2020-12-24

Bentzin Primarette mit Meyer Makro Plasmat


Manchmal erstaunen mich Dinge so sehr, dass ich es nicht lassen kann, darüber zu schreiben. Wie zum Beispiel extreme Preise, die bei Kamera-Auktionen erzielt werden. Ich hatte hier schon mal eine Nikon F, die nur wegen ihrer niedrigen Seriennummer plötzlich für ein Vielfaches ihres "normalen" Wertes verkauft wurde. Bei dieser Primarette des eher unbekannten Kamerahersteller Bentzin war mir erst nicht klar, was (in diesem Fall) mehrere Bieter dazu bewegt, ein gutes Brutto-Monatsgehalt für eine seltsame, ca. 85 Jahre alte Kamera zu bieten. 
Zugegeben, die Kamera selbst ist schon etwas Besonderes mit ihrem extra Sucherobjektiv, das ein umgekehrtes Bild auf eine Mattscheibe projiziert. Damit ließ sich sicher besonders präzise scharf stellen, fast wie bei einer zwei-äugigen Spiegelreflex (TLR), die sie aber nicht war.  
Nach etwas recherchieren ist mir jetzt aber klar, was hier den Preis nach oben getrieben hat: Es ist das Objektiv! Mit anderen Objektiven (z.B. einem Zeiss Tessar oder einem Meyer Trioplan) liegt das normale Preisniveau für die Kamera so um die 1000€, immer noch viel für eine eher unbekannte Marke der 1930er. 

Das Objektiv aber scheint unter einigen Photographica Sammlern einen gewissen Kultstatus zu besitzen und hatte wohl schon in den 1930ern den Ruf, eines der besten, wenn nicht DAS beste Objektiv auf dem Markt zu sein. Von Meyer wird es in einer Broschüre recht unbescheiden als "absolut frei von Verzeichnung und anderen optischen Defekten" bezeichnet. Es wurde in seiner späten Zeit bei Meyer Optik in Görlitz vom ehemaligen Zeiss-Forscher Dr. Paul Rudolph entwickelt, dem "Vater" von u.a. Tessar und Planar. Weil es vermutlich damals schon vergleichsweise teuer war, ist es heute eher selten anzutreffen, und sowas treibt natürlich Sammlerpreise nach oben. 
Trotzdem ist es mir schleierhaft, warum das Objektiv heute in relativ aktuellen Fassungen (z.B. Leica M) als Umbau angeboten wird und dafür 4 bis 5-stellige Summen verlangt werden. Man muss bedenken, die Linsen sind nicht vergütet und können wohl trotz der damaligen Leistungsdaten mit heutigen Spitzenobjektiven nicht mehr mithalten! Ich möchte jeden einladen, mal bei ebay "Plasmat 2.7" zu suchen und zu staunen, welche Preise für so alte Objektive noch aufgerufen werden. Ich werde jedenfalls am Thema nochmal dranbleiben und hoffe, dass mir der Verkäufer der Kamera verzeiht, dass ich seine Fotos für diesen Beitrag "geklaut" habe.

2020-12-20

Certo Dollina (Ur-Modell)




Was für ein Schnäppchen habe ich da neulich mit dieser Kamera gemacht! Wer meinen Blog hier verfolgt weiß, dass es mir die Kleinbildkameras der 1930er Jahre besonders angetan haben. Also habe ich fast automatisch beim Stöbern durch die ebay Auktionen diese Kamera auf die Beobachtungsliste gesetzt und dann erst nach und nach realisiert, was ich schließlich recht günstig ersteigern konnte. 
Es handelt sich um das Ur-Modell der Certo Dollina von 1935, zu erkennen an der noch offen liegenden Mechanik zum Film-Entsperren und zum Ausklappen des Objektives, oberhalb desselben. Beim später Dollina I genannten, aber fast baugleichen Modell verschwand beides hinter einer Blende. Meine Kamera ziert im Inneren die Seriennummer 387 (!), nur ein einziges Foto einer identisch aussehenden Kamera konnte ich im Internet finden, diese mit der Seriennummer 874. Außerdem sehr ungewöhnlich und an einer Dollina I wohl nicht (mehr) zu finden, ist der Compur-Rapid Verschluss (bis 1/500s). In der einschlägigen Sammlerliteratur wird die Kamera stets mit dem Compur Verschluss (bis 1/300s) beschrieben. Zunächst habe ich an einen späteren Umbau gedacht, allerdings stammen sowohl Objektiv (von 1934) als auch Verschluss (Anfang 1935) aus der Anfangszeit der Certo Dollina Produktion.  


