Meine 3x4-Kamerasammlung wächst weiter, die Nagel Vollenda 48 ist schon die elfte dieser
Halbformatkameras für den 127er Rollfilm, sowie die neunte aus deren
kurzer Blütezeit um 1931. Es ist schon die zweite aus dem Dr. August Nagel Kamerawerk in Stuttgart. Die erste war die
Pupille, die auch 1931 kurz vor der Vollenda auf den Markt kam. Beide spielen trotz einiger Gemeinsamkeiten in verschiedenen Ligen. Die Pupille ist mit ihrem großen und präzisem Schneckengang, dem hochwertigen Leitz Elmar und dem Compurverschluss ein super-kompaktes Stück Messing für den gehobenen Foto-Amateur. Die direkte Wettbewerberin hieß Leica! Die Vollenda 48 hingegen war (in der hier gezeigten Ausstattung) auch preislich der Einstieg in die Kleinfilm-Klasse. Mit ihrem Aluminiumblech-Gehäuse, dem einfachen Pronto-S Verschluss und dem dreilinsigen Radionar mit Frontlinsenfokussierung kostete sie weniger als ein Drittel der Pupille und sollte die Massen ansprechen, auch als Immerdabei-Zweitkamera wurde sie beworben.
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Die beiden ungleichen 3x4 Schwestern aus dem Nagel Kamerawerk. Links die Vollenda 48 konkurrierte in dieser Einfachausführung um den Einstieg in diese Kameraklasse, während die Pupille rechts die Spitzenposition in dieser Kleinfilm-Kameraklasse beansprucht. |
Fairerweise muss man erwähnen, dass es auch von der Vollenda besser ausgestattete Varianten gab. Mit einem Zeiss Tessar oder einem Elmar und Compur-Verschluss kam auch diese Kamera preislich in den Bereich der Pupille (siehe Porst Katalogseite von 1932 unten). Gut fotografieren konnte man (und kann ich immer noch!) mit beiden.
Über mein Exemplar, was ich günstig erwerben konnte, bin ich sehr glücklich. Es ist für seine 90 Jahre extrem gut in Schuss und gehört nach meiner Analyse zu den ersten Kameras des Modells. Neben den Seriennummern von Objektiv und (ggf.) Compur-Verschluss tragen die Nagel-Kameras im Inneren eine eigene Gehäuse-Seriennummer (118442 in meinem Fall, meine Pupille hat die 90563). Leider habe ich im Internet zur entsprechenden zeitlichen Einordnung nichts richtiges gefunden, daher habe ich mich selbst an die Arbeit gemacht.
1928 |
< 3000 |
1929 | 3,000 - 20,000 |
1930 |
20,000 - 80,000 |
1931 |
80,000 - 148,000 |
1932 |
148,000 - 168,000 |
1933 |
168,000 - 380,000 |
1934 |
380,000 - 650,000 |
1935 ff |
> 650,000 |
vorgeschlagene Seriennummern-Sequenz für Nagel und (ab Mitte 1932) Kodak/Nagel-Kameras |
Ich habe also im Netz Fotos und Informationen zu Nagel -Kameras und insbesondere zur Vollenda 48 gesucht und insgesamt zu 33 Vollenda 48 Gehäuseseriennummern plus weitere Nummern vom Compur-Verschluss und/oder dem Objektiv gefunden. Damit gelingt die zeitliche Einordnug ganz gut. Daher möchte ich hier eine (vorläufige) Seriennummernsequenz (siehe Tabelle links) vorschlagen. Die Daten von vor 1931 stammen von anderen Nagel Rollfilm und Plattenkameras; hier bin ich allerdings noch dran, die Datenbasis zu vergrößern.
Die älteste Vollenda 48, die ich gefunden habe, trägt die 115369 (Compur #2400080), ausgestattet mit einem Schneider Radionar f/3.5, das leider seine Seriennummer am Hinterlinsenglied hat. Meine war also die zweit-älteste!
