2025-01-18

Orionwerk Rio 84A

Diese sehr gut erhaltene kleine Rollfilmkamera ist mein dritter "Fang" von der letzten Darmstädter Foto-Börse im Dezember. Ich hielt sie im ersten Augenblick für den mir noch fehlenden Krauss Rollette Typ 1, nach etwas Inspektion habe ich aber die Hersteller-Prägung entdeckt: ORIONWERK Akt.Ges. HANNOVER.

Vom Orionwerk hatte ich schonmal gelesen, eine Kamera von ihnen ist mir in all den Jahren, die ich jetzt schon sammele aber noch nicht untergekommen. Ein erster schneller Internet-Check hat auch nicht viel rausgeworfen. Da habe ich beschlossen, das mal zu ändern und habe (sehr günstig) zugeschlagen. 

Das Orionwerk war eine 1921 gegründete Aktiengesellschaft, die sich in Anzeigen als „ältestes und grösstes Kamerawerk Norddeutschlands“ auf das Gründungsjahr 1893 berief. Vorgängerfirmen waren Bülter & Stammer (1903-1921) sowie davor Glunz & Bülter (1893 - 1903). Hauptanteilseigner und langjähriger Geschäftsführer war seit 1913 Friedrich Augstein, der Vater des später bekannten Journalisten und Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein. 

Das Orionwerk produzierte hauptsächlich die in den 1920er Jahren vorherrschenden Plattenkameras in der üblichen Laufboden-Variante, aber auch verschiedene Rollfilmkameras. Es gab eine fast unübersichtliche Vielzahl an Modellen, die interessanterweise alle "Rio" hießen, gefolgt von einer Modellnummer und einem optionalen Großbuchstaben (A bis E). Die Buchstaben liefern einen Hinweis auf das Film- oder Plattenformat. Bei den Plattenkameras bedeutete B: 6.5x9 cm und C: 9x12 cm, bei den Rollfilmen A: 4x6.5 (127er), B: 5x7.5 (129er), C: 6x9 (120er), D: 6.5x11 (116er), E 8x10.5 (118er). 

Keine dieser Rio-Kameras hatte ein technisch herausstehendes Merkmal, noch wurde viel in Marketing und Vertrieb investiert, sonst würden wir heute über diese Kameras viel mehr wissen. In den 1920er Jahren konnte man wohl im allgemeinen Aufschwung mit dieser Geschäftspolitik noch überleben, doch die Weltwirtschaftskrise, die in Deutschland insbesondere das Jahr 1932 betraf, brach Orion das Genick. 1933 wurde Insolvenz angemeldet. Friedrich Augstein hatte das schon kommen sehen und seine Anteile bereits 1928 verkauft und in einen Fotohandel in Hamburg investiert.  
Diese Rio 84A war tatsächlich die kleinste Kamera aus dem Rio-Sortiment und zielte natürlich auf das von der Vest Pocket Kodak begründete Marktsegment, deren Film sie auch verwendet. Die relativ simple Spreizen-Konstruktion wurde von der C.P.Goerz Pocket-Tenax abgeguckt, findet sich aber auch bei anderen Herstellern (z.B. bei der oben erwähnten Krauss Rollette Typ 1). Daher würde ich die Kamera tatsächlich in die frühen 20er Jahre verorten, die einzige Quelle, die ich finden konnte, gibt mir mit 1924 Recht. Mein Exemplar ist für die 100 Jahre extrem gut erhalten und anscheinend voll funktionsfähig. Man findet sie (wie viele andere Rio-Kameras) sehr selten. Eine Schätzung der Produktionsmenge traue ich mir bei dieser Datenlage nicht zu, wer immer Informationen hat, bitte melden. Ich werde weiterhin die Augen offenhalten.

Datenblatt Rollfilm-Spreizenkamera 4x6.5 cm für Rollfilm 127
Objektiv Orionwerk Spezial-Aplanat 7.5 cm f/8, abblendbar auf f/32
Verschluss Alfred Gauthier Pronto Zentralverschluss, selbst-spannend. T-B-25-50-100
Fokussierung Fixfokus
Sucher Brilliant-Sucher (nur hochkannt) und aufklappbarer Rahmensucher mit Kimme.
Filmtransport mittels Filmschlüssel, rotes Rückseitenpapierfenster
sonst. Ausstattung ausklappbarer Standfuß für Hochformat-Aufnahmen, Drahtauslösergewinde. Kein Stativgewinde!
Maße, Gewicht 126 x 70 x ca. 30/80 mm (ein-/aus-geklappt), 360 g
Baujahr(e) ca. 1924, dieses Exemplar hat die Seriennummer #167328
Kaufpreis, Wert heute ??, ca. 100€
Links Camera-wiki, Wikipedia, Collectiblend, Photographica-World (Prospekt 1923)
Bei KniPPsen weiterlesen Vest Pocket Kodak, Picolette, Rolette, Roll Tenax, Rollfilm 127, Rollfilme (Übersicht)

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