2024-04-21

Leica (IA)

Es gibt definitiv einen Leica Mythos und ich habe mich lange geweigert, beim entsprechenden Leica Hype mitzumachen. Hype in dem Sinne, dass ihre Bedeutung für die Fotografie und insbesondere die Kleinbildfotografie übertrieben wird. Viele Menschen kennen die Leica als Kamera und nicht wenige davon glauben, dass mit ihr die Kleinbildfotografie begonnen hat oder sie deren wichtigste Erfindung war. Leicas (oder auch alles Leitz-Zubehör) erzielen viel höhere Sammlerpreise als vergleichbare Konkurrentinnen. Natürlich ist auch die teuerste Kamera der Welt eine Leica (aus der Null-Serie, 14.4 Millionen Euro). Das meiste an dieser Überhöhung ist Quatsch: Die Leica war weder die erste Kamera, die man in die Tasche stecken konnte, noch die erste für den perforierten 35mm Film, noch die mit dem besten und schärfsten Objektiv, etc... aber einen wahren Kern hat es doch und darum gehört diese Leica IA ab sofort in meine Sammlung.
Diese zunächst nur Leica genannte Kamera kam 1925 als erste kommerziell verfügbare Kleinbildkamera für das Format 24x36 mm auf perforiertem 35 mm-Kinofilm auf den Markt und hat damit erstmal eine Idee in die Welt gesetzt, der andere zum Teil erfolgreicher gefolgt sind. In den ersten Jahren gab es verschiedene Varianten, die später mit den Typbezeichnungen A-G unterschieden wurden, mit Erscheinen der Leica II (Typ D, mit eingebautem Entfernungsmesser) wurden alle Kameras ohne solchen als Modell I bezeichnet. Daher wird diese ursprüngliche Leica meist als Leica IA geführt.
Leica IA, Schnittzeichnung
Diese Leica war von Beginn an eine sehr "fertige" Kamera, weil ihr Erfinder Oskar Barnack schon mehr als 10 Jahre an ihr getüftelt und entwickelt hatte, sein Chef Ernst Leitz sich aber lange nicht traute, tatsächlich den Schritt auf den Markt zu wagen. So gab es 1923 eine Nullserie von ca. 20 Kameras, die heute Millionenpreise aufrufen, wenn mal wieder eine davon unter den Hammer kommt. Ab 1925 kam diese Version hier in die Fotoläden, von 1926 an mit dem nun Elmar genannten Leitz'schen Tessar-Klon. Die Verkäufe waren zunächst schleppend, vermutlich auch, weil Kinofilm zwar grundsätzlich, aber eben nicht überall in den Läden verfügbar war. Es sind auch die Jahre, in denen die Qualität des Schwarzweissfilms langsam das Niveau erreicht, wo Kleinbildnegative anfangen Sinn und Spaß zu machen. 
Bis Ende 1927 wurden gerade einmal ca. 4500 Kameras verkauft und Leitz bewies Geduld. Erst ab 1928/1929 ziehen die Produktionszahlen und Verkäufe merklich an und Ende 1930 hat Leitz schon mehr als 50.000 Kameras an den Mann gebracht und in alle Welt verkauft. Mein Exemplar mit der Seriennummer 40009 hat zum Beispiel die feet-Entfernungsskala und das Bodenscharnier ist mit open und close beschriftet. 1928/1929 wird auch den anderen Kameraherstellern langsam klar, dass dieser Mikroskophersteller aus Wetzlar da was Neues hat, für das die Menschen bereit sind (relativ viel) Geld auszugeben. Was dann ca. 1930 passiert, habe ich an anderer Stelle schon beschrieben: Fast alle wichtigen Kamerahersteller sprangen auf den Kleinfilm-Zug auf und brachten eigene Modelle. Die meisten setzten auf bekannte Designelemente und Technologien, wie den (Compur-) Zentralverschluss oder den Balgen. Heraus kam eine ganze Klasse von 3x4-Kameras für den 127er Rollfilm, der viel einfacher zu händeln war als der rückseitenpapierlose 35 mm Kinofilm. Diese Kameraklasse erlebte 1930 bis 1932 eine kurze Blüte, um dann eben so schnell wie sie gekommen war wieder zu verschwinden.  
Die Leica eingerahmt von der Krauss Peggy (links) und der Beira, beide ab 1931 auf dem Markt und die ersten, die sich nach der Leica an den 35 mm Kinofilm für 24x36 trauten. Die wichtigste Konkurrentin kam erst 1932 auf den Markt und fehlt mir noch in der Sammlung: Zeiss Ikon's Contax.  
Der technische Vorsprung, den Leitz bei den beiden wesentlichen Elementen der neuen Kamera vor der Konkurrenz hatte muss immens gewesen sein. Sowohl beim 35mm-Filmhandling (Rollfilm mit Rückseitenpapier ist viel einfacher!) als auch beim Schlitzverschluss dauerte es 6 ganze Jahre bis 1931 die ersten Konkurrenten das eine (Krauss Peggy bzw. Beira) oder das andere (Foth Derby) anboten. Die erste und mittelfristig einzige Konkurrentin, die beides hatte hieß Zeiss Ikon Contax und kam erst 1932. Da hatte Leitz mit der Leica II schon die nächste Generation und Innovation auf dem Markt. Das ist sicher Grundlage für den Mythos und auch Hype um die Leica: Leitz hat auch bei dem anschließenden Aufbau der Leica als Systemkamera mit Wechselobjektiven stets sein Ding gemacht und hohe Qualität abgeliefert, und sich schließlich konsequent in dieser Highend-Nische (auch preislich) eingerichtet. Der Kleinbildfotografie zum endgültigen Durchbruch verholfen hat allerdings Kodak mit seiner günstigen Retina von 1934 und der dazu gehörigen 135er Patrone, die in alle gängigen anderen KB-Kameras passte, auch in diese Leica hier.

