Die Krauss Peggy gehört zu den wenigen frühen Leica Konkurrentinnen und damit in jede anspruchsvolle Kamerasammlung. Ich habe wirklich schon ein paar Jahre nach einer günstigen Gelegenheit Ausschau gehalten und endlich zuschlagen können. Bei mir reiht sie sich ein in die schon ganz stattliche Sammlung an 3x4-Kameras (127er Rollfilm) und natürlich anderen frühen Kleinbildkameras für den 35 mm Film (Leica III, Beira, Retina I, Dollina, und andere). Die Peggy wurde 1931 vorgestellt und kam wohl letztlich Ende 1931 oder Anfang 1932 auf den Markt. Sie ist technisch eine interessante Mischung aus traditionellen Elementen wie die Scherenkonstruktion zum Ein- und Ausfahren des Objektivs, (damals) modernen Merkmalen wie Gehäuseauslösung sowie wirklich innovativen Dingen wie das Filmmesser oder das "Geheimfach" für den Gelbfilter.
Die Leica war 1931 schon ein paar Jahre auf dem Markt und setzte einen hohen Standard bezüglich Qualität und Bedienung. Im Vergleich zur Beira, die als einzige andere frühe 35 mm Konkurrentin technisch nicht wirklich mithalten konnte, zeigte die Peggy ernsthafte Ambitionen, Leitz die Kundschaft abzunehmen. Zwar gab es den üblichen Compur-Zentralverschluss (gut versteckt hinter der Frontplatte) und fest eingebaute Normalobjektive, dafür ein fast schon nach Zeiss Ikon anmutendes Filmhandling mit speziellen Patronen, die wie damals üblich in der Dunkelkammer geladen wurden. Rückspulen war nicht vorgesehen, dafür war die geschlossene Zielpatrone da. Mit dem eingebauten Messer konnte der Film an beliebiger Stelle geschnitten und der schon belichtete Teil entsprechend entwickelt werden.
Fokussieren tut man mit dem rechten Drehknopf auf der Gehäuseoberseite, das macht natürlich am meisten Sinn mit einem gekoppelten Entfernungsmesser, das entsprechende Modell hieß Peggy II und kam wohl nicht lange nach dem ursprünglichen, allgemein Peggy I genanntem Modell auf den Markt. Aber auch Peggy I Kameras konnten nachträglich (natürlich gegen Aufpreis) mit einem solchen nachgerüstet werden. Frühe Kameras (sowohl Peggy I als auch Peggy II) hatten einen automatischen Verschlussaufzug, der beim Einfahren des Objektivs mit den einklappenden Scheren den Zentralverschluss spannte. Eigentlich eine tolle Sache, die zusammen mit der eingebauten Doppel- und Leerbelichtungssperre ein durchdachtes Konzept abgab. Allerdings gab Krauss dieses Feature relativ schnell wieder auf (vielleicht schon Ende 1932). Warum, bleibt im Trüben. Ob sich zu viele Kunden beschwert haben, die nicht zwischen jeder Aufnahme das ganze Objektiv ein- und wieder ausfahren wollten? Oder ob es zu viele technische Defekte an dem Mechanismus gab? Oder ist gar ein Wettbewerbspatent für eine solche Automatik aufgetaucht? Oder, vielleicht ganz einfach: Es war zu teuer in der Produktion. Jedenfalls gab es an den späteren Kameras ab ca. 1933 wieder den traditionellen Hebel zum Spannen des Verschluss', sowohl bei der Peggy II als auch bei der nun Peggy (Typ Norm) genannten Kamera hier.
Über die kleine Kameraschmiede G.A. Krauss aus Stuttgart habe ich schon in meinen beiden Beiträgen zur Rollette was geschrieben. Gegründet 1895 als Fotohandelsgeschäft von Gustav Adolf Krauss (*27.5.1863 +3.5.1929) in Stuttgart begann man ca. 1920 mit eigener Kamerafertigung. Mit bis zu 50.000 Rolletten war man am Ende der 1920er Jahre erfahren und wohl auch groß genug, um sich an das Wagnis Kleinbildkamera zu begeben. Aber vielleicht war auch ein wenig jugendliche Naivität dabei, gepaart mit dem allgemeinen Aufbruch der Kameraindustrie Richtung Kleinbild. 1929 war nämlich der Firmengründer Gustav Adolf Krauss im Alter von 66 Jahren gestorben und sein damals 28-jähriger Sohn Eugen übernahm die Leitung. Dieser darf nicht verwechselt werden mit Gustav Adolfs 6 Jahre älterem Bruder Eugen, der in Paris schon ab 1882 eine eigene Fotofirma betrieb. Der junge Eugen Krauss hatte jedenfalls technisch und feinmechanisch einiges auf dem Kasten und hat wohl die Peggy mehr oder weniger im Alleingang entwickelt. Jedenfalls zeugen eine ganze Reihe von Patenten von seinem Talent und seinem Ideenreichtum. Das Basispatent DRP 528942 wurde noch unter der Firma G.A. Krauss im Februar 1929 angemeldet, alle späteren Anmeldungen tragen stolz den Namen Eugen Krauss als Erfinder. Weitere Patente betreffen die Filmkapsel, die zur Filmkapsel gehörige Kamera, Scherenmechanismus, Führungsschienen der Filmkapseln, Bildzählwerk und Vorschubmechanismus, Fokussierung bei geschlossenem Gehäuse, Belüftungsöffnungen, das Filmmesser (Abschneidevorrichtung), und einige mehr. Eine sehr ansehnliche Zahl von wirklich innovativen Details stecken also in dieser Kamera und es ist wirklich erstaunlich, dass dieser kleine Hersteller mit nur ca. 8 Jahren "Rollette"-Erfahrung diese technische Meisterleistung tatsächlich auf den Markt gebracht hat.
