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Erster Prototyp der Kamera, noch beschriftet mit "Gut und Mehr" |
Ich habe ihn doch noch gefunden, den langen
chinesisch-sprachigen Originalbeitrag, dessen grausige
Maschinenübersetzung kaum verständlich war. Ich hab ihn also nochmal per
Google Translate und auch Baidu Translate zunächst ins Englische übersetzt
(etwas besser), dann mit Hilfe von Hintergrundrecherche (u.a. Wikipedia) und
im Zweifel einem chinesischen Kollegen mich an eine deutsche Übersetzung
gemacht. Ich habe versucht, so nah wie möglich am Text zu bleiben, konnte
aber nicht immer ohne eigene Interpretation oder Umstellungen auskommen.
Manchmal habe ich Erläuterungen in eckigen Klammern eingefügt. Wer will kann
ja selbst im Original nachsehen ;-).
Also hier ist der Beitrag, im Original verfasst von 张雪松 (Zhang Xuesong) am
30.09.2009. Die Fotos habe ich auch von der Seite geklaut und hier neu
gepostet.
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Wu Anlu, stellvertretender Chefingenieur der heutigen Mingguang Photoelectric Company |
Geht man durch die Straßen von Chongqing und fragt nach der "Pearl River Photoelectric Company" schütteln die meisten Passanten den Kopf. Aber fragt man nach einer früheren Dritten-Front Fabrik Nr. 338 namens Mingguang (Helles Licht), weisen viele auf einen Ort im Nanping, sechster Distrikt. So habe ich den Weg zur Fabrik der Pearl River S-201 gefunden. Dort traf ich Wu Anlu, den stellvertretenden Chefingenieur der Firma, der mir zunächst eine Ausstellungsvitrine zeigte. Dort steht in relativ bescheidenen Zustand ein früher Prototyp der S-201, noch beschriftet mit "美多" ("Gut und Mehr") sowie eine nicht viel anders aussehende Pearl River S-201.
Die Frage nach der Pearl River Kamera lenkte Wu Anlu's Gedanken zurück zu
den frühen 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Er erzählte mir, dass der
Staat [China] mit der Dritten-Front-Bewegung [Industrialisierung des zentralen
Südwestens] in der Sichuan Provinz eine ganze Reihe verteilter und in den
Bergen versteckter Rüstungsfirmen gründete. Einige davon sollten
anspruchsvolle Instrumente produzieren und wurden die fünf "Licht" (光,
guang) Unternehmen genannt: Mingguang, Huaguang, Jinguang, Yongguang und
Xingguang ["Helles Licht", "China Licht", "Goldenes Licht", "Ewiges Licht"
und "Wohlstand Licht"]. Sie alle gehörten zur ursprünglich "Fünf Maschinen"
Abteilung und wurden dann dem Rüstungsministerium zugeordnet, dort zum
Südwest Artillerie Büro in Chongqing. Mit der Produktion von Gewehren,
Munition, Zielfernrohren, Flugabwehrraketen etc. leisteten diese Fabriken
einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung der chinesischen
Rüstungsindustrie. Wu Anlu erinnert sich noch gut an einen frühen
Selbstverteidigungskrieg, in dem die Vietnamesische Armee eine nicht kleine
Menge chinesischer Scharfschützengewehre geliefert bekam. Diese wurden von
Mingguang Technikern innerhalb kürzester Zeit durch erfolgreiches Kopieren
sowjetischer SVD Gewehre hergestellt. Dies zeigt gut, wie wichtig der
militärische Beitrag dieser Firmen war.