Der Compur-Rapid Verschluss war damals noch sehr neu auf dem Markt und Dollina's wichtigste Konkurrentin Kodak Retina hatte ihn serienmäßig. Daher vermute ich, dass es ein paar Ur-Modelle mit dem Rapid Verschluss gab, Certo aber ab ca. 1936 mit Einführung der anderen Modellvarianten Dollina 0 (unteres Segment mit Einfachverschlüssen und 3-linsigen Objektiven)  und Dollina II (mit gekuppeltem Entfernungsmesser, oberes Segment) den Rapid-Verschluss nur noch am Top-Modell angeboten hat. Die ansonsten baugleiche Dollina I (mittleres Segment) musste danach mit dem Compur vorlieb nehmen. Weitere Details auch zu späteren Dollina Modellen kann man am Besten hier nachlesen
Meine Kamera hat für ihre 85 Jahre einen sehr guten Erhaltungszustand, vermutlich wurde sie stets in der ledernen Bereitschaftstasche getragen und sorgfältig behandelt oder/und wenig benutzt. Lediglich der Filmtransport ist sehr schwergängig, funktioniert aber noch! Wie bei vielen Zentralverschlusskameras der Zeit waren Auslöser und Filmtransport noch nicht miteinander gekoppelt, d.h. Doppelbelichtungen oder gar leere Negative musste der Fotograf selbst verantworten. Bei der Dollina muss der Filmtransport erst durch einen Knopf entriegelt werden, der dann aber nach ca. 40 mm Filmvorschub wieder einrastet. Dabei zählt immerhin der Bildzähler automatisch eins hoch. Wer genau wissen will, wie das oder auch das Rückspulen geht, kann das in der Bedienungsanleitung nachlesen, die (leicht zerfleddert) dabei war und die ich hier als Scan gerne zur Verfügung stelle. 
Certo war mit der gesamten Dollina-Serie recht erfolgreich, insbesondere mit den späteren Super-Dollina Modellen, die sogar bis zum Anfang der 1970er Jahre in Dresden produziert wurden. Certo hatte lange trotz der sozialistischen Planwirtschaft eine gewisse Selbständigkeit und wurde erst 1980 in den VEB Pentacon eingegliedert.   

Datenblatt frühe Kleinbildkamera 24x36 für 135er Standard-Kassetten
Objektiv Carl Zeiss Jena Tessar 5cm f/2.8 (#1515140), auch erhältlich mit Schneider Xenar oder Radionar, Meyer Trioplan, Steinheil Cassar. Einfahrbar per Spreizenmechanismus und Balgen, verschwindet hinter belederter Frontkappe.
Verschluss Compur-Rapid (#5059923), T-B-1-2-5-10-25-50-100-250-500. Kamera wurde allerdings meist mit dem Compur ausgeliefert ( bis 1/300s) 
Belichtungsmessung keine
Fokussierung Gehäusefokussierung per Drehknopf auf Kameraoberseite (bis <0,7m)
Sucher im Gehäuse integrierter optischer Durchsichtsucher
Blitz keine Synchronisation vorgesehen
Filmtransport per Drehrad, manuelle Entriegelung per Knopf, nicht mit dem Auslöser am Objektiv gekoppelt. Automatischer Bildzähler (vorwärts), Rückspulrad. 
sonst. Ausstattung Zubehörschuh (z.B. für Entfernungsmesser), Drahtauslösergewinde, Stativgewinde 3/8'', Kameragurtösen, ausklappbarer Hilfsständer für geöffnete Kamera, Tiefenschärfetabelle auf Kamerarückseite. Lederne Bereitschaftstasche, Gelbfilter und Sonnenblende (aufsteckbar) als Zubehör.
Maße, Gewicht ca. 121 x 83 x 38 mm (eingeklappt), 525g
Batterie keine
Baujahr(e) 1935 (Ur-Modell), 1936-1937 als Dollina I, ca. 40,000 Exemplare
Kaufpreis, Wert heute ca. 80-100 RM (1935), ca. 200 € (Ur-Modell), 50-100 € Dollina I
Links Compur History, Wikipedia, Camera-Wiki, Dresdner Kameras, Earlyphotography.co.uk, The Living Image
Bei KniPPsen weiterlesen      Kodak Retina 118, Kodak Retina 126, Kodak Retina I, Agfa Karat 6.3, Welta Welti, Baldina, 3x4-Kleinfilmkameras,  Bedienungsanleitung

