2021-04-15

Beira

Eine frühe Kleinbildkamera für 35 mm Film gehört ab sofort zu meiner wachsenden Sammlung auf diesem speziellen Gebiet. Die Beira von der Kamerafabrik Woldemar Beier in Freital/Sachsen ist technisch gesehen ein interessanter Zwitter zwischen verschiedenen Konzepten und zeigt an ihrer eigenen Entwicklung innerhalb weniger Jahre sehr schön, wohin die Reise ging: letztlich zur Kleinbildkamera für die 135er Patrone, wie wir sie alle kennen.
Die Beira wurde als günstigere Alternative zur Leica auf der Frühjahrsmesse 1931 vorgestellt. Viele Kamerahersteller hatten deren Erfolg am Markt zum Anlass genommen, eigene Kleinbildkameras zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Die meisten waren Faltbalgenkameras für das Format 3x4 cm auf 127er Rollfilm (darüber habe hier ich schon einiges geschrieben). Die Beira gehörte allerdings zu den wenigen, die sich an den 35 mm Film und das kompliziertere Handling ohne Rückseitenpapier trauten. Allerdings belichtete auch die Beira 3x4 cm (exakt nachgemessen: 30 x 38.5 mm) auf (natürlich dann:) unperforierten 35 mm Film. Den konnte man damals als Meterware in geschlossenen Blechdosen erwerben und ihn selbst (in der "Dunkelkammer") konfektionieren (1,60m ergeben 36 Aufnahmen) und in die (nicht lichtdichte!) Patrone füllen, oder das Ganze den Fotohändler machen lassen. 
Der Blick in die offene Kamera lässt einen noch rückblickend mit dem Kopf schütteln. Der Film wurde ausgehend von der kernlosen Vorratspatrone über eine Gummiwalze geführt, die bei meinem Modell nach 90 Jahren arg brüchig, ausgetrocknet und damit funktionslos ist. Auf der linken Seite der Kamera wird aufgespult. Hierfür soll es statt der einfachen, offenen Spule auch aufnehmende Kassetten gegeben haben. Vorgespult wird nach jeder Aufnahme mit dem Drehknopf links oben, dabei dreht sich die Gummiwalze und mit ihr der kleine Zeiger des Bildzählwerks. Wenn der wieder auf das Zählwerk zeigt, heißt es aufhören zu drehen. 
Eine mechanische Sperre für den korrekten Filmvorschub gibt es genauso wenig wie gleichzeitiges Spannen des Verschlusses oder eine Doppelbelichtungssperre. Da war die Leica schon viel weiter, allerdings auch deutlich teurer!  Auch eine Rückspulmöglichkeit gibt es nicht, der Film muss also im Dunkeln direkt in die Entwicklerdose. Wirklich benutzerfreundlich war das nicht. Allerdings gab es sogenannte Tageslichtkapseln, siehe die Porst-Katalogseite unten. Das Filmhandling und die Verwendung des unperforierten 35mm Films ist das eigentlich Spezielle an diesem Kleinbildpionier. Alles andere war damals Standard und die Beira unterscheidet sich nicht sehr von ihren vielen 3x4 Wettbewerbern: Verschlüsse waren entweder der einfache Pronto oder ein Compur, die 5 cm Objektive kamen meist von Meyer in Görlitz oder Rodenstock. Die federgespannte Spreizenkonstruktion poppte auf Knopfdruck das Objektiv in die Fotoposition, sanfter Druck ließ es wieder fast komplett im Gehäuse verschwinden. 