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Panorama aus den 1970ern, aufgenommen in den Huaying Bergen in der Gegend der alten Mingguang Fabrik |
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Eingang zur ursprünglichen Mingguang Fabrik in den 1970ern |
Nach einiger Recherche über die Geschichte der Dritten-Front-Bewegung habe ich folgenden Textabschnitt gefunden: Am 14. Februar 1973 traf sich die frühere "Fünf-Maschinen" Abteilung zu einer Besprechung in Beijing, wo festgelegt wurde, dass einige optische Fabriken in der Huaying Gegend der Sichuan Provinz zusammen eine Kamera entwickeln und produzieren sollen. In einer weiteren Kamera Kooperationsbesprechung im März des selben Jahres in Beijing wurde dem Vorschlag zugestimmt, die Shanghai Seagull DF-Kamera [Minolta Lizenz] als technische Basis zu verwenden, aber zusätzlich zehn vorteilhafte Merkmale der japanischen Nikon F Kamera zu verwenden. Außerdem wurde eine der Dritten-Front Fabriken zum Entwicklungszentrum dieser modifizierten Kamera bestimmt.
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Chronik der Mingguang Fabrik, eine wichtige Quelle meiner Recherchen |
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Dieser Namenswechsel verwirrt viele Kamerasammler, denn Pearl River ist eigentlich eine Marke der Guangzhou Kamerafabrik [im Süden Chinas, wo der Zhujiang, der Perlfluss ins Meer mündet], die in den 1960er Jahren begannen ihre 120er Rollfilmkameras so zu nennen (z.B. die Pearl River 60-I, und 60-II, 1967: Pearl River 4, 1970er Jahre: Pearl River 7) und wurden damit bekannt. Wie auch immer kamen jetzt die Mingguang Fabrik und die anderen kleinen Rüstungsfirmen aus China's südwestlicher Bergregion [ca. 1400 entfernt vom Perlfluss] auf die Idee, ihre KB-Spiegelreflex genau so zu nennen?
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Mit dieser durchaus wichtigen Mitgift der damaligen Situation begann also die Kommerzialisierung der Pearl River SLR Kamera. Doch der Ertrag der ersten Jahre ist nicht groß. In der Chronik fand ich folgende Produktionszahlen: 1975 bis 1976 (Versuchsproduktionsphase) verlassen nur ca. 50 Kameras das Werk, viele mit improvisierten und manuell hergestellten Teilen. Erst 1977 ist die ganze Produktionskette komplett und Massenproduktion erreicht 705 Kameras (Der Industrialisierungsgrad kann nicht sehr hoch gewesen sein). Übrigens, die Chronik der Fabrik Nr. 338 nennt 1974 als Start der Produktion, daher sollte das "Jahrbuch Chinesischer Kameras" geändert werden, das 1972 als Geburtsjahr der Kamera ausweist.
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In der Geschichte der chinesischen Kameraproduktion ist so ein komplexes Produktionsnetzwerk mit entsprechender Arbeitsteilung einzigartig und konnte nur mit dem hohen Grad von Einigkeit, der individuellen technischen Stärke sowie einem relativ strengen militärischen System erreicht werden. Wu Anlu sagte, dass all das in den Huaying Bergen und den dort ansässigen Präzisionsinstrumentfabriken zu finden war. Die Kenntnisse von optischen Prozessen bis zur feinmechanischen Montage konnten von Militärtechnik auf die Kameraproduktion übertragen werden; ein Riesenvorteil, der hervorgehoben werden muss. Und in der Tat hat die Pearl River S-201 davon enorm profitiert und einige Rekorde eingefahren: Zum Beispiel ist die optische Auflösung ein zentraler Indikator für die Leistungsfähigkeit der Kamera. Nach den Vorgaben der chinesischen Kameraindustrie (Standard 65) sollte das Auflösungsvermögen im Bildzentrum mindestens 37 Linienpaare betragen, die Pearl River Kamera erreichte [mit ihrem Standardobjektiv] 59 und mehr, also deutlich mehr als ein Standardprodukt. Sie hat außerdem einen aus Plastik gefertigten Mikroprismenring, welcher wesentlich die Einstellung der Schärfe vereinfacht. Solche Features hatten bisherige chinesische Kameras nicht. Auch das Objektivprogramm zur S-201 war einzigartig: Es gab neben einer Reihe von Festbrennweiten auch vier verschiedene Zoomobjektive und ist damit das kompletteste Programm was es jemals für eine chinesische Kamera gab. Damit ist die S-201 China's erste wirkliche KB-Systemkamera.
