2021-05-01

Agfa Isolar 408 (9x12)

Normalerweise gehören Platten- bzw. Laufbodenkameras nicht in mein Beuteschema und es soll auch keine neue Sammelkategorie werden. Aber bei dieser Agfa Isolar 408 (9x12) von ca. 1927 konnte ich nicht widerstehen. Einziger Grund für den Kauf war mein bekanntes Interesse für den Aufstieg der Kleinbildkameras am Anfang der 1930er Jahre und da wollte ich den "Gegner" mal besser kennenlernen. Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, aber noch im Jahr 1931 (als ganz viele "Kleinfilmkameras" auf den Markt kamen) betrug der Marktanteil der Plattenkameras ca. 67%. Jedenfalls bei Photo Porst, dem größten deutschen (Versand-) Händler damals. 44% allein fielen auf 9x12-Plattenkameras, die alle ein fast identisches Featureset aufwiesen. Diese Agfa Isolar war die populärste und wurde bei Porst mehr als 5000 mal pro Jahr verkauft (das sind über 20 pro Werktag), für 1931 entspricht das fast 12% des gesamten Photo Porst Umsatzes, der stolz mit 3.49 Millionen RM angegeben wird. 

Kurz mal zu den Eigenschaften und Funktionsweise dieser Kamera, die wie gesagt für die ganze Klasse zutreffen: Zusammengeklappt ist das Ding ungefähr so groß wie ein dickeres Taschenbuch. Dann klappt man durch einen kleinen Knopf die Frontseite auf und läßt diese gehalten von seitlichen Streben genau im 90° Winkel einrasten. Das wird der Laufboden. Auf dessen Schienen zieht man nun Objektiv und Verschluss bis zum Unendlich-Anschlag heraus, wobei sich der Balgen auffaltet. Es gibt drei Suchervarianten: 1) einen sog. Brilliantsucher zum Anpeilen des Objektes, wenn man die Kamera vor dem Bauch hält und von oben drauf guckt; 2) einen Sport- bzw. Actionsucher, ausklappbar aus Draht; und 3) die Mattscheibe an der Stelle, wo später die Platte oder der (Plan-)Film sitzt. Dies meist für Stilleben vom Stativ, für das die Kamera im Übrigen drei Stativgewinde besitzt. Auf der Mattscheibe erscheint das Bild seitenverkehrt und auf dem Kopf, man kann aber genau scharfstellen und für Nahaufnahmen gibt es sowieso keine andere Sucheralternative. 



Für solche Nahaufnahmen (oder auch "Tele"-Aufnahmen mittels einer die Brennweite verlängernden Vorsatzlinse) besitzt die Kamera einen "Doppelten Auszug", sprich eine Verlängerung des Laufbodens um mehr als eine weitere Brennweite. Mit diesem kann die Isolar Objekte bis zur Naheinstellgrenze von nur 26 cm scharfstellen und damit in Originalgröße abbilden.  Das ist übrigens der Grund, warum die meisten Laufbodenkameras quasi standardmäßig im Hochformat ("Portrait") stehen: Einfach, weil dadurch die lange Seite runterklappt und man so einfacher auf den nötigen Auszug kommt, als beim Querformat ("Landschaft").


Solche Laufbodenkameras waren die vorherrschende Kameraklasse des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts, jedenfalls für alle die sich ernsthaft mit Fotografie beschäftigten. Fast jeder Kamerahersteller hatte mehrere solcher Modelle im Programm. Agfa, eigentlich eine reine Chemie-Firma, die sich auf Photochemie und Filme spezialisiert hatte, kam im Rahmen der großen Industriefusion zur IG-Farben im Jahr 1926 zur eigenen Kameraproduktion. Der zuvor zu Bayer in Leverkusen gehörende Kamerahersteller Rietzschel aus München wurde in die unter Agfa firmierende Photosparte des Konzerns eingegliedert und die bestehende Modellpalette nun unter diesem Namen vertrieben. Die Isolar 408 basiert auf der früheren Rietzschel Condor Luxus und wurde wohl von ca. 1928 bis 1930 produziert. 
Wann genau mein Exemplar hier produziert wurde ist nicht einfach zu sagen. Mich lockte beim Kauf u.a. die sehr niedrige Computer-Seriennummer (#546812), allerdings widersprechen die beiden anderen (wenig erforschten) Seriennummern am Gehäuse und Objektiv einer frühen Einordnung. Hier werde ich mich nochmal in einem Extra-Beitrag auslassen...

Datenblatt Platten- bzw. Laufbodenkamera für 9x12 Glasplatten oder Filmpacks
Objektiv Agfa Solinear 4.5/13.5 cm (4 Linsen in drei Gruppen, Tessar Typ), Blende aus 10 Lamellen, Stufen: 4.5-5.6-8-11-16-22-32-44
Verschluss "Dial-Set" Compur (T-B-1-2-5-10-25-50-100-200), #546812
Fokussierung über Verschieben des ganzen Objektivs auf dem Laufboden, Anschlag für Unendlich, Feinjustierung mit Mikrometerschraube.
Sucher 1) Brilliantsucher, drehbar für Hoch- und Querformat; 2) Sportsucher, ausklappbar; 3) Mattscheibe mit aufklappbaren Sichtschutz
Filmthandling Mattscheibenrückteil wird gegen Platten- oder Filmhalter ausgetauscht. Filmpack- und Rollfilmadapter (für 6x9 Ausschnitt) als Zubehör erhältlich.
sonst. Ausstattung Anschluss für Drahtauslöser, 3 Stativgewinde 3/8‘‘, Verschieben des Objektiv auch nach oben/unten sowie rechts/links mit Mikrometerschrauben möglich, optionaler Gelbfilter oder Tele-Linsen in Aufsteckfassung.
Maße, Gewicht ca. 53 x 107 x 150 mm (zugeklappt), 1250 g
Baujahr(e) 1928-1930, diese #FZ265 von 1928
Kaufpreis, Wert heute 138 RM (1928), 75,90 RM (Porst, 1932), heute ca. 50 €
Links IFM-Wolfen, Anleitung, Camera-Wiki

Die Agfa Isolar Seiten aus dem Photo-Porst Katalog von 1932. Porst konnte wohl wegen der großen Anzahl die Kamera besonders günstig anbieten. Andere Kameras aus dieser Klasse finden sich z.T. deutlich teurer in diesem Katalog. 
Zubehör (siehe rechts) wurde mehr oder weniger normiert für alle Kameras gleich angeboten.

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