|
Nachkriegs-Kameraproduktion der Kodak AG in Stuttgart in Modellgruppen. Es fehlen die einfacheren Instamatic-Kameras von 1963 bis zur Produktionseinstellung 1970. |
Das hier ist die Fortsetzung meines
Beitrags über die Kodak (Nagelwerk) Vorkriegs-Kameraproduktion. Methode und Quelle sind dieselben, diesmal geht es um die Wirtschaftswunderzeit nach dem 2. Weltkrieg, die in der (west-) deutschen Kameraindustrie insbesondere in den 1950er Jahren durch stetes Wachstum geprägt war. Das hielt bis hinein in die frühen 1960er und dann ging es Kodak wie allen anderen deutschen Mitbewerbern: Es ging wieder bergab, die Japaner kamen mit zum Teil besseren und gleichzeitig preiswerteren Kameras. Die westdeutsche Kameraindustrie rutschte reihenweise in die Pleite, konsolidierte oder schaute sich nach anderen Tätigkeitsfeldern um. Kodak in Stuttgart ging es vergleichsweise noch gut, war man doch Teil des weltweit größten Filmherstellers. In den 1970ern wurden in Stuttgart noch eine ganze Reihe eher einfacher
Instamatic-Kameras produziert. Schließlich wurde die Kameraproduktion 1979 endgültig eingestellt. Letztes Modell war die
EK8 Instant Camera (einzige Sofortbildkamera aus Stuttgart). Wieviele von diesen ganzen nicht-Retina Kameras produziert wurden konnte ich leider nicht rausbekommen, Helmut Nagel nennt in seinem Buch weder Zahlen noch Preise.
Wenn man sich die Grafik oben im Vergleich mit den Vorkriegszahlen anschaut, fallen zwei Dinge auf: Nach dem Krieg werden in Stuttgart nur noch Kleinbildkameras gebaut, keine preiswerten Box- oder Mittelformat-Balgenkameras mehr. Daher wird trotz anfangs steten Wachstums der Jahres-Produktionsrekord von 1936 zumindest zahlenmäßig nicht mehr eingestellt. Bei den Kleinbildkameras sieht es allerdings anders aus: hier werden schon 1948 mehr Retinas gebaut als im bisherigen Rekordjahr 1939.
|
Produktionszahlen der klassischen Modelle (auf Basis der Vorkriegs-Designs) |
|
Retina I (010) |
Das Nagelwerk in Stuttgart-Wangen hat als einer der ersten Kamerahersteller nach dem Krieg wieder die Produktion aufnehmen können. Hilfreich war sicher, dass man als amerikanischer Konzern in der amerikanischen Besatzungszone wohl einige Hilfe bekam oder zumindest bevorzugt behandelt wurde. Schon Ende 1945 waren die gröbsten Schäden beseitigt und es ging da weiter, wo man 1941 aufgehört hatte: Mit der
Retina-I natürlich, die unter der Typennummer 010 1946 wieder auf den Markt kam. Bis 1954 wurden davon nochmal
genau so viele Kameras gebaut wie vor dem Krieg! Auch die Retina II (mit Entfernungsmesser) wurde in modifizierter Form wieder ins Programm genommen. Ab 1949 gab es dann zur Abrundung des Portfolios nach unten auch wieder eine
Retinette, produziert auf demselben Chassis mit den selben Werkzeugen. Ich habe alle diese Kameras daher hier als "Klassische Modelle" zusammengefasst. Neu-Entwicklungen brauchen seine Zeit und die brach bei Kodak 1954 an, als die gesamte Produktion auf moderner wirkende Gehäuse mit runderen Formen und Chrom-glänzenden Gehäusekappen umgestellt wurde:
|
Unterseite aller Retina und Retinette Kameras ab 1954. Abgerundete Form und Schnellschalt- Hebel an einer seltsamen Stelle. |
Die Retina Serie wurde entsprechend mit dem modernen Modell Ib fortgesetzt. Natürlich gab es auch das Modell II mit Entfernungsmesser, das interessanterweise nicht die Modellnummer IIb sondern IIc verpasst bekam. Die Palette wurde durch eine neue Variante mit eingebautem Belichtungsmesser (Selen) erweitert, die entsprechend IIIc genannt wurde. Die Kleinschreibung der Buchstaben ist in diesem Zusammenhang wichtig, da es 1957 für alle Varianten eine Modellpflege gab, die Updates bekamen schlicht den entsprechenden Großbuchstaben verpasst. Bis auf einen vergrößerten und technisch verbesserten Sucher und kleineren Designanpassungen blieben die sonstigen Kamerafeatures dieselben.