Das hier vorgestellte Urmodell wurde in dieser Form wohl nur 1931-1932 produziert. Nach Kadlubek sollte es erst Beika heißen, wurde dann aber (vermutlich wegen der Nähe zu Leica?) in Beira umbenannt. Trotz intensiver Suche im Internet ist es mir aber nicht gelungen, irgendwelche Belege dafür zu finden. Weder gibt es ein Bild oder Foto, noch eine Anzeige oder sonstige Broschüre von bzw. mit Beika. Wer derartiges hat, bitte melden! Ich bin daher geneigt zu glauben, dass es nur eine Ankündigung war oder vielleicht sogar eine Fehlinformation ist. Keine Beika Kamera dürfte in irgeneiner Sammlervitrine stehen, sonst wäre die Szene schon durchgedreht.
Ab ca. 1933 gab es dann Modellpflege und ein Upgrade erschien in Form der Beira Ia. Bei dieser wurde die Gummiwalze durch die bekannte Zahnradwelle für (jetzt) perforierten 35 mm Film ersetzt und natürlich das Bildformat auf 24x36 mm reduziert. Die Kamera akzeptierte nun die auch für andere Kameras verwendeten 35 mm Kassetten, auch wenn diese noch nicht der 135er Norm entsprachen (die kam erst mit der Kodak Retina 1934). Außerdem hat die Ia nun einen fest montierten optischen Fernrohrsucher, an dem sie sich leicht erkennen läßt. 
Auf dieser Basis kam 1935 dann das Spitzenmodell Beira II, oder auch Beira Okula genannt. Diese hatte neben dem normalen Sucher einen gekoppelten Entfernungsmesser mit Prisma an Bord, beides zusammen in einem Gehäuse auf der Oberseite der Kamera, das ihr fast die Anmutung einer SLR mitgibt. Die Okula gab es auch mit dem Compur Rapid und in der Topausstattung mit einem Schneider Xenon 4.5 cm f/2. Sammler zahlen für sowas in gutem Zustand mehr als 1000 €. Ich bin allerdings froh, hier ein sehr frühes Basismodell von 1931 relativ günstig ergattert zu haben. Ich weiß noch nicht, ob ich es in der Vitrine zu den 3x4 Kameras oder zu den anderen frühen Kleinbildkameras (Leica, Contax, Retina, Dollina, Welti, ...) stellen soll...?

Datenblatt Frühe Kleinbildkamera für unperforierten 35mm Film (Bildformat 3x4 cm)
Objektiv Rodenstock Trinar 5cm f/4.5 (Triplet). Kamera war auch mit Meyer Trioplan (bis f/2.9) oder Schneider Xenar f/3.5 erhältlich.
Verschluss Pronto, T-B-100-50-25, auch mit Compur T-B-1-2-5-10-25-50-100-300 erhältlich.
Fokussierung Per Frontlinsenverstellung, kürzeste Entfernung 0.5 m
Sucher großer optischer Aufklappsucher. 
 Filmtransport mit Drehknopf, drehender Metallpfeil am Bildzählwerk dient zur einzigen Orientierung. Rückspulen nicht vorgesehen. 
sonst. Ausstattung Selbstauslöser und Drahtauslöser-Gewinde am Pronto. Stativgewinde 3/8‘‘
Maße, Gewicht 130 x 62 x 40/60 (geschl./offen), 393 g (inkl. Patrone)
Baujahr(e) 1931-1933, diese hier laut Objektiv-Seriennummer (470356) von 1931. Vermutlich nur wenige tausend Exemplare. 
Kaufpreis, Wert heute je nach Objektiv und Verschluss 48 bis 110 RM (1932), heutiger Wert je nach Zustand 200-400 € (siehe auch Collectiblend.com)
Links CJ‘s Classic Camera Collection, Camera-Wiki, Kamerafarbik Woldemar Beier (Wikipedia), Corsopolaris (frühe 24x36 Kameras), Thomas Knorre‘s Beier-Seite

