Die wichtigste Automatisierung in der Kamerageschichte ist die Belichtungsautomatik, die ich hier anhand vieler Beispiele aus meiner Sammlung nachzeichnen möchte. Viele Details zu diesen Kameras und den jeweiligen technischen Automatik-Implementierung findet man in den früheren Beiträgen. Die kleinen Bilder hier sind mit den jeweiligen Artikeln verlinkt. Also munter klicken!
Zunächst ein paar Begriffe: Um automatisch eine zur aktuellen Beleuchtungssituation richtige Kameraeinstellung zu finden, gibt es drei Parameter bzw. Variablen zu beachten: Die Empfindlichkeit des Films (oder Sensors), die Belichtungszeit und die Blende. Erstere ist bei analogem Film nicht verstellbar, muss aber mit bedacht, bzw. der Kamera/Belichtungsmesser mitgeteilt werden. Die anderen beiden können dann nacheinander so bestimmt werden, dass entweder die passende Verschlusszeit zur frei gewählten Blende ermittelt wird (Zeitautomatik, auf Englisch: Aperture priority, Kürzel: A), oder die passende Blende zur voreingestellten Verschlusszeit (Blendenautomatik, auf Englisch: Shutter priority, Kürzel: S). Es gibt aber auch automatische Kameras, die nach einem fest eingebauten Programm jeweilige Blende/Zeit-Kombinationen, definiert über ihren Lichtwert ansteuern. So was nennt man Lichtwert-, Voll- oder Programmautomatik (Kürzel: P). Späte elektronische Kameras ließen auch variable Programme zu.
Nun noch etwas Technik: Zentrale Aufgabe einer Belichtungsautomatik ist es das Signal des eingebauten Lichtsensors zu nutzen und damit Zeit und/oder Blende bzw. beides bzgl. der eingestellten Filmempfindlichkeit richtig zu wählen. Als Lichtsensor dienten zunächst Selenzellen, die selbst einen kleinen Strom erzeugen und daher ohne Batterie auskommen. Später wurden Fotowiderstände (meist aus Cadmiumsulfid, CdS) oder Fotodioden (z.B. Si) verwendet, die beide eine Batterie zum Betrieb brauchen.
Jetzt gab es für die Erfinder der automatischen Belichtungseinstellung ein zentrales Problem zu lösen: Die elektrischen Strömchen des Lichtsensors reichten geradeso aus, die Nadel am Drehspulinstrument zu bewegen, keinesfalls aber um Blende oder Zeit an der Kamera ohne das Zutun des Fotografen zu verstellen. Dazu wurden drei grundsätzliche Lösungen gefunden:
1) Das Trap-Needle Prinzip: Die Nadel des Belichtungsmessers darf sich zunächst frei bewegen. Beim Druck auf den Auslöser wird sie aber in ihrer jeweiligen Position durch eine speziellen Mechanismus eingeklemmt. Die sogenannte Steuerkurve (orange im Bild rechts) bestimmt, wie weit bestimmte Bewegungen innerhalb der Kameramechanik gehen dürfen. Damit lässt sich dann entweder durch die Fingerkraft des Fotografen auf dem Auslöser oder einen vorgespannten Federmechanismus die Blende und/oder Zeit so verstellen, dass es zum Zeigerausschlag passt. Das war nicht nur die erste Lösung, die gefunden wurde, sondern auch die in den meisten Kameras eingesetzte (bis hinein in die 1980er!). Meistens wurden Blendenautomatiken damit realisiert, aber auch Vollautomatiken bei oft einfachen Sucherkameras.
2) Die Luft-Pneumatik: Wohl inspiriert vom alten Deckel‘schen Compound-Verschluss, der einen Luft gefüllten Zylinder als Hemmwerk verwendet hat. Diesmal wird statt der Nadel eine sehr dünne Plastikscheibe vom Drehspulinstrument bewegt. Diese verdeckt mehr oder weniger die Öffnung eines per Feder vorgespannten Luftzylinders. Nach dem Auslösen strömt die Luft proportional zur Öffnung schnell in den Zylinder und steuert damit die Zeit, die der Verschluss offen bleibt. Wurde zur Realisierung der ersten Zeitautomaten genutzt, war aber verglichen mit (1) nicht besonders akkurat und auch nicht erfolgreich.
