2014-11-29

Canon Pellix

Versetzen wir uns in Canon's SLR Entwicklungsabteilung zu Beginn des Jahres 1961. Seit 1959 hat man mit der Canonflex Serie die erste eigenen SLR am Markt, man konnte einen Aufsatzbelichtungsmesser aufstecken, der neueste Schrei. Die Integration von Belichtungsmessern an und in die Kameras ist das Thema, was die Kamerawelt bewegt. Die Entwickler bei Canon designen gerade die RM, mit Selen-Messer inklusive des charakteristischen Wabenfensters nebem dem Prisma. Die Kamera wird allerdings dadurch noch wuchtiger als das ursprüngliche Canonflex design ohnehin war. Die Konkurenz ist da schon deutlich kompakter. 1960 zeigte dann auch noch der große Wettbewerber Asahi Pentax einen Prototypen mit TTL Messung auf der Photokina, ein Schock für Canon und die meisten anderen Konkurenten. Topcon reagierte am schnellsten und brachte 1963 mit der RE Super die erste TTL Kamera auf den Markt (sogar mit Offenblendmessung!). Pentax's Spotmatic SP kam erst 1964 wurde aber die hübschere und bei weitem erfolgreichste SLR der 60er.
Nun aber zurück zu unseren Entwicklern bei Canon. Die Geschäftsleitung hat den Auftrag erteilt, ein neues, kompakteres und massentaugliches Modell zu entwickeln, das sich eher an den erfolgreichen Konkurenten denn an dem alten Canonflex Design orientieren soll. Heraus kommt die Canon FX mit eingebautem (aber exterem) CdS Belichtungsmesser. Spätestens ab 1963 ist klar, dass unbedingt auch eine Variante mit TTL her muss. Da trifft es sich gut, dass Canon's Entwicklungsingenieur Takeshi Goshima schon 1958 ein Patent für eine TTL Belichtungsmessung angemeldet hat (US 2,937,582), allerdings damals noch für eine Messsucherkamera, bei der ein Paddel mit der Messzelle am Kopf zum Messvorgang in den Strahlengang geschwenkt wird. Bei einer Spiegelreflex ist dafür jedoch der Spiegel im Weg. Da hat man sich wohl gedacht: Machen wir den Spiegel halt halbdurchlässig, und bei weiterem Nachdenken über die Idee und deren Umsetzung, haben sie sich komplett in die Idee des feststehenden, teildurchlässigen Spiegels verliebt. Vermutlich war es die Marketing Abteilung, die Morgenluft witterte und es der Konkurrenz mit einer technischen Revolution zeigen wollte. Dafür taufte man sogar die Kamera PELLIX (kommt vom lateinischen Pellicula = dünne Haut, als Pellicle Mirror bezeichnet man halbspieglende/halbtransparente Folien), bisher wurden Kameras stets nüchtern mit Buchstaben oder Zahlen benannt. Auch wanderte der Markenname klein auf die rechte Kameraseite und machte Platz auf dem Prisma, wo nun groß PELLIX prangte. Teil der Verliebtheit in das neue Prinzip wurde sicherlich auch von den $ (oder ¥)-Zeichen im Auge befeuert, denn ein feststehender Spiegel läßt sich bedeutend einfacher und billiger (!) produzieren als ein mit dem Verschluss koordiniert klappender Rückschwingspiegel. Nun, so oder ähnlich könnte es gewesen sein, ich war leider nicht dabei.
 
Im März 1965 kam die Kamera also auf den Markt, leider nur (immerhin?) als vierte KB-SLR mit TTL Messung.  Die Medallien gingen an 1. Topcon RE Super (1963), 2. Alpa 9d (1963) und 3. Asahi Pentax Spotmatic SP (1964). Tja, und die Käufer verliebten sich nicht so wie erhofft in das neue Spiegelprinzip, in den ersten 12 Monaten verkauften sich lediglich ca. 35,000 Stück. Im gleichen Zeitraum verkaufte sich Pentax' Spotmatic über 200,000 mal und sogar Nikon's teurere F über 50,000 mal, zu der übrigends auch 1965 der TTL finder Photomic T erschien. Hier nochmal die beworbenen Vorteile und die (meist nicht erwähnten) Nachteile:

(+) Sucher verdunkelt nicht während der Aufnahme. Macht eigentlich nur Sinn für die Action und Sport-Fotografie (s.u.) 
(+) Weniger Erschütterung (kein Spiegelschlag) für Langzeitaufnahmen. Im Prinzip könnte der Verschluss so leise ablaufen wie bei einer Messsucherkamera, tut er aber nicht! 
(-) dunklerer Sucher, der ca. 1/3 des Lichtes abbekommt. Das entspricht 2/3 Blendenstufen Abblenden, oder das f/1.2 50 mm wirkt im Sucher wie sonst ein f/1.7.
(-) weniger Licht für den Film (2/3 der Lichtmenge).  Das entspricht 1/3 Blendenstufen, das f/1.2 50 mm wird zu einem f/1.4, das f/1.4 zu einem f/1.7 etc. Oder man muss einen DIN entsprechend empfindlicheren Film verwenden.
(-) Schmutz auf dem Spiegel stört nicht nur im Sucher, sondern kommt mit auf's Bild!
(-) mechanische Empfindlichkeit der Spiegelfolie. Viele Kameras mussten angeblich deswegen zum Service.
(-) Fremdlicht kann bei geöffnetem Verschluss über den Sucher auf den Film gelangen. Dagegen hatte Canon einen Okularverschluss eingebaut.
(-) Direktes Sonnenlicht könnte ggf. Löcher in einen Tuchschlitzverschluss brennen, da dieser nicht mehr von einem echten Spiegel beschattet wird. Dagegen hat Canon extra einen besseren Metallfolienverschluss verbaut.

Ich denke bei nüchterner Betrachtung wird schnell klar, dass hier mehr Nachteile als Vorteile zusammenkommen und die (teilweise) Beseitigung der Nachteile die Kostenvorteile des einfacheren Spiegels wieder aufzehren. Canon hat die Kamera als QL (quick load) Version noch bis 1970 im Programm gehalten und nur insgesamt 111,000 Stück verkauft. Schon 1966 kam mit der FT eine klassische SLR mit stop-down TTL, die viel besser lief (550,000). Diese war die direkte Grundlage für die FTb, Canon's erster wirklicher SLR Bestseller (1,800,000).
Das Pellix-Prinzip ist der SLR Welt aber durchaus erhalten geblieben und zwar für sogenannte High-Speed Motor Kameras von Canon und später auch Nikon, die bis zu 10 Bilder pro Sekunde durchziehen können, eben weil kein Klappspiegel sie mehr ausbremst. Auch die Tatsache, dass das Sucherbild während der Aufnahmen stehen bleibt, ist essentiell für solche Action-Fotografie. Und Sony setzt seit der A55/A33 (2010) das Prinzip bei allen neuen Alpha-DSLR's ein, allerdings um Phasen-AF kontinuierlich während Video-Aufnahmen bieten zu können - der Sucher ist allerdings ein (gutes) EVF-Display. Aber auch hier hat die Marketing Abteilung wieder zugeschlagen und bezeichnet das Ganze als Translucent Mirror Technology, auch wenn translucent eigentlich nur "lichtdurchlässig", nicht aber "bilddurchlässig" bedeutet. Nun ja, sie sammeln dafür sogar aktuelle Innovationspreise ein, ohne Canon's Pellix von 1965 zu erwähnen. Warum auch, das machen dann eben andere...


Datenblatt Mechanische KB-Spiegelreflexkamera mit TTL-Nachführbelichtungsmessung
Objektiv Canon FL Bajonett, hier mit Canon FL 50 f/1.8 (6 Linsen in 4 Gruppen, vergütet)
Verschluss Horizontaler Metallfolienverschluss, 1s - 1/1000 s und B. Blitzsynchronisation 1/60s.
Belichtungsmessung eingeschwenkte CdS-Zelle, TTL abgeblendet. Nachführmessung mit Nadelanzeige im Sucher. Empfindlichkeitseinstellung 10-800 ASA. 
Fokussierung SLR mit feststehendem, teildurchlässigem Spiegel (20µm Mylar), Mattscheibe mit Mikroprismenzentrum, nicht auswechelbar.
Sucher Spiegelreflex, 90-93% des aktuellen Bildes, 0.86x Vergrößerung bei 50 mm Brennweite
Blitz Synchronbuchse (X), 1/60s Synchronzeit.
Filmtransport Schnellspannhebel, Bildzählwerk, Rückspulkurbel.
sonst. Ausstattung ISO-Gewinde für Drahtauslöser, mechanischer Selbstauslöser (10 s) = Abblendtaste, aktiviert gleichzeitig Belichtungsmessung, Auslösesperre, Sucherokularverschluss gegen Fremdstreulicht, Batterietester, Stativgewinde
Maße, Gewicht ca. 141/90/49 mm, 707g (950g m. Objektiv)
Batterie 1.35V PX625 (oder 1.35 V Alternative)
Baujahr(e) 1965 (1966 abgelöst von Pellix QL),
nur ca. 35.000 Exemplare
Kaufpreis, Wert heute 58,000 ¥, DM 1200 (1965), heutiger Wert ca. US$50
Links Photoethnography, Wikipedia, Manual (english), Camera-Wiki , mir.com.my, Canon Camera Museum, James Ollinger

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