Zählt eine Kamera als Meilenstein, wenn das sie auszeichnende Merkmal eher in eine technologische Sackgasse führt und die Kamera ein regelrechter Flop am Markt wird? So geschehen mit diesem schicken Exemplar, designed von Heinz Waaske, der später durch die Rollei 35 berühmt werden sollte. Die Kamera war weltweit die erste Spiegelreflex mit Wechselobjektiven, die nach Druck auf die sogenannte Reglertaste die Belichtung vollautomatisch (Blende und Zeit!) mit Hilfe eines eingebauten Elektromotors einstellte.
Als die Kamera 1962 auf den Markt kam, gab es schon andere Kameras mit Belichtungsautomatik. Hier ein kleiner Überblick:
- Die allererste war Kodak's Super Six-20 (1938-1944, nur 719 Exemplare wegen des extrem hohen Preises). Eine Faltbalgenkamera für 620er Rollfim (6x9) mit einem Compur Zentralverschluss und einer Blendenautomatik.
- Die zweite war die ebenfalls sehr teure, aber ansonsten einfache Agfa Automatik 66 von 1956. Sie war eine Weiterentwicklung der Isolette, hatte einen Prontor Zentralverschluss und als erste Kamera überhaupt eine Zeitautomatik!
- 1959 war DAS Jahr der "einfacheren" Sucherkameras mit Belichtungsautomatik. Es gab insgesamt 6, die sicherlich einflussreichste und auch erfolgreichste war die Agfa Optima. Die anderen: siehe hier. Einige dieser Kameras hatten nur eine Verschlusszeit und waren daher Blendenautomaten, die Optima kontrollierte aber auch den Verschluss zwischen 1/30s udn 1/250 s und war demnach ein Vollautomat!
- 1959 erschien in Frankreich die Royer Savoyflex Automatic, die erste SLR mit Blendenautomatik (ebenfalls Zentralverschluss).
- 1961 kam dann noch die Agfa Optima Reflex, eine TLR für den Kleinbildfilm mit der Optima-Technik unter der Haube, also die erste Spiegelreflex mit Vollautomatik.
- Ebenfalls 1961 erschien die Voigtländer Ultramatic, eine Bessamatic mit Blendenautomatik und mit (fast) dem selben Bajonett und Verschluss der größte Konkurrent der Edixa Electronica.
Alle diese Kameras hatten für die automatische Belichtungseinstellung das selbe Problem zu lösen: Es gab mit der Selenzelle eine einigermaßen zuverlässige Belichtungsmessung, die sogar ihren eigenen Strom erzeugte und daher ohne Batterie auskam. Allerdings ist dieser Strom so klein (im µA Bereich), dass damit gerade einmal die Nadel im Drehspulinstrument bewegt werden, keinesfalls aber die Kraft aufgewendet werden kann, um Blende, Verschlusszeit oder sogar beides automatisch einzustellen.
Daher bedienen sich alle oben genannten Automatikkameras eines Tricks, indem sie die Fingerkraft des Fotografen verwenden, der eine Taste drückt. Der Ausschlag des Drehspulinstruments wird dabei irgendwie abgegriffen und bestimmt den Umfang der Einstellbewegung. Bei der Optima habe ich es mir mal genauer angeschaut und auch beschrieben.
Im Prinzip macht es die Edixa Electronica nicht viel anders, allerdings wird noch ein batteriebetriebener Elektromotor für die Stellbewegung mit eingespannt. Dieser Elektromotor und die dazugehörigen Batterien machen die Kamera relativ schwer, teuer und vergleichsweise unzuverlässig. Man kann zwar auch ohne Batterie noch alles manuell einstellen, aber das ist recht umständlich per Daumenrad neben dem Okular.
Wenn man das jetzt mit den direkten Konkurrenten Voigtländer Bessamatic und Kodak Retina Reflex S vergleicht, versteht man, warum die Edixa 1962 eigentlich keine Chance (mehr) am Markt hatte. Beide Konkurrentinnen waren schon seit 1959 auf dem Markt, verwenden das selbe Wechselobjektiv- und Verschluss-System mit jeweils einer sehr praxistauglichen und zuverlässigen Nachführmessung. Auch preislich liegen die beiden unterhalb der Edixa (Bessamatik: 575 DM, Retina Reflex: 629 DM).
Heinz Waaske hatte sich mit seinem Elektromotor also etwas verrannt. Und zwar in dem Sinne, dass er an seiner Zielgruppe, dem ambitionierten und wohlhabenden Amateur, vorbeigeplant hat. Dieser wollte eigentlich keine halbgare Vollautomatik, sondern hochwertige und zuverlässige Fotografier-Werkzeuge. Der Markt für sein Segment war 1962 schon mit den oben erwähnten Kameras plus Contaflex/Contarex gesättigt. Und dann sprach sich wohl langsam in der Szene rum, was da so aus Japan kommen könnte in Form von Pentax Spotmatik, Topcon RE Super, Minolta SR-2 oder Nikon F.
Eigentlich hätten Heinz Waaske und sein Arbeitgeber Wirgin gute Vorraussetzungen gehabt, bei den zukünftig gefragten SLR's mitzuspielen. Mit ihrer Edixa-Mat Serie waren sie Anfang der 1960er der einzige westdeutsche Kamerahersteller mit einem Schlitzverschluss und dem universalen M42-Gewinde, dass sowohl Pentax als auch Praktica verwendeten. Man stelle sich vor, Waaske hätte nicht einen Zentralverschluss-Vollautomat mit Elektromotor, sondern eine Schlitzverschluss SLR mit TTL-Messung entwickelt, wer weiß, wie die deutsche Kameraindustrie heute aussehen würden.