2020-12-14

Compur serial numbers - Compur Seriennummern


One of my sources:
a French booklet
from 1994 with information
covering up to ca 1991
ISBN 2-906840-06-8
Eine meiner Quellen:
ein franz. Büchlein
von 1994 mit Informationen
gültig bis ca. 1991.
ISBN 2-906840-06-8
ACHTUNG: Update verfügbar ---> hier
UPDATE available: please see here.

Seriennummern sind eine tolle Möglichkeit, das Alter von Kameras und Objektiven zu bestimmen. Vorausgesetzt, man hat eine verlässliche Referenzliste. Nur in einigen Ausnahmen existieren tatsächliche Werkslisten, in den allermeisten Fällen tragen Sammler Informationen zusammen und veröffentlichen die entsprechenden Korrelationen zwischen Seriennummer und Produktionsjahr. Für die Compur und Compur-Rapid Zentralverschlüsse existiert eine solche Liste, zu finden im Netz z.B. bei Camera-Wiki.org, die sich wiederum auf ein dort referenziertes Sammlerwerk von 2001(Wilkinson, M, and C Glanfield. 2001.  A Lens Collector's Vade Mecum) beruft. Aber auch andere veröffentlichten diese Liste als ihre eigene (z.B. hier), und auch in einem Büchlein von 1994 (siehe Bild rechts) findet sich exakt dieselbe Liste von Compur-Seriennummern und Jahrezahlen. Ich würde mal sagen, hier wird mangels besseren Wissens fröhlich voneinander abgeschrieben, die eigentliche Quelle und Angaben zu ihrer Genauigkeit aber leider weggelassen. Jetzt gibt es aber gerade bei den Compur-Verschlüssen eine Möglichkeit die Richtigkeit der ermittelten Jahresangabe zu validieren. Meistens existiert nämlich noch die extra Seriennummer des verbauten Objektivs und manchmal auch noch zusätzlich diejenige der Kamera. Die zwei bis drei ermittelten Jahreszahlen sollten zueinander passen und sagen wir mal maximal 1 Jahr voneinander abweichen. 
Serial numbers are a great way to tell the age of cameras and lenses, provided there is a reliable reference list. Actual manufacturer's lists only exist in a few exceptions. Mostly, collectors compile information and publish the corresponding correlations between serial number and year of production. There is such a list for the Compur and Compur-Rapid leaf shutters, which can be found on the Internet, for example at Camera-Wiki.org, which in turn refers to a publication from 2001 (Wilkinson, M, and C Glanfield. 2001. A Lens Collector's Vade Mecum). But others also published this list as their own (e.g. here), and in a booklet from 1994 (see picture on the right) there is exactly the same list of Compur serial numbers and years. I assume, due to a lack of better knowledge, there is a lot of copy and paste. Unfortunately, the actual source and information about its accuracy were omitted. But now there is a possibility, especially with the Compur shutters, to validate the correctness of the determined year. Most of the time, there is also the extra serial number of the built-in lens and sometimes also that of the camera. The two or three respective production years should match and, let's say, differ from one another by a maximum of 1 year.
RIM-Compur mit halb
verdeckter Seriennummer
(Korelle 3x4, 1931)
RIM-Compur with partially
hidden serial number
(Korelle 3x4, 1931)
Und genau das taten sie bei mir in mehreren Fällen nicht, und zwar meist bei Kameras aus den frühen 1930er Jahren. Daher bin ich der Sache nochmal nachgegangen und habe mir alle eigenen Kameras (immerhin 13 Stück von 1930 bis 1952), aber auch viele Beispiele aus dem Netz (wo entsprechende verlässliche Angaben vorlagen, ganz viele davon bei EarlyPhotography) nochmal genau angeschaut und analysiert. Das Ergebnis seht ihr oben in Form einer Excel-Grafik. Insbesondere zwei Dinge sind falsch an der allgemein akzeptierten Liste (blaue Linie): 

