Posts mit dem Label Meyer Optik werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Meyer Optik werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

2024-09-15

Kenngott Supra No. 2 (6.5 x 9 cm)

Wie ich schon bei meinem Beitrag zur Agfa Isolar 408 (eine 9x12 Kamera) geschrieben habe, gehören Platten- bzw. Laufbodenkameras eigentlich nicht in mein Sammler-Beuteschema. Auf einem Flohmarkt am letzten Wochenende lief mir allerdings diese Kenngott Supra No.2 über den Weg und ich habe spontan zugeschlagen. Sie ist für das kleinere Plattenformat 6.5 x 9 cm gebaut (es gab auch eine entsprechend große 9x12 Variante als Supra No.4) und außerdem war mir Kenngott in anderen Zusammenhängen schonmal untergekommen, und deren Kameras sind einigermaßen selten. Das versprach einiges an Spaß bei der Hintergrundrecherche. 

Und tatsächlich: Die Informationslage zur Firma Kenngott in Stuttgart ist sehr lückenhaft und verschiedene Quellen widersprechen sich zum Teil. Hier ist mein Destillat, ohne Gewähr: Die Firma geht zurück auf (Georg) Wilhelm Kenngott (*30.9.1864 in Reutlingen), der um die Jahrhundertwende als wohl erfolgreicher Fotounternehmer seine Firma/Firmen aufbaut. Als Startpunkte werden die Jahre 1894 bis 1901 genannt, die Orte Reutlingen, Stuttgart und Paris tauchen auf, es wird mit Fotobedarf mal nur gehandelt und dann auch produziert. Es geht um Objektive, Kameras, Stative und einen Verschluss. Belegt ist nämlich, dass Wilhelm Kenngott als alleiniger Erfinder eines Zentralverschlusses auf dem französischen Patent 350870 vom 19.2.1906 genannt ist. Dieser Verschluss wird als "Koilos" ab 1904 bei Alfred Gauthier in Calmbach gebaut und ist der Vorläufer des Ibso(r), der an dieser Kamera hier zu finden ist. Angeblich war Kenngott Teilhaber von Gauthier und (laut Harmut Thiele) auch von Fr. Deckel in München. Vielleicht war seine Verschluss-Erfindung so gelungen, dass beide Firmen Lizenzen davon gegen Teilhaberschaften erwarben (reine Spekulation).  Ab wann und wo es mit der eigenen Kameraproduktion wirklich losging, bleibt im Unklaren. Eine Quelle spricht von 1905, andere melden Kenngott-Kameras erst aus den 1920ern. Da war Wilhelm Kenngott schon tot, er starb am 25.7.1919. Seine Söhne Karl und Willi erbten die Firma und spätestens ab dann wird nur noch Stuttgart genannt. 1932, im Jahr der größten Wirtschaftskrise in Deutschland muss Konkurs angemeldet werden. Qualifizierte Arbeiter und Angestellte hatten wohl kein Problem wieder Anstellung bei den anderen Stuttgarter Kameraproduzenten (Kodak/Nagel, Zeiss Ikon, Ebner, Krauss) zu finden. 

Die Kamera selbst ist gehobener Standard. Genau solche Laufbodenkameras gab es Ende der 1920er Jahre von nahezu jedem Kamerahersteller. Es ist eine erstaunlich homogene Kameraklasse, die Unterschiede zwischen den Herstellern beschränken sich auf ein paar rein gestalterische Kleinigkeiten, technisch ist fast alles identisch und sogar die Bedienung ist gleich. Als Käufer konnte man zwischen Ausstattungsvarianten bzgl. Objektiv und Verschluss wählen, diese Unterschiede (auch im Preis) waren innerhalb eines Modells größer als zwischen Modellen verschiedener Hersteller. 
Am Ende der 1920er Jahre waren Laufbodenkameras wie diese immer noch erste Wahl für jeden der ambitioniert fotografieren wollte. Die kleinere 6.5x9-Klasse war populär, weil man sie gut mitnehmen konnte. Allerdings war das Resultat auch nur ein ebenso großes Foto, denn Vergrößerungen waren eine sehr seltene Ausnahme. Mit den enormen Fortschritten, die der fotografische Film damals machte, kamen Rollfilmkameras immer mehr in Mode, auch Kenngott hatte mindestens ein Modell im Programm. 
Doch auf den gewaltigen Umbruch, der zwischen 1930 und 1933 am Kameramarkt passierte, waren nicht alle Hersteller gut vorbereitet. Zusätzlich zur allgemeinen Wirtschaftskreise wollten die Kunden plötzlich die altbackenen Laufboden-Plattenkameras nicht mehr kaufen und fast von heute auf morgen war das Zeitalter der Rollfilm und Kleinbildkameras angebrochen. Laufboden/Platten-kameras wurden zu Ladenhütern, blieben bei einigen Herstellern aber noch bis 1939 im Verkaufsprogramm. Ich bin davon überzeugt, dass diese dann schon ein paar Jahre auf Lager lagen und die eigentliche Produktion Anfang der 1930er aufgegeben wurde. Entweder um Rollfilm- und Kleinbildkameras Platz zu machen, oder wie im Falle Kenngott durch Konkurs. 