3) Elektronik: Ab Mitte der 60er Jahren waren endlich Transistoren und andere elektronische Bauteile verfügbar, mit denen man ein elektronisches Hemmwerk für die Zeitsteuerung des Verschlusses bauen konnte. Die Geschwindigkeit der Auf- oder Entladung eines Kondensators hing am eingestellten Widerstand im Stromkreis, fast genauso wie die Größe des Lochs im Zylinder das Aus- oder Einströmen der Luft bestimmt. Ersetzt man nun den festen Widerstand durch einen Fotowiderstand, hat man den elektronischen Zeitautomaten zusammen. Einziger Nachteil zur Trap-Needle Variante: während die eingeklemmte Nadel den Beleuchtungszustand bei der Auslösung festhielt, fehlte es der einfachen Elektronik anfangs an einem Messwertspeicher. Das verhinderte zunächst SLR-Zeitautomaten mit TTL-Messung, da es beim Auslösen auf dem CdS-Widerstand erst mal dunkel wurde. Erst komplexere elektronische Elemente in Form integrierter Schaltkreise erlaubten ab 1971 den Siegeszug der Automatisierung über Elektronik.
Auf die eher noch als analog zu bezeichnen Elektronik aus den 60er und frühen 70er Jahren setzte fast nahtlos die Digitalisierung auf. Viele vorher mechanische Elemente wurden durch elektronische ersetzt, z.B. die Nadelanzeigen oder Suchereinspiegelungen durch LED oder gar LCD Displays. Oder das ehemalige Uhrwerk eines Selbstauslösers durch eine elektronische Variante mit immer schneller blinkender LED. Kamerakonstruktionen wurden dadurch modular und viel flexibler, da man Kabel eben einfacher ver- und umlegen kann als mechanische Verbindungen wie Zahnräder oder Seilzüge. Am Ende zogen echte Computer in die Kameras ein und die komplexe Beleuchtungssituation wurde mit gespeicherten Daten verglichen, um die richtige Belichtungzeit und Blende noch genauer zu bestimmen.
Sie war tatsächlich schon 1938 die erste Kamera überhaupt mit einer Belichtungsautomatik („Electric Eye“) und teilte mit vielen anderen bahnbrechenden Innovationen ein Schicksal: Es gab ein Basispatent, was es zwanzig Jahre lang allen anderen Herstellern verbot, das Trap-Needle Prinzip für eine Blendenautomatik zu nutzen. Damit fehlte der weitere Innovation fördernde und den Marktpreis senkende Wettbewerb. Viel gravierendere Gründe für ihren sehr geringen Markterfolg aber waren zwei Dinge: Sie war mit 225 US$ sehr teuer, dafür bekam man 1938 in den USA einen halben Kleinwagen. Außerdem war sie wohl nicht sehr verlässlich und oft defekt. Daher wurden nur 719 Exemplare je produziert und verkauft. Eine solche für die Sammlung zu bekommen ist nahezu unmöglich, aber man kann sie sich im Museum anschauen, z.b. hier.
Die zweite Automatikkamera basierte nicht auf Kodak‘s Trap-needle Prinzip sondern auf der Erfindung von Julius Durst und war ein Zeitautomat nach dem Luft-Pneumatik Prinzip. Durst hatte wohl zunächst nicht die finanziellen und technischen Möglichkeiten, seine Erfindung selbst umzusetzen und lizensierte das Ding an Agfa, Europas größtem Kamerahersteller. Die Agfa Automatic 66 kam 1956 auf den Markt und teilte in manchen Aspekten ein ähnliches Schicksal wie die Super Six-20. Auch sie war mit 498 DM sehr teuer und fand wohl weniger als 5000 Abnehmer. Die Kunden wollten inzwischen Kleinbild und keine überteuerte Rollfilm-Faltbalgenkamera mehr, die an alte Zeiten erinnerte.
Eine solche brachte die Firma Durst dann endlich 1960 mit dem selben Prinzip. Sie ist ganz schick, aber leider nicht ganz zu Ende gedacht (es fehlte die korrekte Implementierung der Filmempfindlichkeits-Einstellung). Mit über 10.000 Exemplaren ist sie aber im Gegensatz zur Agfa für Sammler heute erschwinglich. Auch ich habe ein Exemplar, mehr Info's zur Kamera und zur Luft-Pneumatik siehe dort.
1959 - das Jahr der automatischen Einfachkameras
1959 kam Bewegung in die Szene, vermutlich waren Selenzellen endlich zu einem vernünftigen Preis und in ausreichender Anzahl verfügbar. Die genaue zeitliche Abfolge des Erscheinens kann heute nicht mehr rekonstruiert werden, aber innerhalb dieses Jahres gab es plötzlich einige einigermaßen erschwingliche Kameras mit dem "Electric Eye" zu kaufen, die meisten ansonsten relativ einfach gehalten, was z.B. Objektiv oder Verschluss anging. Sie alle steuerten die Blende mit der Selenzelle. Diese waren: Braun Paxette Electromatic, Kodak Automatic 35, Bell & Howell Electric Eye 127, Kodak Brownie Starmatic und die Revere Eye-Matic EE 127.