1) Die Produktionszahlen zum Compur werden wohl insbesondere in den späten 1920er Jahren unterschätzt. Wohl schon um 1930 wird die 2-Millionen Marke überschritten und nicht erst 1933. Ein Grund dafür dürfte der neue "RIM"-Compur im Jahr 1928 sein. Bei diesem wird die Verschlusszeit durch Drehen des äußeren Rands eingestellt, im Vergleich zum älteren "Dial-Set" Compur mit separatem Einstellrad). Diese modernere Designvariante passte gut zum einsetzenden Trend hin zu kleineren (Roll-)Filmkameras, die sich anschickten, die umständlichen Fotoplatten innerhalb weniger Jahre abzulösen. Einen Dämpfer bekam dieser Boom durch die Weltwirtschaftskrise, die sich in Deutschland hauptsächlich im Jahr 1932 durch einem enormen Einbruch der Industrieproduktion manifestiert. Auch dies zeigen meine Beispiele und die angepasste rote Kurve schön.

2) Deckel führte 1934 den Compur-Rapid Verschluss (bis 1/500 s bei Größe 00, bzw. 1/400s bei Größe 0) ein und versah ihn mit Seriennummern, die mit 5 Millionen starteten. Gleichzeitig wurden aber noch bis 1939 die normalen Compur-Verschlüsse weiter produziert, die wohl so bei 4,500,000 aufhören. Bei meiner Recherche habe ich allerdings auch Rapid-Verschlüsse in diesem Bereich gefunden. Diese stammen alle von Zeiss Ikon Kameras, während andere Kameramarken die 5,xxx,xxx Nummern tragen.
And that's exactly what they didn't with some of my cameras, mostly with those from the early 1930s. So, I looked into the matter again and carefully assessed and analyzed all of my own cameras with Compur shutters (at least 13 from 1930 to 1952), but also many examples from the Internet (where relevant reliable information was available, many of them at EarlyPhotography). You can see the result above in the form of an Excel chart. Two things in particular are wrong with the generally accepted correlation (blue line): 
1) The production numbers for the Compur shutter were probably underestimated, especially in the late 1920s. The 2 million mark was surpassed as early as 1930 and not just 1933. One reason might be the new RIM-shutter introduced in 1928. with this shutter the speed is set by turning the outer rim, compared to the older Dial-Set shutter where this is done by a separate dial. The more modern design went well with the emerging trend towards smaller (roll-) film cameras, which were going to replace the cumbersome photo plates within a few years. This boom was dampened by the global economic crisis, which hit Germany mainly in 1932 with an enormous slump in industrial production. My examples and the adapted red curve also reflects this nicely. 
2) In 1934, Deckel introduced the Compur-Rapid shutter (up to 1/500 s for size 00, or 1/400s for size 0) and shipped it with 7 digit serial numbers starting with a "5". At the same time, however, the normal Compur shutters continued to be produced until 1939. They which probably stopped counting below 4,500,000. Interestingly however, I also found Rapid shutters in this number range. These were all from Zeiss Ikon cameras, while other camera brands carry the 5, xxx, xxx numbers. This is subject of further investigation, though.
Compur Rapid an einer
Kodak Retina (118) 
#5007138 (1934)
Compur Rapid at a
Kodak Retina (118) 
#5007138 (1934)

Basierend auf fast 50 eigenen und fremden Beispielen habe ich zwei neuen Zuordnungen (eine davon für die >5 mio Rapids) gemacht, die in der Grafik von der roten und grünen Linie repräsentiert werden. Natürlich liegen nicht alle Beispielpunkte auf den neuen Linien, deren zeitliche Zuordnung basierte ja wiederum auf Seriennummernlisten von Objektiv und/oder Kamera. Von einer Ungenauigkeit von +/- 1 Jahr muss man in den meisten Fällen ausgehen. Insbesondere sollten Punkte rechts von oder unter der Linie keine Probleme machen, da ja durchaus ein schon älterer Verschluss beim Zusammenbau der Kamera verwendet worden sein könnte. Natürlich habe ich die neue Korrelation in mein kleines Kamera-Dating-Tool oben links auf der Seite schon eingebaut.