|
Modernere Sucher- und Messsucher- Retinas, ab 1958 auch welche ohne den klassischen Balgen. |
Was alle diese Kameras noch mit ihrer „Großmutter“ Retina-I von 1934 verband war der Balgen und das damit versenkbare Objektiv. Kodak bediente damit eine gewisse Tradition und seine Fans, merkte aber natürlich, dass dieses Feature immer mehr aus der Mode kam und die Wettbewerber es so gut wie gar nicht mehr anboten. Und so gab es ab 1958 bzw. 1959 jeweils die Versionen IIS und IIIS mit fest angebautem (Wechsel-) Objektiv, dazu unten bei den Retina-Spiegelreflexkameras mehr.
|
Retinette IA (044) |
Mit der neuen runderen Gehäuseform gab es schon ab 1954 eine neue Retinette-Generation (Nagel-Nr. 022), die konsequent auf low-budget getrimmt war. Der komplizierte Balgen und Spreizenmechanismus fiel weg, alle Retinetten hatten von da an ein starr angebautes drei-linsiges Objektiv mit Frontlinsenfokussierung. In den meisten Fällen war dies das angeblich nur für die Retinette neu gerechnete und vergütete Schneider-Kreuznach Reomar 45 mm f/3.5. Die Retinetten für den französischen Markt bekamen ein entsprechendes Objektiv von Angenieux. Hatten frühere Retinetten noch einfachere Verschlüsse, so besaßen alle Modelle für den deutschen Markt zumindest einen Compur-Rapid (bis 1/500 s). Damit kostete die Retinette 118 DM, immerhin 80 DM (oder 40%) weniger als eine nur unwesentlich besser ausgestattete Retina Ib (198 DM) aus demselben Jahr.
|
Die Low-budget Kameras hießen Retinette |
Ab 1958 wurde das Design-Update auch den Retinetten zuteil und man führte eine Modell-Differenzierung a la Retina ein. Es gab folglich eine Retinette II mit einem 2.8 Reomar (immer noch 3 Linsen!) und eine IIB mit eingebautem ungekuppelten Belichtungsmesser. Das zahlenmäßig erfolgreichste Modell blieb mit 781.000 Stück in 8 Jahren die Retinette IA, zu 98 DM (1959), 118 DM (1960), bzw. 128 DM ( ab 1963). Diese hatte auch keinen Compur-Rapid, sondern "nur" noch Pronto(r) Verschlüsse.
Insgesamt scheinen die Grenzen zwischen Retina und Retinette mit der Zeit immer weiter zu verschwimmen, teilen sich doch alle Kameras seit 1954 das selbe Grundgehäuse mit dem seltsamen Schnellschalthebel auf der Unterseite. Immerhin hatte man damit einige Freiheitsgrade auf der Kameraoberseite, um Belichtungs- oder Entfernungsmesser unterzubringen, und das in fast allen Preisklassen.
|
Retina's mit Belichtungsautomatik bzw. Nachführmessung |
Ab 1960 wird die Modellvielfalt fast unübersichtlich, denn auch Kodak musste auf den
Optima-Schock reagieren und brachte gleich drei im Feature-Set abgestimmte "Retina automatic" (I bis III). Diese Trap-needle Kameras waren aber vergleichsweise wenig erfolgreich, die Kunden kauften wohl lieber das um 100 DM preiswertere Original von Agfa. Daher war schon nach knapp 3 Jahren wieder Schluss mit diesem Belichtungsautomatik-Ausflug. Kodak brachte im Design der automatic-Kameras noch drei letzte Retinas mit Nachführmessung, zwei davon mit eingebautem Blitzbirnchen-Halter, alle wenig erfolgreich.