Der Star aber dieser "Klasse von 1959" war die Agfa Optima. Auch sie war eine Volks- und keine Eliten-Kamera und hatte als erste eine Vollautomatik an Bord. Der Druck auf die "Magische Taste" klemmte die Nadel ein und steuerte damit Verschlusszeit und Blende (in dieser Reihenfolge). Mehr Details in meinem Beitrag. Sie war mit ca. 500.000 Exemplaren selbst super erfolgreich und begründete eine ganze Serie von Agfa-Optima Nachfolgern. Eine davon war (1961) die Agfa Optima Reflex, eine zweiäugige Spiegelreflex, die erste mit Belichtungsautomatik, versteht sich. Natürlich inspirierte der Optima Erfolg auch die Konkurrenz, das Kodak'sche Trap-Needle Patent war ja gerade ausgelaufen.
1960 - Royer Savoyflex
Sie wird gerne übersehen, weil sie die einzig signifikante französische SLR war und auch nur in Frankreich nennenswerte Verbreitung fand. Aber sie ist tatsächlich die weltweit erste SLR mit einer Belichtungsautomatik (Trap-Needle Blendenautomatik, natürlich). Sie hat ein fest eingebautes Objektiv und eine simple Implementierung der Filmempfindlichkeits-Einstellung per Plastik-Steckblende vor der Selenzelle, die ihr ein charakteristisches Aussehen verleiht.
1961- Voigtländer Ultramatic
Auch sie wird öfters übersehen, wenn es um die erste SLR mit Wechselobjektiven (DKL-Bajonett) und Blendenautomatik geht. Im Gegensatz zu den anderen DKL-Spiegelreflexen hatte sie sogar einen Rückschwingspiegel. Ab 1965 gab es ihre direkte Nachfolgering Ultramatic CS mit CdS-Fotowiderstand und TTL-Messung (allerdings nach der Tocon Uni, s.u.)
1962 - Wirgin Edixa Electronica
Ebenfalls eine deutsche DKL-SLR und ein teurer Designflopp, der am Ende die Firma Wirgin mit in die Pleite zog. Heinz Waaske entwicklete nicht mehr und nicht weniger als die erste SLR-Vollautomatik mit Wechselobjektiven, realisiert als Trap-Needle-Kontstruktion mit elektromotorischer Verstellung des Lichtwertes.
1963 - Seikosha SLV-Automaten aus Japan
Aus Japan kommen ab 1963 einige SLR auf den Markt. Mit fest eingebauten Objektiven und Trap-Needle Belichtungssteuerung rund um den Seikosha SLV Zentralverschluss waren sie einfach zu bedienende Spiegelreflexe und keine technische Meilensteine mehr. Sie holten (wie die Agfa Optima) die Belichtungsautomatik aus der Hochpreisecke. Hier die ggf. unvollständige Liste: Minolta ER, Fujicarex, Nikkorex auto 35, Ricoh 35 Flex, Mamiya Auto-Lux 35.
1964 - Topcon Uni
Ebenfalls eine Zentralverschlusskamera, aber mit Wechselobjektiven und der damals brandheißen TTL-Messung. Mit dieser Kombination und natürlich einer Trap-Needle Blendenautomatik war sie die weltweit erste ihrer Art und wirkt heute noch recht modern. Schon im Jahr darauf wirkten die Selenzellen-Wabenfenster wie von gestern. Leider hatte Topcon nicht den Erfolg am Markt, den sie mit ihren Innovationen bis dahin verdient hätten.
1965 - Konica Auto-Reflex
Die Konica Auto-Reflex wird oft als die erste SLR mit Belichtungsautomatik genannt, aber das stimmt natürlich nicht, siehe oben. Aber sie war die erste "moderne" SLR mit diesem Feature, sprich: sie hatte einen Schlitzverschluss und Wechselobjektive mit modernem Bajonett. Ansonsten war alles beim alten: eine Trap-Needle Blendenautomatik, allerdings konsequent zu Ende gedacht und implementiert. Lediglich der CdS-Sensor war zwar eingebaut, aber nicht TTL, das kam erst 1968 mit der nächsten Generation Autoreflex T.
1965 - Yashica Electro half und 1966 - Yashica Electro 35
Yashica kann man als den Elektronik-Pionier im Kamerabau bezeichnen. Zunächst kam 1965 in kleiner Serie eine Halbformatkamera als erste Zeitautomatik mit elektronischem Hemmwerk. Richtig zum Durchbruch gelangte die Technik aber ab 1966 mit der super erfolgreichen Electro 35-Serie, die über 5 Millionen mal gebaut und verkauft wurde. Der CdS-Sensor maß das Licht extern während der Belichtung und konnte Verschlusszeiten bis zu ca. 30 Sekunden stufenlos steuern.
