Kompakte Rollfilmkameras aus den 1920ern, gerne auch als Westentaschenkameras bezeichnet, werden langsam zu einem neuen Sammelschwerpunkt von mir (
hier ihre Übersicht). Diese Rollette ist aus heutiger Sicht besonders, verwendete sie doch als erste deutsche Kamera den Rollfilm (Kodak) 129 (Agfa N6). Dieser ist eine Zwischengröße zwischen dem 120er und dem 127er und die Rollette ist tatsächlich fast genauso groß wie die
Vest Pocket Kodak, bietet aber 40% mehr Bildfläche. Der Filmstreifen ist 52 mm breit, das Bildformat ist 5x7.5 cm (2''x3'') und wird gerne auch mal auf 5x8 aufgerundet. Das exakte Bildmaß bei der Rollette ist 48x74 mm. Die Bilddiagonale und damit die Brennweite für ein Normalobjektiv ergibt sich somit zu 9 cm.
Viele Rollfilmkameras ihrer Zeit wurden für unterschiedliche Rollfilme (127, 129, 120, 116) und damit in unterschiedlichen Größen angeboten, zum Beispiel die ebenfalls in Stuttgart gebauten
Nagel Vollendas. Für die Rollette trifft das allerdings nicht zu, sie gab es in nur einer Gehäusegröße für den Rollfilm 129 und das Format 5x7.5. Im Netz und auch sogar bei Camera-Wiki wird behauptet, es hätte sie auch für den Rollfilm 127 (4x6.5) gegeben. Das ist irreführend, aber nicht komplett falsch. Ich habe mir große Mühe gemacht, ein Bild oder Prospekt einer solchen entsprechend kleineren 127er Variante im Netz aufzuspüren: Fehlanzeige! Allerdings habe ich zwei Kameras aufgestöbert, die den 127 Film in der 129er Kamera nutzten. Dazu unten mehr.
Bei meiner Recherche bin ich allerdings verschiedenen Varianten bzw. Bauformen über den Weg gelaufen, die ich im Folgenden kurz dokumentieren möchte. Ich meine damit nicht verschiedenen Objektive oder Verschlüsse, die gab es auch (siehe z.B.
Rollette Prospekt). Nein, ich meine, die folgenden Veränderungen der Bauform erfolgten nacheinander im Laufe der Zeit:
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Typ 3 (1927) |
Typ 1: Rollette mit Spreizenmechanismus, den sie wohl mit der Krauss Plattenkamera Knirps/Nanos gemeinsam hatte. Die verlinkte Kamera hat als Seriennummer die 2342 und keine Belederung. Es ist die einzige dieser Art, die ich finden konnte und vermutlich nicht oft gebaut worden.
Typ 2: Rollette mit Laufboden, so wie meine hier dokumentierte Kamera. Charakteristisch ist der rechteckige Aufklappständer und die einteiligen Streben, die den Laufboden stabilisieren und beim Einklappen in Richtung Kamerarand einschwenken. Die zugeklappte Kamera ziert der gezeigte "Rollette" Schriftzug, entweder in Leder geprägt oder (bei frühen unbelederten Kameras) weiß graviert im schwarzen Hammerschlaglack. Der geöffnete Laufboden zeigt das kreisrunde "GKAS"-Symbol (für G.A. Krauss, Stuttgart). Meine Kamera hat die Seriennummer 5141, eine andere unbelederte habe ich mit 4302 gefunden. Ich ordne den Typ 2 mal den Baujahren 1924-1926 zu.
Typ 3: Rollette mit Laufboden, wie im Prospekt von 1927 gbgebildet. Die Streben sind nun zweigeteilt mit Scharnier und schwenken beim Einklappen Richtung Kameramitte. Ob mit dieser Änderung auch ein federgespanntes Selbst-Aufrichten des Laufbodens auf Knopfdruck einherging, konnte ich in Ermangelung eines solchen Exemplars nicht ergründen, scheint aber sinnvoll. Dieser Typ und alle vorherigen haben ein ca. 10-cent-Stück großes Drehrad mit den Buchstaben Z und A als Verriegelung der Gehäusehülle. Dieser Typ ist relativ selten zu finden, weil wohl nur im Jahr 1927 produziert. Ich habe ein Exemplar mit der Seriennummer 17489 gesehen.
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Typ 5, von einer Gebrauchs- Anweisung von 1928 |
Typ 4: Ab Variante 4 gibt es einen "Elefantenfuß"-Ständer mit eingraviertem Rollette Schriftzug darauf und ein in Leder geprägtes "Krauss" oberhalb des Objektivs. Die Verriegelung ist nun mit einem kleineren Schieber realisiert. Das runde GKAS-Symbol wurde durch einen einfachen "Krauss - Stuttgart" Schriftzug ersetzt. Alle Kameras mit RIM-Compur gehören zu dieser oder (meist) zur nächsten Variante. Dieser kam ja erst 1928 auf den Markt, was als Anhaltspunkt für die zeitliche Einordnung dienen kann. Variante 4 gab es wohl einige Zeit parallel zu 5 als einfache Version: Pronto Verschluss, einfaches f/6.3 Rollar, kein Rahmensucher. Seriennummern dazu, z. B. 30962, 38792.
Typ 5: Wie Variante 4 und parallel zu dieser, aber mit zusätzlicher Feinfokussierung per extra Hebelchen auf der rechten Seite. Bei früheren Versionen rastete der Laufboden in Unendlich Stellung ein und musste zum Fokussieren per Finger entriegelt und das ganze Objektiv auf dem Laufboden händisch verschoben werden. Dafür gab es auf der linken Seite eine kleine Skala (siehe Foto unten). Mit der Feinfokussierung gab es auch noch ein zweites Stativgewinde im Laufboden selbst. Diese Variante ist heute auf dem Sammlermarkt am häufigsten zu finden, Seriennummern reichen von ca. 20000 (z.B. eine Luxus mit einem Tessar von 1928: 22381) bis rauf zur 44448 und können den Jahren 1928-1931 zugeordnet werden.