In den 70er Jahren war China immer noch relativ abgeschottet. Es gab keinerlei ausländische Produkte zu kaufen und jedes der 1300 Einzelteile der Pearl River S-201 stammt von eigenen, lokalen Produktionslinien. Diesen Umstand kann man nicht genug wertschätzen. Und es erstaunte auch die ausländische Kameraindustrie. Der Japaner Takahashi Saburo schrieb in seinem Buch "Chinese Classical Camera Story"einen Abschnitt voll des Lobs für diese Kamera: Für ihn ist die S-201 die berühmteste Chinesische SLR. Sie ist sehr ähnlich zur japanischen Nikon F von 1959 und hat ebenso einen austauschbaren Sucher, außerdem sind eine ganze Reihe Wechselobjektive erhältlich. Es kann gesagt werden, dass sie in China die kompletteste aller Systemkameras ist.
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Preise, die die Kamera ab 1980 sammeln konnte |
Wu Anlu erzählte mir auch folgende Anekdote. In einem Jahr gewann die Kamera einen nationalen Qualitätspreis, aber die entsprechende Urkunde kam und kam nicht. Angeblich, weil die Auszeichnung vom Ministerium für Maschinenbau verliehen wurde, wurde der Preis zurückgehalten, da die Rüstungsindustrie es sich zu sehr zu Herzen nehmen könnte. Erst zwei Jahre später kam der Preis bei der Mingguang Fabrik an. Ich denke diese Geschichte kann sehr wahr sein, denn in jenem Jahr wurde die Kameraproduktion von der eigentlichen Rüstungsindustrie immer noch als lästige Einmischung empfunden. Jedenfalls, mit der Pearl River S-201 und vielen positiven Rezensionen verstummten solche Stimmen mit der Zeit. Von 1980 bis 1984 gewann sie fünfmal hintereinander sowohl nationale als auch Provinz- Qualitätspreise. Mit der Anerkennung für diese Kamera gewann auch die Marke Pearl River bisher nie dagewesene Reputation.
Nach 1980 steigerten sich die Produktionszahlen der S-201 Jahr für Jahr. 1985 waren es 8028 Einheiten und 1986 wurde erstmals die Marke von 10000 Stück überschritten. Sie wurde vornehmlich nach China, Hongkong, Singapur und Südostasien verkauft. In diesem Jahr [1986] erhielten die fünf Bruderfirmen in den Bergen von Huayin die komplette Pentax K-1000 Produktionslinie aus Japan [oder Hongkong?], mit der sie [nicht nur Lohnproduktion für Pentax, sondern auch] eine zweite einfachere SLR Kamera ("Pearl River S-207") produzierten. Zu dieser Zeit war "Pearl River" die berühmteste Chinesische Kameramarke, viele Fotoamateure und Profis waren fasziniert und eine Kamera kostete bis zu 800 Yuan, ungefähr ein Jahresgehalt.
Auf dem Höhepunkt des Ruhms 1986, wendete sich plötzlich das Schicksal der Kamera. China begann über Markenrecht nachzudenken und erste Gesetze dazu zu erlassen. Die Militärfabriken in den Bergen von Huayin bekamen also die Mitteilung, dass das Kamerawerk in Guangzhou die Marke "Pearl River" für sich hat registrieren lassen. Abseits des Hauptgeschehens und noch immer verhaftet in den alten militärischen und planwirtschaftlichen Strukturen, nahm man die Sache erst nicht ernst, verstand sie nicht, und kämpfte daher auch nicht gegen die letztendliche Konsequenz: Man hatte die Marke "Pearl River" verloren. Sogar heute noch verstehen einige alte Kollegen diesen Umstand nicht.
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Auswahl von frühen (70er) und späten (90er) Kameras, die in alle in der Tradition der S-201 stehen |