Ich bin natürlich auf Kommentare und Kritik gespannt, wackele ich doch etwas an Jahrzehnte alten Sammlerparadigmen. Außerdem möchte ich alle einladen, mir ihre Beispiele (Kombinationen von Compur- mit anderen Seriennummern zuzusenden). Bitte alles hier unten im Kommentar posten, oder gleich per e-mail an knippsen@icloud.com.  
Based on almost 50 own and third-party examples, I made two new assignments (one of them for the Rapid shutters with 5 mio numbers), which are represented in the chart above by the red and green lines. Of course, not all sample points are on the new lines, their temporal assignment was based on the serial number correlation lists of the lens and / or camera. In most cases, you have to assume an inaccuracy of +/- 1 year. In particular, points to the right of or below the line should not cause any problems, as an older shutter could have been used when assembling the camera. Of course, I've already built the new correlation into my little camera dating tool at the top left of the page. I'm looking forward to your comments and criticism, of course, as I shake a bit decades-old collector's paradigms. I would also like to invite everyone to send me their examples (combinations of Compur numbers with other serial numbers). Please post everything below in the comment, or send an e-mail to knippsen@icloud.com. 
 
Für alle, die die Zuordnung eher in Tabellenform sehen wollen, hier ist sie: 
For all, who want to see the correllation in form of a table, here it is: 

 Year old assignment new assignment


Compur Compur-Rapid
1912 214.000 214.000
1914 250.000 250.000
1920 450.000 600.000
1922 500.000 700.000
1925 600.000 850.000
1926 750.000 920.000
1927 850.000 1.070.000
1928 950.000 1.250.000
1929 1.000.000 1.500.000
1930 1.150.000 2.000.000
1931 1.500.000 2.450.000
1932 1.800.000 2.500.000
1933 2.250.000 2.700.000
1934 2.700.000 3.000.000 5.000.000
1935 3.200.000 3.250.000 5.050.000
1936 3.750.000 3.950.000 5.250.000
1937 4.250.000 4.200.000 5.500.000
1938 4.850.000 4.350.000 5.800.000
1939 5.400.000 4.450.000 6.050.000
1947 6.000.000
6.100.000
1948 6.200.000
6.200.000
1949 6.500.000
6.500.000
1950 7.000.000
7.000.000
1951 7.700.000
7.700.000
1952 8.500.000
8.500.000

2020-12-06

Nagel Pupille



Die Königin unter den 3x4 Kameras, so hat sie Volkmar Kleinfeld in seinem Beitrag im PhotoDeal 108 (1/2020) bezeichnet. "Aufwendig und ideenreich konstruiert, präzise gefertigt". Jetzt, wo ich nach längerer Suche selbst eine besitze, kann ich nur zustimmen. Sie ist verglichen mit meinen anderen 3x4 Kameras die kompakteste, aber auch die solideste und diejenige, die sich am wertigsten anfühlt.

Wirklich beeindruckend ist ihre Kompaktheit, sie ist weniger als 10 cm breit und 7 cm hoch. Ich hoffe das kommt auf diesem Bild neben der Retina 1 gut raus. Die Retina ist eine eigentlich schon sehr kompakte Kleinbildkamera für die 135er Kleinbildpatrone, die Pupille aber trotz des größeren Negativformats fast nur halb so groß! Am auffälligsten an ihrer Erscheinung ist der im Vergleich klobige doppelte Schneckengang rund ums Objektiv. Mit dem ersten davon wird Optik und Verschluss ein- oder ausgefahren, der zweite gut sichtbare mit kleinteiliger, aber groß geschriebener Meterskala ist für das Fokussieren da. Die allermeisten Kameras aus der Zeit verwenden Faltbalgen und Spreizenmechanismus, was ihnen eine gewisse Verwundbarkeit verleiht. Nicht so die Pupille, sie mutet eher wie ein unkaputtbarer Taschenrevolver an. 