Datenblatt Laufbodenkamera für Platten oder Planfilm 6.5 x 9 cm 
Objektiv Meyer Helioplan 10.5 cm f/4.5 (Doppel-Anastigmat, 4 Linsen), Kamera war auch mit Schneider Radionar f/6.3, Radionar f/4.5 oder Xenar f/4.5 erhältlich.
Verschluss Ibsor Selbstspann-Zentralverschluss, T-B-125-50-25-10-5-2-1 1/s, Blende stufenlos, Blendenskala 4.5-6.3-9-12.5-18-25. Kamera war auch mit Vario oder Compur-Verschluss erhältlich (s. Anzeige unten)
Fokussierung Manuell mit Schneckentrieb, Skala bis 1m, doppelter Auszug (20cm)
Sucher schwenkbarer Brilliantsucher für Hoch- und Querformat, ausklappbarer Rahmensucher, alternativ Motivwahl und Fokussierung über Mattscheibe anstelle der Filmplatte.
sonst. Ausstattung Wasserwaage für horizontale Ausrichtung, Drahtauslösergewinde, 2 x Stativgewinde 3/8'', horizontale und vertikale Verschiebung des Objektivträgers mit Drehschrauben möglich
Maße, Gewicht 115 x 83 x 38 mm (geschlossen), 607 g
Baujahr(e) 1929 bis vermutlich 1932, diese Kamera (ohne Seriennummer) laut Objektiv-Seriennummer von 1930 oder 1931.
Kaufpreis, Wert heute 94 RM (in dieser Ausführung, siehe unten), ca. 50 €
Links engel-art.ch, Collection Appareils, Collectiblend, Gauthier Heimatgeschichte, Camera-Wiki
Bei KniPPsen weiterlesen Kleinfilmkameras Anfang der 1930er, Agfa Isolar, August Nagel, Krauss Rollette





2023-10-03

Mimosa II

Die Mimosa sticht auch für versierte Sammler aus der Masse der Kleinbildkameras über die Jahrzehnte wegen ihres besonderen quaderförmigen Designs hervor, sie ist darin einzigartig und bleibt in Erinnerung. Wenn man sich dann mit ihr beschäftigt, merkt man, dass sie technisch eigentlich nichts wirklich Besonderes zu bieten hat. Die sie umgebende Geschichte um ihre Entwicklung, Herstellung und Vermarktung macht dies aber locker wieder wett. Es gibt dort ein paar noch nicht 100%ig aufgeklärte Rätsel. Die meiner Meinung nach beste Darstellung der Fakten liefern Yves Strobelt und Marco Kröger. Meine Interpretation und Kurzfassung geht so:

Wir befinden uns in den Jahren 1947 und 1948, also in der schlimmen Zeit nach dem 2. Weltkrieg, die Dresdener Kameraproduktion, vor dem Krieg strahlendes Zentrum dieser Industrie, liegt am Boden. Die politischen Umstände sind alles andere als klar, viele Menschen verlassen die sowjetische Besatzungszone Richtung Westen. Da taucht im Frühjahr 1948 eine völlig neu konstruierte und sehr solide Kleinbildkamera auf. Als offizieller Hersteller der Kamera und Namensgeber (der inoffizielle im Hintergrund kommt gleich...) gilt der seit 1904 in Dresden ansässige Fotopapier- und Film-Hersteller Mimosa AG, ein fotochemischer Betrieb! Von Feinmechanik und Kamerafertigung hatte man keine Ahnung, Maschinen dafür schonmal gar nicht. Mimosa hatte allerdings das große Glück, dass ihre Fabrikgebäude im Gegensatz zum Großteil der übrigen Kamera- und Fotoindustrie in und um Dresden weitgehend unbeschädigt die Zerstörung Dresdens überstanden hatten. Außerdem gab es in und um Dresden jede Menge arbeitslose aber hochqualifizierte Fachkräfte, die wieder Kameras bauen wollten.

