Eher zufällig bin ich vor zwei Wochen über sie im Netz "gestolpert". Irgendwie konnte ich mich erinnern, schon mal von ihr gelesen zu haben. Ich habe also nachgeschlagen und war danach noch mehr verwirrt. Es handelt sich um einen frühen Zeitautomaten mit CdS-Zelle, "made in DDR". Und dann stand da auf (fast) allen Seiten, dass sie von 1960 (!) bis ca. 1969 gebaut wurde.
Blick von hinten ins Innere der Kamera auf Verschluss und Elektronik |
Das ist falsch, da war ich mir sehr sicher, habe aber doch etwas gebraucht, um die Puzzlesteine zum Beweis zusammenzubekommen. Außerdem musste ich mir natürlich eine dieser Pentacon Electras besorgen und habe ein besonders schönes, noch funktionierendes Exemplar im Originalkarton für wenig Geld ergattert. Was will ich mehr. Hier ist also die ganze Geschichte mit Bildern...
Da ist zunächst mal alleine der Name der Kamera. Sie ist ein originales Gewächs des VEB Pentacon und heißt auch so. Pentacon als Firmenname gibt es aber erst seit 1964, davor hieß man 'VEB Kamera und Kinowerke' und Pentacon war lediglich der Name des Contax-SLR Exportmodells. Ähnliches gilt auch für ORWO und die SL-Patrone ('Schnelladekassette'), auch dies wird im Prospekt zur Kamera so erwähnt, aber erst frühestens ab 1964 so vermarktet.
Aber für mich das Entscheidende ist die Technik: CdS-Fotowiderstände mit entsprechender elektronischer Logik wird für Belichtungsmesser erst ab 1961 in kommerziellen Produkten verwendet. Der erste Belichtungsmesser damit war der berühmte Lunasix von Gossen (1961), 1962 kamen dann schon erste Kameras: Minolta SR-7, Nikon F "Photomic" oder Yashica Lynx-5000, alle noch mit einem externen "Beli-Auge". Während die einen schnell in Richtung TTL dachten (Pentax Spotmatic, Topcon RE Super), war es Yashica, die als erste mit CdS-Zelle und Elektronik einen Verschluss steuern konnten und so die Zeitautomatik auf den Markt brachten. Der Durchbruch dazu kam 1966 in Form der Yashica Electro 35.
Mein Exemplar kam im Originalkarton und mit Rechnung und Anleitung. |
Man könnte noch ein paar weitere Argumente für die späten 60er Jahre anführen, z.B. Material und quadratisch-praktisches Design der Plastikkamera. Die dafür notwendige Spritzgusstechnologie hat sich auch erst im Laufe der 1960er Jahre durchgesetzt. Vielleicht wurde die Electra ja auch mit ihrer Vorgängerin Prakti verwechselt, die tatsächlich 1960 vorgestellt wurde, aber noch zeitgemäße Selenzellen-Technologie und ein Metallgehäuse verwendet hat.
Mein Exemplar ist sehr gut erhalten. Ich habe es natürlich sofort aufgeschraubt, untersucht und gereinigt. Zu meinem Entzücken funktioniert alles (nach Reinigung von etwas eingerosteten elektrischen Kontakten). Mit neuen Batterien (der gewöhnliche AA-Typ!) steuert die Automatik immer noch den Verschluss, und das hinunter bis zu mehreren Sekunden! Leider ist dieser nicht der schnellste, bei 1/125 s ist nach oben hin Schluss. Auch die kleinste Blende ist "nur" 13.5, so dass sich ein maximaler EV von 10 ergibt. Das reicht selbst bei niedrig empfindlichen Filmen nicht mehr für Strand- oder Schneeszenen, die dann vermutlich alle überbelichtet rauskommen. Das ist vielleicht ihre größte Schwäche. Falls doch mal die Batterien ausfallen (oder es gerade im Sozialismus keine zu kaufen gab), löst der Verschluss immerhin mit 1/125 s aus. Das ist mit den vier Blendenstufen für außen noch praktikabel, außerdem kann damit auch geblitzt werden.
Mechanische Blende vor dem CdS-Element |
Noch ein Wort zur Elektronik: Ähnlich wie bei der Yashica Electro 35 wird auch bei der Electra das CdS-Element von einer analogen Blende beschattet, bei der Yashica zur Simulation der Filmempfindlichkeit, bei der Pentacon ist es die eigestellte Blende. Für das jeweils andere werden elektrische Widerstände bemüht, beides elektronisch zu regeln funktionierte damals wohl noch nicht.
Die Electra bekam dann noch etwas Modellpflege. Die "Electra 2" hatte ein kleines "Verwackel"- Warnlämpchen im Sucher, das Verschlusszeiten unter 1/30 s anzeigte, ansonsten ist es aber dieselbe Kamera. Wann genau dieses zusätzliche Feature kam und auch wie lange diese Kameras insgesamt auf dem Markt waren, kann ich nicht sagen. Ich vermute fast bis hinein in die frühen 1980er Jahre, solange noch SL-Kassetten verfügbar waren. Wenn jemand dazu was weiß, bitte melden!
Datenblatt | Kleinbildsucherkamera 24x36 mm für SL-Film mit Zeitautomatik |
Objektiv | Meyer Domiplan 45 mm f/2.8 (3 Linsen, vergütet), fast kreisrunde Blende mit 12 Lamellen, kleinste Blende 13.5 |
Verschluss | elektro-magnetisch gesteuerter "Priomat" Zentralverschluss hinter dem Objektiv, stufenlos und ausschließlich automatisch gesteuerte Zeiten von mehreren Sekunden (getestet, offiziell 1/2 s) bis 1/125s. Ohne Batterie: 1/125s |
Belichtungsmessung | mit CdS-Photowiderstand über dem Objektiv, Einstellung von Filmempfindlichkeit von 50 oder 100 ASA per Schalter. Belichtungsmesser steuert Verschluss direkt nach Vorwahl der Blende mittels Wettersymbolen. |
Fokussierung | am Objektiv (1 m bis unendlich), keine Scharfstellhilfe. Symbole für Landschaft, Gruppenaufnahme und Portrait. |
Sucher | einfacher optischer Durchsichtsucher. |
Blitz | Anschluss über Mittenkontakt, Umschalter für Elektronenblitz (1/125s) oder Blitzbirnen (1/30s). |
Filmtransport | SL-Patrone, einfaches Drehrad für Vorschub, Zählwerk (rückwärts von 12 bis 1) |
sonst. Ausstattung | Stativgewinde 1/4'', Drahtauslöseranschluss, optionale Bereitschaftstasche aus Kunstleder (14 Mark) |
Maße, Gewicht | 126 x 77 x 67 mm, 275 g (mit Batterien und Film: 345g) |
Batterie | 3V, 2x AA (Original DDR: "Heizelemente R6, EAaT") |
Baujahr(e) | ab 1967 bis ca. 1980 (?) |
Kaufpreis, Wert heute | 195 Mark (1972, offizielle Preisliste), ca. 10-30 € je nach Zustand. |
Links | Bedienungsanleitung, Prospekt (1970), IfM-Wolfen, Camera-Wiki, SL-System, Lippisches Kameramuseum, fotoapparate-meier.de, |