Abbildung des Kamerakonzepts aus der Basisanmeldung vom 12. Februar 1929. Bis Ende 1931 werden noch ca. 15 Details zur Kamera angemeldet und patentiert. |
Leider kam die Peggy zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. 1932 war in Deutschland das schlimmste Jahr der Weltwirtschaftskrise und die Industrieproduktion brach nochmal gegenüber dem schon schwierigen Vorjahr um 40% ein. Es herrschte Massenarbeitslosigkeit und auch die weltweit führende deutsche Kameraindustrie hatte arg zu kämpfen, wie man an den Beispielen der Produktionszahlen von Krauss' Stuttgarter Konkurrenten Nagel und der deutschen Objektivproduktion sehen kann. Der Kameramarkt stand außerdem an einem Umbruch, der vielleicht sogar mit der digitalen Fotorevolution der letzten Jahrhundertwende vergleichbar ist. Bis Ende der 1920er Jahre dominierte noch die Glasplatte bzw. der Planfilmpack die Profi- und Amateurfotographie, Plattenkameras wurden ab 1930 plötzlich zu Ladenhütern und Rollfilmkameras übernahmen den Amateurmarkt. Die Filmqualität war endlich reif für kleine Negative und 1930 bis 1932 buhlten 18 neue Kleinfilmkameras sowohl für 127er Film als auch den 35 mm Kinofilm um die Gunst der Kunden.
gesichtete Seriennummern |
Die Zahl der jemals produzierten Peggy Kameras wurde übrigens von einer Quelle auf 10- bis 15-Tausend Stück geschätzt. Ich persönlich glaube, es waren weniger. Argument 1: Selbst in besten Rollette-Zeiten (1928-1931) hat Krauss nicht mehr als ca. 5000 Kameras pro Jahr produziert. Die Peggy ist deutlich aufwändiger und ich denke es werden maximal 2000 Stück pro Jahr drin gewesen sein, zumal in den oben geschilderten Zeiten der Rezession. Argument 2: Schaut man sich die seltsamen Seriennummern im Boden der Kameras an, findet man folgendes Muster: X1xx/y, mit X: Buchstaben zwischen A und O (15 Möglichkeiten), gefolgt von immer der "1", dann eine zweistellige Zahl (99 Möglichkeiten), der Schrägstrich und y: Zahlen zwischen 2 und 5 (4 Möglichkeiten). Ergibt: 15 x 99 x 4 = ca. 6000. Quelle: 17 Seriennummern aus dem Internet.
Ich persönlich bin wirklich froh, dieses seltene Schätzchen jetzt in der Vitrine neben ihren anderen 90-jährigen Zeitgenossen stehen zu haben. Da sie noch tadellos funktioniert, riskiere ich vielleicht auch mal einen Film, ich werde natürlich berichten...
Datenblatt | Frühe Kleinbildkamera für 35 mm Kinofilm |
Objektiv | Schneider Xenar 5 cm f/3.5 (4 Linsen, Typ Tessar). Serien-Nr. 595451 (1933). Auch erhältlich mit Zeiss Tessar f/2.8 und f/3.5, Zeiss Biotar 4.5 cm f/2, Schneider Xenon 4.5 cm f/2, Meyer Primotar f/3.5, Meyer Makro-Plasmat f/2.7. |
Verschluss | angepasster Deckel Compur Zentralverschluss hinter Frontplatte. B-1-2-5-10-25-50-100-300 1/s. Serien-Nr. 2893007 (1933). Verschlussspannen mit separatem Hebelchen. Frühe Peggy Kameras hatten stattdessen einen automatisierten Verschlussaufzug durch Ein- und Ausfahren der Objektivscheren (siehe Text). |
Fokussierung | mittels Drehrad auf der rechten Kameraoberseite, kleinste Entfernung 0.90 m. Modell Peggy II (oder Umbau) mit gekoppeltem Entfernungsmesser. |
Sucher | einfacher optischer Fernrohrsucher |
Filmtransport | mit Drehrad auf der linken Kameraoberseite. Film wird von spezieller Patrone in eine 2. Patrone transportiert, daher keine Rückspulen vorgesehen. Bildzählwerk (vorwärts), eingebautes Messer zum Filmabschneiden. |
sonst. Ausstattung | Zubehörschuh, Gehäuseauslöser mit Doppelbelichtungs- und Leerbelichtungssperre. "Leica Glocke"-Gewinde für Drahtauslöser, Stativgewinde 3/8'', Fach zur Aufbewahrung des Gelbfilters im Filmtransportdrehrad. |
Maße, Gewicht | ca. 135x74x38 mm, 660 g (inkl. 2 Filmpatronen). |
Baujahr(e) | 1931-1934 (alle Peggy Modelle), diese # L160/4 ca. 1933, ca. 6000-8000 Exemplare (alle Varianten). |
Kaufpreis, Wert heute | 125 RM, heute je nach Zustand und Ausstattung 400 - 1000 €. |
Links | Camera-Wiki, Mike Eckman, earlyphotography, Leitzmuseum.org, Deutsches Kameramuseum, |
Bei KniPPsen weiterlesen | Krauss Rolette, Krauss Rolette (2), 3x4 Kameras der frühen 30er, Leica III, Beira, Retina I, Dollina, und andere |
Seite aus Photo Porst Katalog 1935 |
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