Mit dieser wundervollen Super Nettel aus dem Hause Zeiss Ikon wächst meine Sammlung von Kleinbildkameras aus den 1930ern um einen wichtigen Baustein. Zeiss Ikon hatte sich nach der erzwungenen Fusion seiner Vorgängerunternehmen (1926) in wenigen Jahren zum Technologieführer gemausert. Die interne Konsolidierung des Produktportfolios (viele gleichartige Platten und Rollfilmkameras für 'zig Formate) setzte Resourcen in der Entwicklung und Produktionskapazität frei. Gleichzeitig hatte man das Glück, dass ein Generationswechsel stattfand, und ein paar junge Ingenieure bekamen die Chance, ihre frischen Ideen in leitenden Positionen tatsächlich in die Tat umzusetzen. Bei Zeiss Ikon in Dresden waren das insbesondere Heinz Küppenbender und etwas später auch Hubert Nerwin.
Und es dämmerte tatsächlich ein neues Zeitalter der Fotografie, genau: die Kleinbildfotografie wurde zum neuen Wachstumstreiber der ganzen Branche. Nach ersten eher weniger erfolgreichen Gehversuchen mit der Klasse der 3x4-Kameras (auch von Zeiss Ikon), erschienen spätestens ab 1934 immer mehr KB-Kameras für den 35mm breiten Kinofilm. Mit der Leica gab es schon seit 1925 ein Rollenmodell auf dem Markt, was für viele Wettbewerber Ansporn war und den Weg vorzeigte. Zeiss Ikon war 1932 der erste, der mit der Contax Leica was entgegenzusetzen hatte. Das später dann Contax I genannte Modell hatte noch die eine oder andere Kinderkrankheit und galt nicht wirklich als zuverlässig. Die Verbesserungen dazu wurden bei Zeiss Ikon in der laufenden Produktion sukzessive umgesetzt. Man perfektionierte seine Prozesse und die daraus hervorgehenden Produkte, so dass die 1936 vorgestellten Contax II und Contax III sich tatsächlich (auch preislich) an die Spitze des KB-Kameramarktes setzten.
Aber mit der technologischen Spitze lässt sich alleine nicht genug Geld verdienen. Zeiss Ikons Wettbewerber waren auch nicht untätig, insbesondere Kodak (Nagelwerk) in Stuttgart trieben die Konkurrenz mit der günstigen aber leistungsfähigen Retina Serie vor sich her. Und so musste auch bei Zeiss Ikon ein Modell für den anspruchsvollen Amateur her, der sich im Gegensatz zu den Profis keine Contax leisten konnte. Man nehme also den Schlitzverschluss der Contax und viele Gleichteile aus Gehäuse und Filmhandling, greife in die Carl Zeiss Jena Objektivkiste und baue dies fest an einen schlichten Faltbalgen mit Scherenspreizen. Gewürzt wird das Ganze mit dem innovativen Drehkeil-Entfernungsmesser der Super-Ikonta, voila: Fertig ist die „Super Nettel“, auch vermarktungstechnisch geschickt anknüpfend an die Stuttgarter Contessa-Nettel Tradition.
Als die Super Nettel 1935 auf den Markt kommt hat sie sogar schon das verbesserte Verschlussdesign mit dem zentralen Auslöser an Bord, das erst ein Jahr später mit der Contax II (wieder verbessert) auf den Markt kommt. Auch sonst wirkt sie selbst heute noch sehr durchdacht und fertig. Bei meinem Exemplar ist fast der gesamte schwarze Lack noch intakt, selbst bei den sonst üblichen Zeiss bumps gibt es nur auf der rechten Kameravorderseite was zu bemängeln. Zeiss Ikon hat während ihrer 4-jährigen Bauzeit nur minimale Änderungen vorgenommen. Allerdings gab es mit der Super Nettel II (537/24) ab 1936 etwas Differenzierung. Das ansonsten baugleiche Modell hatte Chrome statt schwarzem Lack, außerdem wurde es exklusiv mit dem 2.8-Tessar verkauft (angeblich in limitierter Auflage von 2000 Stück). Das nun Super Nettel I genannte Basimodell gab es nur noch mit dem 3.5-Tessar oder dem günstigeren Triotar. Zum Ende wurden gar die Preise noch gesenkt, vermutlich um sie den direkten Konkurrenten am Markt anzupassen. Eine tolle Kamera, für meinen Geschmack mit über 600 g etwas zu schwer und groß für das was sie am Ende kann. Aber vielleicht mach ich ja trotzdem mal ein paar Bilder damit…
Datenblatt | Frühe Kleinbildkamera mit Schlitzverschluss für den anspruchsvollen Amateur |
Objektiv | Carl Zeiss Triotar 5cm f/3.5 (Triplet, nicht vergütet, #1651145, 1935) . Kamera war auch erhältlich mit Tessar 5cm f/2.8 oder f/3.5. |
Verschluss | Vertikaler Metallrollo-Schlitzverschluss, B-5-10-25-50-100-200-500-1000 1/s. Keine Blitzsynchronisation vorgesehen. Auslöser mit Drahtauslösergewinde im Zentrum des Spanndrehknopfes. Herausziehen dieses Knopfes dient zur Wahl der Verschlusszeit. |
Fokussierung | mittels Rändelschraube am Drehkeil-Entfernungsmesser. Kürzeste Entfernung ca. 1m. Dieses Exemplar hat die Skala in feet. |
Sucher | optischer Durchsichtsucher direkt neben Entfernungsmessereinblick. Keine Parallaxenkorrektur. |
Filmtransport | Mittels Drehknopf an der Kameraoberseite, womit auch der Verschluss gespannt wird. Die Kamera akzeptiert Standard-135er Film und die normale Contaxaufwickelspule. Alternativ können auch Zeiss Ikon Tageslicht-Kassetten verwendet werden, die mit den Schlüsseln an der Unterseite der Rückwand verschlossen werden. |
sonst. Ausstattung | Zubehörschuh, Abnehmbare Rückwand, kompatibel zu Contax-Zubehör wie z.B. Platten/Planfilmadapter, Stativgewinde 1/4‘‘. Vorwärtszählender Bildzähler, Trageösen (nicht selbstverständlich zu der Zeit) |
Maße, Gewicht | ca. 42 x 70 x 132 mm, 621g |
Baujahr(e) | 1935-1938, diese #C20968 von 1936. |
Kaufpreis, Wert heute | 165 RM (1938), ca. 200€ |
Links | Camera-Wiki, Operating manual, Bedienungsanleitung, Mike Elek, Klaus-Eckard Riess, Meyer.de, Earlyphotography.co.uk, |
Bei KniPPsen weiterlesen | Contax II, Leica III, Tenax I, KB Balgenkameras der 30er, Certo Dollina, Zeiss Ikon Kolibri, Dr. Paul Rudolph, Weltini II |