Durch meinen Fund der Agfa Optima Reflex neugierig geworden, habe
ich mich auch nach der original Optima von 1959 umgeschaut und bin
schnell fündig geworden. Hier ist sie also: die erste Kamera mit
vollautomatischer Belichtungssteuerung von Blende und (!)
Verschlusszeit, heute würde man 'Programmautomatik' sagen.
Ich war natürlich neugierig und habe mal nachgeschaut, wie die
Agfa Ingenieure die automatische Belichtungssteuerung realisiert
haben. Das Problem, was es zu lösen galt, war folgendes: Der
einzige damals zur Verfügung stehende Lichtsensor ist die
Selenzelle, die jedoch nur ein "Strömchen" von einigen µA
(Millionstel Ampere) liefert. Das ist gerade genug, um
mit einem filigran aufgehängten Drehspulinstrument eine
federleichte Nadel zu bewegen (wie in vielen damaligen Belichtungsmessern realisiert), reicht aber
natürlich nicht, um Blende und/oder Verschlusszeit elektrisch
betrieben zu verstellen. Hierzu braucht es deutlich mehr Kraft,
die sich die Optima vom Fotografen leiht, der dazu die "magische
Taste" ganz runterdrücken muss. Diese aktiviert nämlich nicht den
Belichtungsmesser. Dieser ist immer an und bewegt wie gewohnt per
Drehspule eine Meßnadel. Wenn nun die Taste runtergedrückt wird,
wird diese Nadel an ihrer jeweiligen durch die Lichtmenge
vorgegebenen Position eingeklemmt. Der weitere Druck auf die Taste
bewegt aber einen Schieber, und zwar je nach Position der
eingeklemmten Nadel unterschiedlich weit. Dieser Schieber wiederum
verstellt nun Blende und Verschlusszeit. Bei der Optima wird bei
steigender Lichtmenge zunächst die Verschlusszeit kürzer (bis min.
1/250s) und dann die Blende geschlossen. Gleichzeitig schwenkt
(falls sich der Schieber überhaupt bewegt) ein grün-rotes Fähnchen
nach Links, das in den Sucher eingespiegelt wird und dem
Fotografen signalisiert, dass das Licht zum Knippsen reicht. Ich
hoffe, die Bilder der geöffneten Kamera illustrieren das ein
wenig, die Nadel ist leider schlecht zu erkennen. Die Drehspule
sitzt übrigends genau unter dem Einstellrad für die
Filmempfindlichkeit, und wie man sich denken kann, wird die
gesammte Spule mit dem Einstellrad verdreht und somit natürlich
auch die Ausgangsstellung der Messnadel. Pfiffig!
Die Agfa Optima war nicht die erste Kamera mit automatischer
Belichtungssteuerung. Diese Ehre gebührt der Kodak Super Six-20 schon 1938, eine sehr
seltene und entsprechend teure Sammlerkamera. Sie
verwendete aber schon das oben beschriebene Prinzip, allerdings
nur zur Steuerung der Blende (sog. "Blendenautomatik"). Anfang der
Fünziger entwickelten die Gebrüder Durst eine pneumatische Steuerung der Verschlusszeit,
und patentierten damit eine "Zeitautomatik". Agfa lizensierte dieses Patent 1956 für die Agfa Automatic 66, konnte aber wegen des
hohen Preises nur ca. 5000 Exemplare verkaufen. Durst selbst brauchte noch vier Jahre und brachte erst 1960 die Durst Automatica, eine halb-gare aber schicke Kleinbildkamera. Aber schon 1959 kam dann
Bewegung in den Markt. Innerhalb dieses einen Jahres erschienen
neben der Optima die Braun Paxette Electromatic, Kodak Automatic 35, Bell & Howell Electric Eye 127, Kodak Brownie Starmatic und die Revere Eye-Matic EE 127. Die letzten drei
waren eher einfache Boxkameras für den 127er Rollfilm und alle
hatten lediglich eine Blendenautomatik an Bord und meist nur eine
Verschlusszeit. Alle, außer der Agfa Optima natürlich, die als
erste eine echte Vollautomatik lieferte.
Agfa hatte sehr viel Erfolg am Markt damit und baute entsprechend
schnell seine Optima Modellpalette weiter aus. Innerhalb von ca. 4
Jahren wurden 1 Million Optima Kameras verkauft, vom ersten Modell
erkennbar an der magischen Taste links vom Objektiv alleine ca.
500,000, bis es ab ca. 1961 von seinen verbesserten und z.T.
billigeren Nachfolgern abgelöst wurde (siehe Links unten). Doch
auch der technische Fortschritt damals war gewaltig und
CdS-Belichtungsmesser lösten langsam die Selenzellen ab, die wohl
erste KB-Kamera mit einer CdS und damit batteriebetriebenen
Automatik war schon 1963 die Konica
Auto S, aber das wird vielleicht eine andere Geschichte...
Nachtrag: Inzwischen (2020 ff) habe ich mich ausgiebiger mit vollautomatischer Belichtungssteuerung und diesem "Trap-Needle"-Prinzip beschäftigt, siehe mein anderer Beitrag zur Fujica S2. Die wohl am weitestgehende Auslegung des Prinzips hat die Wirgin Edixa Electronica implementiert und ist damit über das Ziel hinausgeschossen und am eigenen Anspruch gescheitert. Die ganze Geschichte der Belichtungsautomatik in 16 Beispielen habe ich inzwischen auch hier gepostet.
Datenblatt | Erste KB-Sucherkamera mit vollautomatischer Belichtungssteuerung |
Objektiv | Agfa Color Apotar S (39 mm f/3.9, Triplet, vergütet). |
Verschluss | Compur Zentralverschluss 1/30-1/250 s, elektrisch gesteuert ("A"). Manuelle Zeiten 1/30 s (Blitz) und B. |
Belichtungsmessung | Selenzelle mit vollautomatischer Belichtungssteuerung unter Bevorzugung kurzer Verschlusszeiten. Filmempfindlichkeit einstellbar von 10-250 ASA (11-25 DIN). |
Fokussierung | Manuell am Objektiv mit drei einfachen Entfernungssymbolen. Naheinstellgrenze ca. 1,50 m. |
Sucher | Optischer Durchsichtsucher mit Bildauschnittmarken und Ampelindikator (rot, grün) für Belichtungsmesser. |
Blitz | Anschluss über Blitzbuchse, Synchronzeit 1/30 s, manuelle Blendenwahl 3.9 - 22 nach Entfernungstabelle. |
Filmtransport | Schnellspannhebel, Bildzählwerk (rückwärtszählend, muss manuell initialisiert werden). |
sonst. Ausstattung | Stativgewinde, ISO-Drahtauslöser, Zubehörschuh, Merkscheibe für Filmart, Filtergewinde 35,5 mm |
Maße, Gewicht | ca. 135x92x59 mm, 725 g |
Batterie | keine |
Baujahr(e) | 1959-1961, ca. 500,000 Exemplare, diese #AU3438 von 1960. |
Kaufpreis, Wert heute | 238 DM (1959), ca. 30 €. |
Links | Classic Cameras "The 1959 auto-exposure class", UKCamera, Wikipedia, Bedienungsanleitung (english, deutsch s.u.), Camera-wiki, Lippisches Kameramuseum, kamerasammlung.ch |
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