Das ist er also: der Urahn aller zweiäugigen Spiegelreflexkameras (englisch: TLR für Twin Lens Reflex) für Rollfilm. Das Prinzip mit dem Spiegelsucher inkl. Mattscheibe, extra Objektiv und Einblick von oben stammt
schon aus dem Ende des 19. Jahrhunderts und wurde damals von einigen klobigen Plattenkameras verwendet. Auch die junge Firma Franke&Heideke in Braunschweig verwendete ab 1921 es für ihre Stereokameras mit dem Namen Heidoscop (von Heideke und Stereoscop). 1926 brachte man das Rolleidoscop auf den Markt, richtig: eine Sterokamera für Rollfilm. Da war der Weg nicht mehr weit zur Rolleiflex, wie die Kameras nach diesem Prinzip von F&H seit dem heißen (
ja, sie werden immer noch gebaut!).
Wie ich schon angekündigt hatte, habe ich begonnen, das Schätzchen vorsichtig zu restaurieren. Bisher habe ich mich auf das wesentliche beschränkt und erst einmal den Schmutz entfernt, der sich im Laufe der Jahrzehnte auch im Inneren der Kamera angesammelt hatte. Dazu wurde die Kamera vorsichtig zerlegt. Das ist erfreulich einfach, was bei der recht simplen Konstruktion auch nicht wirklich wundert. Schwierigster Part war das Entfernen des alten verharzten Schmierfetts aus den Scharfstellgetrieben. Ich habe es durch frisches Kettenschmierfett ersetzt, jetzt dreht und schiebt sich alles wieder wie früher.
Verharztes Öl war wohl auch für Fehlfunktionen des Verschlusses verantwortlich, insbesondere die längeren Zeiten waren viel zu lang oder blieben schlicht offen hängen. Nach Entfernen des Objektivs (man kann jeweils die Front- und die Hinterlinsen recht einfach abschrauben) habe ich den Verschluss und die Blende freigelegt. Gereinigt wird dann mit jeder Menge Isopropanol und Leichtbenzin. Ich habe die Lösungsmittel mit einer kleine Spritze appliziert, den Verschluss (oder die Blende) mehrmals ausgelöst bzw. bewegt und dann die überschüssige (und dreckige) Flüssigkeiten wieder mit (ettlichen) Wattestäbchen aufgesogen. Und was soll ich sagen: Es flutsch wieder. Mein
Verschlusszeitentester attestiert meinen Bemühungen Erfolg und ich war selbst sehr überrascht, wie genau die Zeiten dieses Opa-Verschlusses immer noch sind (siehe Diagramm).
Die nächsten Restaurierungsstufen erfordern mehr Aufwand und ich weiß noch nicht, ob ich das wirklich machen soll: Neuer Lack hier und da und das Leder erneuern oder zumindest neu ankleben. Der Einstellscheibe fehlt eine Ecke, man könnte sie gegen eine neuere und hellere austauschen, oder den halb blinden Spiegel erstzen. Mal sehen. Was ich als nächstes wohl mache:
einen Film damit verknippsen...
Datenblatt |
Zweiäugige Spiegelreflex (6x6) Rolleiflex Mod. 612 |
Objektiv |
Carl Zeiss Jena Tessar 75mm f/3.8 (Nr. 1104279), Sucherobjektiv: Heidoscop-Anastigmat 75mm f/3.1 (Nr. 62907, interne Nr. 17241) |
Verschluss |
Compur Zentralverschluss (F. Deckel-München), 1-1/300 s, B, T. Blendenreihe f/3.8 - f/32, Serien-Nummer: 2183632 |
Fokussierung |
TLR, Fokussierung durch Verschieben der gesamten Frontplatte mittels seitlichem Drehknopf, Naheinstellgrenze 2m. |
Sucher |
Einfache Mattscheibe, Einblick von oben auf aufrechtes aber seitenverkehrtes Sucherbild, einschwenkbare Sucherlupe. |
Blitz |
kein Synchronanschluss. |
Filmtransport |
Rollfilm 117, umgebaut auf 620, Drehknopf, kein mechanisches Bildzählwerk (rotes Fensterchen für Zählung auf Rückseitenpapier hinten). |
sonst. Ausstattung |
ISO-Gewinde für Drahtauslöser, Stativgewinde |
Maße, Gewicht |
ca. 130/83/96 mm, 722 g |
Baujahr(e) |
Januar 1929 - Februar 1932, dieses Modell (Serien-Nr. 63752, interne Nr. 16273) vermutlich Juni/Juli 1930, ca. 35,000 Exemplare in den vier Ausführungen (611, 613: f/4.5; 612, 614: f/3.8, ab ca. August 1930 613/614 mit klappbarer Rückwand) |
Kaufpreis, Wert heute |
1929: US$85, 1850 Franc oder 225 RM, heutiger Wert je nach Zustand ca. US$100 bis US$500 |
Links
| aCyclopsEye, Rolleiclub, Early Photography, Thread auf apug.org, Camera-Wiki |
Bei KniPPsen weiterlesen |
meine TLR-Sammlung, Rolleicord V, Rollei 35, Rolleiflex SL26, Rollfilm 620, Paul Rudolph (Tessar) |