzliche Regeln gegossen und von den Nazis 1940 gesetzlich gebündelt und für die straffe Wirtschaftsordnung genutzt. Nach dem 2. Weltkrieg wollten die alliierten Besatzungsmächte Deutschland dekartellisieren und verboten die Preisbindung entsprechend. Als die Wirtschaft Anfang der 1950er Jahre wieder zu brummen begann, verzichtete man ab 1952 allerdings darauf, Preisbindung zu verfolgen und die junge Bundesrepublik beschloss am 3. Juli 1957 ihr neues Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das vertikale Preisbindung für Markenartikel wieder explizit erlaubte, allerdings auch unter Missbrauchsvorbehalt stellte.

Das Ganze funktionierte so, dass die Hersteller die Preisbindung (Endverbraucherpreis) für den Handel beim Bundeskartellamt anmelden mussten, was in den ersten Jahren von ca. 1000 Unternehmen für ca. 200.000 Artikel pro Jahr gemacht wurde. Davon waren mehr als die Hälfte KFZ-Ersatzteile, die anderen Branchen teilten sich die andere Hälfte. Die Photo- und Optikbranche hatte im Jahr 1961 7583 Artikel in der Preisbindung, die einen überwiegenden Teil des Umsatzes ausmachten. Der offiziellen Statistik dazu kann man auch entnehmen, dass die zugestandene Handelsspanne zwischen 34% und 43.3% lag und im Schnitt ca. 39% betrug. Sprich: Eine Paxette Electromatic (168 DM) wurde also für 102.50 DM vom Hersteller Braun an den Großhandel abgegeben. 

Für die beteiligten Parteien entlang der Wertschöpfungskette gibt es jeweils Vor- und Nachteile der Preisbindung, die alle  aufzuzählen und zu erörtern den Rahmen hier sprengen würde. Wen es im Detail interessiert, dem sei der Bericht der Bundesregierung aus dem Sommer 1962 dazu empfohlen (Seiten 24ff). Die meisten Vorteile hatten definitiv die Hersteller, die wenigsten der Endverbraucher, sieht man aber mal von der Tatsache ab, dass er sich keine Gedanken darüber machen musste, wo er die gesuchte Kamera wohl am billigsten bekommen würde. Ob er für die hohe Handelsmarge eine entsprechende Gegenleistung in Form von Beratung und Service bekommen würde, war allerdings Glücksache. 

Schon ab ca. 1960 gibt es erkennbaren politischen Gegenwind und Verbraucherverbände überzeugen Vertreter aller politischer Parteien, dass das Gesetz einer Revision bedarf und die Preisbindung eigentlich abgeschafft gehört. Es dauerte allerdings bis 1974, bis dies endlich passierte und das GWB entsprechend geändert wurde. In der Zwischenzeit allerdings bröckelte das System gewaltig von Innen und war bei der Abschaffung eigentlich schon längst von selbst außer Kraft gesetzt. Insbesondere die Händler beschwerten sich, dass die Hersteller die Preisbindung nicht lückenlos durchsetzten. Sprich: Es gab einen grauen Markt von Händlern, die sich nicht dran hielten und die Vertragshändler wollten sich dann auch nicht mehr an die Spieregeln halten. Am Ende gewann dann der Verbraucher, der ab Ende der 1960er Jahre sowieso sich in japanische Importkameras verguckte, die mehr für's Geld boten und meist ohne Preisbindung verkauft wurden. Ich würde nicht soweit gehen zu behaupten, dass die Preisbindung Schuld hatte am Niedergang der früher so glorreichen deutschen Kameraindustrie. Sie führte aber sicherlich zu einer Erstarrung des Preis- und Marktgefüges in Deutschland Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre, so dass die Hersteller auf den japanischen Kamera-Tsunami Anfang der 1970er nicht wirklich vorbereitet waren, der sie fast alle in die Tiefe riss.

Die Preisbindung wurde übrigens offiziell in eine unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers abgemildert. Viele Foto-Einzelhändler haben sich zunächst mehr oder weniger an die empfohlenen Preise gehalten. Als ich 1982 meine erste SLR gekauft habe, kostete diese bei allen Händlern in Wuppertal "offiziell" 388 DM. Mein Händler war aber beim Verkauf mit fast 10% Rabatt recht großzügig und hat damit gezeigt, wo die eigentlichen Wettbewerbsinstrumente sind. Solche Rabatte innerhalb der Handelskette waren in den 1960ern Symptome (die "Lücken") und letztendlich der Sargnagel des nicht funktionierenden Systems der vertikalen Preisbindung. 

 

2024-05-10

Adox 300 - Wechselmagazin


Zeichnung aus dem Patent DE 1 044 601
Dies hier ist die Ergänzung zu meinem Beitrag über die Adox 300, 1956 die einzige (nicht die erste!) Kleinbildkamera mit Wechselmagazin für den Film. Ich habe nämlich auch meine Sammlung günstig um ein solches, zweites Wechselmagazin ergänzen können, wie man an den Bildern hier sieht. Ich habe es sehr günstig bei einem Internet-Trödler erworben, der mit dieser seltsamen Kamera ohne Objektiv wohl nichts anfangen konnte. 
Es hat die Seriennummer #3952 und wertet meine voll funktionstüchtige Adox 300 enorm auf, denn nur mit zwei Magazinen macht das ganze Ensemble Sinn. Es ist mehr oder weniger identisch zu meinem anderen, scheint aber häufiger benutzt worden zu sein.
Das Magazin kam in einer speziellen ledernen Bereitschafttasche, die man an den Riemen der eigentlichen Kameratasche machen konnte. Ein Fensterchen erlaubte auch von Außen einen Blick auf die Merkscheiben für Filmart und Empfindlichkeit.