Interessanterweise stammen 20 von den 33 gesichteten Exemplaren von 1931, was tatsächlich die Hauptproduktionszeit der Kamera gewesen sein muss. Dies deckt sich recht gut mit meinen anderen Beobachtungen und Schlussfolgerungen über die gesamte 3x4-Kameraklasse. Aus dem Wirtschaftskrisenjahr 1932 stammten nur 3 Kameras, darunter mit der Nummer 154767 die erste, die ein Kodak- statt des Nagel-Schildchen über dem Objektiv ziert. August Nagel hatte bekanntermaßen seine Firma 1932 an Kodak verkauft, blieb aber danach weiterhin Geschäftsführer der deutschen Produktion und war auch an der weiteren Entwicklung maßgeblich beteiligt. Dem Jahr 1933 konnte ich 4 Vollenda 48 Kameras zuordnen (Seriennummern um 170,000). Die Jahre 1934 und 1935 standen wohl ganz im Zeichen der neuen Retina,
deren Seriennummern woanders ganz gut dokumentiert sind, hier aber ins Schema passen. Schließlich gab es wohl eine letzte Vollenda 48 Serie im Jahre 1936, alle davon mit Compur Rapid Verschluss und dem Schneider Radionar f/3.5. Deren Seriennummern beginnen mit 956xxx und wurden alle in den USA gesichtet (
z.B. diese hier von Mike Eckman).
Es gibt übrigens zwei Varianten der Kamera,
über deren Unterschiede ich hier schreibe. Frühe Kameras (bis ca. Seriennummer 126xxx) haben denselben Knopf wie die Pupille (siehe Fotos), alle späteren Vollendas haben einen "Schlüssel", wie auch die anderen Vollenda Kameras für größere Bildformate.
Interessant ist auch die Verteilung der Objektive unter den gesichteten Kameras: Über die Hälfte hatte ein Schneider Radionar (meist f/3.5), nur eine einzige ein Xenar. Zeiss Tessare habe ich 4 mal gesichtet, davon nur eines mit f/2.8 (die anderen f/3.5). Sehr häufig zu finden (36%) war allerdings das Leitz Elmar f/3.5. Hier vermute ich aber, dass diese Kameras von der Leitz/Leica Fan- und Sammlergemeinde bevorzugt dokumentiert und gehandelt werden und daher in meiner Stichprobe überproportional auftauchen.
Auf eine Besonderheit meines Exemplares bin ich noch gestoßen, man kann dies auf den Fotos erkennen. Auf das Hinterlinsenglied im Inneren der Kamera ist eine leicht rötliche plane Glasscheibe mit drei Tropfen Kleber geklebt. Wohl eine nachträgliche Modifizierung, ein UV-Filter? Ich würde mich sehr über Kommentare (s. unten) oder auch e-mails (knippsen (at) icloud.com) zum Thema freuen. Insbesondere sammele ich natürlich weiterhin Seriennummern von Nagel Kameras, um meine Zuordnung weiter zu verfeinern. Immer her damit!
Datenblatt |
Faltbalgenkamera für 3x4 cm Negative auf Rollfilm 127. Nagel Vollenda 48, Version 1.
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Objektiv |
Schneider Radionar 5 cm f/4.5, auch mit Radionar f/3.5 oder Xenar f/3.5, Leitz Elmar f/3.5 oder Carl Zeiss Tessar f/3.5 oder f/2.8 erhältlich. |
Verschluss |
Pronto -S (T-B-100-50-25), selbstspannend mit Selbstauslöser. Die meisten Kameras wurden mit dem Compur 300 verkauft, späte Versionen auch mit dem Compur-Rapid. |
Fokussierung |
Mit dem Radionar f/4.5 durch Verstellung der Frontlinse. Alle anderen Objektive über Schneckengang und Verschieben des gesamten Objektivs. |
Sucher |
in dieser Version einfacher Aufklappsucher. Höherwertige Versionen haben einen optischen Aufklappsucher. |
Filmtransport |
Mittels Drehknopf (früher Version) oder Drehschlüssel (ab ca. Ende 1931), doppeltes rotes Bildnummern-Fenster für Halbformat |
sonst. Ausstattung |
Stativgewinde 3/8'', Anschlussgewinde für Drahtauslöser |
Maße, Gewicht |
ca. 33x76x110 mm (zusammengeklappt), 302 g |
Baujahr(e) |
1931-1933 und 1936, ab 1932 als Kodak Vollenda 48. Insgesamt ca. 43,000 Exemplare, davon ca. 30,000 im Jahr 1931. |
Kaufpreis, Wert heute |
in dieser Version 42.50 RM, mit Tessar f/2.8 bis zu 129 RM. Wert heute je nach Zustand und Ausstattung 50-150 € |
Links |
Camera-Wiki, UKCamera (Archiv), Living Image, Blende und Zeit Forum |
Bei KniPPsen weiterlesen |
Version 2 und Unterschiede, August Nagel, Nagel/Kodak Vorkriegsproduktion in Zahlen, Kodak Vollenda 620, 3x4-Kameras von 1931, Nagel Pupille, Compur Seriennummern, 127 Film |
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Die Nagel Vollenda 48 im Photo Porst Katalog von 1932 |
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Kodak Vollenda Anzeige (1933) für den amerikanischen Markt |