Ein seltenes Schnäppchen für meine 3x4-Kamerasammlung habe ich neulich gemacht. Die KW Pilot Reflex ist die einzige zweiäugige Spiegelreflex (TLR) für das Format 3x4 auf dem 127er Rollfilm. Sie gehört außerdem zu den wenigen TLR's, die mittels Spreizen und Balgen "auszuklappen" sind (andere sind Welta's Superfekta und Perfekta, sowie die Zeca-flex). Mit ihren gehobenen Ausstattungsmerkmalen war sie außerdem eine der teuersten 3x4-Kameras und erreichte damit in Wirtschaftskrisenzeiten nur eine bescheidene Stückzahl und ist daher heute bei Sammlern sehr gefragt.
Eines dieser Ausstattungsmerkmale ist der Schnellschalthebel, der für einen Bildvorschub zweimal betätigt werden muss. Dazu gehört natürlich ein mechanisches Bildzählwerk, das sogar bis 18 zählen kann und mit dem kleinen Knopf daneben manuell auf 1 zurückgestellt werden muss. Ein rotes Fensterchen für das Rückseitenpapier des 127er Rollfilms gibt es trotzdem, es wird nur einmal beim Einlegen und ersten Vorspulen des Films gebraucht.
Wer jetzt aber meint, dieser Hebel wäre in irgendeiner Weise mit dem Verschluss gekoppelt, irrt. Weder wird der Verschluss damit gespannt (wie z.B. bei der Tenax I oder der großartigen Rolleiflex), noch gibt es eine Doppel- oder Leerbelichtungssperre. Der Hebel kann jederzeit betätigt werden und schiebt einfach den Film vor.
Sie ist, bedingt durch den zusätzlichen Reflexsucher, nicht die kleinste 3x4-Kamera, aber dennoch wohl proportioniert und sehr solide gebaut. Mit einem Druck auf eine Taste auf der linken Seite springen sowohl die Objektive in Aufnahmeposition als auch der Reflexsucher auf. Wenn man nicht vergessen hat, den Verschluss zu spannen, ist sie also schnell schussbereit. Mit Ihren 90+ Jahren Alter hat mein Exemplar einige Spuren der Benutzung und der Korrosion vorzuweisen, ist aber noch voll funktionstüchtig.
Die durchaus interessante Geschichte der Kamerawerkstätten Guthe & Thorsch will ich hier nicht wiederholen. Hier wurde die Praktiflex entwickelt und sie wurden später die Keimzelle des VEB Pentacon. Die Pilot 3x4 war 1931 ihre erste Kleinbild und auch Reflexkamera, was sehr bemerkenswert ist, betrachtet man die fast perfekte Ausführung. In meinem Artikel über das kurze Leben dieser 3x4-Kameraklasse habe ich schon die Gründe genannt, warum es auch von dieser Kamera keinen Nachfolger gab: Sie kam zur Unzeit (viel Konkurrenz), war zu teuer (1932: wenig Kaufkraft im Markt) und das Konzept wies in eine technische Sackgasse.
Auf vielen Seiten liest man, dass die Pilot Reflex von 1931-1937 gebaut wurde. Das ist sehr wahrscheinlich falsch! Ich habe mir einige Mühe gemacht und Seriennummern von Kameras, Objektiven und den Compur-Verschlüssen gesichtet (insgesamt 15). Daraus ergeben sich eine Gesamtzahl von nicht viel mehr als ca. 3500 gebauten Kameras. Ab der Seriennummer von ca. 2500 mit einem etwas moderneren "PILOT"-Schriftzug, ansonsten die selbe Kamera. Angeblich produzierte KW schon ab 1928 mehr als 100 Kameras pro Tag! Die nur 3500 Pilot's wären somit in wenigen Monaten quasi nebenbei machbar gewesen, warum dann 7 Jahre Produktionszeit annehmen bei sonst keinerlei technische Änderungen.
Die meisten Kameras mit 3000er Nummer haben Objektive und Verschlüsse von 1931, zwei Kameras allerdings auch von 1933. Daher schließe ich mal auf einen recht kurzen Produktionszeitraum von Mitte 1931 bis Frühjahr 1933. Im internationalen Verkaufsprogramm war sie vermutlich noch einige Jahre, daher die falsche Zuordnung? Ich jedenfalls freue mich über das seltene Stück und auch über weitere Zuschriften (an knippsen (at) icloud.com) oder Kommentare hier unten mit Seriennummern oder Fotos.
Datenblatt | Einzige TLR für 3x4 cm Negative auf Rollfilm 127. |
Objektiv | Schneider-Kreuznach Xenar 5 cm f/2.9 (4 Linsen, Tessar Typ), # 476791 (1931). Kamera war auch erhältlich mit Zeiss Tessar f/3.5 oder f/2.8, Leitz Elmar f/3.5, oder den beiden "Lichtriesen" Zeiss Biotar oder Schneider Xenon 4.5 cm f/2. Sucherobjektiv, Guthe&Thorsch Eigenbau (verm. Triplet, f/2.8) |
Verschluss | Deckel Compur Zentralverschluss, T-B-1-2-5-10-25-50-100-300. # 2460969 (1931) |
Fokussierung | Mittels Drehknopf auf rechter Kameraseite, kürzeste Entfernung 1m (mit Xenon oder Biotar 0.7 m). Schärfekontrolle über Mattscheibe im Reflexsucher. |
Sucher | Reflexsucher mit Fadenkreuz, aufrechtes aber seitenverkehrtes Bild. Ausklappbare Sucherlupe für Bildzentrum. Zusätzlicher, aufklappbarer optischer Durchsichtsucher auf der linken Kameraseite. |
Filmtransport | Mit Schnellschalthebel (2 x pro Bild), mechanisches Bildzählwerk, siehe Text. |
sonst. Ausstattung | Spreizenmechanismus mit Balgen für Aufnahme- und Metalltubus für Sucherobjektiv. Kamera wird durch Ausfahren des Objektivs 15 mm dicker. Drahtauslöser-Gewinde, Ösen für Kamera-Ledergurt, 3/8'' Stativgewinde. |
Maße, Gewicht | ca. 50 x 80 x 130 mm, 525 g |
Baujahr(e) | 1931-1933, ca. 3500 Exemplare, siehe Text. |
Kaufpreis, Wert heute | RM 175.50 (1932, Xenar)/ US$ 85 (1932, Tessar). Heute je nach Zustand 400 - 600 € (plus 300€ für Xenon oder Biotar) |
Links | Camera-Wiki, Mike Eckman, Riess History of KW, Collectiblend, earlyphotography.co.uk, Photoscala.de, |
Bei KniPPsen weiterlesen | Das plötzliche Verschwinden der 3x4 Kameras, Altersbestimmung per Seriennummer, Praktiflex, meine TLR's |
Seite aus dem Photo Porst Katalog 1932, sie war hier die teuerste aller 3x4 Kameras. |