Vier der 18 im Jahr 1932 erhältlichen 3x4-Kameras. Quelle: Photo Porst Photohelfer 1932.
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Die 3x4-Kleinbildkameras für den 127er Rollfilm haben es mir derzeit angetan, wie man an meinen letzten Beiträgen zur Korelle 3x4 und Foth Derby schon sehen konnte. Daher war ich sehr erfreut als ich letzte Woche in der jüngsten Ausgabe des PhotoDeal einen Artikel von Volkmar Kleinfeld zum Thema fand. Der Titel „3x4-Kameras und ihr kurzes Leben“ las sich sehr vielversprechend, die entscheidende Frage wird aber weder richtig diskutiert noch beantwortet: Warum sind diese Kameras nach so kurzer Zeit am Markt so schnell wieder verschwunden? Ich möchte hier eine Antwort versuchen, auch wenn es ein kleines bisschen spekulativ ist. Wir sind halt alle nicht vor 90 Jahren dabei gewesen...
Für eine Antwort muss man aber etwas weiter ausholen und mehr Aspekte betrachten, als dies meist in den sehr Technik- und Detail-verliebten Sammlerkreisen geschieht. Insbesondere das Marktumfeld scheint mir sehr wichtig für diese Warum-Frage, und zwar sowohl die „fotografische Gesamtsituation“ als auch die wirtschaftliche Lage der Kameraproduzenten und potenziellen Käuferschichten. Und beides war am Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre sehr speziell.
Aber eins nach dem anderen: Laut Hans Porst und seinem Photohelfer von 1932 (dort S. 33), erzielte er im Jahre 1931 noch 2/3 seiner Kameraumsätze mit Plattenkameras, nur 33% mit Rollfilmkameras (darunter auch die paar Kleinbildkameras). Das heißt, auch wenn es Rollfilme schon mehr als 20 Jahre gab, griff der Profi wie auch der ambitionierte Amateur meist immer noch zur traditionellen Glasplatte oder alternativ zum entsprechenden Filmpack mit einzelnen Planfilmnegativen. Die Bilder wurden einzeln entwickelt und per Kontaktkopie abgezogen. Vergrößerungsgeräte waren vermutlich sehr selten - keine guten Voraussetzungen für Kleinbildnegative, seien sie nun 24x36 oder 30x40 mm groß. Wie Volkmar Kleinfeld schon schreibt: Viele der winzigen Negative wurden daher ebenfalls nur per Kontaktabzug ins Positiv verwandelt und ins Briefmarkenalbum geklebt. Ich denke, dass die Leute das nicht freiwillig getan haben, hätte es preiswerte und überall verfügbare Vergrößerungsmöglichkeiten (und -Services) gegeben.
Trotzdem, und das wissen wir aus dem Rückblick, gab es dieses Bedürfnis nach kompakteren und einfach zu bedienenden Immerdabei-Kameras. Und, es gab immer besser werdendes Filmmaterial, feinkörniger und empfindlicher. Seit 1925 war mit der Leica ein relativ radikales Konzept auf dem Markt, das die Traditionalisten unter den Fotografen als spinnerte Idee abtaten, gleichzeitig aber ganz neue Kreise ansprach, die sie tatsächlich kauften und plötzlich ganz anders (und gut!) fotografierten.
Ich fühle mich etwas an die letzte Jahrtausendwende erinnert, als die Digitalfotografie alle elektrisiert hat, sich aber keiner wirklich vorstellen konnte, dass schon 2004 die letzten analogen Kameras zu Ladenhütern wurden. Genauso war es in den 1930er Jahren mit der Platten- und Planfilmkameras, am Ende des Jahrzehnts hieß es Roll- und Kleinbildfilm, inkl. den nun überall verfügbaren Vergrößerern.
Wirtschaftliche Situation in Deutschland während der Weltwirtschaftskrise. Quelle: Wikipedia |
Jetzt aber noch kurz zur gesamtwirtschaft-lichen Situation: Die Weltwirtschaftskrise erlebte ausgehend vom Wallstreet-Crash im Oktober 1929 am Anfang der 1930er ihren Höhepunkt. In Deutschland gilt insbesondere 1932 als das Krisenjahr, die Industrie-produktion brach (nochmal !) um ca. 40% im Vergleich zum Vorjahr ein, die Arbeitslosigkeit erreichte ungekannte Ausmaße. Das traf natürlich alle, sowohl die potentiellen Käufer der Kameras als auch ihre Produzenten!
Aber zurück zu den 3 × 4 Kameras. Die deutschen Kamerahersteller zu der Zeit hatten natürlich bemerkt, welchen Erfolg die Firma Leitz mit ihrer Leica hatte. Insbesondere inspirierte die Tatsache, dass man neue Käuferschichten ansprach. Nicht nur Zeiss Ikon (Contax, Ikonta, Kolibri) sondern auch viele andere kleinere Hersteller wollten einen Teil dieses neuen Marktes abhaben. An den Kinofilm wagten sich (auf die Schnelle) nur wenige, insbesondere wegen der relativ komplizierten Mechanik für den Filmtransport. Hier war Rollfilm Handling viel simpler zu realisieren. Die meisten Hersteller hatten schon Klappbalgenkameras für 6 × 9 oder 4,5 × 6 cm im Programm. Da war es relativ naheliegend, auch noch kleinere Kameras in entsprechendem Design auf den Markt zu werfen.
Weitere der im Jahr 1932 erhältlichen 3x4-Kameras. Quelle: Photo Porst Photohelfer 1932.