1947 dämmerte die deutsche Teilung und mit ihr die Auflösung des damals noch größten deutschen Kamerakonzerns Zeiss Ikon AG in einen westdeutschen Teil mit der neuen Konzernzentrale in Stuttgart und einen ostdeutschen um die alte Zentrale in Dresden. Viele führende Mitarbeiter verließen Dresden in Richtung Stuttgart und man stritt nicht nur um Vermögenswerte und Know-How sondern noch lange um den (Marken-) Namen Zeiss Ikon. In Dresden hatte man diese neue Kamerakonstruktion in der Schublade und wollte wohl vermeiden, dass sie mit in die Streitmasse geriet. Daher wurde der vordergründig unbeteiligten Mimosa AG eine neue Kameraabteilung „angegliedert“ (wie sich Hartmut Thiele in seinem „Wer ist Wer“ ausdrückt). 

Man schlüpfte also nicht nur in Wirklichkeit unter deren Dach, sondern auch rechtlich gehörte die nun Mimosa I genannte Kamera und deren Produktionsmaschinen etc. zur alten Fotochemiefirma. Innerhalb weniger Wochen geschah im Frühjahr 1948 folgendes: Der Aufsichtsrat der Zeiss Ikon AG beschließt die Verlegung des Gesellschaftssitzes nach Stuttgart, woraufhin die sowjetische Besatzungsmacht die Beschlagnahmung der ostdeutschen Vermögenswerte bestätigt, was faktisch die Spaltung zementierte. Mehr oder weniger gleichzeitig präsentiert die Mimosa AG ihre neue Kamera auf der Leipziger Frühjahrsmesse und die Fachwelt wundert sich. Am Ende ihrer Bauzeit 1951 übernimmt der zwischenzeitlich VEB Zeiss Ikon genannte ostdeutsche Teil der Firma offiziell Maschinen und Belegschaft der Mimosa Kameraproduktion und produziert in denselben Räumen ab 1952 die erfolgreichere Taxona (Tenax I Nachfolgerin). 

Doch nun zur Kamera selbst: In einem frühen Artikel wird ihre "besonders griffige Form" und das Fehlen von "Spreizen und Klappmechanismus" als Vorteile hervorgehoben. Ich muss zugeben: kompakt ist sie, allerdings keinesfalls "griffig". Um sie mit nur einer Hand zu halten, ist sie eigentlich zu schwer (fast 500 g mit Film!) und an den Seiten zu schmal. Beim zwangsläufigen Halten mit beiden Händen kommen diese sich selbst und den Einstellelementen in die Quere. Von Ergonomie also keine Spur. Allerdings ist sie super solide gebaut (Aluminium-Gussgehäuse) und die sehr pfiffig angebrachte und komplett abnehmbare Einheit von Rückwand und Bodenplatte kann die Verwandschaft zur Contax nicht verleugnen. Die beiden verfügbaren Triplet-Objektive mit Frontlinsenfokussierung sowie die angebotenen Verschlüsse sind hingegen nur Mittelmaß und passen nicht so recht zum doch sehr stattlichen Preis von 225 Mark.

Es gab im Prinzip drei Versionen der Mimosa: Die von Anfang an "Mimosa I" genannte Version (1948, bis zu 3000 Exemplare) hatte noch einen angeschraubten Aufklappsucher. Diese "Mimosa II" hier (1949-1951) repräsentiert die Mehrheit (ca. 15000 Exemplare) aller je produzierten Kameras und kann durch den ins Gehäuse integrierten optischen Sucher identifiziert werden. Die dritte Version mit Schneckengang zur Fokussierung mit dem gesamten Objektiv kam im Frühjahr 1951 auf den Markt, wurde aber weiter mit "Mimosa II" beschriftet. Auch hiervon existieren wohl nur bis zu 3000 Exemplare. Von den genannten Versionen existieren darüberhinaus unzählige Varianten: mit und ohne Gurtösen, mit schwarzem oder silbernen Rückwandhebel, verschiedene Verschlüsse und Objektive und entsprechend viele Kombinationen.
 
Vielleicht war der Schneckengang auch nur der erste Schritt hin zur angedachten "Mimosa III", die wohl schon seit Ende 1949 in Planung war und Schnellschalthebel und Entfernungsmesser bieten sollte. Realisiert wurde diese nicht mehr, der Aufwand war wohl zu groß und man musste sich heimlich eingestehen, dass die Mimosa insgesamt ein interessantes Experiment war, es am Markt aber inzwischen bessere und preiswertere Alternativen auch aus eigenem (VEB Zeiss Ikon) Hause gab. Die Mimosa ist aber heute mit nur ca. 21000 Exemplaren, den unzähligen Varianten und der tollen Geschichte dahinter eine exzellente Sammlerkamera, die jetzt auch meine Vitrine ziert.