1971 - Pentax ES
Die erste Zeitautomatik-SLR ließ noch lange fünf Jahre auf sich warten und hieß Pentax ES. Das lag an einem erst spät gelösten technischen Problem. Während man bei der Trap-Needle Blendenautomatik mit dem Einklemmen der Messnadel den Belichtungswert fixierte und für den weiteren Verschlussablauf merkte, gab es sowas bei der zunächst archaischen Elektronik nicht. Das war aber wegen des zwischenzeitlich sich verdunkelnden Sucherbildes nötig. Die Asahi Pentax Elektroniker waren die ersten, die es lösten, viele andere SLR Hersteller folgten aber schnell. Mitte der 1970er gab es mehr Zeit- als Blendenautomatik SLR-Modelle und für die nächsten fast 30 Jahre ein fast religiös anmutendes Automatik-Schisma.
1976 - Canon AE-1
Die Elektronik entwickelte sich rasant und erlaubte es bald, viele bisher mechanische Komponenten im Kamerabau durch entsprechende elektronische zu ersetzen. Die Canon AE-1 war 1976 die erste, die dies sehr erfolgreich umsetzte. Genau: Sie war die erste Blendenautomatik, die NICHT auf dem Trap-Needle Prinzip beruhte. Dem Fotografen war das egal, er schaute im Sucher auf keine Nadel mehr, sondern ihn blinkten LED's an.
1977 - Minolta XD7
Mit modularer Elektronik sind die Entwicklungszyklen kürzer als mit komplexer Mechanik. So ging es am Ende der 1970er Schlag-auf-Schlag. Schon 1977 brachte Minolta mit der XD7 die erste SLR die beide Automatikvarianten beherrschte. Heimlich, am jeweiligen Bereichsende, konnte sie sogar vollautomatisch die Belichtung steuern, hat aber mit Blick auf die Zielgruppe des ambitionierten Amateurs darauf verzichtet, einen Programmautomatik-Modus anzubieten.
1978 - Canon A-1
Schon 1978 kam der Gegenschlag von Canon. Die A-1 hatte frei wählbar fünf Automatik-Modi, neben Blenden- und Zeitautomatik waren das die nun auch so genannte Programmautomatik, die manuelle Einstellung sowie eine Zeitautomatik bei Arbeitsblende. Viele nachfolgende Kameramodelle benutzen diese "PASM"-Wahlmodi bis in die heutige Digitalzeit.
1983 - Nikon FA
Damit schien auf dem Feld der Belichtungsautomatik zunächst einmal alles erfunden zu sein. Einiges habe ich hier bisher nicht erwähnt. Es gab natürlich auch noch die automatische Blitzsteuerung durch die Kameraelektronik, aber auch die Frage nach dem (TTL-)Messmodus (Spot- vs. mittenbetont). Da überraschte 1983 Nikon die SLR-Welt mit der sog. Matrix- oder Mehrfeldmessung. Hierbei erkennt die Kamera quasi automatisch knifflige Beleuchtungssituationen (durch Vergleich der Lichtverteilung im Sucherbild mit einer internen Datenbank) und ermittelt daraus die richtige Zeit/Blenden-Kombination.
Damit ist die Geschichte der Belichtungsautomatik tatsächlich abgeschlossen. Die Kameragenerationen danach brachten mit dem Autofokus die andere wichtige Automatik. Bei den heutigen Digitalkameras ist natürlich kein extra Belichtungsmesser mehr eingebaut, das Signal kommt vom Bildsensor selbst, aber die damals entwickelten Logiken gibt es immer noch: Die meisten Kameras heute bieten die Wahl zwischen Zeit- Blenden- oder Programmautomatik, aber auch mittenbetonter, Spot- oder Mehrfeld-Messung. Drehspulelemente oder eingeklemmte Messnadeln gibt es natürlich nicht mehr und manchmal ist auch heute noch der Fotograf die bessere Automatik.
"manchmal ist auch heute noch der Fotograf die bessere Automatik"
AntwortenLöschenDieses "noch" stört mich etwas: gerade heute, mit den spiegellosen Kameras, wo ich im Sucher bzw. Display ziemlich genau das Ergebnis schon vorher (bzw. kurz darauf bei Blitz-Aufnahmen) beurteilen kann, macht manuelle Belichtung oft erst richtig Sinn, perfekt wird das ganze mit Tethering auf einen kalibrierten Monitor im Studio...
Ausgezeichnete Fotos;)
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