2021-10-14

Rolleicord V




Eigentlich gehören zweiäugige Spiegelreflexkameras (Twin Lens Reflex, TLR) nicht in mein Beuteschema (diese Ausnahmen bestätigen die Regel ;-). Die schöne Rolleicord V habe ich neulich zum Geburtstag geschenkt bekommen und ihr gebührt natürlich ein Platz in meiner Sammlung und ein ordentlicher Beitrag hier. Sie stammt aus dem Nachlass eines ehemaligen Lehrers, der sie als junger Mann ca. 1955 gekauft und wohl bis in die 1980er Jahre hinein verwendet hat. Jedenfalls zeugte noch der Rollfilm davon, den ich im Inneren noch gefunden habe (war nichts drauf, siehe Verschlussdefekt unten).

Rollei, oder wie sie damals noch hießen: Franke & Heidecke aus Braunschweig hatten 1929 mit ihrer Rolleiflex den TLR-Standard gesetzt, der von vielen Kameraherstellern kopiert, aber auch von F&H selbst immer weiterentwickelt wurde. Schon 1933 kam die günstigere Rolleicord als Alternative, um selbst mit der Rolleiflex an der technologischen Spitze zu bleiben, aber den Wettbewerbern nicht den günstigeren Massenmarkt komplett zu überlassen. Die Rolleiflex hatte ab der 2. Version (1932) ihren berühmten Schnellschalthebel (die "Kurbel", engl. "Crank") für gleichzeitigen Filmtransport und Verschlussaufzug und andere technische Neuerungen an Bord. Mit etwas Verzögerung fanden viele dieser Features auch ihren Weg in eine neue Rolleicord Version, die Kurbel blieb aber bis zum Schluss alleine der Rolleiflex vorbehalten.


Rolleicords wurden von 1933 bis 1977 gebaut. Sammler unterscheiden heute insgesamt 19 Modelle. Diese Version V (1954-1957) war tatsächlich Variante Nummer 14 und hatte als bestes Erkennungsmerkmal den großen Scharfstellknopf auf der rechten Kameraseite, frühere Versionen hatten einen kleineren Knopf, spätere den großen auf der linken Kameraseite. Ansonsten war sie sehr gut ausgestattet (siehe Tabelle unten) und alle nachfolgenden Modelle brachten nur noch kosmetische Änderungen oder Erleichterungen bei der Bedienung.

Mein Exemplar hatte nach Jahrzehnten der Nichtbenutzung leider durch (zu viel) verharztes Öl verklebte Verschlusslamellen. Der Verschluss ließ sich zwar spannen und auslösen. Die Lamellen zuckten dabei kurz, öffneten aber nicht mehr. Ich habe mich also kurzerhand daran gemacht, das wieder zu beheben. Dazu habe ich die Kamera soweit wie auf dem Bild links zu sehen zerlegt und mit ein paar Tröpfchen Waschbenzin, die man gleich danach wieder wegtupft, das überschüssige Fett entfernt. Dabei immer wieder bei allen möglichen Zeiten auslösen und die Prozedur wiederholen bis alles wieder wie gewünscht läuft. Neues Öl sollte man sich lieber sparen. Wer das nachmachen möchte: eine Anleitung gibt es hier

 Insgesamt wurden im Laufe der 44 Produktionsjahre mehr als 450,000 Rolleicord produziert. Natürlich ist sie auch millionenfach kopiert worden. Die erfolgreichste Kopie ist vermutlich die Seagul 4B-1, sie war 1987 meine erste Mittelformatkamera. 
Im Gegensatz zur Rolleiflex, die noch bis in die 2010er Jahre gebaut wird (immer noch??) und bei Profis und Sammlern Käufer findet, wird die Produktion der Rolleicord 1977 eingestellt. Ihre Zielgruppe, der Fotoamateur, hatte sich endgültig der Kleinbildkamera zugewandt.

Datenblatt TLR, zweiäugige Spiegelreflexkamera (6x6 cm auf Rollfilm 120)
Objektiv Schneider  Xenar 75 mm f/3.5 (Tessar-Typ 4 Linsen in 3 Gruppen, #4040280) , Sucherobjektiv Heidosmat 75 mm f/3.2 (#40014).
Verschluss Synchro-Compur MXV, B-1-2-4-8-15-30-60-125-250-500 (1/s), Verschluss muss separat vom Filmtransport gespannt werden. Es gibt eine Doppelbelichtungssperre, die per Hebel aufgehoben werden kann. (interne Seriennummer 1320328).
Belichtungsmessung keine, EVS-System, damit einfache Übertragung von einem Handbelichtungsmesser.
Fokussierung mit großem Stellrad auf der rechten Kameraseite, kürzeste Entfernung 90 cm
Sucher Spiegelreflex-Lichtschachtsucher mit Mattscheibe (aufrechtes, aber seitenverkehrtes Bild), ausklappbare Sucherlupe. Optional zum Durchsicht-Sportsucher umzubauen.
Blitz Anschluss über PC-Buchse, umschaltbar M und X.
Filmtransport Mit Drehrad auf der rechten Kameraseite, Transport arretiert nach einem Bildvorschub, Bildzählwerk.
sonst. Ausstattung Bajonette an beiden Objektiven für die Aufnahme von Filtern oder Sonnenblenden, Drahtauslöseranschluss, Stativgewinde 3/8‘‘, auswechselbarer Rückwand, Belichtungstabelle, Filmtyp Merkscheibe.
Maße, Gewicht 97x99x142 mm, 830 g
Baujahr(e) 1954-1957, circa 84.000 Exemplare. Seriennummernbereich 1500000-1583xxx.  Diese #1514235 (1954).
Kaufpreis, Wert heute ca. 350 DM (1954), 100-200€ je nach Zustand.
Links User manual, Rolleiclub, Camera-Wiki, Antiquecameras.net, Collectiblend, Reparaturanleitung

1 Kommentar:

  1. Moin! Ja, ich hatte auch einmal 3 oder 4 Seaguls´s... Im Gegensatz zu den grandiosen Rollei´s war die Qualität der Seagulls aber wirklich nicht toll... Jede der Kameras Kameras hatte - nach kurzer Zeit - gravierende Fehler... Ich habe dann alle Kameras (nach zweimaligem Umtausch) zurück gegeben. Ich habe mir dann lieber noch zwei weitere (natürlich gebrauchte) Rollei´s gekauft - diese haben dann immer wunderbar funktioniert (später gabe ich dann zu einem Hassy-Clone aus Japan gewechselt und die Rollei´s verkauft)....

    AntwortenLöschen