Das Charakteristische an diesem ersten kommerziell erfolgreichen Leica-Modell ist das fest zur Kamera gehörende Objektiv. Man kann es zwar über den Schneckengang ganz abschrauben, aber das später zu allen Nachfolgemodellen gehörende M39-Wechselgewinde hat es noch nicht. Von weitem kann man dieses Modell IA an dem Infinity-Lock (Unendlich-Feststeller) links neben dem Objektiv erkennen. 
Im Vergleich zu manch anderen Kameras aus der Zeit gibt es zur Leica unglaublich viele und wohl auch genaue Informationen, vieles davon ist auch im Internet zu finden, ich will das hier nicht widerkauen (siehe die wichtigsten Links unten in der Tabelle). 
Mein Exemplar ist tatsächlich die teuerste gebrauchte Kamera, die ich bisher erworben habe. Ich habe aber trotzdem vergleichsweise ein Schnäppchen gemacht und am unteren Rand der üblichen Preisspanne zuschlagen können. Sie hat, wie man auf den Fotos hier sieht, eine schöne Gebrauchspatina und funktioniert noch. Sie bekommt in der Vitrine natürlich den Platz der ihr gebührt, neben ihren Konkurrentinnen aus der Zeit.

Datenblatt Erste kommerziell erhältliche Kleinbildkamera (24x36 mm) auf perforiertem 35 mm Kinofilm
Objektiv Fest eingebautes, versenkbares Leitz Elmar 50 mm f/3.5 (4 Linsen in 3 Gruppen, Tessar Typ). Kamera war anfangs mit dem Anastigmat/Elmax 50 mm f/3.5 (5 Linsen) und ab 1930 auch wahlweise mit dem Hektor 50 mm f/2.5 erhältlich. Blendenskala 3.5-4.5-6.3-9-12.5-18
Verschluss Horizontaler Tuchschlitzverschluss Z-20-30-40-60-100-200-500 1/s
Fokussierung Manuell, komplettes Objektiv per Schneckengang, kürzeste Entfernung 2.5' (80 cm). Unendlich-Feststeller. Entfernungsmessung per optional erhältlichem Zubehör (FODIS) für den Zubehörschuh, ansonsten: Schätzen. 
Sucher einfacher optischer Fernrohrsucher
Filmtransport per Drehrad, gekoppelt mit Verschlussaufzug, Bildzählwerk (vorwärts), Rückspulrad.
sonst. Ausstattung Zubehörschuh (für Entfernungsmesser), Stativgewinde 1/4'', Gewinde für Selbstauslöser ("Leica-Glocke")
Maße, Gewicht 132x66x39 mm, 442 g (ohne Filmkassette)
Baujahr(e) 1925-1936 (ab 1932 keine nennenswerte Produktion mehr), 56548 Exemplare, über 44.000 davon in den Jahren 1929-1931. Diese #40009: 1930.
Kaufpreis, Wert heute 230 RM (1930, inkl. 3 Filmkassetten), Zubehör: FODIS 22 RM, Ledertasche: 18 RM. Wert heute (Elmar): ca. 800-1200 € je nach Zustand und Zubehör. Kameras mit 4-stelliger Seriennummer ca. das doppelte davon, Kameras mit Elmax ca. 15000€.  
Links Camera-Wiki, WikipediaLeica A (Pacificrim), Peter Lausch‘s Leica Story, Cameraquest
Bei KniPPsen weiterlesen Leica III und Vorkriegs-Produktionszahlen, Das plötzliche Verschwinden der 3x4 Kameras, Contax II, Korelle K

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