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Und das machten sie alle fast gleichzeitig. Wenn man genau hinschaut, lassen sich insgesamt 18 verschiedene, relativ anspruchsvolle 3x4 Kameras zählen, die alle zwischen 1930 und 1932 auf den Markt kamen. Ich habe hier auf der Seite die acht abgebildet, die bei Photo Porst 1932 zu bestellen waren. Die restlichen zehn sind: Nagel/Kodak Pupille und ihre einfachere Schwester Ranca, Certo Dolly, Welta Gucki, Merkel Metharette (auch als Meyer Megor), Ihagee Parvola bzw. Ultrix, Mentor Dreivier, Lumiere Elax, Glunz Ingo (auch als Rodinette), Lucht Nikette und Zeh Goldi (auch als Ysella). Es gab noch ein paar mehr, die erst Ende der Dreißiger oder dann erst Ende der 40er/Anfang der 50er als Einfachkameras kamen. Auch ein paar Boxen habe ich nicht mitgezählt.
Die vier im Jahr 1932 erhältlichen Kameras für den 35 mm Kinofilm. Quelle: Photo Porst Photohelfer 1932.
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Zu den 18 3x4 Kameras kommen 1931/1932 mit der Krauss Peggy, der Contax und der Beira noch drei Neue für den Kinofilm. Man darf auch nicht vergessen, dass Leica zu diesem Zeitpunkt nur circa 20.000 Kameras pro Jahr verkaufte (und das weltweit!). Der Gesamtmarkt war also interessant, aber nicht groß genug für 18 plus 3 verschiedene Kameramodelle, viele davon ähnlich und ohne wirkliches Alleinstellungsmerkmal. Hinzukommt die wirtschaftliche Situation 1932. Viele Hersteller mussten sicher Angestellte und Arbeiter nach Hause schicken um über die Runden zu kommen. Ich denke, dass die Produktion der meisten dieser 18 Kameras im Jahr 1932 wieder eingestellt wurde und man erst mal die Lagerbestände von 1930 und 1931 abverkaufte. Als es dann 1933 langsam wieder Bergauf ging, hatten die erfolgreicheren der Hersteller (allen voran Nagel/Kodak) das Konzept für die Kleinbild-Kamera auf Kinofilmbasis inklusive der 135er Kassette schon fertig entwickelt. 1934 kam damit die Retina und bald danach ihre Klone (Welti, Baldina, Dollina, etc.).
Kodak Retina (hier meine 118er) und ihre Klone machten 3x4 Kameras endgültig unattraktiv für den Markt. |
Um noch einmal das Warum zusammenzufassen: Um 1931 kommen fast gleichzeitig 18 3x4-Kameras mit sehr ähnlichen Leistungsdaten auf den Markt, der im Prinzip attraktiv und langfristig wachsend ist, aber zu diesem Zeitpunkt noch recht klein und schon mit der attraktiven Leica besetzt. Das konnte schon so kaum gutgehen. Nun trifft dies alles aber zusammen mit einer schweren Wirtschaftskrise, in der fast 30% arbeitslos werden und sich Luxus schon gar nicht mehr leisten können. Der Todesstoß für diese kleinste Rollfilmklasse kommt in Form der universellen 135er Kleinbildpatrone, die zusammen mit der Kodak Retina den Markt aufrollt, als es wirtschaftlich wieder bergauf geht. Danach spielen 3x4 Rollfilmkameras als Einfachknippsen nur noch eine Nischenrolle.
Ja. Das plötzliche Auftauchen des 3x4-Format war auch eher eine schnelle, konventionelle Reaktion als Antwort auf die den hochpreisigen Markt besetzende, technologisch aufwendigere Leica, die damit automatisch den Platz als bessere Lösung besetzte. Zuvor hatten Kamerahersteller gut 20 Jahre erfolgreich auf zueinander inkompatible Standards zur Konkurrenzabwehr gesetzt, das setzte sich beim 3x4-Format fort, bei zu kleinen Marktanteilen im umkämpften, einzeln weniger ertragreichen Massenmarkt. Bei professionellen Filmkameras war der Marktanteil seit je zu klein für firmeneigene Lösungen. Kinofilm war Massenware, individuelle Formate preislich nicht konkurrenzfähig.
AntwortenLöschenAuch im Zug der Ausweitung zum Massenmarkt hatte sich der Preisdruck verstärkt. Selbst Weltfirmen wie Kodak konnten sich nicht mehr dauerhaft mit firmeneigenen Filmformaten durchsetzen. Stärkere Standardisierung war wieder einmal Gebot der Stunde. Mit der Leica setzte sich denn auch ein Filmformat in der Still-Fotografie durch, das technisch robuster als nötig, da sehr breit und beidseitig perforiert war. Die eher zaghaften Ansätze, Film mit weniger breiter, einseitiger oder fehlender Perforierung durchzusetzen, hatten trotz größerer nutzbarer Fläche bei gleicher Abmessung gegen diesen De-Fakto-Standard keine Chance.
KB verlangte sowieso nach Vergrößerung - auch wenn noch lange Kontaktabzüge verwendet wurden, wobei gleichzeitig aber große Hersteller einfachste Vergrößerer für Amateure anboten, z.B. für 6x9cm-Bilder aus 24x36-Film - sehr lange das beliebteste Format für Gelegenheitsknipser.
Der örtliche Photograph "zauberte" daraus bei SW-Film, ohne sich sonderlich anzustrengen, also bei ein klein bischen weniger Schlamperei als bei Kontaktabzügen für 6x9cm-Format, bis in die 1970er-Jahre in der Regel zumindest dieselbe Bildqualität. Gut, die Bäder durften nicht ganz so verbraucht sein ...