Mehr erfolgreich war allerdings die
Retina Reflex Serie, mit der Kodak ab 1956 auf den Spiegelreflex-Zug aufsprang. Ich kenne keinen anderen Hersteller, der so konsequent Spiegelreflex in ein bestehendes Kamera-System integriert hat. Die erste Retina-Reflex basierte auf der Retina IIIc, verwendete also viele gleiche Bauteile und auch das selbe Zubehör, sprich die Satz-Objektive (Weitwinkel/ bzw. Tele-Vorsätze).
|
Retina Reflex S |
Ab 1959 kam dann auch konsequent parallel zur Retina IIIS die
Retina Reflex S mit echten Wechselobjektiven (
DKL). Die folgenden Updates Retina Reflex III und IV boten hingegen nur noch wenige neue Features, waren aber ab 1960 Kodaks alleinige Speerspitze im High-End Bereich, die Wechselobjektiv-Messsucherkameras IIS und IIIS wurden eingestellt. Ich wäre beinahe einem Druckfehler in Helmut Nagels Buch aufgesessen. Er nennt für die Retina Reflex IV 524,000 Exemplare, was für diese sehr teure Kamera ein enormer Erfolg gewesen wäre.
Ich hatte ja schon vor ein paar Jahren die deutsche SLR-Produktion analysiert und dort andere (bessere) Quellen verwendet. Um es kurz zu machen, es ist einfach eine Null zu viel, es waren nur 52,400 Einheiten,
was die anderen Quellen bestätigen.
|
Kodak's Spiegelreflex-Kameras
|
1966 ist mit dem bisher so erfolgreichen Einheits-Retina-Gehäuse Schluss, die Verkaufzahlen gehen zurück. Kodak reagiert mit einem neuen Plastikgehäuse für die neue
Retina S1/ S2 Serie, die aber auch nur mäßig verkauft werden und 1970 wieder in der Versenkung verschwinden. Daneben werden in Stuttgart nun eine Vielzahl von
Instamatic Kamers gebaut, deren Produktionszahlen allerdings unbekannt sind. Immerhin zeigt Helmut Nagel in seinem Buch 36 verschiedene Modelle für beide Instamatic-Kassetten
126 und
110 aus deutscher Produktion.
|
Instamatic Reflex |
Ein Modell sticht allerdings heraus: Es ist die
Instamatic Reflex, die Synthese aus Retina-Reflex und Instamatic. Sie konnte auf die ganze DKL-Objektivpalette zurückgreifen und war mit ca. 78,000 Exemplaren tatsächlich die erfolgreichste
der nur insgesamt 5 Spiegelreflexkameras für die 126er-Kassette. Auch wenn auch sie schon einiges an Plastik verbaut hatte, ist sie quasi die letzte Qualitätskamera aus Stuttgart-Wangen, die noch in der alten Nagel-Tradition steht, die mit Kameras wie der
Pupille und natürlich der
Retina begründet wurde.
So wie Kodak in Stuttgart ging es in den 1970ern einigen anderen westdeutschen Kameraherstellern, aber eben nicht allen. Im Vergleich zu Kodak schlug sich DER europäische Erzkonkurrent AGFA damals noch wacker und konnte sich mit
relativ modernen Kameras in den 1970ern zumindest in Europa noch gut gegen die immer stärker werdende japanische Konkurrenz behaupten. Aber auch bei Agfa war 1982 dann Schluss im Kamerawerk in München. Das wird hier vielleicht mal eine andere Geschichte.