Eigentlich war dies Dolly nur ein Beifang zur Icarette und ich habe nur 11€ dafür bezahlt. Allerdings hatte ihr Verkäufer sie schlecht bzw. falsch beschrieben. Es ist aber auch nicht ganz einfach, sie richtig einzuordnen, über sie wird viel widersprüchliches im Netz (und auch in Büchern) verbreitet. Daher passt sie ganz gut in meine wachsende Sammlung von Kameras für den Rollfilm 127 und aus den 1930er Jahren, und mir macht es Spaß, hier mal die Fakten von den Vermutungen und Falschmeldungen zu trennen.
Mit 38 mm Dicke passt sie zusammengeklappt gerade noch so in Jacken- oder Hosentaschen |
Zunächst einmal ist sie eine kompakte (Taschen-) Version einer klassischen Faltbalgenrollfilmkamera mit selbst aufrichtenden Balgen. Sie steht außerdem voll in der Tradition der Vest Pocket Kodak von 1912, die das Format 4 x 6.5 cm und den dazugehörigen 127er Rollfilm eingeführt hatte. Das sollte man nicht mit dem fast genauso großen Format 4.5 x 6 cm (120er Rollfilm) verwechseln, für das Certo die sonst fast identische "Super Sport Dolly" (auch "SS Dolly") ab ca. 1934 im Programm hatte, siehe weiter unten. Tatsächlich hat sich letzteres Format am Markt durchgesetzt und auch schon zu Zeiten der Dolly (Mitte der 1930er) gab es mehr Kameras dafür als für den "Vest Pocket Film".
Die Dolly wurde als "Zweiformatkamera" beworben, der Kamera lag eine metallene Maske bei, die im Bildfenster platziert wird und das Negativ auf 3x4 beschränkt (ist bei meiner leider verloren gegangen). Entsprechende Markierungen gibt's auch im Sucher. Aus diesem Grund hat die Dolly auch die von 3x4-Kameras üblichen 2 roten Fensterchen für die Bildnummern auf dem Rückseitenpapier. Wenn man die Maske nicht drin hat und also das volle Format belichtet, kann man sich aussuchen, welches der beiden Fensterchen man zum Filmvorspulen verwendet. Man sollte es sich allerdings gut merken und dabei bleiben, ansonsten gibt es entweder überlappende Negative oder 3 cm breite Zwischenstege. Ich denke allerdings, dass die meisten Dolly-Fotografen das Halbformat eher nicht genutzt haben, denn die fest eingebaute 75 mm Brennweite ist dafür ja eher etwas lang und außer für Portraits unpraktisch.
Dies ist nicht die erste Dolly genannte Kamera, davor (ca. 1930-1932) hatte Certo zwei Varianten (oft mit A und B bezeichnet) einer 3x4-Halbformatkamera für den 127er Rollfilm unter diesem Namen auf dem Markt. Das Scheitern dieser Kamerklasse habe ich schon ausführlich beleuchtet. Certo reagiert auf die Markt mit neuen Modellen und Konzepten: 1932 erscheint das neue 127er-Modell "Sonny", das schon nach sehr kurzer Zeit wegen eines Konfliktes mit der Fa. Foth, die sich "Sonnyflex" hatte registrieren lassen, in den bekannten Namen "Dolly" umbenannt wurde: Eben diese Kamera hier.
1934 kam dann die "Super Sport" (auch SS) Dolly auf den Markt, diesmal für den breiteren 120er Rollfilm wahlweise für 6x6 oder 4.5x6 große Negative (Variante A). Eine Variante B erlaubte die zusätzliche Verwendung von Glasplatten oder Filmpacks, auch das Objektiv ließ sich auswechseln und gegen ein Teleobjektiv eintauschen, was man ja bei Plattenaufnahmen per Mattscheibe fokussieren konnte. Die Topvariante C erlaubte gar Filmrückspulen, um zwischen all diesen Optionen beliebig wechseln zu können. Die absolute Krönung erfährt die Super Sport Dolly ab 1939 mit einem zusätzlich angebauten Entfernungsmesser.
Aber Certo hatte gleichzeitig auch das Kleinbildsegment im Blick: Mit der Dollina wird 1935 eine Kamera für den immer populärer werdenden Kleinbildfilm (135er) vorgestellt, auch sie erfährt bis zum Kriegsbeginn einiges an Innovatiion und Modellpflege. Andere Hersteller wie Welta oder Kochmann sind eine ähnliche Strategie gefahren, viele haben dem 127er aber den Rücken gekehrt und sich entweder auf den 120er Rollfilm (6x6, 4.5x6, 6x9) oder dem Kleinbildfilm konzentriert.
Wie lange diese Dolly Vest Pocket am Markt war, konnte ich nicht abschließend klären. Ich vermute, dass ihre Produktion schon ca. 1935 eingestellt wurde, um sich ganz auf die Dollina zu konzentrieren. Die Restbestände wurden wohl weiter verkauft, Certo hat angeblich einen erklecklichen Teil exportiert. Da verwundert es nicht, dass sie in manchen Katalogen wohl noch bis ca. 1940 zu finden war.
Datenblatt | Kompakte Faltbalgenkamera für Rollfilm 127 (4x6.5) |
Objektiv | C.Friedrich Corygon-Anastigmat 7.5 cm f/3.5 (Triplet, #168518), auch erhältlich mit Schneider Xenar oder Meyer Trioplan. Einfachste Version mit Certar f/4.5 im Vario-Verschluss. |
Verschluss | Compur (B) Zentralverschluss T-B-1-2-5-10-25-50-100-300 (#3014878), auch erhältlich mit Vario (T-B-25-100). |
Fokussierung | durch Frontlinsenverstellung, kürzeste Entfernung 1m. |
Sucher | faltbarer optischer Sucher, mit extra Markierungen für 3x4-Maske. In meinem Fall (wohl nachträglich) aufgemaltes Fadenkreuz. |
Filmtransport | mittel Drehrad an der Kameraunterseite. Zwei rote Fensterchen für 3x4 und 4x6 Betrieb (siehe Text). |
sonst. Ausstattung | ausklappbarer Standfuß für vertikalen Stand. 1/4'' Stativgewinde, Drahtauslöergewinde. |
Maße, Gewicht | ca. 115 x 38 x 78 mm (zusammengefaltet), 381 g |
Baujahr(e) | 1932-1935?, diese #7494 laut Verschluss-# von 1934. |
Kaufpreis, Wert heute | ca. 60-70 RM, ca. 50€ |
Links | Camera-wiki, historiccamera, Reklame 1932, Dolly-Parade, |
Bei KniPPsen weiterlesen | Fotofirmen in den 30ern, Dollina, 3x4-Halbformatkameras und ihr plötzliches Verschwinden |
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