Datenblatt kompakte Kleinbildkamera - frühe Nachkriegsneukonstruktion mit interessanter Geschichte dahinter
Objektiv Meyer Trioplan 50 mm f/2.9 (Triplet, vergütet). Kamera war auch erhältlich mit Ludwig Meritar (gleiche Spezifikation).
Verschluss Prontor-S (B-1-2-5-10-25-50-100-300), auch erhältlich mit "eigenem" Mimosa Velax (B-10-25-50-100-200) Selbstspannverschluss. Frühe Versionen auch mit Stelo-Verschluss
Fokussierung per Frontlinsenverstellung am Objektiv, minimal ca. 1.30 m. Eine spätere Version der Kamera (siehe Text) hatte einen Schneckengang für Verschiebung des gesamten Objektivs.
Sucher optischer Fernrohrsucher im Kameragehäuse. Die Mimosa I hatte nur einen angeschraubten Aufklappsucher (siehe Text).
Blitz PC-Synchronbuchse am Verschluss, allerdings kein Zubehörschuh.
Filmtransport Mit Drehknopf auf der Kameraoberseite, Doppel- und Leerbelichtungssperre, Bildzählwerk (vorwärts).
sonst. Ausstattung Stativgewinde 3/8'', ISO-Drahtauslösergewinde, Filtergewinde 25 mm
Maße, Gewicht 95x73x72 mm (Gehäusequader ohne Objektiv und Anbauteile: 95x66x49), 453 g
Baujahr(e) 1949-1950 (gesamte Serie 1948-1951), insgesamt ca. 21000 Exemplare, diese #9885 von ca. 1950.
Kaufpreis, Wert heute 225 Mark, ca. 40 - 100 € je nach Version und Ausstattung.
Links Camera-Wiki, ZeissikonVEB, Andere Dresdener Kameras, Mike Eckman
Bei KniPPsen weiterlesen Tenax I, Tenax II, Contax II, andere Post mit Bezug zu Dresden

2022-06-26

Deutsche Objektivproduktion 1925 bis 1942 in Zahlen

Objektivproduktion (Anzahl) der führenden 7 deutschen Produzenten für hochwertige Optik im Zeitraum von 1925 bis 1942. Daten abgeleitet von Seriennummersequenzen.

Die obige Grafik und die dazugehörige Excel-Tabelle schlummert schon länger auf meinem Computer, sind diese Daten doch ein Nebenprodukt meiner Recherchen zu Seriennummern. Sie finden sich in anderer Form in meinem kleinen Altersbestimmungswerkzeug hier links oben am Rand. Ich habe mich bisher gescheut, sie so zu veröffentlichen, weil die Datenbasis nicht komplett ist. 

Die gezeigten führenden 7 deutschen Objektivhersteller repräsentieren zwar den Großteil der höherwertigen Objektivproduktion im betrachteten Zeitraum. Für ein komplettes Bild fehlen aber mindestens die Firmen E. Ludwig, ENNA, Staeble und C. Friedrich (für die Jahre vor 1925 und nach 1945 wären noch viel mehr Hersteller zu betrachten). Bis jetzt ist es mir aber nicht gelungen mehr Details über diese kleineren Produktionen zusammen zu bekommen. Ich schätze ihren Beitrag zur Gesamtproduktion im obigen Zeitraum auf ca. 1 - 1.5 Millionen Objektive. Unter den Balken oben verbergen sich zum Vergleich 8.5 Millionen. 

Was außerdem fehlt ist Deutschland's größter Kamerahersteller: Das Agfa-Kamerawerk in München, welches inklusive der Vorgängerfirma Rietzschel bis zum 2. Weltkrieg ca. 7 Millionen Kameras mit eigenen Objektiven produziert und verkauft hat. In dieser Zahl sind zum großen Teil einfachste Boxkameras enthalten. Auch von anderen Herstellern gab es solche aus deutscher Produktion. Deren Objektive sind meist nicht extra nummeriert und entziehen sich somit einer getrennten Analyse.