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Typ 6 |
Typen 3-5 Luxus: Von den Bauvarianten 3-5 und wohl am häufigsten von der Variante 5 gab es sogenannte Luxus-Versionen mit gelbem oder hellbraunem Leder und glänzend polierten Kanten. Solche Kameras wurden häufig dann auch mit Carl Zeiss Tessar 9cm/4.9, 8cm/4.5 oder gar 7.5cm/4.5 gekauft.
Typ 6: Neben Typ 1 existiert wohl noch eine exotische, diesmal späte Variante, die ich auf Grund des verwendeten RIM-Compur und der Tessar Seriennummer in das Jahr 1931 stecke. Mir ist sie nur einmal untergekommen. Sie hat einen komplexen Spreizenmechanismus (siehe Bild), der eine Fokussierung per Drehknopf am Gehäuse realisiert. Außerdem wurde der bisherige Rahmensucher durch einen Aufklapp-Durchsichtsucher ersetzt. Ich schätze, es hat nicht viele davon gegeben und G.A. Krauss hat sich ab 1932 dann auf die Peggy konzentriert.
Varianten für den 127er Film: Bleibt die Frage nach der Verwendung von 127er Film. Hier habe ich zwei Varianten entdeckt, beide vom Typ 5, und ich weiß nicht, ob die Firma Krauss selbst daran beteiligt war. Für mich ist jedenfalls klar, dass es keine prinzipiell kleinere Rollette-Variante für den 127er Film gegeben hat.
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129er Rollette mit 127er-Adapter |
Modifizierte Rollette für 127er Film mit 6.5x4 cm Maske |
Ansonsten ist die Firma G. A. Krauss in Stuttgart ein interessanter Kamerahersteller. Einfach aus dem Grund, dass sie zwischen 1920 und 1936 lediglich vier Kamerakonstruktionen (in mehreren Varianten) gebaut haben, die letzte davon war die
Peggy, eine der wenigen Leica Konkurrentinnen der frühen Kleinbild-Ära. Laut Hartmut Thiele's "Wer war Wer - Die Deutsche Photoindustrie" wurde das Fotohandelsgeschäft 1895 von Gustav Adolf Krauss in Stuttgart gegründet und erst 1920 durch eine eigene Kameraproduktion erweitert. Das erste Produkt war die
Stereoplast, gefolgt von der kompakten Spreizenkamera Nanos/Knirps für 4,5x6 cm Platten. Im Netz gibt es widersprüchliche Angaben, welcher der beiden Namen für diese Kamera zuerst verwendet wurde. Wie dem auch sei, angeblich wurde die Rollette 1923 vorgestellt und bis zum Start der Peggy 1931/1932 gebaut, siehe oben. Die Kameraproduktion wurde 1936 verkauft (an wen?). Das Fotogeschäft in Stuttgart gab es noch bis 1991 bis es an Photo Porst verkauft wurde.
Ich denke, die Rollette war Krauss' erfolgreichste Kamera, ansonsten hätte es nicht so viele Verbesserungen über die Jahre gegeben. Mit weniger als 50-Tausend Kameras in 12 Jahren, davon die Hälfte in den letzten ca. 3 Jahren 1928-1930, gehörte Krauss am Ende nicht zu den großen Kameraherstellern, aber Mitte der 1920er sicherlich zu den Pionieren der Rollfilm-Ära. Als am Ende des Jahrzehnts sich Zeiss Ikon formierte, Agfa mit dem Kamerawerk in München durchstartete, Voigtländer den Rollfilm für sich entdeckte und August Nagel das spätere Kodak-Nagelwerk etablierte, da konnte Krauss nicht mehr mithalten und fokussierte sich ein paar Jahre lang noch auf den neuen Kleinbildfilm. Aber auch das blieb eine Episode.
Datenblatt |
Kompakte Laufboden-Rollfilmkamera, 5x8 auf Rollfilm 129 |
Objektiv |
Rollar-Anastigmat 9cm f/6.3 (Triplet), andere Lichtstärken bis f/4.5 sowie Zeiss Tessar f/6.3, f/4.9 oder f/4.5 optional erhältlich. |
Verschluss |
Compur Zentralverschluss, B-1-2-5-10-25-50-100-300, oder Pronto B-25-50-100 1/s. Ab 1928 auch mit RIM-Compur. |
Fokussierung |
durch verschieben des Objektivs auf dem Laufboden, Einrasten bei Unendlich, kleine Skala. Typ 5 ab 1928 mit Feinfokussierungshebel. Keine Scharstellhilfe. |
Sucher |
drehbarer Brilliant- und aufklappbarer Draht-Rahmensucher. |
Filmtransport |
Drehrad, rotes Fenster für Rückseitenpapierkontrolle. |
sonst. Ausstattung |
Stativgewinde 3/8‘‘, Drahtauslösergewinde, ausklappbarer Standfuß. |
Maße, Gewicht |
ca. 128x65x25 mm, 290 g |
Baujahr(e) |
1923/24 bis 1931, ca. 40000 Exemplare, dieses #5141 ca.1926. |
Kaufpreis, Wert heute |
117 sFr (diese Ausführung, 1927), ca. 40 € |
Links |
Rollette Prospekt, Engel-Art, Camera-Wiki, Earlyphotography, BlendeundZeit, Collection Appareils, List of photgraphic films |
Bei KniPPsen weiterlesen |
Rollette Fortsetzung (Vergleich Typ 2 und Typ 5), Peggy (Typ Norm) |