2021-04-07

Weltini II

In den letzten Jahren vor dem zweiten Weltkrieg etablierte sich eine Kameraklasse von hochwertigen Kleinbildkameras für den jungen "Kinofilm in der Tageslichtpatrone" wie der 135er Film damals noch genannt wurde. Ich meine nicht die sehr teuren Leica III oder Contax II, die sicherlich die Sperspitze der technischen Entwicklung repräsentierten, sondern Kleinbild-Kameras für (fast) jedermann. Dieses Ziel wurde erst nach dem Krieg in den 1950er und insbesondere 1960er Jahren erreicht. Erste Designelemente der erfolgreichen Nachkriegskameras tauchen aber schon vor dem Krieg auf. Ich halte die Welta Weltini für ein besonders gutes Beispiel einer solchen Kamera, die mit ihrer modernen Gehäuseform in Zukunft wies, allerdings auch manch einen technischen Anachronismus noch mit sich herumtrug. Weltini's schärfste Konkurrentin war Kodak's Retina II, die nicht ganz so futuristisch aussah, allerdings die modernere von beiden war.
An diesem Bild oben und am Vergleich mit ihrer "kleinen Schwester" Welti kann man viel ablesen. Mit ihr teilt die Weltini nämlich das Gehäuse, den Filmtransportmechanismus und einiges weitere. Dazugekommen ist neben ein paar Kleinigkeiten der gekoppelte Entfernungsmesser. Weil dieser aber an die ehemalige Unterseite der Kamera geschraubt wurde, wich das Stativgewinde auf die Oberseite. Dadurch ist an ihr fast alles andersherum, verglichen mit den meisten Kameras ihrer Zeit. Die Frontklappe klappt nach links, der Gehäuseauslöser (!) muss mit dem linken Zeigefinger gedrückt werden. Die Rückwand öffnet sich nach links, genauso läuft der Film quasi falsch herum von rechts nach links. Der Drehknauf zu dessen Transport sitzt links unten, die meisten Menschen werden die Kamera zum Filmtransport umgedreht haben. 
Die Weltini existiert in 2 Varianten. Bei der ersten (1937-1938) hatte der Entfernungsmesser lediglich eine kantige Kappe (siehe Porst Katalog unten) und stand auch noch auf recht hohen Drehknöpfen. Erst diese überarbeitete Version II bekam 1938 dann die futuristische Gehäusekappe und flache Drehknöpfe. Technisch unterscheiden sich die beiden sonst nur in kleineren Detailverbesserungen. Verzichtet wurde komplett auf den Zuberhörschuh. An Blitzgeräte dachte damals noch niemand und der Entfernungsmesser war ja schon eingebaut! Dafür gab es (damals und bis in die 60er hinein selten!) Ösen für einen Kameragurt. Den brauchte man aber auch, denn die Weltini ist nicht gerade klein und mit 652g recht schwer. 
Wieviele Weltinis gebaut wurden lässt sich mangels eigener Gehäusenummer und sonstiger Informationen nicht wirklich nachvollziehen. Von ihrer größten Konkurrentin Retina II wurden vor dem Krieg ca. 71,000 Stück verkauft. So viele werden es bei der gleich teuren, aber etwas komplizierteren Weltini nicht gewesen sein (Ich schätze mal die Hälfte davon). Es gab auch noch die etwas preiswerteren Balda Super Baldina und Certo Dollina III, sowie die teuren Zeiss Ikon Kameras Super Nettel 1 und 2 (4500 Stück) und Nettax (3000 Stück).

Datenblatt Kleinbild-Faltbalgenkamera mit Messsucher
Objektiv Schneider Xenar 5 cm f/2.8 (#1569040, 1939), auch erhältlich mit Schneider Xenon 5 cm f/2, Carl Zeiss Tessar 5 cm f/2.8 und (selten) auch Leitz Elmar f/3.5.
Verschluss Compur Rapid (B-1-2-5-10-25-50-100-250-500), #5972016, 1938
Fokussierung mit Schneckengang, Verschiebung des gesamten Objektivs, gekoppelter Messsucher mit 4 cm Basis, Naheinstellgrenze 1 m. 
Sucher optischer Messucher mit eingespiegelter gelblicher Fokushilfe
Filmtransport Drehknopf auf Kameraunterseite mit separatem Entsperrknopf, Doppelbelichtungssperre, Rückspulen mit zweitem Drehknopf, Bildzählwerk (vorwärts) auf Kameraoberseite.
sonst. Ausstattung Ausklappständer für vertikale Aufnahmen, ISO-Drahtauslöser Gewinde, Stativgewinde 3/8'', Tiefenschärfetabelle, Gehäuseauslöser. Beim Einklappen des Objektivs wird das Objektiv auf unendlich zurückgestellt und der Auslöseknopf eingefahren. Trageösen für einen Kameragurt.
Maße, Gewicht ca. 84x126x40 mm (geschlossen), 652g
Baujahr(e) 1937-1938 (Typ I), 1938-1941 (dieser Typ II), diese hier von 1939. 
Kaufpreis, Wert heute 155 RM (1937, mit Xenar), 110 US$ (1938 mit Xenon), heute ca. 50-100€ je nach Objektiv und Zustand. Mit Leitz Elmar ca. 350€.
Links Camera-wiki, Camera manual (English), Photo-Analogue, Wikipedia
Bei KniPPsen weiterlesen Welta Welti, Vergleich KB-Balgenkameras der 1930er, Welta Gucki
Weltini (Typ 1) aus dem Photo Porst Katalog 
von 1937. In dieser Version kostete sie mit
155 RM genau so viel wie ihre direkte Konkurrentin
Kodak Retina II.