Stattdessen war der wirtschaftliche Flop mit der Electronica (es wurde nur ca. 4100 Einheiten gebaut) für Wirgin der Anfang des Niedergangs. Waaske verließ 1965 Wirgin, um bei Rollei seine Kleinbildkamera zu realisieren. Wirgin rannte bei den SLR nur noch dem Trend hinterher. Nach einer ersten Pleite 1968 und Restrukturierung als Edixa GmbH erschien 1970 mit der Edixa Electronica TL (Schlitzverschluss, TTL, M42 !) ein letzter Versuch am Markt, aber auch er chancenlos am nun von den technisch vorbeigezogenen Japanern dominierten Markt. 1972 war wieder Schluss, zusammen mit vielen anderen Spielern der westdeutschen Kameraindustrie.
Aber die vollautomatische Belichtungssteuerung, heutzutage Programmautomatik genannt, war auch nach der Edixa Electronica natürlich ein Thema. Zunächst zielgruppengerecht in vielen Kameras a la Agfa Optima für die breite Masse, die sich eben nicht um Blende und Verschlusszeit kümmern wollten. In meiner Sammlung habe ich zum Beispiel die Polaroid J33 Electric Eye, die Olympus PEN EES-2 und die Yashica EZ-Matic. Aber es gab auch Spiegelreflexkameras, diese allerdings alle zunächst nur mit Zentralverschluss und fest eingebautem Objektiv. Eine davon habe ich mal gehabt und hier vorgestellt: Sears SL9 bzw. Ricoh 35 Flex. Eine echte vollautomatische Belichtungssteuerung an einer SLR mit Wechselobjektiven erschien dann erst wieder 1977 mit der Minolta XD7, damals noch versteckt zwischen den beiden Optionen Zeit- bzw. Blendenautomatik. Unser heutiges Set an MSAP-modes für die Belichtungssteuerung gibt es seit der Canon A-1 im Jahr 1978.
Datenblatt | Erste SLR mit Wechselobjektiven und vollautomatischer Belichtungssteuerung |
Objektiv | Schneider Xenar 50 mm f/2.8 (4 Linsen in 3 Gruppen, Tessar Typ). Wechselobjektive mit DKL-Bajonett in spezieller Edixa-Version. Erhältliche Wechselobjektive von Schneider und Steinheil von 28 mm bis 135mm |
Verschluss | Synchro-Compur Zentralverschluss für DKL-Bajonett (hinter dem Objektiv). B-1-2-4-8-15-30-60-125-250-500 |
Belichtungsmessung | Mit Selenzelle, automatische motorische Einstellung des Lichtwertes nach Druck auf die Reglertaste, freie manuelle Wahl der dazu passenden Zeit-Blenden-Kombination. Einstellbereich 18 Lichtwerte, 12-1600 ASA |
Fokussierung | Manuell am Objektiv, SLR-Mattscheibe mit zentralem Schnittbildindikator. |
Sucher | SLR, nicht automatisch zurückkehrender Spiegel. |
Blitz | vollsynchronisiert über Buchse, Wählhebel X und M. |
Filmtransport | Schnellschalthelbel, Bildzählwerk, Rückspulknopf. |
sonst. Ausstattung | Stativgwinde 3/8'', Auslöser-Arretierung, ausklappbarer Standfuß, Selbstauslöser |
Maße, Gewicht | 144 x 104 x 75/61, 962/846 g (m/o Objektiv, ohne Batterien) |
Batterie | 5 x Mallory RM-1 (1.35V) für den Betrieb des Motors. Manuelle Belichtungseinstellung ohne Batterien möglich. |
Baujahr(e) | 1962-1965, ca. 4100 Exemplare, diese # 350566 von 1962 |
Kaufpreis, Wert heute | zunächst 650 - 750 DM (mit Objektiv), ab 11/64 250 DM, heute je nach Zustand 200-400€. |
Links | Kameras für Millionen (Buch über Heinz Wasske von J. Eickmann und U. Vogt, Wittig 1997). Collectiblend, DKL-Bajonett, Klaus-Eckart Riess |
Bei KniPPsen weiterlesen... | Geschichte der Belichtungsautomatik, Wirgin Edixa-Mat Reflex, Agfa Optima, Agfa Optima Reflex, Pentax Spotmatic, Praktica PL Electronic, Minolta XD7 |
Und nochmal zurück zu meiner Eingangsfrage: Zählt die Edixa Electronica als Meilenstein. Im engeren Sinn für mich nicht, da sie keine umwerfende neue Technologie eingeführt hat, keiner hat das Konzept später kopiert. Sie ist dennoch eine sehr schicke Kamera und wegen ihrer Seltenheit sicher das Sammeln wert. Ich nenne auch noch andere seltene deutsche SLR mein eigen: King Regula Reflex 2000 CTL, Praktica PL Electronic. Alle drei habe ich nach längerer Marktbeobachtung günstig ersteigert, worauf ich sehr stolz bin. Die beiden mit Electronic im Namen funktionieren nicht mehr vollständig, was nicht an ihrer immer noch soliden Mechanik oder Optik liegt... ;-)
danke für diesen kleinen Exkurs! Ich suchte nach Verständnis für das Edixa-Bajonett. Ich habe eine DKL-Retina mit einem seriösen 35mm. Ich verwende eine Sony A7 als "Mikroskop" für fremde und alte Objektive. Für mich zählt die kreative Verwendbarkeit von Objektiven knapp oberhalb vom Schrott-Status :-))
AntwortenLöschensagt Arturo lessisme2@gmail.com
Hallo Arturo,
Löschendanke für deinen Kommentar. Mehr Infos über das DKL-Bajonett und verfügbare Objektive gibt es hier: https://knippsen.blogspot.com/2020/03/dkl-das-uneinheitliche-westdeutsche.html.
Viele Grüße
Christoph