Über die Geschichte von August Nagel und seines Kamerawerkes in Stuttgart haben ich und z.B. das Foto-Museum Uhingen schon geschrieben. Wenn auch erst 1928 gegründet spielte man gleich in der ersten Liga der Kameraproduzenten mit. Neben der Pupille wurden noch einige andere Rollfilmkameras produziert, interessanterweise mit der Vollenda 48 noch eine 3x4 Halbformatkamera. Diese hatte den klassischen Faltbalgen und kostete nur die Hälfte der Pupille. Außerdem gab es mit der Ranca noch eine Billigversion der Pupille. Auf diese Nagelkameras trifft natürlich meine Analyse über das
Verschwinden der 3x4 Kameras in besonderen Maße zu. In dieser Fabrik sollte ab 1934 die Retina vom Band laufen, die Kamera, die den Todesstoß für 3x4 Kameraklasse bedeutete. Daher bin ich fest davon überzeugt, dass die Pupille nur für eine recht kurze Zeit gebaut wurde und zwar hauptsächlich 1931 bis (längstens) 1933. Die allermeisten davon dürften im Laufe des Jahres 1931 entstanden sein. Ich stütze mich dabei auf Seriennummern der Objektive, die meist gut auf allen Fotos im Netz zu erkennen sind. Alle die ich bisher gesichtet habe, zeigen folgende Zahlen: Schneider-Objektive (Xenar bzw. Xenon) größer als 378xxx, angeblich hatte Schneider im April 1931 die 400xxx erreicht; beim Leitz Elmar waren die Nummern zwischen 101xxx und 110xxx, Leitz hatte erst 1931 begonnen, seine Objektive extra mit Seriennummern auszustatten und dort bei 100xxx gestartet. Die Kameras selbst haben fünfstellige Seriennummern im Inneren, diese sind leider nicht so oft und gut dokumentiert. Gefunden habe ich Nummern zwischen 82135 und 94656, die sie sich aber mit anderen Nagelkameras teilten. Laut Helmut Nagel (in seinem Buch "Zauber der Kamera", dva 1977) wurden ca. 5000 Pupillen gebaut. Etwas seltsam in dem Zusammenhang ist die Sache mit der Seriennummer des Compur-Verschlusses, die auch oft zur Altersbestimmung herangezogen wird. Meine Kamera hat einen Verschluss mit #2302048, und damit von 1933. Allerdings hatte ich genau das schonmal und bei den anderen gesichteten Pupillen ebenfalls, so dass ich inzwischen davon überzeugt bin, dass die bisher verwendete Zuordnungs-Tabelle zumindest für die späten 20er/frühen 30er Jahre falsch ist, dazu demnächst hier mehr.
Meine Kamera kam übrigens in einem ebenfalls sehr gut erhaltenen Lederetui, mit etwas Zubehör, wie auf den Bilder zu erkennen. Auch eine Anleitung war dabei, die ich für den interessierten Leser hier gerne zur Verfügung stelle. Außerdem empfehle ich zur weiteren Primärliteratur-Lektüre die schöne Kodak-Broschüre "Warum Kleinfilm" von 1932 und eine zur Pupille als Spiegelreflexkamera. Viel Spaß damit!

Datenblatt Kompakte Kleinfilmkamera 3x4 (Rollfilm 127)
Objektiv Leitz Elmar 50mm f/3.5 (4 Linsen in 3 Gruppen), auch erhältlich mit Schneider Xenar 50 mm f/3.5 und f/2.9, Schneider Xenon 45 mm f/2, Cooke Anastigmat 2inch f/3.5, Zeiss Tessar f/3.5
Verschluss Fr. Deckel Compur, T-B-1-2-5-10-25-50-100-300, diese #2302048
Belichtungsmessung keine
Fokussierung mit großem Schneckengang, bis 70 cm Naheinstellgrenze, Aufsteck-Entfernungsmesser von Leitz als Zubehör
Sucher Aufklappbarer optischer Durchsichtsucher. Spiegelreflex-Aufstecksucher optional erhältlich. 
Blitz Keine Anschlussmöglichkeit.
Filmtransport per Drehknopf von Rolle zu Rolle, gute Planlage durch spezielle Filmführung, Bildzählung mit doppeltem roten Fester.
sonst. Ausstattung Drahtauslösergewinde, Tiefenschärfe-Drehskala, 3/8‘‘ Stativgewinde, mitgeliefertes Zubehör: Objektivdeckel, Gelbfilter, Standhilfe zum Aufstecken.
Maße, Gewicht ca. 97 x 68 x 49 (60/65) mm (eingef. /unendl./0.7m), 397g
Batterie keine
Baujahr(e) 1931-1933 (ggf. bis 1935), ca. 5.000 Exemplare, diese #90563 von 1931
Kaufpreis, Wert heute ca. 200 RM (1931), 180-400€ je nach Zustand und Objektiv.
Links Camera-Wiki, Classic-Camera-CollectionAnzeigen (engl.), Foto-Museum Uhingen
Bei KniPPsen weiterlesen Das plötzliche Verschwinden der 3x4 KamerasAugust Nagel, Korelle 3x4, Foth Derby, Zeh Goldi, Welta Gucki, Ising Puck, Gevaert 127er Rollfilm, Kodak Rollfilm 127