2021-04-01

King Regula Reflex 2000 CTL (Prototyp silbern)


Eine tolle Geschichte kann ich heute hier erzählen. Das Foto oben bekam ich gestern von einem Sammlerkollegen geschickt, der über meinen Artikel zur Regula Reflex 2000 CTL vom Februar 2016 gestolpert ist. Dort habe ich kess behauptet, dass es eigentlich nur das eine schwarze Modell der Kamera gibt und alle anderen Versionen (bis auf die Ringfoto oder Kalimar Vertriebsversionen) ins Reich der Mythen gehören. Dazu habe ich auch die silberne bzw. verchromte Version gezählt, die auf der Bedienungsanleitung abgebildet ist (siehe Bild links). 
I can tell a great story here today. I got the photo above yesterday from a collector friend who stumbled upon my post about the Regula Reflex 2000 CTL from February 2016. There I made the breezy statement that there exists only one black model of the camera and that all other versions (except for the Ringfoto or Kalimar distributor branded versions) belong in the realm of myths. I also called the silver or chromium version shown on the operating instructions (see picture on the left) a myth.

Das Foto oben beweist es: Es gibt zumindest diese eine Kamera in silbern, die vermutlich ein früher Prototyp ist. Es gibt nämlich keine eingestanzte Seriennummer, sondern an deren Stelle an der inneren Rückwand lediglich eine eingeritzte "5". Interessant in diesem Zusammenhang auch die Seriennummer des Steinheil-Objektivs, das sich damit nach 1965/1966 datieren lässt (also deutlich vor der eigentlichen Vermarktung der Kamera).
The photo above proves it: There is at least this one camera in chromium finish, which is probably an early prototype. There is no stamped serial number, just a scratched "5" on the inner rear door instead. Also interesting in this context is the serial number of the Steinheil lens, which can be dated to 1965/1966 (i.e. well before the camera was actually marketed).

Aber das Beste kommt noch: Der Kollege hat diesen Prototyp 2009 von einer Dame in Bad Liebenzell (Sitz des ehemaligen Kamerawerkes King&Bauser) geschenkt bekommen als er (erfolglos) dort auf der Suche nach jemandem war, der seine defekte schwarze Regula Reflex reparieren könnte. Glück muss man haben!
But the best is yet to come: The friend received this prototype in 2009 from a lady in Bad Liebenzell (headquarters of the former camera factory King & Bauser) when he was looking there (unsuccessfully) for someone who could repair his defective black Regula Reflex. You have to be lucky!

Ich jedenfalls werde meinen Artikel berichtigen bzw. ergänzen und hoffe auf vielleicht noch mehr Meldungen über andere silberne oder gar andere Varianten der Kamera (wie immer hier unten im Kommentar oder direkt per e-mail an knippsen (at) icloud.com). Danke an den Kollegen für das Foto und die tolle Geschichte dazu (und die Erlaubnis es hier zu veröffentlichen)!  
In any case, I will correct or add to my article and hope for maybe more reports about other chromium or any other variants of the camera (as always down here in the comment section or directly by e-mail to knippsen (at) icloud (dot) com). Thanks to the friend for the photo and the great story about it (and the permission to publish it here)!