Ebenfalls in meinem Geschenkbeutel (Kamera #5) war diese Zeiss Ikon Nettar IIC, eine sehr solide aber dennoch einfache Faltbalgenkamera vom Anfang der 1950er Jahre. Sie gehört mit zu den letzten Vertretern ihrer Art. Ihr klassisches Bauprinzip geht zurück auf die ersten faltbaren Rollfilmkameras (ca. 1890), die sich den Laufboden wiederum von den Plattenkameras abgeschaut hatten. Als die Rollfilmkameras in den 1920er und 1930er Jahren die Marktführerschaft übernahmen, gab es von nahezu jedem Kamerahersteller eine oder mehrere Modelle in unterschiedlichen (Rollfilm-) Größen. Ab Mitte der 1930er setzte sich der Rollfilm 120 und 6x9 cm als Standard endgültig durch, zumindest im breiteren Massenmarkt, wo immer noch Kontaktkopien die Regel waren (siehe zum Beispiel meine Vollenda 620).
In den 1930ern kamen bekanntermaßen auch die Kleinbildkameras auf, die dann endgültig die Marktführerschaft in den 1950ern übernehmen sollten. Nach der kriegsbedingten Pause fuhren die Kamerahersteller Ende der 1940er aber erstmal die Produktion der erfolgreichen Vorkriegsmodelle wieder hoch. Zeiss Ikon tat das auch für ihre bekannten Kameraserien Ikonta und Nettar, die schon immer im alten Contessa-Werk in Stuttgart produziert wurden. Die Nachkriegsvarianten bekamen ein wenig Facelift, indem der Aufklappsucher durch einen in der neuen Gehäusekappe integrierten optischen Fernrohrsucher ersetzt wurde. Im Falle der Nettar war die hier gezeigte geschwungene Gehäusekappe eine erste Version, spätere Kameras wie auch die Ikonta (532/2) hatten eine eckigere Form.
Ikonta und Nettar sind eigentlich nur Ausstattungsvarianten im selben Kameragehäuse, wobei die Nettar-Varianten die Billigversionen sind. Für die Nachkriegsvarianten von 1951 gab es folgende Auswahl (Preise aus Photo Porst-Katalog) :
NETTAR... | ||
Novar f/6.3 | Vario | 59,- DM |
Novar f/4.5 | Pronto | 80,- DM |
Novar f/4.5 | Prontor-S | 98,-DM |
IKONTA... | ||
Novar f/4.5 | Prontor-SV | 112,- DM |
Novar f/3.5 | Prontor-SV | 150,- DM |
Tessar f/3.5 | Synchro-Compur | 235,- DM |
Die ursprünglichen Versionen in den 1930ern hatten sogar eine noch größere Differenzierung, siehe dieser Prospekt von 1938. Nicht unerwähnt werden sollte hier, dass es unter den Namen Nettar und Ikonta Kameras für verschiede Bildformate gab, die man durchaus als eigenständige Modelle sehen muss ( "A": 4.5x6, "B": 6x6 und "C": 6x9). Seltsam, aber so war das damals....
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Nach dem 2. Weltkrieg lief die Produktion im Stuttgarter "Contessa-Werk" von Zeiss Ikon relativ zügig wieder an, weil es weder im Krieg zerstört noch von den Siegermächten (hier: die Amerikaner) demontiert wurde, im Gegensatz zu den Dresdener Betrieben, die unter beidem arg zu leiden hatten. 1948 fand dann die erste Hauptversammlung der neuen westdeutschen Aktiengesellschaft in Stuttgart statt. Zunächst wurden die Vorkriegsmodelle wieder aufgenommen, diese Version von 1951 ist das erste Nachkriegs-Update mit der zunächst geschwungenen Gehäusekappe. Weil man in Stuttgart Platz brauchte um auch höherwertige Kleinbildkameras wie die Contax IIa und die Contaflex fertigen zu können, zog man die Produktion von Nettar und Ikonta 1953 ins ehemalige Goerz-Werk nach Berlin-Friedenau um, wo bisher schon die Ikoflex und die Box Tengor gebaut wurden.
Auf der anderen Seite des immer undurchlässiger werdenden eisernen Vorhangs, beim VEB Zeiss Ikon in Dresden, erkannte man schnell, dass es nach wie vor diese Nachfrage nach 6x9 Faltbalgenkameras gab, deren Produktionsstätten aber im Westen lagen. Daher wurde relativ schnell die zur Nettar/Ikonta fast baugleiche Ercona "entwickelt" und die Fertigung bei den ehemaligen Kamerawerkstätten ("KW") aufgenommen. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch noch ein anderer Ikonta/Nettar-Klon: Die Moskva, die angeblich (insgesamt für alle Varianten) fast eine halbe Million mal gebaut worden sein soll.
Die 6x9 Nettar (als Modell 518/2) wurde noch bis 1958 gebaut, spätestens dann war die Zeit dieser Kameras vorbei. Ihre 6x6 Schwestern hielten sich noch ein paar Jahre länger, dann übernahmen Kleinbildkameras die Rolle der Einsteigerkamera endgültig.
Datenblatt | Klassische Faltbalgenkamera für 6x9 cm auf Rollfilm 120 |
Objektiv | Novar-Anasitigmat 105 mm f/4.5 (Triplet, vergütet). Eine billigere Version war auch erhältlich mit f/6.3 in Vario. |
Verschluss | Gauthier Pronto Zentralverschluss, B-25-50-100-200 1/s. Teurere Version auch erältlich mit Prontor SV (B-1-2-5-10-25-50-100-250), Gehäuseauslöser, Verschluss musste unabhängig vom Filmtransport gespannt werden. Keine Doppelbelichtungssperre. |
Fokussierung | Manuell per Fontlinsenverstellung, minimale Entfernung 1,50 m. Keine Scharfstellhilfe. |
Sucher | Einfacher, relativ kleiner optischer Durchsichtsucher. |
Blitz | Anschluss über PC-Buchse. |
Filmtransport | Mittels Drehrad, Kontrolle über rotem Fenster (verschließbar) und Rückseitenpapier. Keine Verriegelung gegen Leerbelichtungen. |
sonst. Ausstattung | Zubehörschuh, Trageschlaufe aus Leder, 2 x Stativgewinde 1/4'', ausklappbarer Standfuß, Drahtauslösergewinde |
Maße, Gewicht | ca. 165 x 100 x 45 mm (zusammengeklappt), 764 g |
Baujahr(e) | 1951-1953 in zwei Versionen, diese #T63281 von 1951 |
Kaufpreis, Wert heute | 85 DM (1953 mit Vario), heute ca. 30 € |
Links | Camera-Wiki, Zeiss Ikon Prospekt (1953), Bruno Croci, Kurt Tauber |