Trotzdem kann man an dieser Stelle mal alles zusammensetzen und kommt größenordnungsmäßig auf ca. 20 Millionen Kameras bzw. Objektive aus Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Verteilung dieser 20 Mio folgt dem Muster der obigen Grafik: ca. 1/4 (5 mio) in den ersten 30 Jahren mit stetigem Wachstum der Industrie, inkl. ein paar schwierigen Jahren im 1. Weltkrieg. Dann die Weltwirtschaftskrise mit dem großen Einbruch im deutschen Krisenjahr 1932. In den späten 1920er Jahren    passiert zusätzlich einiges in der Fotoindustrie, was den Grundstein für den phänomenalen Kameraboom ab 1933 (3/4, also ca. 15 mio in nur 9 Jahren) legt: 1) die wirtschaftliche Konsolidierung, Zeiss Ikon geht aus einigen kleinen und angeschlagenen ehemaligen Konkurrenten hervor, Agfa etabliert sich als DER deutsche Filmhersteller und kauft Rietzschel, Kodak kauft Nagel; 2) Rollfilme werden technisch so gut, dass die bisher marktbeherrschenden Plattenkameras ab 1930 zu Ladenhütern werden, Leitz zeigt der Welt wie Hightech Kleinbild geht; 3) in vielen Fotofirmen kommt eine innovative Generation junger Ingenieure ans Ruder und löst die Gründergeneration aus den 1890ern ab. Sie erfinden und trauen sich an neue Dinge, z.B. Kleinbildkameras, Bakelit, oder billige Boxen für die Jugend. Der Boom der 1930er kommt ja bekanntlich wegen des von Deutschland ausgehenden Weltkriegs zu einem jähen Ende. Fast die gesamte Produktion wird ab 1941 Kriegsgüter herstellen, die Innovationen der 1930er (Farbfilm, Vergütung, Blitz, etc.) werden dann zu einem zweiten, noch größeren Boom in den 1950ern führen, aber das ist eine andere Geschichte…

2020-12-24

Bentzin Primarette mit Meyer Makro Plasmat


Manchmal erstaunen mich Dinge so sehr, dass ich es nicht lassen kann, darüber zu schreiben. Wie zum Beispiel extreme Preise, die bei Kamera-Auktionen erzielt werden. Ich hatte hier schon mal eine Nikon F, die nur wegen ihrer niedrigen Seriennummer plötzlich für ein Vielfaches ihres "normalen" Wertes verkauft wurde. Bei dieser Primarette des eher unbekannten Kamerahersteller Bentzin war mir erst nicht klar, was (in diesem Fall) mehrere Bieter dazu bewegt, ein gutes Brutto-Monatsgehalt für eine seltsame, ca. 85 Jahre alte Kamera zu bieten. 
Zugegeben, die Kamera selbst ist schon etwas Besonderes mit ihrem extra Sucherobjektiv, das ein umgekehrtes Bild auf eine Mattscheibe projiziert. Damit ließ sich sicher besonders präzise scharf stellen, fast wie bei einer zwei-äugigen Spiegelreflex (TLR), die sie aber nicht war.  
Nach etwas recherchieren ist mir jetzt aber klar, was hier den Preis nach oben getrieben hat: Es ist das Objektiv! Mit anderen Objektiven (z.B. einem Zeiss Tessar oder einem Meyer Trioplan) liegt das normale Preisniveau für die Kamera so um die 1000€, immer noch viel für eine eher unbekannte Marke der 1930er. 

Das Objektiv aber scheint unter einigen Photographica Sammlern einen gewissen Kultstatus zu besitzen und hatte wohl schon in den 1930ern den Ruf, eines der besten, wenn nicht DAS beste Objektiv auf dem Markt zu sein. Von Meyer wird es in einer Broschüre recht unbescheiden als "absolut frei von Verzeichnung und anderen optischen Defekten" bezeichnet. Es wurde in seiner späten Zeit bei Meyer Optik in Görlitz vom ehemaligen Zeiss-Forscher Dr. Paul Rudolph entwickelt, dem "Vater" von u.a. Tessar und Planar. Weil es vermutlich damals schon vergleichsweise teuer war, ist es heute eher selten anzutreffen, und sowas treibt natürlich Sammlerpreise nach oben. 
Trotzdem ist es mir schleierhaft, warum das Objektiv heute in relativ aktuellen Fassungen (z.B. Leica M) als Umbau angeboten wird und dafür 4 bis 5-stellige Summen verlangt werden. Man muss bedenken, die Linsen sind nicht vergütet und können wohl trotz der damaligen Leistungsdaten mit heutigen Spitzenobjektiven nicht mehr mithalten! Ich möchte jeden einladen, mal bei ebay "Plasmat 2.7" zu suchen und zu staunen, welche Preise für so alte Objektive noch aufgerufen werden. Ich werde jedenfalls am Thema nochmal dranbleiben und hoffe, dass mir der Verkäufer der Kamera verzeiht, dass ich seine Fotos für diesen Beitrag "geklaut" habe.